TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/18 B13 223255-0/2008

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Veröffentlicht am 18.07.2008
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Spruch

GZ: B13 223.255-0/2008/45E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Maga. Eigelsberger über die Beschwerde von M.K., geb. 00.00.1978, StA: Afghanistan, vom 12. 7. 2001 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom

 

15. 6. 2001, Zl 00 18.257-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am

 

9. 10. 2003, am 15. 12. 2003, am 23. 2. 2004, am 8. 2. 2006, am 12. 6. 2007, am 20. 3. 2008 und am 19. 5. 2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und M.K. gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idF BG BGBl. I Nr. 126/2002, Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass M.K. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Der Beschwerdeführer stellte am 24. 12. 2000 beim Bundesasylamt einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

 

Am 14. 5. 2001 wurde der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt einvernommen und zu seinen Fluchtgründen befragt. Dabei gab er an, dass sein Vater Mitglied in der Organisation Nassr und später in der Wahdat-Partei gewesen sei. Seit 1998 würde dieser als vermisst gelten, weil er damals von den Taliban entführt worden sei. Des Weiteren habe der Beschwerdeführer in Afghanistan Probleme, weil ihn Mitglieder der Nehzat-Partei und der Taliban verdächtigen würden, Kenntnisse über geheime Waffenverstecke zu haben. In weiterer Folge sei er von den Taliban verhört und verhaftet worden, wobei ihm aber nach einer Woche die Flucht aus der Gefangenschaft gelungen sei. Danach habe er sich in Afghanistan sowie im benachbarten Ausland nicht mehr sicher gefühlt und sei aufgrund dieser gefährlichen Situation nach Europa geflohen.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15. 6. 2001, Zl 00 18.257-BAT, wurde der Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I) und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt wurde (Spruchpunkt II).

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 12. 7. 2001 Beschwerde.

 

Der unabhängige Bundesasylsenat führte am 9. 10. 2003, am 15. 12. 2003, am 23. 2. 2004, am 8. 2. 2006, am 12. 6. 2007, am 20. 3. 2008 und am 19. 5. 2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher das Bundesasylamt als weitere Partei des Verfahrens nicht teilgenommen hat. Der Beschwerdeführer gab an, dass sein Vater bei der Hezb-e Nassr aktiv gewesen sei und er nach dieser Tätigkeit als Gruppenleiter bei der Wahdat-Partei gewirkt habe. In dieser Funktion sei er von einem Stammeskonkurrenten und mächtigen Gruppenleiter namens M. nach Mazar-i Sharif geschickt worden, um gegen die Taliban zu kämpfen. Bei den dortigen Kämpfen habe der Vater des Beschwerdeführers sein Leben verloren. Die erstarkten Taliban hätten in weiterer Folge auch Jaghori eingenommen, wobei auch der Bruder M. festgenommen worden sei. Dieser habe aus dem Gefängnis der Taliban fliehen können und im Haus der Familie des Beschwerdeführers Zuflucht gesucht. Dort sei er allerdings seinen Folterverletzungen erlegen und es sei Verdacht geschöpft worden, dass der Beschwerdeführer für den Tod des Bruders von M. verantwortlich gewesen sein könne. Daraufhin sei der Beschwerdeführer von den Taliban festgenommen worden und überdies auch mit Waffenverstecken, die sein Vater angelegt habe, konfrontiert worden. Nach einigen Tagen sei ihm aber die Flucht aus dem Gefängnis gelungen und er habe nach Europa fliehen können.

 

Vom Tod seines Vaters habe er erst in Österreich erfahren. Der Stammeskonflikt innerhalb der Wahdat-Partei habe sich zwischen den Gruppierungen der Nassr und der Nahsat zugetragen. Die Anhänger der Nassr-Gruppierung hätten einen Kommandanten getötet, woraufhin sich die Nahsat-Anhänger zum Vergeltungsangriff formiert hätten und in das Gebiet der Nassr-Gruppierung eingedrungen seien, wo sie geplündert, gebrandschatzt und wahllos Leute getötet hätten. In weiterer Folge habe die Nassr-Gruppierung immer mehr Macht erhalten und sich ihrerseits mit Plünderungen bei den Nahsat-Anhängern für das Vorgehen gegenüber ihrer Gruppierung gerächt. Gegen diese Racheaktionen der Nassr-Gruppierung habe sich der Vater des Beschwerdeführers gestellt, woraufhin die Feindschaft zu M. entstanden sei.

