TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/17 S9 222836-2/2008

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Veröffentlicht am 17.07.2008
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Spruch

S9 222.836-2/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde des K.R., geb. 00.00.1984, StA. Indien, dzt. Justizanstalt gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.06.2008, FZ. 08 01.250 EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 und 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBL. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste am 05.12.2007 illegal auf dem Luftweg aus GRIECHENLAND kommend mit einem gefälschten griechischen Reisepass in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 03.02.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er wurde hierzu am 04.02.2008 durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei gab er an, er habe Indien im November 2007 auf dem Luftweg nach GRIECHENLAND verlassen. Er sei in Athen eine Woche in einem Hotel aufhältig gewesen. Im Jahr 2004 oder 2005 habe er von einem Türken in GRIECHENLAND einen Reisepass gekauft. Von Athen sei er nach Wien geflogen, wo er am 05.12.2007 angekommen sei. Befragt nach seinen Fluchtgründen brachte er vor, dass er nach Indien zurückgekehrt sei, weil er gedacht habe, dass seine Probleme nicht mehr bestehen würden. Er habe allerdings feststellen müssen, dass die gleichen Probleme immer noch vorhanden seien. Deshalb sei er neuerlich nach Europa geflogen. Die Mitglieder der Unterorganisation hätten erfahren, dass er wieder in Indien sei und hätten versucht, ihn und seine Eltern umzubringen. Seine Mutter sei gestorben.

 

Der Beschwerdeführer hatte bereits in den Jahren 2000 und 2003 jeweils einen Asylantrag in Österreich gestellt, welche vom Bundesasylsenat 2002 rechtskräftig abgewiesen bzw. 2004 gemäß § 68 Abs. 1 AVG rechtskräftig zurückgewiesen worden waren.

 

2. Am 07.02.2008 richtete das Bundesasylamt auf der Grundlage der konkreten Angaben des Beschwerdeführers über seinen Reiseweg ein dringliches Aufnahmeersuchen gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) an die zuständige Behörde GRIECHENLANDS, welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde. Die Frist zur Beantwortung wurde darin gemäß Art 17 Abs. 2 Dublin II-VO unter Hinweis auf die gegen den Beschwerdeführer verhängte Haft auf ein Monat verkürzt. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2, 2. Satz AsylG 2005 über die Führung von Konsultationen mit GRIECHENLAND erhielt der Beschwerdeführer am 08.02.2008.

 

3. Am 15.02.2008 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, statt, um nähere Informationen bezüglich seiner Reise von GRIECHENLAND nach Österreich zu erhalten. Da sich der Beschwerdeführer unkooperativ zeigte und sich weigerte auf die ihm gestellten Fragen zu beantworten, wurde die Einvernahme abgebrochen.

 

4. Mit Schreiben vom 13.03.2008 informierte das Bundesasylamt die zuständige griechische Behörde, dass aufgrund des Fristablaufes die Zuständigkeit zur Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO auf GRIECHENLAND übergangen sei.

 

5. Im Rahmen einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme am 19.03.2008 zur Wahrung des Parteiengehörs im Beisein eines Rechtsberaters brachte der Beschwerdeführer vor, er habe sich nur einige Tag in GRIECHENLAND aufgehalten, um sich einen griechischen Reisepass zu kaufen und sei danach wieder nach Österreich gekommen. Er habe mit diesem Reisepass illegal gearbeitet. Er habe gegen GRIECHENLAND nichts einzuwenden. Da der Beschwerdeführer angab, möglichst schnell nach Hause zurückkehren zu wollen, wurde dieser vom Bundesasylamt zur Rückkehrberatung verwiesen.

 

6. Am 02.04.2008 (und damit nach Ablauf der Einmonatsfrist) langte ein Schreiben der griechischen Behörde beim Bundesasylamt ein, worin die Zuständigkeit GRIECHENLANDS gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO nicht bestätigt wurde, weil GRIECHENLAND keinerlei Informationen darüber habe, dass der nunmehrige Beschwerdeführer tatsächlich über GRIECHENLAND in die Europäische Union eingereist sei.

