TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/21 S5 400496-1/2008

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Veröffentlicht am 21.07.2008
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Spruch

GZ: S5 400.496-1/2008/2E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Benda als Einzelrichter über die Beschwerde des I.R., geb. 00.00.1967, StA. der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.6.2008, Zahl: 08 01.636-EAST West, gem. § 66 Abs. 4 AVG iVm § 61 Abs. 3 Z 1 lit b des Asylgesetzes 2005 idgF (AsylG) zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 AsylG abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Asylwerber ist Staatsangehöriger von Russland, stammt aus Tschetschenien und ist zusammen mit seiner Ehegattin und seinen beiden minderjährigen Kindern eigenen Angaben zufolge von Weißrussland aus mit dem Zug am 5.11.2007 nach Polen gereist, wo er und seine Familie am selben Tag Asylanträge gestellt hatten (vgl. Aktenseite 19 sowie Eurodac-Treffer Aktenseite 7). Er ist sodann zusammen mit oben angeführten Personen sowie mit seiner Mutter, die bereits zuvor in Polen eingereist war und am 27.8.2007 einen Asylantrag gestellt hatte (vgl. Verwaltungsakt I.N., ho. Zahl: S5 400.497, Aktenseite 5), am 14.2.2008 illegal ins österreichische Bundesgebiet weitergereist, wo er und seine Familie schließlich am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz stellten.

 

Mit E-mail vom 19.2.2008 ersuchte Österreich Polen um Übernahme des Asylwerbers.

 

Polen hat sich mit Fax vom 25.2.2008, datiert 21.2.2008, (Aktenseite 47) bereit erklärt, den Asylwerber gem. Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) wieder aufzunehmen und seinen Asylantrag zu prüfen.

 

Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt erklärte der Antragsteller nach Vorhalt, dass Polen zur Prüfung seines Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, dass er Polen deshalb freiwillig verlassen habe, da er von seinem Bruder, der im Jahr 1995 seine älteste Schwester ermordet habe, telefonisch bedroht worden sei, dass dieser ihn in Polen aufsuchen würde (Aktenseite 75 f.). Im Rahmen der folgenden Einvernahme erklärte er auf den nochmaligen Vorhalt, dass Polen zur Prüfung seines Asylantrages zuständig sei, dass die Lebensbedingungen in Polen nicht so gut wären. Man müsse dort schwer arbeiten gehen und wenn man nicht arbeitsfähig sei, würde die Familie keine Unterstützung erhalten (Aktenseite 119).

 

Eine am 2.4.2008 von Dr. med. G.M. durchgeführte Untersuchung des Asylwerbers hat zum Ergebnis gehabt, dass dieser psychisch kompensiert ist und einer Überstellung nach Polen keine schweren psychischen Störungen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung seines Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden, entgegenstehen. Vermerkt wurde jedoch, dass die Affekte des Asylwerbers manchmal inadäquat seien (unangepasstes Lachen) (Aktenseite 95).

 

Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.6.2008, Zahl: 08 01.636-EAST West, gem. § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und der Antragsteller gem. § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen.

 

Gegen diesen Bescheid hat der Asylwerber durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter fristgerecht Beschwerde erhoben und hiebei im Wesentlichen geltend gemacht, dass seiner Ausweisung familiäre Bindungen in Österreich iSd Art. 8 EMRK entgegenstünden. In Österreich würden seine zwei Schwestern leben, die beide anerkannte Flüchtlinge seien. Er habe mit seinen Schwestern bis zu deren Ausreise aus Tschetschenien im Juli 2003 in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. In Polen würden ihn und seine Familie menschenunwürdige Lebensbedingungen erwarten. Polen würde seine Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention in Bezug auf tschetschenische Asylwerber systematisch verletzen. Weiters sei die medizinische Versorgung in Polen für Asylwerber unzureichend. Speziell sei das polnische Asylsystem mit der Aufgabe, traumatisierten und psychisch geschädigten Asylwerbern spezifische Betreuung zukommen zu lassen, überfordert. Letztlich fürchte er, dass ihn sein geisteskranker Bruder, der im Jahr 1995 bereits seine älteste Schwester ermordet habe und einmal versucht habe, seine Frau zu vergewaltigen, in Polen aufsuchen und gefährden würde.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.

 

Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.

 

§ 61 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

(1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

(2) Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, und

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Polen hat auf Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) akzeptiert, den Asylwerber wieder aufzunehmen und seinen Asylantrag zu prüfen.

 

Bereits das Bundesasylamt hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, darunter auch Feststellungen zum polnischen Asylverfahren und dessen Praxis sowie zur Versorgungslage von Asylwerbern in Polen sowie die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage rechtsrichtig ausgeführt. Der Asylgerichtshof schließt sich den Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid hinsichtlich beider Spruchpunkte vollinhaltlich an und erhebt diese zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses.

 

Soweit der Asylwerber in seiner Beschwerde geltend macht, dass zwischen ihm und seinen in Österreich lebenden Schwestern, die ihn und seine Familie auch unterstützen würden, ein so enges familiäres Band bestünde, dass er im Falle seiner Ausweisung in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK verletzt wäre, ist Folgendes einzuwenden:

 

