TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/17 A12 254257-0/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.07.2008
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Spruch

GZ: A12 254.257-0/2008/14E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Benda als Einzelrichter über die Beschwerde des K.V., geb. 00.00.1972, StA. der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.10.2004, Zahl: 03 08.239-BAW, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.12.2007 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde von K.V. wird stattgegeben und K.V. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg.cit. wird festgestellt, dass K.V. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I.1. Der Berufungswerber ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation. Er reiste am 10.03.2003 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag einen Asylantrag gemäß § 3 AsylG. Die niederschriftliche Einvernahme des im Betreff Genannten fand am 21.11.2003 vor dem Bundesasylamt statt.

 

Der Antragsteller brachte im Wesentlichen vor, dass er aus mehreren Gründen sein Heimatland verlassen habe: So hätte er zunächst im Jahre 1998 in Tschetschenien freiwillig in einem Kosakenbataillon gedient und wäre dieser Umstand in seiner von verschiedenen Nationalitäten bewohnten Heimatstadt allgemein bekannt gewesen. Die in eben genannter Stadt lebenden Tschetschenen hätten jedoch daraufhin begonnen den Asylwerber telefonisch zu bedrohen, weshalb sich dieser an die lokalen Kosakenvertreter gewandt habe. Diese wären aber ebenso wenig objektiv dazu in der Lage gewesen dem Berufungswerber effektiven Schutz zu gewährleisten wie die ebenfalls von den Vorfällen informierten Sicherheitsbehörden. Dies nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, derzufolge auch eine Vielzahl anderer ehemaliger Kriegsteilnehmer und Mitglieder der Kosakenstreitkräfte regelmäßig von diversen Personengruppen bedroht worden seien. Am 00.00.1999 gegen 23.00 Uhr Abends hätten schließlich zwei unbekannte Männer den Antragsteller auf seinem Nachhauseweg ohne Vorwarnung angegriffen und solange auf diesen mit einem Messer eingestochen, bis selbiger auf dem Gehsteig zusammengebrochen sei. Offenbar aufgrund eines zufällig vorbeifahrenden Autos hätten die Unbekannten jedoch ihre Attacke vorzeitig abgebrochen und wäre es dem im Betreff Genannten gerade noch gelungen, stark blutend sein ungefähr 150 bis 200 Meter entferntes Wohnhaus zu erreichen. Die nachfolgenden drei Wochen hätte er im Krankenhaus verbracht und wäre die Behandlung auch nach seiner Entlassung ambulant weiter fortgesetzt worden. Im folgenden Frühling des Jahres 2000 habe dann das örtliche Wehrkommando den Antragsteller zu einem persönlichen Termin vorgeladen. Trotz seines nach wie vor angeschlagenen Gesundheitszustandes wäre der Asylwerber vom Militärarzt als tauglich eingestuft und in weiterer Folge nach S. geschickt worden, um dort von einer medizinischen Kommission näher untersucht zu werden. Des Weiteren wäre der Antragsteller zwecks Absolvierung einer militärischen Grundausbildung nach M. versetzt worden. Entgegen den zuvor ausdrücklich getätigten Zusagen der vorgesetzten Offiziere hätte man aber den Asylwerber nicht wie angekündigt einer Versorgungseinheit zugeteilt, sondern vielmehr, wie im Übrigen auch eine Reihe weiterer junger Männer, gegen seinen Willen mit einem Hubschrauber nach Tschetschenien gebracht. Dort angekommen habe man den solcherart gegen ihren Willen verschleppten Personen lediglich mitgeteilt, dass sich ihr Heimatland nunmehr im Krieg befände, weshalb es ihre Pflicht sei, den Dienst an der Waffe in eben genannter Krisenregion anzutreten. Für den Fall einer Weigerung wäre ihnen mit standrechtlicher Erschießung gedroht worden. Zwei bis drei der Zwangsrekrutierten hätten aber dennoch beharrlich ihre Mitwirkung verweigert, weshalb diese der Militärstaatsanwaltschaft übergeben worden seien. Über deren weiteres Schicksal lägen dem Asylwerber keine Informationen vor. Er selbst wäre gemeinsam mit den verbliebenen Leidensgenossen dazu genötigt worden, sich mit seiner Unterschrift zu einem zweijährigen Militärdienst zu verpflichten. In weiterer Folge habe der Berufungswerber im Verlauf seines unfreiwillig angetretenen Einsatzes im Krisengebiet immer mehr gesundheitliche Probleme bekommen. So wären etwa die aus den Schnittverletzungen und Stichwunden resultierenden Operationsnähte aufgegangen und sei er darüber hinaus im Herbst 2000 auch noch an Gelbsucht, Hepatitis A, erkrankt. Da die befehlshabenden Offiziere permanent alkoholisiert gewesen wären, habe sich der Antragsteller an seinen General mit dem Ersuchen gewandt, gesundheitsbedingt in ein Lazarett verlegt zu werden. Dieser hätte sich zunächst geweigert, den Antragsteller von seinem Fronteinsatz zu entlassen, jedoch habe der im Betreff Genannte so lange urgiert, bis dieser letztlich seinen Forderungen nachgegeben und einen Genesungsurlaub genehmigt hätte. Zu Hause angekommen habe man den Asylwerber aufgrund des fortgeschrittenen Krankheitsbilds sofort mit der Rettung in ein für Infektionskrankheiten spezialisiertes Krankenhaus überstellt und dort über einen Monat hindurch stationär behandelt. Auch nach der Entlassung aus dem Spital hätte sich der Berufungswerber streng an eine Diät halten und nichts Schweres heben dürfen. Zu Beginn des Jahres 2002 wäre der im Betreff Genannte abermals von Tschetschenen telephonisch und persönlich bedroht worden. Auch diesmal hätten sich die vor Ort befindlichen Sicherheitskräfte nicht dazu in der Lage gesehen, dem Asylwerber effektiven Schutz zu gewähren. Auch das örtlich zuständige Wehrkommando hätte den Asylwerber 2002 neuerlich vorgeladen, offenkundig in der Absicht, ihn wieder einzuberufen. Aus Angst, ein weiteres Mal in Tschetschenien Dienst an der Waffe leisten zu müssen, habe es der Antragsteller jedoch vorgezogen, sich zu verstecken und keinen der Ladungen nachzukommen. Auf diese Weise wäre es ihm möglich gewesen, einer Zwangsrekrutierung bis zum 00.00.2003 zu entgehen. Da sich die Suche nach seiner Person jedoch immer weiter intensiviert hätte, habe sich der aufgebaute psychische Druck immer mehr erhöht, weshalb der Asylwerber schließlich der Aufforderung zeitverzögert nachgekommen sei. Um aber dennoch wirksam verhindern zu können, sofort einer Fronteinheit zugeteilt zu werden, habe der Berufungswerber zwar seinen Inlandspass, nicht jedoch sein Wehrdienstbuch mitgenommen. Beim Wehrkommando habe man ihn bereits erwartet und unverzüglich festgenommen. Da der Antragsteller jedoch ohne Wehrdienstbuch erschienen sei, hätte man ihn nach Hause gebracht, um dieses abzuholen. Dort angekommen sei ihm in einem unbeobachteten Moment die Flucht geglückt, weshalb er seither als Deserteur landesweit gesucht werde. Eine Haftstrafe sei ihm daher sicher, im schlimmsten Fall jedoch sogar die standrechtliche Erschießung. Aus diesem Grund habe sich der im Betreff Genannte noch eine längere Zeit versteckt gehalten und sei dann nach entsprechenden Vorbereitungshandlungen letztlich illegal ausgereist. Im Falle seiner Rückkehr müsse der Antragsteller daher um sein Leben fürchten und würden auch, wie bereits mehrfach erwähnt, die Tschetschenen seines Heimatorts neuerlich versuchen, ihn zu töten.