 

Auch wenn es sich hierbei nicht um einen Stammeskonflikt im traditionellen Sinn gehandelt habe, sei es immer wieder zu kämpferischen Rachefeldzügen gekommen. Diese hätten auch nach der Flucht des Beschwerdeführers aus Afghanistan fortbestanden. So sei nach dem Sturz der Taliban wieder die Hezb-e Wahdat wieder an die Macht gekommen und M. habe weiterhin das Haus der Familie des Beschwerdeführers aufgesucht und nach dem Beschwerdeführer gesucht, um Rache zu üben. Es habe aber auch schon während der Herrschaft der Taliban Probleme zwischen der Familie des M. und der Familie des Beschwerdeführers aufgrund der Tätigkeiten M. und dem Vater des Beschwerdeführers in der Nassr-Gruppierung gegeben. Ein Problem habe darin bestanden, dass der Vater des Beschwerdeführers eine Gruppe von Nassr-Mitglieder geleitet habe, die von den Taliban in einen Hinterhalt gelockt und in weiterer Folge umgebracht worden seien. Nach diesem Vorfall hätten die Verwandten der Opfer der Familie des Vaters ebenfalls Rache geschworen.

 

Die Feindschaft von M. und dem Vater des Beschwerdeführers sei nicht öffentlich ausgetragen worden, denn beide hätten derselben Partei angehört. Innerparteiliche Konflikte seien so gelöst worden, dass man kritische Personen entweder gleich töten habe lassen oder diese zu riskanten Einsätzen geschickt hätte. Letzteres habe auf den Vater des Beschwerdeführers zugetroffen, der zu einem Einsatz nach Mazar-i Sharif geschickt worden sei. Die Beteiligten hätten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um die Gefährlichkeit dieses Einsatzes, der dem Vater des Beschwerdeführers letztendlich das Leben gekostet habe, gewusst. Durch den Tod M. Bruder, der im Haus der Familie des Beschwerdeführers geschehen sei, habe sich die Lage für den Beschwerdeführer weiter verschlimmert. M. habe Rache geschworen und da sich M. nicht mehr an seinem Vater rächen habe können, wäre der Beschwerdeführer als direkter männlicher Nachkomme mögliches erstes Opfer dieser Feindschaft.

 

Ein Kommandant habe in Afghanistan mehr Macht als ein Kommandant in der Militärhierarchie eines sonstigen Landes. Die Kommandanten in Afghanistan würden sich nicht an die Gesetze halten und für den Erhalt und Ausbau ihrer Macht sogar töten, plündern und stehlen. Hätten sie zudem noch gute familiäre Beziehungen zu Oberbefehlshabern, würden sie sich in einer Art rechtsfreien Raum bewegen, in welchem sie für ihre Unrechtstaten in keinster Weise zur Rechenschaft gezogen werden würden. Kommandanten hätten sich auch sehr oft direkt oder indirekt beseitigt, um noch mehr Macht zu erlangen. Bei M. habe dies zugetroffen, denn er sei mit Oberbefehlshaber E. verwandt gewesen und er habe seine Widersacher indirekt bei gefährlichen Kampfeinsätzen beseitigen können. Auf dieser Weise habe der Vater des Beschwerdeführers in Mazar-i Sharif in seiner Position als Gruppenleiter sein Leben verloren. Durch den Tod des Vaters des Beschwerdeführers und den Tod des Bruders von M., für den die Familie des Beschwerdeführers verantwortlich gemacht worden sei, habe sich diese Feindschaft zwischen diesen beiden Familien zugespitzt und es sei unwahrscheinlich, dass diese Fehde mit dem Tod zweier Menschen bereits sein Ende gefunden habe.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er stammt aus dem Dorf H. im Distrikt Jaghori in der Provinz Ghazni. Der Vater des Beschwerdeführers war Gruppenleiter des Kommandanten E. und in die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Hazara-Parteien in den Jahren 1992 und 1998 involviert. Es ist davon auszugehen, dass der Vater des Beschwerdeführers in seinen Kampfeinsätzen auch Tötungen anderer Personen zu verantworten hatte. Der Vater des Beschwerdeführers wurde zu einem militärischen Einsatz gegen die Taliban nach Mazar-e Sharif beordert, bei dem er auch sein Leben verlor.

