TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/21 E7 240408-0/2008

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Veröffentlicht am 21.07.2008
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Spruch

E7 240.408-0/2008-7E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. NIKOLAS BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde des G. F., geb. 1969, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.07.2003, 02 15.290 BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.05.2008 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7 und 8 AsylG 1997 idF BGBl. 126/2002 als unbegründet abgewiesen.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch: BF) stellte am 11.06.2002 einen Asylantrag gemäß § 3 AsylG an der Außenstelle Linz des Bundesasylamtes..

 

2. Am 26.02.2003 fand dort eine niederschriftliche Einvernahme des BF statt.

 

Als Identitätsnachweis legte er im Zuge dessen die Kopie eines türkischen Personalausweises, ausgestellt am 21.08.2000 von der zuständigen Behörde, vor.

 

Er brachte auf Befragen in türkischer Sprache vor, er sei in K., Türkei, geboren, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, Moslem, und verheiratet. Sein Vater sei 1997 und seine Mutter 2003 verstorben. Seine Gattin lebe gemeinsam mit den zwei ehelichen Töchtern am letzten Wohnsitz des BW vor der Ausreise in Istanbul, S..

 

Im Ort G. habe er zwischen 1976 und 1981 die Grundschule besucht. Beruflich sei er zwischen 1991 und 1993 in G. in der elterlichen Landwirtschaft, von 1993 bis 2000 in der Stadt E. als Bauarbeiter und zwischen 2001 und dem Juni 2002 in Istanbul als Bauarbeiter tätig gewesen.

 

Seinen Militärdienst habe er von 1989 bis 1991 in K. absolviert. Zuletzt vor der Ausreise aus der Türkei am 07.06.2002 habe er in S., Istanbul, gewohnt.

 

Auf weiteres Befragen gab er an, er habe sich schon seit dem 15. Lebensjahr entschlossen die Heimat zu verlassen, er sei illegal und schlepperunterstützt in einem LKW bis Österreich gereist.

 

Auf Befragen, warum er den Herkunftsstaat verlassen habe, verwies der BW auf die allgemeine Lage der Kurden in der Türkei, deren Rechte von den staatlichen Behörden eingeschränkt würden. Er selbst sei nur insofern politisch tätig gewesen, als er mehrmals in Istanbul an Demonstrationen teilgenommen habe, an deren Daten er sich aber nicht erinnere. In Südanatolien gebe es im Besonderen Probleme für die dortige Bevölkerung. Er selbst habe 1993 vor dem Hintergrund der allgemeinen Ereignisse mit seinen Angehörigen das frühere Heimatdorf verlassen müssen. Er sei seit 1992 verheiratet und habe sein Hab und Gut dort zurücklassen müssen. Es sei generell sehr schwierig gewesen, in der Türkei die materiellen Grundbedürfnisse zu befriedigen. Er wollte daher "schon immer" die Türkei so schnell als möglich verlassen, auch wenn es für ihn sehr schwer war seine Angehörigen dort zurückzulassen.

 

Er sei nicht vorbestraft und auch nie von den Sicherheitsbehörden angehalten bzw. inhaftiert worden.

 

3. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Asylantrag unter Hinweis auf § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II).

 

Begründend wurden - im Gefolge der Wiedergabe der erstinstanzlichen Einvernahme - von der erstinstanzlichen Behörde die Angaben des BF zur Nationalität und Volksgruppenzugehörigkeit der Entscheidung zugrunde gelegt. Diese wurden als nachvollziehbar und glaubwürdig erachtet. Seine genaue Identität sei aber angesichts der Vorlage einer bloßen Kopie eines Personalausweises nicht als erwiesen anzusehen. Die von ihm angekündigte Heiratsurkunde habe er nicht in Vorlage gebracht.

 

Er habe mit seinem übrigen Vorbringen, dem lediglich allgemeine Benachteiligungen der kurdischen Volksgruppe und keine gegen ihn persönlich gerichteten Maßnahmen zu entnehmen waren, weder Verfolgung in asylrelevanter Weise noch stichhaltige Gründe für die Annahme einer Gefährdung iSd § 57 FrG im Falle der Abschiebung in die Türkei glaubhaft gemacht. Er habe demgegenüber die Türkei wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage verlassen.

 

In der Gesamtsicht dessen sei daher nicht glaubhaft, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung drohe und sei daher der Asylantrag abzuweisen.

 

Eine sogen. Gruppenverfolgung von Kurden sei in der Türkei ebenso nicht gegeben.

 

Im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in die Türkei stellte die Behörde fest, dass in der Türkei keine allgemeine Gefahrenlage vorherrsche, durch die praktisch jeder der Gefahr iSd § 57 FrG ausgesetzt wäre. Es lägen daher keine Gründe für die Annahme vor, dass der BF im Falle der Abschiebung einer solchen Gefahr unterworfen wäre. Die Abschiebung sei daher gem. § 8 AsylG zulässig.