 

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.10.2004, Zl. 03 08.239-BAW, wurde der Antrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gleichzeitig festgestellt, dass gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt II.). Der Antragsteller wurde gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

 

3. Gegen diese Entscheidung erhob der im Betreff Genannte fristgerecht und zulässig Berufung.

 

II. Am 12.12.2007 fand vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der im Betreff Genannte sowie eine Dolmetscherin für die russische Sprache teilnahmen. Das Bundesasylamt wurde ordnungsgemäß geladen, verzichtete jedoch auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

 

Beweis wurde erhoben durch Einvernahme des Berufungswerbers als Partei und Einsicht in die Verwaltungsakte.

 

Anlässlich der mündlichen Verhandlung bestätigte der Asylwerber seine vor dem Bundesasylamt vorgebrachten Verfolgungsbehauptungen.

 

III. Zur Person des Berufungswerbers wird folgendes festgestellt:

 

Der Antragsteller hat in seinem Heimatland aufgrund seiner Kriegsteilnahme als Mitglied einer Kosakeneinheit in der tschetschenischen Region und seiner Nichtbefolgung der Einberufung zum Militärdienst sowohl mit Verfolgungshandlungen durch das russische Militär als auch durch Angehörige der tschetschenischen Volkgruppe zu rechnen. Dass nach wie vor für den Berufungswerber in dessen Herkunftsland ein akutes Gefährdungspotential besteht, resultiert nicht zuletzt aus dem Umstand heraus, dass dieser aufgrund seiner Fahnenflucht im Falle seiner Rückkehr mit einer langjährigen Haftstrafe oder gar Exekution zu rechnen hätte.

 

IV. Zur Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) wird festgestellt:

 

Zusammenfassung

 

¿ In Russland werden die Grundrechte in der Verfassung garantiert. Russland ist internationalen Menschenrechtskonventionen beigetreten. Regierung und Präsident bekennen sich unzweideutig zur Einhaltung der Menschenrechte. Es besteht aber ein Widerspruch zwischen verfassungsrechtlichen Normen und Rechtswirklichkeit. Die Menschenrechte werden in der Praxis durch Behörden und Sicherheitskräfte verletzt.

 

¿ Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen bleibt der Nordkaukasus. Zwar ist in jüngster Zeit eine Verbesserung der Lage vor allem in Tschetschenien festzustellen (erhebliche Wiederaufbauerfolge, deutlicher Rückgang der Verschlepptenzahlen). Der Konflikt bleibt jedoch insbesondere auch in Dagestan und Inguschetien virulent. Föderale und republikanische Sicherheitskräfte sowie Rebellen begehen in dieser Region schwere Menschenrechtsverletzungen.

 

¿ Folter und Misshandlung durch Polizei und Sicherheitskräfte sowie in den Streitkräften bleiben weit verbreitet. Die Lage in russischen Gefängnissen bleibt unbefriedigend.

 

¿ Fremdenfeindliche, antisemitische und rassistische Gewalttaten nehmen zu.

 

¿ Die Todesstrafe ist trotz des Beitritts zum Europarat bisher nicht abgeschafft worden. Das 1996 erlassene Anwendungsmoratorium des Präsidenten besteht jedoch fort. Nach der Rechtsprechung des russischen Verfassungsgerichts darf die Todesstrafe nicht verhängt werden, solange nicht im ganzen Land Geschworenengerichte errichtet sind. Dies wird vor 2010 nicht der Fall sein.

 

¿ Die Dumawahl am 02.12.2007 war aufgrund der Spitzenkandidatur Putins für Einheitliches Russland v.a. ein Referendum über Putin. Das Ergebnis bedeutet eine klare Bestätigung der Politik Putins und seiner Person. Das gilt auch ungeachtet der problematischen Rahmenbedingungen der Wahl. Die Wahlen verliefen nicht europäischen Standards entsprechend. Die Kurzzeitwahlbeobachter der parlamentarischen Versammlungen von OSZE und Europarat haben dies in ihren Erklärungen am 03.12. deutlich gemacht.

 

¿ Aus der Wahl ging erwartungsgemäß die Präsidentenpartei "Einheitliches Russland" mit großem Abstand als Siegerin hervor (64,1% bei einer Wahlbeteiligung von 63%). Sie wird in der Duma weiterhin eine verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit haben. Zusammen mit der zweiten, vom Kreml ins Leben gerufenen Partei, "Gerechtes Russland", kann sich der Kreml auf mehr als 70 % der Sitze in der Duma stützen. Die Rolle der Opposition in der Duma kommt nunmehr den Kommunisten zu (KPRF). Die liberalen Oppositionsparteien waren chancenlos.

 

Allgemeine politische Lage

 

Die große Mehrheit der russischen Bevölkerung verbindet mit der siebenjährigen Amtszeit Präsident Putins überwiegend positive Erfahrungen und ist an Kontinuität interessiert. Nach den Dumawahlen vom 02.12.2007 bestimmen nun die im März 2008 anstehenden Präsidentschaftswahlen das politische Klima in Russland. Präsident Putin hat gegenüber der Öffentlichkeit mehrfach dargelegt, dass er für eine dritte Amtszeit nicht mehr zur Verfügung steht. Stattdessen ist mit seiner Unterstützung Dmitrij Medwedjew als Nachfolgekandidat präsentiert worden, dessen Kandidatur - zusammen mit einem in Aussischt gestellten zukünftigen Einsatz Putins als Premierminister - für einen geordneten "Übergang der Macht" sorgen soll. Die Regierung ist bemüht, die Missstände im Justizsystem durch eine umfassende Justiz und Rechtsreform zu beheben (bisher u. a. neue Straf- und Zivilprozessordnungen, Reform des Strafgesetzbuches). Auch wenn die Strafprozessreform aus den Jahren 2002 und 2004 die Stellung der Richter deutlich gestärkt hat, bleibt in der Praxis die Macht der Staatsanwaltschaft beträchtlich. Im September 2007 ist eine weitere Reform der Strafprozessordnung in Kraft getreten, die Aufgaben der Staatsanwaltschaft im Vorfeld der Hauptverhandlung (Ermittlungen, Verfahrenseinstellungen, Anklageerhebung) einem neu geschaffenen Untersuchungskomitee überträgt. Ob diese Aufgabenteilung auch zu einer Teilung der Macht der Generalstaatsanwaltschaft führen wird, ist zur Zeit noch nicht absehbar.

 

Die Gerichte sind nicht wirklich unabhängig, das Vertrauen der Bevölkerung in die Richter und Justizbehörden ist gering. Vertrauensanwälte der Deutschen Botschaft in Moskau beklagen, dass vor allem in der Provinz die Mehrzahl der Strafprozesse durch Politik, Interessengruppen und Prozessparteien unzulässig beeinflusst würden.

