C7 306.247-1/2008/9E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. HAT als Einzelrichterin über die Berufung des mj. J. H, geb. 1992, StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. R. W., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.09.2006, FZ. 05 22.949-BAT nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.03.2008 zu Recht erkannt:
Der Berufung wird stattgegeben und J. H. gemäß § 7 AsylG, BGBl I Nr. 76/1997 idF BGBl 101/2003, der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 12 AsylG, BGBl I Nr. 76/1997 idF BGBl 101/2003, wird festgestellt, dass J. H. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang
1. Der minderjährige Berufungswerber beantragte am 27.12.2005 Asyl in Österreich. Er wurde hiezu am 04.01.2006 und am 30.03.2006 niederschriftlich vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmezentrum Ost und Außenstelle Traiskirchen, einvernommen.
2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Traiskirchen, vom 25.09.2006 wurde der Asylantrag des Berufungswerbers abgewiesen, die Abschiebung nach Afghanistan für zulässig erklärt und seine Ausweisung aus Österreich angeordnet. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, das Vorbringen des Berufungswerbers sei nicht glaubhaft, da seine "Fluchtgeschichte" zu "blass", wenig detailreich, zu oberflächlich und widersprüchlich sei.
Dagegen wurde rechtzeitig Berufung erhoben.
3. Am 11.03.2008 wurde eine mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt, an welcher der Berufungswerber und die Vertreterin der Diakonie für den Jugendwohlfahrtsträger, BH Baden, teilnahmen. Das Bundesasylamt hat keinen Vertreter geschickt.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Es werden folgende Feststellungen getroffen:
1.1. Der Berufungswerber ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an.
Der Berufungswerber verließ im Jahr 2005 Afghanistan, aus Angst, vom Vater bzw. der Familie des Mädchens, welches der Bruder des Berufungswerbers zu heiraten beabsichtigte, umgebracht zu werden. M. H., der Vater des Mädchens, war gegen eine Heirat des Bruders des Berufungswerbers mit seiner Tochter, woraufhin es zum Streit kam, bei welchem der Vater des Berufungswerbers sowie dessen Bruder getötet wurden. Anlässlich des Streits kam auch ein Sohn des M. H. ums Leben, weshalb der Berufungswerber Blutrache durch M. H. befürchtet.
1.2. Zur Lage in Afghanistan werden aufgrund der in der Folge genannten in der Berufungsverhandlung erörterten Quellen nachfolgende Feststellungen getroffen:
Bericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes vom Februar 2007 "Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan"
Focus des Bundesamt für Migration BFM vom 22. November 2006, "Afghanistan - Zur aktuellen Lage"
Bericht des (britischen) Home Office vom April 2007 "Afghanistan"
Bericht des (britischen) Home Office vom Dezember 2005 "Afghanistan - Parliamentary and Provincial Elections of 18 September 2005"
Bericht der (britischen) Border & Immigration Agency vom April 2007 "Operational Guidance Note - Afghanistan"
Bericht von UNHCR vom Juni 2005 "Update on the Situation in Afghanistan and International Protection Considerations"
Bericht des UNHCR, UNHCR's Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Afghan Asylum-Seekers, 31 December 2007.
Bericht des UN Hochkommissars für Menschenrechte von Mai 2006 "Humanitäre Erwägungen im Zusammenhang mit der Rückkehr nach Afghanistan"
Bericht des UN Hochkommissars für Menschenrechte vom 5. März 2007 "Situation of human rights in Afghanistan and on the achievements of the technical assistance in the field of human rights"
Bericht des Generalsekretärs der UN vom 15. März 2007 "The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security"
Zur politischen Lage:
Die Taliban sind ab September 2001 vollständig abgezogen. In der Folge übernahm die am 19.06.2002 von der Loja Jirga vereidigte Interimsregierung unter Karzai die Macht.
Am 26.1.2004 ist eine neue Verfassung in Kraft getreten.
Am 9.10.2004 haben Präsidentschaftswahlen stattgefunden; am 3.11.2004 wurde der Sieg von Hamid Karzai bestätigt.