 

Kommandant M., der ebenfalls der Hezb-e Wahdat angehörte, stand in einer verwandtschaftlichen Beziehung zu dem Kommandanten E.. Während der Herrschaft der Taliban wurde ein Bruder des Kommandanten M. von diesen gefangen genommen und auch gefoltert. Er konnte flüchten und erreichte das Wohnhaus des Beschwerdeführers, in dem er seinen schweren Misshandlungen erlegen ist.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass Kommandant M. den Beschwerdeführer für den Tod seines Bruders verantwortlich macht, sodass für den Beschwerdeführer daraus keine Verfolgungssituation resultiert.

 

Der Beschwerdeführer hat bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgungshandlungen jener Personen bzw. derer Angehörigen zu befürchten, welchen sein Vater im Rahmen seiner Kampfeinsätze für die Hezb-e Wahdat Schaden zugefügt hat. Der Beschwerdeführer verfügt über keine verwandtschaftlichen Beziehungen in Afghanistan, da die gesamte Familie des Beschwerdeführers nach dem Tod des Vaters des Beschwerdeführers Afghanistan verlassen hat.

 

Zur Situation im Herkunftsland des Beschwerdeführers:

 

Politische Lage:

 

Die Taliban existieren als politisches System nicht mehr. Sie sind ab dem 10.12.2001 vollständig abgezogen. Am 5.12.2001 wurde von den Delegierten der Konferenz auf dem Petersberg das Afghanistan-Abkommen unterzeichnet. Damit wurde der international unterstützte Prozess des politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus Afghanistans eingeleitet. Am 22.12.2001 wurde eine Interimsregierung unter der Führung von Hamid Karzai eingerichtet. Am 19. 6. 2002 vereidigte die Loya Jirga die Interimsregierung unter Karzai. An dieser Regierung sind die verschiedenen Fraktionen und Ethnien Afghanistans beteiligt. Am 26.01.2004 wurde die neue afghanische Verfassung in Kraft gesetzt. Aus den Präsidentschaftswahlen vom 09.10.2004 ging Hamid Karzai als Sieger hervor; die neue Regierung nahm am 23.12.2004 ihre Arbeit auf. Am 18.09.2005 wurden Parlaments- und Provinzwahlen abgehalten; die Anhänger von Hamid Karzai verfügen nun knapp über die Mehrheit im Parlament; in den meisten Provinzen haben die regionalen Milizenführer des Landes die Mehrheit der Sitze inne. (notorisch aufgrund der internationalen Berichterstattung in Massenmedien).

 

Al Qaida und Rest-Taliban konnten zwischenzeitlich nachhaltig geschwächt werden, der Kampf gegen sie ist allerdings noch nicht abgeschlossen. ...

 

Afghanistan gehört nach den Kriegsjahren und einer langjährigen Dürre zu einem der ärmsten Länder der Welt. Die Wirtschaftslage ist weiterhin desolat, erste Schritte zur Verbesserung der Rahmenbedingungen sind allerdings eingeleitet. Die humanitäre Situation stellt das Land vor allem mit Blick auf die etwa 4,4 Millionen - meist aus Pakistan zurückgekehrten - Flüchtlinge vor große Herausforderungen. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Mai 2006] 13.07.2006, Seite 5; gleich lautend mit dem Vorbericht)

 

Rechts- und Verwaltungssystem/Staatliche Strukturen:

 

Ebenso wie es an funktionierenden Verwaltungsstrukturen fehlt, kann nicht von einem funktionierenden Justizwesen gesprochen werden. Es besteht keine Einigkeit über die Gültigkeit und damit Anwendbarkeit von Rechtssätzen. ... Tatsächlich wird in den Gerichten, soweit sie ihre Funktion ausüben, eher auf Gewohnheitsrecht und Vorschriften des islamischen Rechts als auf weiterhin gültige Gesetze Bezug genommen. ...

 

Zudem fehlt es an einer Ausstattung mit Sachmitteln und geeignetem und ausgebildetem Personal sowie in Einzelfällen am Willen, den theoretisch (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Mai 2006] 13.07.2006, Seite 5 und 9; gleich lautend mit dem Vorbericht)

 

...