 

Laut Präsident Putin ist mit der tschetschenischen Parlamentswahl am 27.11.2005 die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien abgeschlossen worden. Dabei errang die kremlnahe Partei "Einiges Russland" die Mehrheit der Sitze. Beobachter stellten zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest. Hauptkritik an der Wahl war u. a. die anhaltende Gewaltausübung und der Druck der Miliz (sog. "Kadyrowzy") gegen Wahlleiter und Wahlvolk. Nach dem Rücktritt seines Vorgängers Alu Alchanow im Februar 2007 hat der bisherige Ministerpräsident Ramsan Kadyrow am 05.04.2007 das Amt des tschetschenischen Präsidenten angetreten.

 

Asylrelevante Tatsachen

 

1. Staatliche Repressionen: Tschetschenen werden in Tschetschenien, aber auch in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation Ziel benachteiligender Praktiken der Behörden.

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Personenkontrollen und Wohnungsdurchsuchungen, z.T. ohne rechtliche Begründung, Festnahmen, Strafverfahren aufgrund fingierter Beweise und Kündigungsdruck auf Arbeitgeber und Vermieter. Tschetschenen haben auch weiterhin Schwierigkeiten, eine Wohnortregistrierung auf legalem Wege zu erlangen. Offensichtliche Diskriminierungen, wie das Fälschen von Beweismitteln oder die Verfolgung durch die Miliz, werden jedoch immer seltener. Das Auswärtige Amt hat Hinweise dafür, dass bestimmte Personen die besondere Aufmerksamkeit der Sicherheitsorgane haben. Diese Personen sind offenbar Gegenstand besonders genauer Überwachung u.a. bei Ein- und Ausreisen. Zu inoffiziellen Fahndungslisten liegen keine Erkenntnisse vor. Im Zuge der Spannungen zwischen Russland und Georgien im Herbst 2006 ist es zu gezieltem Vorgehen verschiedener staatlicher Behörden gegen Georgier und georgische Firmen in Russland gekommen. Während vorher Aufenthalt und Arbeitstätigkeit von georgischen Staatsbürgern ohne einschlägige Erlaubnis weitgehend geduldet wurden, kam es nun zu einigen hundert Abschiebungen. Seit Anfang 2007 wird zwar noch von gezielten Kontrollen von Georgiern berichtet, darüber hinaus gehende Diskriminierungen scheinen jedoch eingestellt.

 

Die Betätigungsmöglichkeiten für die politische Opposition sind formal gewährleistet, sie werden jedoch zunehmend durch die schrittweise Verschärfung des Wahl- und Parteiengesetzes und durch wachsende Machtkonzentration in der föderalen Exekutive erschwert (sog. "Machtvertikale"). Insbesondere führte die selektive Parteienregistrierung bei den letzten Regionalwahlen im März 2007 sowie im Vorfeld der Dumawahl zu einem Ausschluss bestimmter Parteien (u. a. "Jabloko" in St. Petersburg und Dagestan, "Union der Rechten Kräfte" in Dagestan und Samara) von den Wahlen. Für die Teilnahme an den Wahlen ist eine Registrierung erforderlich, für die sich die Parteien einer aufwändigen Prozedur unterwerfen müssen. Im August 2007 veröffentlichte die Registrierungsbehörde eine Liste mit 16 von ehemals 32 bisher registrierten Parteien, die die erforderliche Mitgliederzahl erreichen. Sie hat durch Gerichtsentscheidungen die Auflösung mehrerer Parteien durchgesetzt. Der demokratische Abgeordnete Ryshkow, dessen Partei laut Registrierungsbehörde nicht den Anforderungen des neuen Parteiengesetzes entspricht, sieht die Maßnahme gegen seine Partei als selektiv an und hat am 1. Juni 2007 gegen die Zwangsauflösung Klage vor dem EGMR eingereicht. Eine gerichtliche Entscheidung gibt es noch nicht.

 

Das Wahlgesetz wurde mit Wirkung vom 07.12.2006 dahingehend geändert, dass Kandidaten ihr passives Wahlrecht verlieren, wenn sie wegen "extremistischer Straftaten" verurteilt wurden. Wenn die Partei selbst zu extremistischen Tätigkeiten aufruft, kann einer ganzen Parteienliste die Registrierung durch Gerichtsentscheidung versagt werden. Das im Jahr 2002 beschlossene Gesetz zur Bekämpfung extremistischer Tätigkeiten wird in Einzelfällen zur Behinderung oppositioneller Aktivitäten missbraucht. Menschenrechtler befürchten, dass solche Missbräuche als Folge der Gesetzesänderung vom Juli 2006, die den Extremismusbegriff stark ausdehnt, häufiger werden könnten. Im Juli 2007 wurden weitere Änderungen am Extremismusgesetz von der Duma verabschiedet, die unter anderem die Definition von Extremismus erneut erweitern sowie vereinfachte Abhörmöglichkeiten vorsehen.

 

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert, durch Gesetzgebung und Exekutive jedoch zahlreichen Einschränkungen unterworfen.

 

Demonstrationen müssen mit einem Vorlauf von drei bis zehn Tagen angekündigt werden. In Einzelfällen kommt es zu selektiven Demonstrationsverboten, wobei diese laut Angaben von Menschenrechtsorganisationen in den letzten Monaten häufiger geworden sind. Die am 27.05.2007 veranstaltete Moskauer "Gay Pride Parade" wurde im Vorfeld durch den Bürgermeister Moskaus, wie schon im Vorjahr, nicht zugelassen. Eine Klage der Veranstalter durch den Instanzenzug gegen das letztjährige Verbot blieb erfolglos und ist nun beim EGMR in Straßburg anhängig. Eine Klage gegen das diesjährige Verbot läuft noch vor den nationalen Gerichten. Die Parade hat trotz des Verbotes stattgefunden. Organisatoren und potentielle Teilnehmer einer Serie von Demonstrationen oppositioneller Parteien (sog. "Märsche der Nichteinverstandenen, u.

a. in Moskau am 16.12.2006, 14.04.2007, 11.06.2007, 24.11.2007; St. Petersburg am 15.04.2007, 09.06.2007, 25.11.2007; Samara am 18.05.2007; Nishni Nowgorod am 24.03.2007) wurden durch unterschiedlichste Maßnahmen (polizeiliche Befragungen, vorübergehende Ingewahrsamnahme, Verweigerung der Mitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln, Nichtzulassung des beantragten Demonstrationsverlaufs, gewaltsame Demonstrationsauflösung) behindert. Der Menschenrechtler Lew Ponomarjow wurde am 26.09.2006 wegen einer Mahnwache zum Jahrestag des Beslan-Terroranschlags, die von den Moskauer Stadtbehörden untersagt worden war, zu drei Tagen Verwaltungshaft verurteilt. Ponomarjow hat diese auch verbüßt. Später hat ein Moskauer Gericht die Untersagung der Mahnwache für rechtswidrig erklärt.