Am 18.9.2005 fanden Parlaments- und Provinzratswahlen statt, das Parlament besteht aus einem - direkt gewählten - Unterhaus und ein von den Provinzialräten und dem Präsidenten beschicktes Oberhaus.
In den Provinzen regiert jeweils ein Gouverneur, der nach der Verfassungstheorie nur über wenig Macht verfügen würde.
Ohne Stützung der internationalen Gemeinschaft könnte sich die Regierung Karzai aller Wahrscheinlichkeit nicht halten.
Zur Verfassung ist anzumerken, dass diese ein reines Präsidialsystem normiert, allerdings eine starke Betonung auf die parlamentarische Kontrolle der Exekutive kennt. Darüber hinaus verlangt die Verfassung eine unabhängige Rechtsprechung, deren oberstes Organ ein "Supreme Court" ist. Das Recht darf nicht gegen die "beliefs and discriptions" des Islams verstoßen. Die Verfassung nimmt bei der Definition der Nation explizit auf Minderheiten Bezug und legt als Landessprachen Dari und Paschtu fest; soweit in einem Gebiet die Mehrheit der Bevölkerung Usbekisch, Turkmenisch, Belutschi, Pashai, Nuristanisch oder Pamiri spricht, erlangen diese Sprachen den Status einer dritten offiziellen Sprache für dieses Gebiet. Die Verfassung kennt die Gleichstellung von Mann und Frau, die Etablierung einer unabhängigen Menschenrechtskommission und das Recht auf Leben, Freiheit, Meinungsäußerung, Versammlung, Vereinigung sowie justizielle Grundrechte; allerdings enthalten viele Grundrechte Gesetzesvorbehalte. Die Verfassung kann - abgesehen vom expliziten Bezug auf den Islam - in der Theorie durchaus mit europäischen Verfassungen verglichen werden.
Zur Verfassungswirklichkeit ist allerdings - immer noch - anzumerken, dass die zentrale Kontrolle in der Realität sehr schwach ist, weil regionale und lokale Machthaber, die sowohl die staatlichen Einnahmen als auch die militärische Macht kontrollieren, die Regierungsgewalt in den von ihnen kontrollierten Gebieten übernommen haben; so ist in manchen Gebieten der öffentliche Bereich so gut wie unabhängig von der Zentralgewalt. Ebenso wie es an funktionierenden Verwaltungsstrukturen fehlt, kann bislang auch nicht von einem nur ansatzweise funktionierenden Justizwesen gesprochen werden. Es besteht keine Einigkeit über die Gültigkeit und damit Anwendbarkeit von Rechtssätzen. Zudem fehlt es an einer Ausstattung mit Sachmitteln und geeignetem und ausgebildetem Personal. Oft sind noch nicht einmal Texte der wichtigsten afghanischen Gesetze vorhanden. Tatsächlich wird in den Gerichten, soweit sie ihre Funktion ausüben, eher auf Gewohnheitsrecht und Vorschriften des islamischen Rechts als auf weiterhin gültige Gesetze Bezug genommen. Die praktisch landesweit bestehende Gefahr von weitgehender Rechtlosigkeit für den Einzelnen ist trotz intensiver internationaler Bemühungen und institutioneller Fortschritte (wie z.B. der Einrichtung einer unabhängigen Menschenrechtskommission und deren verfassungsrechtlicher Verankerung) noch nicht überwunden. Praktisch sichtbar wird er etwa an der Vielzahl meist unbekannt bleibender Menschenrechtsverletzungen oder landesweiten Streitigkeiten um willkürlich besetzte Privatgrundstücke und Wasserquellen (Opfer sind typischerweise Auslandsafghanen/Rückkehrer, es gibt häufig Vorfälle im Nordwesten und in Kabul). Eine Strafverfolgung lokaler Machthaber außerhalb Kabuls wegen Übergriffen ist praktisch nicht möglich. Auf dem Land wird die Richterfunktion in der Regel von lokalen Räten (Shuras) übernommen. Das Verfahren vor dem nationalen Sicherheitsgericht gegen den früheren Milizenführer Abdullah Shah wegen mindestens zwanzigfacher Tötung (Oktober 2002; die Hinrichtung erfolgte am 20. April 2004) wurde von der VN-Sonderberichterstatterin zu extralegalen, willkürlichen und summarischen Tötungen, Asma Jahangir, als nicht fair bezeichnet. So habe der Angeklagte gegen seinen Willen über keinen Verteidiger verfügt, es habe keine sorgfältige Vorbereitung der Verhandlung gegeben, die Zeugenvernehmung habe Defizite in der Verfahrensweise aufgezeigt. Die Richter hätten einen juristisch nicht geschulten Eindruck gemacht. Korruption wird allgemein als großes Problem im Justiz und Verwaltungsbereich wahrgenommen.