 

Der praktisch landesweit bestehende Zustand weitgehender Rechtlosigkeit des Einzelnen ist trotz intensiver internationaler Bemühungen und institutioneller Fortschritte (wie z.B. der Einrichtung einer unabhängigen Menschenrechtskommission und deren verfassungsrechtlicher Verankerung) noch nicht überwunden. Praktisch sichtbar wird er etwa an der Vielzahl meist ungeahndet bleibender Menschenrechtsverletzungen bzw. deren unzureichender Behandlung durch die Gerichte, die die Grundsätze eines fairen Verfahrens nicht beachten. Mehr und mehr kommt es landesweit zu Streitigkeiten um willkürlich besetzte Privatgrundstücke und Wasserquellen (Opfer sind typischerweise Auslandsafghanen/Rückkehrer, es gibt häufig Vorfälle im Nordwesten und in Kabul). (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Mai 2006] 13.07.2006, Seiten 9, 10; gleich lautend mit dem Vorbericht)

 

Die Menschenrechtssituation verbessert sich nur langsam. Ähnliches gilt für die Lage der Frauen in Afghanistan, auch wenn die gegen sie gerichteten Verbote aus der Taliban-Zeit formal aufgehoben sind. ...

 

Die größte Gefahr für die Beachtung der Menschenrechte geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Die Zentralregierung hat auf viele dieser Menschenrechtsverletzer praktisch keinen Einfluss. Sie kann diese Täter weder kontrollieren noch ihre Taten untersuchen oder sie vor Gericht bringen. Entscheidend ist daher die angestrebte Ausdehnung des Machtbereichs der Zentralregierung auf das gesamte Land. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Mai 2006] 13.07.2006, Seite 5; ; gleich lautend mit dem Vorbericht)

 

Eine Strafverfolgung lokaler Machthaber außerhalb Kabuls wegen Übergriffen ist praktisch nicht möglich. Auf dem Land wird die Richterfunktion in der Regel von lokalen Räten (Shuras) übernommen. ... (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Mai 2006] 13.07.2006, Seite 10; gleich lautend mit dem Vorbericht)

 

Seit August 2002 besteht eine beim Obersten Gerichtshof angesiedelte spezielle Abteilung zur Bekämpfung des Lasters ("Departement for the Prevention of Vice"). Ihre wesentliche Funktion soll in der Vermittlung "afghanischer Werte" bestehen. Im Rahmen einer öffentlichen Stellungnahme hat der stellvertretende Präsident des Obersten Gerichts, Manawi, darauf hingewiesen, dass es drakonische Strafen wie Steinigungen und Amputationen nicht mehr geben wird. In diesem Zusammenhang wies der Oberste Richter Shinwari vor dem Afghanistan besuchenden Bundestagsausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe am 2. Oktober 2003 auf die hohen Beweisanforderungen für Körperstrafen hin. Gleichzeitig erläuterte er, dass es die Möglichkeit einer Umwandlung der Körperstrafen in Freiheitsstrafen gebe. Dennoch finden solche Bestrafungen immer noch statt.

 

Die Reform der 34 Provinz- und etwa 400 Distriktsverwaltungen ist noch nicht abgeschlossen. In vielen Regionen befinden sie sich weiter in der Hand bewaffneter Gruppen, die diese nach dem Sturz der Taliban übernommen hatten; dies gilt auch für das Personal einiger Ministerien. ...(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Mai 2006] 13.07.2006, Seite 10; gleich lautend mit dem Vorbericht)

 

Versorgungslage/Humanitäre Situation

 

Die VN versorgen auch nach dem Ende der langjährigen Dürreperiode noch Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern (Zahlen saisonal schwankend). Die Versorgungslage hat sich in Kabul und zunehmend auch in den anderen großen Städten zwar grundsätzlich verbessert, wegen mangelnder Kaufkraft profitieren jedoch längst nicht alle Bevölkerungsschichten von der verbesserten Lage. Die Versorgung mit Wohnraum ist unzureichend. Das Angebot an Wohnraum ist knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich. In vielen Gebieten Afghanistans muss die Versorgungslage mit Lebensmitteln auch weiterhin als nicht zufrieden stellend bezeichnet werden. Zwar hat sich die Situation nach einer vergleichsweise guten Ernte im Jahr 2005 verbessert, dennoch waren erneut Nothilfemaßnahmen erforderlich, u.a. für Dürreopfer in den Provinzen Daikundi und Herat, für die durch ungewöhnlich heftige Schneefälle betroffenen Einwohner der Provinz Ghor sowie für die Überschwemmungsopfer nach der Schneeschmelze in den Provinzen Saripul, Balkh und Jowzjan sowie im Südosten.