 

Bei den Demonstrationen Ende November 2007 in Moskau und St.Petersburg ist die Miliz hart gegen die Demonstranten vorgegangen. Mehrere Teilnehmer der Demonstration in Moskau, darunter der Mitorganisator Garri Kasparow, wurden zu fünf Tagen Haft verurteilt. Die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen wird durch das im April 2006 verschärfte Gesetz über nichtkommerzielle Organisationen geregelt. Die Gesetzesänderung legt Nichtregierungsorganisationen erweiterte Berichtspflichten auf. Vertretungen ausländischer Nichtregierungsorganisationen müssen sich überdies in einem neuen Register registrieren lassen. Dies ist mit einer aufwändigen Prozedur verbunden, welche die meisten Organisationen mittlerweile jedoch hinter sich gebracht haben. Nichtregierungsorganisationen sehen sich durch diese Regelungen in ihren Arbeitsmöglichkeiten eingeschränkt.

 

In Einzelfällen wird auf Nichtregierungsorganisationen über Strafverfahren Druck ausgeübt. So wurde der Vorsitzende der Russisch-Tschetschenischen Freundschafts- Gesellschaft, Stanislaw Dmitrijewski, im April 2006 zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt, weil er Texte der tschetschenischen Separatisten Sakajew und Maschadow veröffentlicht hatte. Als Folge dieses Urteils wurde am 13.10.2006 von einem Gericht in Nishni Nowgorod die Liquidierung der Gesellschaft verfügt. Die Gesellschaft hat Berufung eingelegt. Das Oberste Gericht hat am 23.01.2007 den Liquidationsantrag bestätigt. Die Tendenz zu starker staatlicher Kontrolle der Medien hat sich fortgesetzt. Das "Zentrum für Journalismus in Extremsituationen" (Oleg Panfilow) erfasst regelmäßig Fälle "staatlicher Restriktionen gegen Journalisten" und von "Druck auf die Medien". Sie reichen von Einschüchterungsversuchen bis zu Einbestellungen und Gerichtsverfahren. Die allermeisten Fälle sind in den Regionen (d.h. außerhalb größerer Städte) angesiedelt.

 

Der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja, die in Tschetschenien recherchierte und u. a. in der regierungskritischen Nowaja Gaseta veröffentlichte, wird weiter untersucht. Generalstaatsanwaltschaft Tschajka hat am 27.8.07 bekannt gegeben, dass mehrere Mordverdächtige verhaftet wurden und dass "nur Personen im Ausland an der Beseitigung von Politkowskaja interessiert gewesen sein konnten". Anklage wegen Mordes ist noch nicht erhoben, die Untersuchungen dauern an. Die Untersuchungen über den Mord an Paul Chlebnikow, Chefredakteur der russischen Ausgabe von "Newsweek", sowie den Mord an Ilja Simin, Journalist des Fernsehsenders "NTW", dauern ebenfalls noch an.

 

Die nationalen Fernsehkanäle (insbesondere Erster Kanal, Rossija, NTW) werden vom Kreml kontrolliert, wodurch der Zugang für die Opposition behindert wird. Tabuthemen sind die persönliche Kritik am Präsidenten, die ungeschminkte Darstellung der Lage in Tschetschenien und die kritische Darstellung der grundlegenden Prinzipien der staatlichen Ordnung des Landes. Vereinzelt befassen sich Fernsehsendungen allerdings auch kritisch mit heiklen Themen wie z.B. Korruption und Fremdenhass. Der mittelschichtorientierte Kanal REN-TV (4-5% Einschaltquote), mit RTL als Minderheitsaktionär und der putinnahen Bank "Rossija" unter Führung des Putin-Intimus Juri Kowaltschug als Hauptaktionär, ist nicht mehr kremlkritisch. Er ist am Markt und an der jungen Generation orientiert. Die RTL-Gruppe möchte ihre kommerziellen Aktivitäten fortsetzen, bekommt aber die generellen Tendenzen einer Einschränkung des ausländischen Einflusses im Medienbereich zu spüren.

 

Im Hörfunkbereich werden die staatlichen Sender "Radio Russlands" und "Majak" landesweit empfangen und vermitteln die offizielle Linie. Das private "Echo Moskwy", dessen Redaktion sich auf ein für sie vorteilhaftes Statut stützen kann, leistet, obwohl die staatliche Gazprom Mehrheitsaktionär ist, gute journalistische Arbeit und erreicht wichtige Multiplikatoren. Dies jedoch nur in den größeren Städten, hauptsächlich in Moskau und St.Petersburg; EM kann nicht landesweit empfangen werden. Ausländische Radiosender stoßen im FM-Bereich auf Hindernisse bei der Lizenzvergabe.

 

Die Printmedien bieten den Lesern ein begrenztes Meinungsspektrum, da viele inzwischen wegen des Ankaufs durch staatsnahe Unternehmen oder Persönlichkeiten unter dem Einfluss der Präsidialadministration stehen. Die meistgelesene politisch relevante Tageszeitung "Komsomolskaja Prawda", mit einer Gesamtauflage von rund 2 Mio. Exemplaren, wird seit Juli 2007 durch Eigner- und Führungswechsel im Aufsichtsrat von einem Freund Putins, Oleg Rudnow, kontrolliert.

 

Weitgehende Publikationsfreiheit besteht für die Internetmedien, die nach wie vor beträchtliche Wachstumsraten aufweisen. Dennoch sind auch hier Ansätze einer stärkeren Kontrolle unübersehbar. Vor allem wird Zugriff auf extremistische und gewaltverherrlichende Seiten gefordert. Internet-Blogs werden stark genutzt. Daneben sind verschiedene Rohstoffmagnaten (Usmanow, Machmudow, Deripaska) dabei, vertikal angelegte Multimedia-Strukturen auf- und auszubauen, die neben Fernsehen, Radio und Printmedien auch Internetmedien umfassen.

 

Minderheiten: Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten, unabhängig von Rasse, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemühen sich Zentralregierung und insbesondere der Präsident selbst zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments haben in der Bevölkerung und in den Behörden in den letzten Jahren zugenommen und beschränken sich längst nicht mehr auf die ältere Generation und die weniger gebildeten Schichten. Sie richten sich insbesondere gegen Tschetschenen und andere Kaukasier, so genannte "Tschornyje" ("Schwarze"). Der Tschetschenienkonflikt und Berichte über Kontakte der tschetschenischen Rebellen zu den Taliban und Osama Bin Laden, die Geiselnahme 2002 in Moskau und die Geiselnahme in Beslan haben diese Tendenz verstärkt. Dass die Ressentiments schnell in Gewalt umschlagen können, zeigen die Vorkommnisse in der nordrussischen Kleinstadt Kondopoga. Dort kam es nach einer Auseinandersetzung in einem Café zwischen Russen und Tschetschenen am 30.08.2006 zu einer Massenschlägerei, bei der zwei Russen getötet wurden. In den Folgetagen setzten sich die Auseinandersetzungen fort. Bekannte Rechtsextremisten reisten aus Moskau an, um die antitschetschenische Stimmung weiter anzuheizen; alle Tschetschenen flohen aus der Stadt.