Zur Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage in den einzelnen Gebieten ist ständigen Veränderungen unterworfen, ist gesamthaft betrachtet jedoch prekär.
Zur Menschenrechtslage:
Die Meinungs- und Pressefreiheit - in der Verfassung garantiert - unterliegt der Überprüfung durch eine Kommission, ob es zu einer Verletzung des "Islamvorbehalts" des Gesetzes gekommen ist; dies führt soweit, dass ein stellvertretender Oberster Richter im Fernsehauftritt von singenden Frauen offenbar eine Gesetzesverletzung sah. Auch auf die Verfolgung des Journalisten NASAB ist hinzuweisen, der wegen Artikel, in denen er die Härte der Strafen der Sharia verurteilt hätte und gefordert hätte, die Abkehr vom Islam nicht als Verbrechen zu sehen, zu zwei Jahren Gefängnis wegen Blaspehmie verurteilt wurde. Vor allem im Machtbereich von Warlords, Drogenbaronen und anderen lokalen Machthabern werden politisch Andersdenkende unterdrückt und müssen harte Sanktionen befürchten.
Nach den vorliegenden Berichten kommt es darüber hinaus - trotz des Diskriminierungsverbots der Verfassung - immer noch zu Repressionen gegen ethnische Gruppen bzw. Minderheiten, dies betrifft vor allem paschtunische Minderheiten, auch wenn sich die Situation etwas entspannt hat und die - wenn auch zahlenmäßig sehr kleine Gruppe - der Hindus.
Die Lage der ethnischen Minderheiten (in den jeweiligen Regionen) hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft besonders für die Hazaras verbessert, obwohl traditionelle Spannungen zwischen den Ethnien in lokal unterschiedlicher Intensität fortbestehen. Eine offene, systematische Diskriminierung erfolgt nicht mehr.
Konvertiten und Anhängern einer säkular-demokratischen Bewegung ist es praktisch nicht möglich, offen zu ihren Werten zu stehen, da sie ansonsten deutlichen Repressionen ausgesetzt wären.
In den nordwestlichen Provinzen werden - in seit 2003 sinkender Zahl - Zwangsrekrutierungen gemeldet.
Auch ansonsten kommt es immer wieder zum Eingriff in grundlegende Menschenrechte - etwa durch Folter - durch die lokalen Machthaber oder die Sicherheitskräfte, auch wenn sich die Regierung - etwa durch Etablierung einer Menschenrechtsabteilung im Innenministerium - um eine Besserung der Situation bemüht. Menschenrechtsverletzungen von lokalen Machthabern und Kommandanten - die auch geheime ¿persönliche' Gefängnisse unterhalten - bleiben - mangels Durchgriffsmöglichkeit der Regierung - häufig ohne Sanktion. Berichten des IKRK zufolge gibt es allerdings keine Erkenntnisse über eine systematische Anwendung von Folter.
Das afghanische Recht kennt die Todesstrafe und Körperstrafen, es kommt immer wieder zu lang andauernder Haft ohne Anklage oder Urteil. Die Gefängnisse sind in einem schlechten Zustand, auch wenn in letzter Zeit keine Fälle des Todes durch Verhungern bekannt wurden.