 

Eine Versorgung der Notstandsgebiete ist oftmals, bedingt durch fehlende oder schlecht ausgebaute Verkehrswege, sehr schwierig, im Winter häufig überhaupt nicht mehr möglich. Hinzu kommt die Gefahr von kriminell motivierten Überfällen und vor allem Landminen. Humanitäre Hilfe bleibt weiterhin von Bedeutung. Die Arbeit der Hilfsorganisationen wird vor allem im Süden und Osten durch Sicherheitsprobleme erschwert. So kommt es von Zeit zu Zeit zu Übergriffen der Taliban. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Mai 2006] 13.07.2006, Seite 28; gleich lautend mit dem Vorbericht)

 

Die medizinische Versorgung ist in Afghanistan aufgrund fehlender Medikamente, Geräte und Ärzte und mangels ausgebildeten Hilfspersonals völlig unzureichend. Afghanistan gehört zu den Ländern mit der höchsten Kindersterblichkeitsrate in der Welt. Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung liegt bei etwa 45 Jahren. Auch in Kabul, wo mehr Krankenhäuser als im übrigen Afghanistan angesiedelt sind, ist für die afghanische Bevölkerung noch keine hinreichende medizinische Versorgung gegeben.

 

Staatliche soziale Sicherungssysteme sind nicht bekannt. Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungen gibt es nicht. Familien und Stämme übernehmen die soziale Absicherung. Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in größeren Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren (vor allem aus Iran und Pakistan), wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk, sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Sie können auf übersteigerte Erwartungen hinsichtlich ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen, so dass von ihnen überhöhte Preise gefordert werden. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Mai 2006] 13.06.2006, Seiten 28, 29; gleich lautend mit dem Vorbericht)

 

Die Wirtschaftslage hat sich im Vergleich zu 2004 nicht gebessert. Trotz der guten Niederschläge sind die Ernten von Heuschreckenplagen und anderen Pflanzenschädlingen betroffen, sodass die Bauern gerade zum Überleben etwas ernten können. Die Ernte reicht nicht aus, dass auch die rückkehrenden Familienmitglieder davon profitieren könnten. In Afghanistan werden 7 Millionen Menschen, darunter 2,5 Millionen Schüler von den internationalen Organisationen mit Lebensmitteln versorgt. Über 50% der Afghanen sind weiterhin arbeitslos. Deshalb werden seitens des UNHCR und der afghanischen Regierung stets die Gastländer der Flüchtlinge gebeten, die Flüchtlinge nicht zu zwingen, nach Afghanistan zurückzukehren, das sonst in Afghanistan die Wirtschafts- und Gesellschaftskrise noch verschärft würde.

 

(Dr. S.R., Gutachten zur aktuellen Situation in Afghanistan; Wien, am 30.8.2007)

 

Sicherheitslage:

 

Allgemein:

 

Die Sicherheitslage stellt sich regional sehr unterschiedlich dar. Sie variiert von Distrikt zu Distrikt. Während terroristische Aktivitäten im Süden und Osten des Landes aus zumeist ideologischen Motiven direkt gegen die Zentralregierung bzw. die internationale Gemeinschaft gerichtet sind, kann die Sicherheitslage im Norden und Westen durch rivalisierende lokale Machthaber und Milizenführer, die häufig in Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften verstrickt sind, beeinträchtigt sein. Die Sicherheitssituation wird auch von der wachsenden Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise mit der bisherigen Regierungspolitik, aber auch aus der - insbesondere mit der Drogenwirtschaft verbundenen - zunehmenden Kriminalität und den illegalen Milizen bestimmt. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Afghanistan [Stand: Mai 2006] 13.06.2006, Seiten 10 und 11; gleich lautend mit dem Vorbericht)

 

Bedrohung durch die Taliban:

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist innerhalb der letzten Jahre zunehmend prekärer geworden. Die Taliban können auch außerhalb der pashtunischen Regionen die ausländischen Truppen und die Regierungsbeamten angreifen. Sie sind sogar in der Lage kurzfristig in einen Distrikt einzudringen und Geiseln zu nehmen. Im Monat Mai sind die Taliban in Jaghori eingedrungen, haben einige Regierungsbeamte als Geiseln genommen und diese später freigelassen. Die Geiseln waren exponierte Beamte der Regierung, wie Polizisten oder Geheimdienstleute, Zivilpersonen haben sie allerdings nicht angegriffen. Sie haben auch im selben Monat das Haus von Bashi Habib, ein ehemaliger Kommandant der Mujaheddin und derzeitiger Kommandeur der Straßenkontrollen der Regierung zwischen Jaghori und Ghazni angegriffen und bei dieser Auseinandersetzung sind fünf Mitglieder der Familie von Habib umgekommen.