 

Zahlreiche Schlägereien zwischen ethnischen Russen und Tschetschenen fanden auch im Mai 2007 im südrussischen Stawropol statt, bei denen ein tschetschenischer Student ums Leben kam. Laut Presseberichten war das Eingreifen der Polizei zögerlich und unzureichend. Menschen anderer Hautfarbe sind immer häufiger Ziel fremdenfeindlicher Angriffe durch "Skinheads". In der Zeit vom 01. Januar bis zum 30. September 2007 verzeichnete die Nichtregierungsorganisation ¿Sowa" 230 rassistisch motivierte Überfälle, bei denen insgesamt 409 Menschen zu Schaden kamen und 46 starben. im vergangenen Jahr waren es im selben Zeitraum 180 Attacken auf 401 Menschen, bei denen 41 starben. Bei der bisher schwersten fremdenfeindlichen Gewalttat, einem Bombenanschlag auf asiatische Händler auf dem Tscherkissow-Markt in Moskau, kamen am 21.08.2006 dreizehn Menschen ums Leben. Anlass zur Sorge gibt auch die Lage von Minderheiten in spezifischen Regionen. Einzelne Regionalpolitiker schüren zum Teil bewusst rassistische Ressentiments in der Bevölkerung. Nichtregierungsorganisationen weisen insofern besonders auf die Lage im Gebiet Krasnodar hin. Die dortigen meschetinischen Türken lebten jahrelang in einem Zustand der Rechtlosigkeit. Auch heute wird ihnen ein legaler Aufenthaltsstatus verwehrt, was den Zugang zu Sozialleistungen ausschließt. Seit 2005 können sie in die USA auswandern. Nichtregierungsorganisationen bemängeln, dass es bisher keine energische Abwehr- oder Aufklärungspolitik des Staates gegen solche Übergriffe gebe. Fremdenfeindliche Morde würden nicht als solche erkannt und zu milde bestraft; auf unterer Behördenebene sei Fremdenfeindlichkeit weit verbreitet. Präsident Putin hat sich immer wieder klar gegen Antisemitismus, Fremdenhass und Nationalismus ausgesprochen und ihnen den Kampf angesagt. Nachdem ein rechtsradikaler Attentäter im Januar 2006 in einer Moskauer Synagoge 18 Menschen mit einem Messer verletzt hatte, begann eine intensive öffentliche Diskussion, auch in der Duma: Schärfere Gesetze und härteres staatliches Vorgehen wurden gefordert. Der Attentäter in der Synagoge ist zu einer Freiheitsstrafe von 16 Jahren verurteilt worden. Seit 2006 ist deutlich häufiger als früher bei der gerichtlichen Verurteilung xenophober Gewalttaten deren Motivation aus Fremdenhass als ausdrücklich strafverschärfend berücksichtigt worden. Aufgrund der Ressentiments in der Bevölkerung gegenüber ausländischen Händlern, vor allem aus dem Südkaukasus und Zentralasien, wurden die Arbeitsmöglichkeiten für Ausländer im Einzelhandel gesetzlich einschränkt. Sie dürfen seit dem 01.01.2007 keine Medikamente mehr verkaufen. Ab dem 01.04.2007 dürfen dort keine ausländischen Verkäufer mehr beschäftigt werden, jedoch wird diese Regel nicht immer streng angewendet (z.B. Ausnahmen für Ausländer mit Aufenthaltstiteln). Dennoch führte dies zur Schließung zahlreicher Märkte, einem verminderten Warenangebot und damit steigenden Nahrungsmittelpreisen, so dass es bereits wieder Forderungen nach einer Gesetzesänderung gibt. Am 15.01.2007 traten weitere Änderungen im Ausländerrecht in Kraft (z.B. Registrierungsmöglichkeit per Post), die nach bisherigen Erfahrungen allerdings keine entscheidende Vereinfachung der bürokratischen Abläufe brachten.

 

Religionsfreiheit: Die Russische Föderation ist ein multinationaler und multikonfessioneller Staat. Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Orthodoxie, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art. 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest. Der Staat achtet die verfassungsmäßige Stellung der Glaubensgemeinschaften. Gleichwohl wird die Russisch-Orthodoxe Kirche bevorzugt behandelt. Die zunehmende Präsenz der Russisch-Orthodoxen Kirche im gesellschaftlichen Leben hat im Juli 2007 (initiiert durch einen Protestbrief namhafter Wissenschaftler) eine öffentliche Debatte über ihre Rolle in Russland und ihr Verhältnis zum Staat ausgelöst. Die Russisch-Orthodoxe Kirche erhebt einen Monopolanspruch auf alle christlichen Gläubigen russischer Nationalität. Im Mai 2007 hat sie nach fast 90-jähriger Spaltung die kirchliche Einheit mit der Russisch- Orthodoxen Auslandskirche formal wiederhergestellt. Im Verhältnis der orthodoxen zur katholischen Kirche gibt es in letzter Zeit deutliche Zeichen für eine weitere Annäherung beider Kirchen, die nach eigenen Aussagen nicht zuletzt gemeinsame Wert- und Moralvorstellungen miteinander verbindet. Dennoch ist für die Hauptstreitpunkte (Proselytismusvorwürfe, Konflikt mit der Unierten Kirche der Ukraine) eine Lösung nicht in Sicht.

 

In Russland leben rund 20 Mio. Muslime. Der Islam als eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands wird von staatlicher Seite nicht diskriminiert. Eine Unterdrückung der Muslime in Russland findet nicht statt. Oft werden Muslime aber wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit Opfer von fremdenfeindlicher Gewalt oder Behördenwillkür. Am 14.10.2005 wurde ein islamisches Gebetshaus in Sergijew Possad überfallen, am 21.04.2006 wurden 50 islamische Gräber auf einem Friedhof im Gebiet Wladimir geschändet. Der Islam ist in Russland in seiner Grundausrichtung von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Bezeichnend dafür ist, dass es im Rahmen des Karikaturenstreites zu keiner gewalttätigen Ausschreitung in Russland gekommen ist.

 

Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität etc. diskriminiert, lässt sich grundsätzlich nicht feststellen.

 

Generell ist das Strafmaß in der Russischen Föderation höher als für vergleichbare Delikte in Deutschland. Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass politische Gründe hinter der Verfolgung stehen. Prominenteste Fälle waren Michail Chodorkowski und sein Geschäftspartner Platon Lebedew, die 2005 zu acht Jahren Haft verurteilt wurden. Derzeit bereitet die russische Generalstaatsanwaltschaft einen neuen Strafprozess gegen die beiden Personen vor, am 05.02.2007 wurde Anklage erhoben. Laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft werden ihnen Diebstahl, Unterschlagung und Geldwäsche vorgeworfen. Der Europarat hat bereits das erste Verfahren gegen Chodorkowski und Lebedew wegen offensichtlicher rechtsstaatlicher Mängel kritisiert. Im Januar 2006 ist der Direktor der "Russisch-Tschetschenischen Freundschafts- Gesellschaft" in Nishni Nowgorod, Dmitrijewski, wegen "Volksverhetzung" zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Das Verfahren wurde international kritisiert. Nach dem neuen Gesetz über nichtkommerzielle Organisationen hätte er infolge der Verurteilung seine Aktivität in der Freundschaftsgesellschaft einstellen müssen. Dass er dies nicht tat, wurde von der Staatsanwaltschaft als Anlass für einen erfolgreichen Liquidierungsantrag für diese Nichtregierungsorganisation vor einem Gericht in Nishni Nowgorod genutzt.