 

7. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 23.06.2008, Zahl:

08 01.250-EAST Ost, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des nunmehrigen Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates GRIECHENLAND zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach GRIECHENLAND ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach GRIECHENLAND gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei. Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu GRIECHENLAND, insbesondere zum griechischen Asylverfahren. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass der Asylwerbers keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er konkret Gefahr liefe, in GRIECHENLAND Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm durch die Überstellung eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte. Überdies wurde festgehalten, dass GRIECHENLAND nicht binnen der vorgegebenen Frist geantwortet habe und daher gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO eine Verfristung (Zustimmung durch Zeitablauf) bestehe.

 

8. Gegen den genannten Bescheid richtet sich die fristgerecht, handschriftlich und in englischer Sprache am 02.07.2008 eingebrachte Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer im Wesentlichen ausführte, dass er nicht nach GRIECHENLAND zurückkehren möchte. Vielmehr wolle er in "sein Land" zurückkehren, weil sein Vater sehr alt sei.

 

9. Betreffend den Beschwerdeführer scheinen folgende rechtskräftige Vorstrafen auf:

 

-

Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wegen §§ 15, 127, 129 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren,

 

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Urteil des Landesgerichtes St. Pölten wegen §§ 127, 128 Abs. 1, 129 Abs. 2, 130 (4. Fall) StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren,

 

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Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wegen §§ 127, 129 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten,

 

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Urteil des Landesgerichtes Korneuburg wegen § 278 a StGB, § 104 Abs. 1 und 3 (1. und 2. Fall) FPG und §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den Ausführungen zu Punkt I sowie aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBL. I Nr. 100/2005) und somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden.

 

2.1. Vorab war zu prüfen, ob das handschriftliche, in englischer Sprache eingebrachte Schriftstück des Beschwerdeführers, das weder als Berufung noch als Beschwerde bezeichnet wurde, alle notwendigen Vorraussetzungen einer Beschwerde aufweist. Zu beachten in diesem Zusammenhang ist § 23 AsylGHG, welcher wie folgt lautet: "Soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt."

 

Gemäß § 63 Abs. 3 AVG hat eine Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, die Berufung muss erkennen lassen, aus welchen Gründen der angefochtene Bescheid für rechtswidrig gehalten wird (Berufungsbegründung) und die Berufung muss erkennen lassen, was die Partei anstrebt (Berufungsantrag). Weitere Angaben in der Berufung sind vom Gesetz nicht erforderlich. Die Rechtsprechung nimmt aber an, dass in der Berufung der Berufungswerber individualisiert werden muss, weil nur so deren Zulässigkeit - insbesondere Berufungslegitimation - überprüft werden kann. Nicht erforderlich ist die ausdrückliche Bezeichnung als Berufung, auch eine fehlerhafte Bezeichnung des Rechtsmittels ändert nichts an seiner Zulässigkeit. Es reicht aus, wenn aus dem Inhalt der Eingabe erkennbar ist, dass der Antragsteller eine Neuprüfung des angefochtenen Bescheides begehrt (vgl. Thienel, Verwaltungsrecht4, 251f; VwGH 22.03.1991, 88/18/0041; VwGH 01.06.2004, 2003/03/0285).

 

Da das gegenständliche Schreiben des Beschwerdeführers die oben bezeichneten Voraussetzungen erfüllt, ist das Schriftstück als Beschwerde gemäß § 41 Abs. 2 AsylG zu werten.

 

2.2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.2.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6 bis 12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.2.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit von GRIECHENLAND gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO besteht. Da GRIECHENLAND nicht binnen der vorgegebenen Frist geantwortet hat, besteht eine Zustimmung durch Zeitablauf gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO und ist daher die Zuständigkeit aufgrund der Verfristung auf GRIECHENLAND übergegangen (siehe dazu auch Filzwieser/Liebminger, Dublin II - Verordnung, Das Europäische Asylzuständigkeitssystem, 2., überarbeitete Auflage, Seiten 127 ff und im speziellen Seite 133, K16.: "Bei Eintritt der Verfristung iSd Abs 7 wird der sich verfristet habende MS in diesem Zeitpunkt ex lege zuständig iSd Art 16 Abs 1, es liegt eine besondere Kompetenzbestimmung (siehe K1. zu Art 13) vor. ..."). Daran vermögen auch die nach Ablauf der Frist übermittelten Einwände GRICHENLANDS nichts mehr zu ändern.