Zunächst ergibt sich aus den Einvernahmen des Asylwerbers, dass dieser die Frage, welcher Kontakt seit seiner Einreise in Österreich mit den hier lebenden Schwestern bestünde, dahingehend beantwortet hat, dass seine Schwestern ihn und seine Familie lediglich "einige Male im Monat" in ihrem Quartier besuchen würden (Aktenseite 119), was ansich schon die Behauptung des Vorliegens eines "Familienlebens" iSd Art. 8 EMRK relativiert. Auch die Angaben der Mutter des Asylwerbers, wonach ihre beiden in Österreich lebenden Töchter sie "nicht sehr oft", sondern nur "fallweise" in Österreich besuchen würden (vgl. Verwaltungsakt I.N., ho. Zahl: S5 400.497, Aktenseite 121), indizieren, dass ein derart enges familiäres Band, das eine Ausweisung des Asylwerbers aufgrund eines damit verbundenen Eingriffes in sein Recht auf Art. 8 EMRK unzulässig machen würde, tatsächlich nicht vorliegt. Hinzu kommt, dass der Asylwerber im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3.3.2008 weder die Familiennamen noch die jeweilige Adresse seiner Schwestern in Österreich anzugeben wusste (Aktenseite 75), was wiederum nur den Eindruck verstärkt, dass keine besondere familiäre Verbundenheit zwischen ihm und seinen Schwestern besteht. Es wird nicht verkannt, dass der Asylwerber im Heimatland mit seinen Schwestern bis zu deren Ausreise nach Österreich im Jahr 2003 in einem gemeinsamen Hausalt gelebt haben mag (dies allerdings auch nicht durchgehend; vgl. Aktenseite 243), jedoch kann eine intensive Nahebeziehung zu diesen Verwandten schon aufgrund der Kürze des nunmehrigen Aufenthaltes des Asylwerbers im Bundesgebiet nicht erkannt werden.

 

Auch kann die seit dem Aufenthalt des Asylwerbers in Österreich durch seine in Österreich lebenden Schwestern fallweise erfolgte Unterstützung seiner Familie mit Lebensmitteln bzw. Geld keineswegs ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis seiner Familie zu seinen im Bundesgebiet wohnhaften Schwestern dartun, zumal der Asylwerber auch ausdrücklich verneint hat, dass er und seine Familie vor ihrer Ausreise aus Tschetschenien durch seine Schwestern jemals finanziell unterstützt worden wären (Aktenseite 117).

 

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach die Lebensbedingungen in Polen "nicht so gut wie hier" seien und man keine Unterstützung im Krankheitsfall erhalten würde, ist auf die umfassenden und aktuellen erstinstanzlichen Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides zu verweisen, wonach jedem Asylwerber, der nicht in der Lage ist, für seinen Aufenthalt in Polen selbst aufzukommen, eine umfassende Versorgung gewährt wird, wobei hierzu eine umfassende medizinische Versorgung, Unterkunft und ausreichende Verpflegung gehören (Seite 14 des angefochtenen Bescheides). Soweit der Asylwerber in seiner Beschwerde geltend macht, dass Polen in Bezug auf tschetschenische Asylwerber seine Verpflichtungen aus der GFK verletzen würde, ist einzuwenden, dass seit 2004 keine Fälle bekannt sind, dass Tschetschenen aus Polen abgeschoben worden wären und dass Tschetschenen in Polen regelmäßig subsidiären Schutz (tolerated stay) gewährt wird (Seite 25 f. des angefochtenen Bescheides). Ebenso ergibt sich aus den erstinstanzlichen Feststellungen, dass für Personen, denen subsidiärer Schutz gewährt wurde, das Recht auf Sozialhilfeleistungen und der Zugang zu umfassenden Familienleistungen und auch zum Arbeitsmarkt besteht (Seite 21 f. des angefochtenen Bescheides), sodass letztlich nicht zu befürchten ist, dass der Asylwerber in Polen in eine existentielle Notlage geraten würde.

 

Zu den vom Asylwerber geäußerten Befürchtungen, wonach sein kranker Bruder, der im Jahr 1995 im Heimatland bereits seine älteste Schwester ermordet habe und diesbezüglich auch 5 Jahre inhaftiert gewesen sei, ihn in Polen gegebenenfalls finden und gefährden könnte, ist einzuwenden, dass Polen als Mitgliedstaat der EU selbstverständlich in der Lage und auch willens ist, ihm vor allfälligen Übergriffen Privater effektiv Schutz zu bieten. Umstände, die darauf schließen ließen, dass der Asylwerber in Polen selbst einer unmenschlichen Behandlung iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sind vor dem Hintergrund der erstinstanzlichen Feststellungen letztlich ebenso wenig vorhanden wie dass ihm Polen entsprechenden Schutz versagen würde, sofern ihm im Heimatland unmenschliche Behandlung drohen würde.

 

Soweit der Asylwerber im Beschwerdeschriftsatz gesundheitliche Probleme geltend macht, konkret, psychisch belastet zu sein, unter Schlafstörungen und Angstzuständen zu leiden und weiters Nierenprobleme zu haben, ist einerseits auf die erstinstanzlich durchgeführte medizinische Untersuchung des Asylwerbers hinzuweisen, deren Ergebnis zufolge zwar manche Affekte des Asylwerbers auffällig seien, seiner Überstellung nach Polen allerdings keine schweren psychischen Störungen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung seines Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden, entgegenstünden (Aktenseite 95). Ergänzend sei in diesem Zusammenhang auch auf die Länderfeststellungen zur medizinischen Versorgung in Polen verwiesen, denen zu entnehmen ist, dass in Polen jedenfalls eine umfassende Betreuung und Behandlung von Asylwerbern mit psychologischen Problemen gewährleistet wird (Seite 15 des angefochtenen Bescheides). Letztlich geht aus den erstinstanzlichen Länderfeststellungen hervor, dass die medizinische Betreuung von Asylwerbern in Polen teilweise in einigen Bereichen sogar höheres Niveau als in Österreich aufweist (Seite 20 des angefochtenen Bescheides).

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, Familienverfahren, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, Lebensgrundlage, medizinische Versorgung, private Verfolgung, real risk, staatlicher Schutz, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
20.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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