 

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über zahlreiche Strafprozesse auf Grund von fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, vor allem Tschetschenen, die aufgrund von unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien. Aber auch unabhängig vom Tschetschenienkonflikt soll es Anklagen mit gefälschten Beweisen gegen angebliche islamistische Terroristen geben, insbesondere in Tatarstan. Berichtet wird über untergeschobene Bombenbaupläne (so angeblich bei einer Hausdurchsuchung am 11.12.2006 in Tujmazy in Baschkortostan) und ähnliches Belastungsmaterial sowie über Geständnisse und Belastungsaussagen, die mit Gewaltanwendung erwirkt wurden. Die Möglichkeit, einen Angeklagten in Abwesenheit zu verurteilen, wurde im Juli 2006 ausgeweitet. Bisher war eine Verurteilung in Abwesenheit nur bei leichten und mittelschweren Straftaten und allein auf Antrag des Angeklagten möglich. Nun ist dies auch bei schweren Verbrechen und ohne seinen Antrag zulässig. Voraussetzung ist, dass sich der Angeklagte außerhalb Russlands aufhält und noch nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde. Der Angeklagte muss durch einen Verteidiger vertreten sein. Hat er keinen oder fehlt sein Wahlverteidiger, so bestimmt das Gericht einen Pflichtverteidiger. Kehrt ein Verurteilter nach Russland zurück, so kann das Verfahren auf Antrag wieder aufgenommen werden.

 

Militärdienst: Problematisch bleibt die Menschenrechtslage in der Armee. Zu Menschenrechtsverletzungen in den bewaffneten Organen der Russischen Föderation liegen trotz einer Verbesserung des offiziellen Informationsverhaltens (u. a. Publikationen in den Medien, offenes Ansprechen durch den Verteidigungsminister, Hinweise und Statistiken auf der Internetseite des Verteidigungsministeriums) weiterhin keine detaillierten Angaben vor. Die tatsächlichen Verhältnisse sind über veröffentlichte Quellen nur schwer zu erfassen, weil oft auf dem Instanzenweg innerhalb der bewaffneten Organe, aber auch über die Militärstaatsanwaltschaften Verstöße gegen die Menschenrechte eher verschleiert als dokumentiert werden. So wird das teilweise feststellbare Bestreben der politischen und militärischen Führung, ein realistisches Bild der Lage zu zeichnen, von den unteren Führungsebenen oft konterkariert. Seit Beginn des Jahres hat es in den russischen Streitkräften nach Angaben des Verteidigungsministers 223 Todesfälle (Stand 16.7.2007) gegeben, davon 123 Selbstmorde. Das sind laut Aussage der russischen Militärstaatsanwaltschaft etwas 25 % mehr als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres.

 

Die willkürliche Misshandlung von Wehrpflichtigen durch Vorgesetzte oder ältere Wehrpflichtige ("Djedowschtschina") ist unverändert weit verbreitete Praxis. Es waren seit Beginn 2007 8.097 Straftaten zu verzeichnen, davon sollen rund 50 % der Djedowschtschina zuzuordnen sein. Dies liegt u.a. daran, dass es auch weiterhin nicht gelungen ist, die Zahl der gut qualifizierten Offiziere und Unteroffiziere signifikant zu erhöhen. Ohne qualifizierte Dienstaufsicht erpressen dienstältere Soldaten weiterhin Geld, Wertsachen und Lebensmittel oder schikanieren und quälen junge Wehrpflichtige. Einzelne Vorfälle zeigen, dass sich die Probleme der Menschenrechtsverletzungen durch alle Dienstgradgruppen ziehen. Hierzu zählen u. a.:

 

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Abordnung von Soldaten zu nichtmilitärischen Arbeiten ("Sklavenarbeit");

 

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erniedrigende Behandlung im täglichen Umgang;

 

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Misshandlung von Soldaten im Arrest;

 

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Verprügeln von Soldaten durch Vorgesetzte.

 

Reformmaßnahmen der letzten Jahre (Reduzierung und Modernisierung der Einheiten, Anhebung der personellen Auswahlkriterien, Verbesserung der Besoldung usw.) greifen nur langsam, und die Verbesserung des inneren Gefüges und der Disziplin verläuft entsprechend schleppend. Kommissionen untersuchen die oben genannten Vorfälle und erarbeiten Empfehlungen zu ihrer Bekämpfung. In fast allen dieser Empfehlungen kommt die militärische Führung zu dem Schluss, dass es zu einer Umorientierung in der militärischen Führungsphilosophie und einer Ausbildung des Führungsnachwuchses auf rechtsstaatlicher Grundlage, unter Verzicht auf Hasserziehung und Gewaltverherrlichung, kommen müsse. Zudem sei eine substantielle Erhöhung der finanziellen und materiellen Versorgung erforderlich. Der Wehrdienst ist schwer. Wehrpflichtige erhalten nur knapp zehn Euro Monatssold. Es ist verbreitet, dass die Barauszahlung an Vorgesetzte oder dienstältere Wehrpflichtige abgegeben werden muss. Wehrpflichtige sind durch minderwertige Verpflegung unterernährt und müssen sieben Tage in der Woche Dienst leisten (nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Vorgesetzten ist Ausgang in Uniform innerhalb der Garnison einmal in der Woche möglich). Nach Angaben des Militärmedizinischen Dienstes der russischen Streitkräfte wird eine große Anzahl von Soldaten bereits nach den ersten Dienstmonaten aus dem aktiven Dienst vorzeitig entlassen. Jede zweite Entlassung erfolgt aufgrund von Persönlichkeitsstörungen und geistiger Verwirrung. Die Ursache liegt danach in der sehr hohen physischen und psychischen Belastung, die die jungen Soldaten zu ertragen hätten.

 

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird von der russischen Verfassung durch Art. 59 Abs. 2 garantiert. Die Bestimmung sieht einen Ersatzdienst für den Fall vor, dass der Wehrdienst dem Gewissen und der religiösen Überzeugung eines Wehrpflichtigen widerspricht. Seit 2004 ist zudem ein "Gesetz über den alternativen Zivildienst" in Kraft.

 

Auch nach der Gesetzesänderung vom Juli 2006 übersteigt der Ersatzdienst den Militärdienst weiter um das 1,75-Fache (Verkürzung von bisher 42 Monaten auf 31,5 ab dem 01.01.2007 und 21 Monate ab dem 01.01.2008). Für Bürger, die schon in militärischen oder Verteidigungsorganisationen arbeiten (Schreibkräfte etc.), gilt das 1,5- Fache des Wehrdienstes (36 Monate bis Ende 2006, dann 27, ab dem 01.01.2008 18 Monate). Von der Möglichkeit der Ableistung des alternativen Zivildienstes haben bisher 912 Personen Gebrauch gemacht. Bis Herbst 2006 hatten 352 Personen vor ihrer Einberufung dazu Anträge gestellt, von denen bis jetzt 264 genehmigt wurden.

 

Die politische Kontrolle aller bewaffneten Organe durch Duma und Föderationsrat ist gesetzlich festgelegt. Sie haben prinzipiell die Möglichkeit, sich über die Menschenrechtslage in den Streitkräften ein unabhängiges Bild zu verschaffen. Allerdings ähneln die Berichte der Parlamentsausschüsse in der Regel den Einschätzungen der betroffenen Ministerien. Das vom Verteidigungsministerium geforderte und vom Staatspräsidenten gestützte, mehrschichtige zivile Kontrollsystem wurde in Form von Elternkomitees (derzeit in 2.500 Truppenteilen der Streitkräfte der Russischen Föderation) und einem Gesellschaftsbeirat installiert. Eine tatsächliche Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist bislang noch nicht zu beobachten.