 

2.2.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei; die Verständigung nach § 28 Abs. 2, 2. Satz AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer zeitgerecht übermittelt.

 

2.2.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in bezog auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge der Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen; diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG 2005 überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in bezog auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in bezog auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.2.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Es leben keine Angehörigen der Kernfamilie des Beschwerdeführers in Österreich. Die diesbezüglichen Ausführungen der Erstbehörde treffen zu, diesen ist in der Beschwerde auch nicht entgegengetreten worden. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11).

 

2.2.2.2. Kritik am griechisches Asylwesen

 

2.2.2.2.1. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer bei seinem seinerzeitigen Aufenthalt in GRIECHENLAND keinen Asylantrag gestellt. Er wurde auch nicht Opfer von Übergriffen, Hinweise auf eine besondere individuelle Vulnerabilität sind ebenso nicht hervorkommen. Vielmehr brachte der Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme am 19.03.2008 vor, dass er gegen GRIECHENLAND nichts einzuwenden habe (AS 135 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).

 

2.2.2.2.2. Zur allgemeinen Kritik an GRIECHENLAND ist unbestritten, dass UNHCR das Absehen von Überstellungen empfohlen hat und einige Berichte von NGO's ernste Kritik an verschiedenen Aspekten des griechischen Asylverfahrens und des Umgangs mit Asylwerbern üben. Dies hat auch zur Aufhebung bestimmter Bescheide des BAA durch den UBAS bzw. den Asylgerichtshof geführt, wenn sich diese Bescheide mit dieser Erkenntnislage nicht hinreichend auseinandergesetzt haben (siehe nur UBAS 05.05.2008, Zahl: 318.977-1/2E-XV/53/08), da jedenfalls bei bestimmten Vorbringen von einer Erschütterung der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG auszugehen war.

 

Im vorliegenden Fall hat sich (neben anderen aktuellen Quellen) aber die Erstbehörde auf das Ergebnis einer Fact Finding Mission der schwedischen Asylbehörde im April 2008 gestützt, der die Beschwerde weder pauschal noch im Einzelnen substantiiert entgegentritt.

 

Zentral folgt daraus, dass bei Überstellungen nach der Dublin II VO ein tatsächlicher Zugang zum Asylverfahren besteht. Probleme des Zugangs zum Asylverfahren, wie sie sich etwa in anderen Berichten bei der Ersteinreise von Personen aus der Türkei nach GRIECHENLAND widerspiegeln, sind daher nicht relevant.

 