 

(Dr. S.R., Gutachten zur aktuellen Situation in Afghanistan; Wien, am 30.8.2007)

 

Das vom Sachverständigen erstellte Gutachten führt zu folgenden Feststellungen:

 

Die Hezb-e Wahdat ist aus verschiedenen Splittergruppen der Hazara-Mujaheddin-Bewegung entstanden, wobei es in weiten Teilen des Hazarajat zu Auseinandersetzungen zwischen den Untergruppen Hezb-e Nassr und Hezb-e Nahzat gekommen ist. Dieser Konflikt zwischen den Gruppierungen Nassr und Nahzat wurde in unverminderter Härte ausgetragen, wobei Gruppenleiter und Kommandanten auch oftmals die Seite wechselten. Kommandant E. ist selbst im heutigen Afghanistan noch immer eine führende Person in Jaghori und Kommandant bei der Hezb-e Wahdat. E. hat über Jaghori hinaus auf Provinzebene in der Partei hohe Aufgaben inne. Es ist davon auszugehen, dass der Vater des Beschwerdeführers bei der Hezb-e Wahdat tätig war und er die Funktion eines Gruppenleiters bei der Untergruppe Hezb-e Nassr innegehabt hatte. Da er von Anfang an ein Mitkämpfer von E. in der Hezb-e Wahdat war, wurde er als Gruppenleiter eingesetzt. Ermittlungen des Sachverständigen führten dazu, dass die Bevölkerung von Jaghori übereinstimmend von der Tötung des Vaters des Beschwerdeführers durch die Taliban berichtet hat.

 

Die Bürgerkriegsjahre von 1992 bis 1998 haben unter den Hazara-Parteien stattgefunden. Die Hazara-Parteien haben darüber hinaus auch untereinander gekämpft und die Bevölkerung gequält.

 

Insbesondere haben solche Kämpfer - wie der Vater des Beschwerdeführers -, die Waffen getragen haben und für Waffenaufbewahrung zuständig waren, enormen militärischen und politischen Einfluss gehabt. Diese haben Menschen willkürlich schwerst geschädigt, aber auch getötet.

 

Bei solchen involvierten Personen besteht die Gefahr, dass in besonderer Weise Söhne damaliger Opfern bzw deren Angehörige zur Rechenschaft gezogen und von diesen verfolgt werden.

 

Die Ermittlungen des Sachverständigen haben ergeben, dass sich die Familie des Vaters des Beschwerdeführers zerstreut hat bzw. aus dem Gebiet geflüchtet ist (Mutawari).

 

Der Begriff Mutawari bedeutet zerstreut bzw. in Diaspora gegangen. Diesem Begriff kann man entnehmen, dass der Beschwerdeführer und seine Familie aus diesen Gründen Jaghori verlassen haben, weil der Vater des Beschwerdeführers durch seinen Kampfeinsatz Feindschaften herbeigeführt hat.

 

Diese Verfolgungsgefahr besteht in Kabul, Nordafghanistan und dem Hazarajat.

 

Die Feststellungen resultieren aus der Einvernahme des Beschwerdeführers beim Bundesasylamt und beim unabhängigen Bundesasylsenat, dem in der mündlichen Verhandlung erstatteten Gutachten des Sachverständigen für die politische Situation in Afghanistan sowie den oben zitierten Quellen.

 

Das vom Beschwerdeführer erstattete Vorbringen beim Bundesasylamt als auch anlässlich der beim unabhängigen Bundesasylsenat abgehaltenen öffentlichen mündlichen Verhandlung hat sich unter Zugrundelegung des Sachverständigengutachtens in seiner Gesamtheit - bis auf die oben angeführte Negativfeststellungen - als glaubwürdig und in sich schlüssig dargestellt.

 

Den Ausführungen des Sachverständigen zufolge war der Vater des Beschwerdeführers ein Gruppenleiter der Hezb-e Wahdat, durch dessen Wirken zahlreiche Menschen schwer geschädigt oder ermordet worden sind. Da ein solches Gefährdungspotential seitens der Geschädigten bzw deren Hinterbliebenen auch für die Angehörigen der Schädiger besteht, ist - den obigen Feststellungen folgend - auch der Beschwerdeführer selbst gefährdet Opfer solcher Rachehandlungen zu werden. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass dem Beschwerdeführer seitens der Feinde seines Vaters im Falle seiner Rückkehr Verfolgungshandlungen drohen.