 

In den Truppen des Innenministeriums, die in Tschetschenien im Einsatz sind, werden laut Angaben des Verteidigungsministeriums Soldaten nur auf besondere Anforderung und in Einzelfällen eingesetzt. Wehrpflichtige der Streitkräfte kommen dort nicht zum Einsatz. Die Einsatzführung ist vollständig auf die Truppen des Innenministeriums übergegangen.

 

Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig. Diese sind seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert. Seitdem sind die Militärrichter aus dem Militärdienst ausgegliedert und erhalten ihre Gehälter aus dem Justizministerium. Eine zum September 2007 in Kraft tretende Reform der Strafprozessordnung erlaubt es außerdem der Generalstaatsanwaltschaft, erstmals Zivilisten zu Militärstaatsanwälten zu ernennen. In Militärgerichtsverfahren steht Angeklagten das Recht auf einen Verteidiger zu.

 

Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie Freiheitsstrafen aufgrund anderer Delikte in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch auch zur Verbüßung von Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren in Strafbataillone abkommandiert werden. Strafbataillone werden in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt. Über Gefechtseinsätze dieser Formationen liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse vor.

 

Im November 2006 wurde durch die Duma und den Föderationsrat ein Gesetz verabschiedet, das bei groben Verstößen durch Angehörige der Streitkräfte die Anwendung von Disziplinararrest regelt. Mit diesem Gesetz soll in erster Linie der gängigen Willkür begegnet werden, mit der Vorgesetzte Verstöße ahnden. Beschuldigte erhalten hierdurch mehr Rechtssicherheit.

 

Handlungen, die gegen Kinder gerichtet sind: Die soziale Lage der Kinder und Jugendlichen in Russland hat sich - auch aufgrund besserer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen - seit den 90er Jahren kontinuierlich verbessert. UNICEF weist

 

darauf hin, dass es in ganz Russland derzeit zwischen 20.000 und 100.000 "Straßenkinder" gebe; der Jahresbericht 2006 des Menschenrechtsbeauftragten der Russischen Föderation Lukin schätzt die Zahl auf 130.000. In den letzten Jahren ist ein Rückgang der Zahl der Straßenkinder zu verzeichnen. Laut aktuellen Schätzungen von UNICEF gibt es in Russland mehr als 730.000 Kinder ohne elterliche Fürsorge, von denen 180.000 Kinder in staatlichen Einrichtungen wohnen. Die öffentliche materielle Fürsorge für diese Kinder ist unzureichend. Über Zwangsarbeit von Kindern in Russland ist dem Auswärtigen Amt nichts bekannt.

 

Geschlechtsspezifische Menschenrechtslage: In Russland ist Homosexualität seit 1993 nicht mehr strafbar. In der Bevölkerung sind Vorbehalte gegenüber sexuellen Minderheiten noch weit verbreitet. Nur in großen Städten, und dort nur hinter verschlossenen Türen, findet homosexuelles Leben statt. Die vorherrschende Meinung geht dahin, dass Homosexuelle ihren Neigungen im Verborgenen zu Hause und in ihren Klubs nachgehen können, sich aber keinesfalls in der Öffentlichkeit zu erkennen geben sollten.

 

Orthodoxe Kirche und islamische Prediger verdammen Homosexualität immer wieder

 

öffentlich mit drastischer Wortwahl. Es gibt keine gezielt gegen sexuelle Minderheiten gerichtete Politik des russischen Staates. Es gibt aber auch keine auf die Unterstützung und den Schutz sexueller Minderheiten gerichtete offizielle Politik. Die Vorbehalte in der Gesellschaft werden von vielen Beamten und Politikern geteilt. Dies macht sich überall dort bemerkbar, wo ohnehin rechtsstaatliche Defizite bestehen: bei der Strafverfolgung und im Strafvollzug, bei der Demonstrations- und Vereinigungsfreiheit sowie in der Armee. Vertreter sexueller Minderheiten beklagen Fälle, in denen sie von der Miliz nicht vor Übergriffen geschützt worden seien oder in denen gegen Homosexuelle begangene Verbrechen bis hin zu Morden von der Miliz nicht adäquat verfolgt würden. Moskauer Behörden haben geplante "Gay Pride Paraden" im Mai 2006 und Mai 2007 verboten. Als trotzdem Versammlungen stattfanden, wurden diese von Gegendemonstranten (Skinheads, Orthodoxen) angegriffen. Von Menschenrechtsorganisationen wird der Vorwurf erhoben, dass die Polizei nur unzureichend zugunsten von Homosexuellenaktivisten eingegriffen habe. Einzelne (oppositionelle) Politiker versuchen, sich die verbreiteten Vorbehalte gegenüber Homosexuellen zunutze zu machen. So wurde 2004 ein Gesetzesvorschlag zur Rücknahme der Legalisierung der Homosexualität eingebracht, für den jedoch nur 34 der 450 Abgeordneten stimmten. Im Juni 2006 hat der Abgeordnete Tschujew (von der rechtspopulistisch-nationalistischen Partei "Rodina") einen (vom Parlament bislang nicht behandelten) Gesetzesvorschlag eingebracht, der "homosexuelle Propaganda" verbietet. Laut Verfassung sind russische Frauen gleichberechtigt. Sie haben im Berufsleben aber nicht die gleichen Chancen wie Männer, was sich auch an der geringen Zahl der Frauen in politischen Führungspositionen zeigt. Ihr Anteil entspricht aber dem europäischen Durchschnitt.

 

Ein großes Problem ist die häusliche Gewalt. Mit diesem Thema befasste Menschenrechtsorganisationen gehen einhellig davon aus, dass 2006 etwa 9.000 Frauen von ihrem Partner oder einem Angehörigen getötet wurden. Laut einem Bericht von amnesty international sind die Ursachen hierfür Alkoholismus und Passivität der Polizei. Nichtregierungsorganisationen berichten, dass Frauen in Tschetschenien in besonderem Maße unter Menschenrechtsverletzungen zu leiden hätten (u.a. zahlreiche Fälle von Vergewaltigungen). Sie kritisieren, dass diese Fälle von den russischen Behörden nicht oder nicht konsequent genug verfolgt würden.

 

Schutzmöglichkeiten für Frauen gibt es in Russland kaum: laut Angaben des Ministeriums für Gesundheit und Soziales gibt es landesweit 23 staatliche Frauenhäuser. Soweit dem Auswärtigen Amt bekannt, werden in Tschetschenien Schutzmöglichkeiten von einzelnen lokalen Nichtregierungsorganisationen bereitgestellt, wenn auch in unzureichendem Umfang.

 

Beim Menschenhandel gehören russische Frauen neben anderen Osteuropäerinnen zu den Hauptopfergruppen. Durch operative internationale Zusammenarbeit, die Zeugenverbringungs- und Zeugenschutzmaßnahmen einschließt, wird versucht, die Rotlicht-Kriminalität wirksam zu bekämpfen. In einem von der International Organisation for Migration (IOM) in Zusammenarbeit mit russischen Regierungsbehörden und Nichtregierungsorganisationen in drei ausgesuchten Regionen (Karelien, Astrachan, Moskau) durchgeführten, zweijährigen Pilotprojekt "Verhinderung von Menschenhandel in der Russischen Föderation" sollen bis 2008 neben Beratung der Exekutive und Legislative vor allem auch konkrete Hilfestellung an betroffene Personen geleistet werden. So konnte in Moskau im April 2007 das erste russische Rehabilitierungszentrum für Opfer von Menschenhandel eingeweiht werden.