Da im konkreten Fall ein Asylverfahren noch nicht begonnen wurde, verbieten sich auch spekulative Erwägungen über dessen Ausgang und die Erfolgsaussichten des Beschwerdeführers. Die Kritik von UNHCR an der fehlenden Praxis der Gewährung subsidiären Schutzes kann daher bei der gegenwärtigen Entscheidungsfindung beispielsweise keine Rolle spielen. Nichtsdestotrotz hat der Gerichtshof mitberücksichtigt, dass in keiner der Quellen des vorliegenden Verfahrens Fälle angeführt wurden, in denen Asylwerber tatsächlich in ihre Herkunftsländer aus GRIECHENLAND abgeschoben wurden. So hat der britische Court of Appeal in der zeitlich nach der Veröffentlichung der UNHCR-Position (und unter ausdrücklicher Auseinandersetzung mit derselbigen) ergangenen Berufungsentscheidung vom 14.05.2008 ([2008] EWCA Civ 464, Jawad NASSARI), in welcher eine Überstellung eines afghanischen Asylwerbers nach GRIECHENLAND im Einklang mit der im vorliegenden Erkenntnis des Asylgerichtshofes vertretenen Rechtsauffassung, abgewiesen wurde, ausgeführt: (Punkte 40-41, per Lord Justice Laws: "There are clearly concerns about the conditions in which asylum-seekers may be detained in Greece. It is not however shown that they give rise to systemic violations of Article 3. As regards refoulement, Mr Nicol in a note dated 2 May 2008 submits that the earlier evidence taken together with the new UNHCR material shows "at the very least, a serious cause for concern as to whether the Greek authorities would onwardly remove the respondent to Afghanistan in breach of Article 3. I certainly accept that such evidence as there is, and in particular the recent UNHCR Paper, shows that the relevant legal procedures are to say the least shaky, although there has been some improvement. I have considered whether the right course would be to send the case back to the High Court for a fuller examination of the factual position. But in truth there are currently no deportations or removals to Afghanistan, Iraq, Iran, Somalia or Sudan, and as I understand it no reports of unlawful refoulement to any destination. That seems to me to be critical. I would accordingly hold, on the evidence before us, that as matters stand Greece's continued presence on the list does not offend the United Kingdom's Convention obligations. It follows that there is no case for a limited declaration of incompatibility relating only to Greece (...)"

 

Auch der von der Erstinstanz herangezogene Bericht des Schwedischen Migrationsamtes bestätigt, dass das reale Risiko einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Kettenabschiebung infolge Verstoßes gegen das Non-Refoulement Gebot nicht besteht. Dass gerade der Beschwerdeführer - bei dem Faktoren einer besonderen Vulnerabilität nicht bestehen - bei einer Rückkehr in eine aussichtslose Situation wegen Verweigerung der Unterbringung kommen würde, lässt sich aus der allgemeinen Berichtslage, bei aller Kritik an Einzelfällen, nicht ableiten.

 

Im Ergebnis hat die vorgenommene Prüfung somit nicht ergeben, dass allgemein Überstellungen nach GRIECHENLAND nicht vorgenommen werden dürfen. Dies entspricht der Rechtsansicht der Europäischen Kommission (vgl. Pressemitteilung vom 09.04.2008), ebenso wie der zitierten englischen Judikatur. Explizit gegenteilige Judikatur ist zum Entscheidungszeitpunkt aus keinem Mitgliedstaat bekannt (die norwegische Position beinhaltet ja lediglich eine Aussetzung von Entscheidungen im Zusammenhang mit einer näheren Prüfung der Berichtslage). In Ermangelung sonstiger individueller Gründe und individuellen Vorbringens des Beschwerdeführers erweist sich daher in diesem Fall das von der Erstbehörde beigeschaffte Tatsachensubstrat als ausreichend und die individuelle Beweiswürdigung (Seiten 15 bis 18 des Erstbescheides) als zutreffend. Ein zwingender Grund zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts besteht daher in diesem Zusammenhang nicht.

 

2.2.2.3. Medizinische Krankheitszustände und Behandlungsmöglichkeiten in GRIECHENLAND

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach GRIECHENLAND nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung sehr schwerer Krankheiten eine Existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Im konkreten Fall gibt es weder Hinweise auf eine Krankheit des Beschwerdeführers, die unter den oben dargestellten Voraussetzungen seine Überstellung nach GRIECHENLAND entgegenstehen würde, noch wurde entsprechendes vom Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Bundesasylamt oder in der Beschwerde vorgebracht. Der Asylgerichtshof geht daher zu Recht davon aus, dass einer Ausweisung des Beschwerdeführers nach GRIECHENLAND nichts entgegensteht und somit auch kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO vorliegt.

 

2.2.2.4. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Rechtsmeinung der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO infolge drohender Verletzung von Art. 3 oder Art. 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.2.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war somit bei Übernahme der Beweisergebnisse und der rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.3. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung des Beschwerdeführers erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Schlagworte
Ausweisung, Fristversäumung, medizinische Versorgung, Mitgliedstaat, real risk, strafrechtliche Verurteilung
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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