Zur täglichen Lebenssituation:
In Afghanistan besteht kein staatliches soziales Netz, die soziale Absicherung erfolgt über die jeweilige Großfamilie. Für Rückkehrer, die nicht in den Verband einer Großfamilie zurückkehren können, ergeben sich erhebliche Probleme bei der Unterkunftnahme, einerseits auf Grund des relativ kleinen Marktes an intakten Wohnungen, der zu einem hohen Preisniveau geführt hat und andererseits, weil von (aus dem Westen kommenden) Rückkehrern angenommen wird, dass diese wohlhabend sind, was zu einer zusätzlichen Preiserhöhung führt. Auch ist es sehr schwierig, an eine bezahlte Arbeitsstelle zu kommen, auch wenn viele Afghanen ihr Auskommen als - von der Polizei manchmal zumindest schikanös behandelte - Straßenhändler finden. Theoretisch ist ein Krankenhausaufenthalt gratis, allerdings wird mit der Behandlung zumeist erst begonnen, wenn entsprechende Bestechungsgelder bezahlt wurden. Nur wenige Medikamente werden zur Verfügung gestellt, die restlichen Medikamente müssen vom Patienten erworben werden. Allerdings sind Medikamente westlichen Standards kaum erhältlich, es werden zumeist nachgemachte Medikamente (in Originalverpackung der "Vorbilder") verkauft, deren Wirkung oftmals zwischen unwirksam und gefährlich einzustufen ist.
Zur besonderen Situation von Frauen:
Rückkehrerinnen im heiratsfähigen Alter sind nicht davor gefeit, gegen ihren Willen verheiratet zu werden. Frauen, die außerhalb eines Familienverbandes leben, gelten als Prostituierte, was sie gegebenenfalls zu "Freiwild" für Misshandlungen und Vergewaltigungen und gegebenenfalls Opfer von strafrechtlicher Verfolgung macht. Auch kann sie keinerlei staatlichen Schutz gegen häusliche Gewalt erwarten. Frauen können alleine keine Wohnung oder kein Zimmer mieten. Frauen laufen - etwa wenn sie einer Zwangsheirat entkommen wollen - leicht der Gefahr, kriminalisiert zu werden.
Zur Situation von Rückkehrern
Die Asylantragstellung an sich führt zu keinen Sanktionen seitens der afghanischen Regierung. Die Versorgung mit Wohnraum ist allerdings unzureichend und auch die Lebensmittelversorgung ist nicht zufrieden stellend. Es gibt keine hinreichende medizinische Versorgung in Kabul, obwohl diese besser ist als im Rest des Landes. Daher stoßen Rückkehrer, die nicht in einen Familienverband zurückkehren können oder nach einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland auf größere Schwierigkeiten als solche, die in einem Familienverband Aufnahme finden können.
Die Zahl der mit Unterstützung durch UNHCR freiwillig Zurückgekehrten ging im Jahr 2006 deutlich zurück. Ein Teil der Afghanen scheut die Rückkehr auch aus Furcht vor einer möglichen Verwicklung in Kampfhandlungen oder wegen der Vernichtung der Existenzgrundlagen (insbesondere ungeklärte Grundstücksfragen erhöhen die Schwierigkeiten, in Afghanistan wieder Fuß zu fassen).
2. Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:
2.1. Die Aussagen des Berufungswerbers in der Berufungsverhandlung waren schlüssig und detailliert, er machte in der Gesamtschau einen persönlich glaubhaften Eindruck.
Die vom Bundesasylamt angenommenen Gründe für den Schluss der Unglaubwürdigkeit erwiesen als nicht überzeugend, beschränkten sich diese im Wesentlichen darauf, dass die Aussagen des Berufungswerbers jeglicher Substantiiertheit entbehrten.