 

Nach den Angaben des Sachverständigen ist die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung durch den Kommandanten M., wonach ihn dieser für den Tod seines Bruders verantwortlich machen würde, nicht nachvollziehbar. Beim Beschwerdeführer handelt es sich um den Sohn eines bedeutenden Gruppenleiters der Hezb-e Wahdat. Es finden sich im gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen würden, dass für den Beschwerdeführer seitens des Kommandanten M. ein Verfolgungsrisiko bestehen würde. Der Sachverständige führte dazu weiters aus, dass die Aufnahme einer schwer verletzten Person in ein Wohnhaus keinen Grund dafür bietet, den Eigentümer für den Tod dieser Person verantwortlich zu machen.

 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer als Familienangehöriger gefährdet ist, Opfer einer Blutrache zu werden. Auf Grund dessen ist nach dem mündlich erstatteten Sachverständigengutachten davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer aus einer konfliktbeladenen Familie stammt.

 

Beim Beschwerdeführer besteht somit wegen der Tätigkeit seines Vaters eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit.

 

Angesichts der wirtschaftlichen Situation des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass dieser in jenen Gebieten Afghanistans, in welchen ihm keine Verfolgungsgefahr drohen würde, keine Existenzgrundlage finden würde, da er - wie oben beschrieben - dort mit erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten zu kämpfen hätte.

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBI. I Nr. 100/2005, sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl I Nr 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 126/2002 geführt.

 

Da gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBI I Nr 101/2003 auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen ist, war gegenständlich auch über die Berufung gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I Nr 76/1997 idF BGBI I Nr 126/2002 abzusprechen.

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.

 

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich infolge von vor dem 01. Jänner 1951 eingetretenen Ereignissen aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG zugrundeliegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH E vom 19.04.2001, Zl. 99/20/0273).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH E vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Es ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer einer konfliktträchtigen Familie angehört, da der Vater des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Tätigkeit als Gruppenleiter der Hezb-e Wahdat im Kampf zahlreiche Menschen schwer geschädigt bzw getötet hat. Da ein solches Gefährdungspotential durch die Geschädigten bzw. deren Hinterbliebenen auch für die Angehörigen der Schädiger besteht, ist - den obigen Feststellungen folgend - auch der Beschwerdeführer selbst gefährdet, Opfer von Blutrachehandlungen zu werden.

 

Im Lichte dessen wäre der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan gefährdet, als (politisch) missliebige Person von den ehemaligen Feinden seines Vaters zur Verantwortung gezogen zu werden und als Zielscheibe für deren Verfolgungshandlungen zu dienen.

 

Wenngleich die Exekutive große Anstrengungen unternimmt, um der Bevölkerung einen ausreichenden Schutz zu gewähren, ist dies auf Grund der prekären Sicherheitslage in Afghanistan nicht möglich.

 

Steht dem Beschwerdeführer die Einreise in Landesteile seines Heimatlandes offen, in denen er frei vor Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht. Es ist im gesamten Verfahren hervorgekommen, dass dem Beschwerdeführer insoweit eine besondere Position zukommt, als er - wie oben ausgeführt - bei einer Rückkehr nach Afghanistan Repressalien ausgesetzt wäre, wobei sich diese jedoch - den obigen Ausführungen zufolge - auf Kabul, Nordafghanistan und den Hazarajat beschränken würden.

 

Aufgrund des Nichtvorhandenseins von familiären bzw. verwandtschaftlichen Beziehungen und sozialen Strukturen in den anderen Landesteilen Afghanistans ist für den Beschwerdeführer ein Überleben im übrigen Afghanistan nicht gewährleistet. Im Lichte dessen ist eine inländische Fluchtalternative auf Grund der obigen Ausführungen ausgeschlossen.

 

Aus all diesem Gesagten ist festzuhalten, dass bei Gesamtbetrachtung der geschehenen Vorfälle im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan Verfolgungshandlungen durchaus nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden können.

 

Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Schlagworte
Blutrache, familiäre Situation, gesamte Staatsgebiet, Lebensgrundlage, Sicherheitslage, soziale Verhältnisse, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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