 

Es gibt im Exil zahlreiche russische Staatsbürger, die in Opposition zur russischen Führung stehen. Dazu gehören Unternehmer, wie Boris Beresowski und Leonid Newslin, und asylberechtigte Tschetschenen, wie z.B. der "Exilaußenminister" Achmed Sakajew.

 

Gegen Beresowski und Sakajew hat die russische Regierung Auslieferungsersuchen

 

gestellt, die von der britischen Justiz abgelehnt wurden. Apti Bisultanow, der ehemalige "Sozialminister" der tschetschenischen Untergrundregierung, lebt in Deutschland. Ein weiterer in Deutschland lebender ehemaliger Präsidentenberater der Separatistenregierung ist Said-Hassan Abumuslimow. Russische Behörden werfen den Genannten vor, Terrorismus zu propagieren oder zu verharmlosen. Es ist jedoch nach Kenntnis der Bundesregierung zu keiner Anklageerhebung gegen die derzeit in Deutschland lebenden Personen gekommen.

 

Repressionen Dritter, die der Staat anregt, unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt, sind - außerhalb des Nordkaukasus - bisher nicht bekannt. Nicht tatenlos, aber in der Verfolgung nicht immer konsequent genug reagiert der Staat auf fremdenfeindliche, anti-homosexuelle oder antisemitische Gewalttaten. Die Möglichkeit staatlicher Stellen, bestimmten Personen oder Personengruppen Schutz vor Übergriffen Dritter zu gewähren, ist angesichts einer teilweise brutalen Gewaltkriminalität (z.B. Auftragsmorde) begrenzt. Moskau und die übrigen Regionen der Russischen Föderation außerhalb der nordkaukasischen Republiken blieben in den zurückliegenden zwei Jahren von Terrorakten weitgehend verschont. Im August 2007 kam es zu einem Anschlag auf einen Personenzug zwischen Moskau und St. Petersburg, der noch nicht aufgeklärt werden konnte. Er soll rechtsradikalen Hintergrund gehabt haben.

 

V. Beweiswürdigend wird festgestellt:

 

Die Feststellungen zur Person des Berufungswerbers ergeben sich aus seinen Angaben im Verfahren und der im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Dokumente. Der Antragsteller hat seine Verfolgungsbehauptung vor dem Bundesasylamt und dem Unabhängigen Bundesasylsenat im Wesentlichen übereinstimmend vorgebracht und es war ihm möglich, aufgetretene Unschärfen zu bereinigen. Sein Auftreten und das Beantworten der an ihn gerichteten Fragen war glaubhaft und vermittelte er vor der Berufungsbehörde den Eindruck, die geschilderten Vorkommnisse tatsächlich erlebt zu haben. Seine Angaben stehen auch in Einklang mit den getroffenen Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation und ist somit der negativen Beurteilung einer Verfolgungsgefahr des im Betreff Genannten in seinem Heimatland nicht zu folgen. Der Asylwerber hat in der mündlichen Berufungsverhandlung seine Erlebnisse und die damit verbundene Bedrohungssituation im Wesentlichen gleichlautend beschrieben, wie gegenüber der belangten Behörde. Aufgrund der dazu vorgelegten Beweismittel, widerspruchsfreien Angaben und detaillierten Beantwortung sämtlicher an ihn gerichteten Fragen auf eine logisch nachvollziehbare Weise ist letztlich davon auszugehen, dass die von ihm ins Treffen geführten Ereignisse tatsächlich erfolgt sind.

 

Die Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation stützen sich auf die zitierten Quellen und die aktuelle notorische Medienberichterstattung. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität seiner Aussagen, denen die Verfahrenspartei nicht entgegengetreten ist, besteht für die Berufungsbehörde daher kein Grund, an der Richtigkeit dieser Ausführungen zu zweifeln. Die Erkenntnisse des letzten aktuellen Berichtes des deutschen Auswärtigen Amtes 2007 beruhen u. a. auf Recherchen bei russischen Nichtregierungsorganisationen und den einschlägigen staatlichen Menschenrechtsbehörden, auf Auswertung der Presse im Abgleich mit anderen Quellen, wie den Vertretern von UNHCR, Internationales Rotes Kreuz, weiters wurden regelmäßig erscheinende, aktuelle Berichte des Europarates, der Vereinten Nationen sowie von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen ausgewertet, sodass gewährleistet ist, dass der Bericht ein umfassendes und objektives Bild der Lage widerspiegelt. Es besteht auch kein Anhaltspunkt für eine relevante Verbesserung der Lage nach Ende des dem Bericht zugrunde gelegten Zeitraumes.

 

VI . Rechtliche Beurteilung:

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.

 

Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.

 

§ 75 Abs. 7 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

1.

 

Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

2.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

3.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Gem. § 75 Abs. 1 erster Satz, AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 101/2003 werden Asylanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetztes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt. Nach § 44 Abs.3 AsylG sind die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 5 und 6,36,40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 auch auf solche Verfahren anzuwenden.

 

Gem. § 124 Abs. 2 des ebenfalls mit 1.1.2006 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 verwiesen wird, an deren Stelle die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Zentraler Aspekt des aus Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Zu fragen ist daher nicht danach, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Zurechnungssubjekt der Verfolgungsgefahr ist der Heimatstaat bzw. bei Staatenlosen der Staat des vorherigen gewöhnlichen Aufenthaltes. Daher muss die Verfolgungsgefahr (bzw. die wohlbegründete Furcht davor) im gesamten Gebiet des Heimatstaates des Asylwerbers bestanden haben (VwGH 9.3.1999, 98/01/0370; VwGH 14.10.1998, 98/01/262).

 

2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass der Berufungswerber im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation mit Verfolgung durch russische Sicherheitskräfte respektive tschetschenische Volksangehörige rechnen müsste. Die dargestellte Bedrohung der Freiheit, der körperlichen Integrität und des Lebens des Antragstellers weist unzweifelhaft asylrelevante Intensität auf.

 

3. Die für den Asylwerber bestehende Verfolgungsgefahr geht von den Sicherheitskräften der russischen Föderation aus, in deren Blickfeld er aufgrund seiner Nichtbefolgung des Einrückungsbefehls gelangt ist. Darüber hinaus war der Antragsteller bereits in der Vergangenheit Ziel von physischen Angriffen und Drohungen durch tschetschenische Volksangehörige und befindet er sich nach wie vor auf den Fahndungslisten des russischen Militärs, weshalb ihm eine offizielle Rückkehr in sein Herkunftsland aufgrund der drohenden Strafsanktionen objektiv nicht zumutbar scheint.

 

4. Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Im Fall der Berufungswerber geht das oben dargestellte Verfolgungsrisiko auf seine ursprüngliche Mitwirkung an Kampfhandlungen in der tschetschenischen Krisenregion sowie auf seine Weigerung, seiner aufgezwungenen Militärdienstverpflichtung in einem Kampfgebiet nachzukommen, zurück.

 

5. Zu einer möglichen inländischen Fluchtalternative ist festzuhal

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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