2.2. Aus den Länderfeststellungen geht hervor, dass praktisch landesweit die Gefahr von weitgehender Rechtlosigkeit für den Einzelnen besteht. Regionale und lokale Machthaber haben die Regierungsgewalt in den von ihnen kontrollierten Gebieten übernommen. Es kommt zu einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen oder landesweiten Streitigkeiten um willkürlich besetzte Privatgrundstücke und Wasserquellen, welche auch von den lokalen Machthaber oder den Sicherheitskräften ausgehen und häufig ohne Sanktionen bleiben. Eine Strafverfolgung lokaler Machthaber außerhalb Kabuls wegen Übergriffen ist praktisch nicht möglich.
Im konkreten Fall des Berufungswerbers gingen die Bedrohungen von M. H. aus, welcher für die Taliban tätig war und mit seiner Familie in der Herkunftsregion des Berufungswerbers über Einfluss verfügt. Dass es dem Berufungswerber angesichts dieser Machtverhältnisse mit hinreichender Wahrscheinlichkeit möglich sein würde, dem Zugriff von M. H. und dessen Familie zu entgehen, kann derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit gesagt werden, insbesondere auch unter Beachtung der ernsten Möglichkeit schwerer Eingriffe in die körperliche Integrität des Berufungswerbers. Aufgrund des Einflusses von M. H. kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Berufungswerber von lokalen Machthabern Schutz gewährt werden würde. Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt für den Berufungswerber auch nicht in Betracht, dies schon mangels Bestehens eines Familienverbandes oder Vorhandenseins von Besitztümern (in Verbindung mit der allgemeinen Sicherheitslage) in Kabul oder anderen Teilen Afghanistans. Gegen eine innerstaatliche Fluchtalternative spricht weiters, dass der Berufungswerber schon zu seiner Tante in einen anderen Ort geflüchtet ist, jedoch M. H. über diesen Aufenthaltsort Kenntnis erlangte.
2.3. Die Feststellungen zur Lage in Afghanistan ergeben sich aus einer Gesamtschau der zitierten angeführten aktuellen Quellen, denen nicht entgegengetreten wurde.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen; § 44 AsylG 1997 gilt. Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG werden Asylanträge, die ab dem 1. Mai 2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBL. I Nr. 76/1997, in der jeweils geltenden Fassung geführt, weshalb auf den vorliegenden, nach diesem Datum gestellten Asylantrag, die Bestimmungen idF der Asylgesetz-Novelle 2003 anzuwenden sind.
Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.
3.2. Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I 101/2003 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling iSd AsylG 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung".
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).
Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; VwGH 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose.
Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183, VwGH 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH 27.01.2000, Zl. 99/20/0519, VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256, VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177, VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203, VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0291, VwGH 07.09.2000, Zl. 2000/01/0153, ua.).
Im konkreten Fall des Berufungswerbers ist die vorgebrachte Verfolgung auf einen in der Flüchtlingskonvention genannten Grund zurückführen, nämlich auf politische Gründe und die Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie. Der Bruder des Berufungswerbers wollte eine vom Vater seiner Freundin nicht gebilligte Ehe eingehen und hat dadurch soziale Normen verletzt, was als feindliche politische Gesinnung gewertet wird, welche mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf die Familie des Berufungswerbers, und damit auch auf den Berufungswerber selbst, durchschlägt.
Somit ergibt sich aus der Aktenlage bei Zugrundelegung der Angaben des Berufungswerbers das Vorliegen einer aktuellen Verfolgungsgefahr wegen unterstellter feindlicher politischer Gesinnung und Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie, dies unter Berücksichtigung aller zu II.2. getroffenen Ausführungen. Es liegt genau ein Fall vor, in welchem wegen individueller Verfolgung gezielte Menschenrechtsverletzungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohen können. Die hinreichende Schwere dieser möglichen Menschenrechtsverletzungen ist durch die Berichtslage eindeutig indiziert. Bei dieser Sachlage liegt Entscheidungsreife vor.
Der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass sich aus dem Akt keine Anhaltspunkte für die Anwendbarkeit des § 13 AsylG 1997 ergeben.
Somit befindet sich zusammengefasst der Berufungswerber aus wohlbegründeter Furcht asylrelevant verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in dieses Land zurückzukehren. Da auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt, war Asyl zu gewähren.
Gemäß § 12 AsylG 1997 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.