 

Der erstinstanzliche Bescheid wurde dem BF am 22.07.2003 persönlich zugestellt.

 

4. Gegen diesen Bescheid richtete sich die fristgerecht mit 04.08.2003 gegen beide Spruchpunkte erhobene Berufung des BF, mit der die erstinstanzliche Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit gerügt und die Abänderung des bekämpften Bescheides im Sinne der Asylgewährung, in eventu der Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung beantragt wurde.

 

Begründend führte der BF über diese Anfechtungserklärung hinaus lediglich aus, daß er seine bisherigen Angaben aufrecht halte, weitere Angaben habe er nicht zu machen.

 

5. Das gg. Verfahren wurde mit 25.01.2006 wegen längerfristiger Erkrankung des vormals zuständigen Mitglieds des Unabhängigen Bundesasylsenats als Berufungsbehörde dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Richter des Asylgerichtshofs zugeteilt. 6. Dieser führte am 19.05.2008 eine mündliche Verhandlung in der Sache des BF durch. Die belangte Behörde war entschuldigt nicht erschienen.

 

Unaufgefordert legte der BF eingangs eine Kopie seines alten, 1992 ausgestellten Personalausweises zum weiteren Nachweis der Identität vor. Der im Jahr 2000 ausgestellte und bereits dem Bundesasylamt vorgelegte Ausweis sei wegen der standesamtlichen Trauung im Jahr "1994 oder 1995" und der deshalb erforderlichen Eintragung der Verehelichung ausgestellt worden. Die Vorlage einer Heiratsurkunde kündigte der BF auf Vorhalt neuerlich an.

 

Zum bisher behaupteten Sachverhalt führte der BF auf Befragen ergänzend aus, dass seine Gattin und die gemeinsamen Kinder weiterhin in Istanbul an der früheren Wohnadresse wohnen. Diese würden in materieller Hinsicht vor allem von der Mutter und den Brüdern der Gattin unterstützt, teilweise auch vom BF selbst soweit er dazu in der Lage sei. Er sei seit der Einreise nach Österreich aber nie legal erwerbstätig gewesen. Darüber hinaus habe der BF in der Türkei Geschwister in E., Bingöl und Istanbul, ein Bruder von ihm lebe in Israel.

 

Im Weiteren wiederholte der BF auf Befragen die früheren Ereignisse in seiner engeren Heimat, nämlich die damaligen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Sicherheitskräften und der PKK, die zum Verlassen des Dorfes und zum Umzug nach E. führten. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Ereignisse sei auch ein Schwager des BF 1994 gewaltsam zu Tode gekommen. Zwischen 1993 und 2001 sei der BF teils in E. und teils in Istanbul gewesen um durch seine dortige Erwerbstätigkeit seine Familie zu ernähren, danach sei er mit seinen Angehörigen ganz nach Istanbul verzogen.

 

Ausdrücklich gab der BF auf Befragen an, außer den erwähnten Ereignissen, die zum Verlassen des Hab und Gutes im Heimatdorf 1993 führten, habe es keine relevanten Vorfälle oder Probleme für ihn mit türkischen Behörden gegeben. Eine Rückkehr in die engere Heimat sei für ihn derzeit nicht denkbar, denn die politische Lage habe sich nicht verbessert, auch die Sicherheitssituation sei seiner Ansicht nach nicht befriedigend. In Istanbul wiederum sei es schwierig eine Lebensgrundlage zu finden.

 

Zu den Einzelheiten wird auf das Verhandlungsprotokoll (OZ 4) verwiesen.

 

Als aktuelle länderkundliche Informationsquelle dem gg. Verfahren zugrunde gelegt und zum Akt genommen wurde von der erkennenden Behörde:

 

Dt. Auswärtiges Amt, Bericht zur aktuellen Lage in der Türkei vom 25.10.2007.

 

7. Mit Schreiben vom 28.05.2008 legte der BF dem Asylgerichtshof eine Kopie seiner Heiratsurkunde, ausgestellt 2000 in A., vor. Dieser ist zu entnehmen, daß der BF seine Gattin 2000 standesamtlich in A. ehelichte (OZ 5).

 

II. Der zur Entscheidung berufene Richter des Asylgerichtshofs hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt und der gg. Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zur Person des Berufungswerbers:

 

Die persönlichen Angaben des BF zu seiner Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und regionalen Herkunft sowie zu seinen familiären Verhältnissen im Herkunftsstaat sowie in Österreich werden in der von ihm behaupteten und oben wiedergegebenen Form der gg. Entscheidung zugrunde gelegt.

 

1.2. Zu den vom BF vorgebrachten Ausreisegründen wird festgestellt:

 

Der BF hat auf konkrete Fragen nach seinen Ausreisemotiven über den gesamten Verfahrensgang hinweg seine Person betreffend darauf verwiesen, daß es im Gefolge des unfreiwilligen Verlassens des früheren Heimatdorfs - vor dem Hintergrund der allgemein bekannten bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem türkischen Militär und kurdischen Partisanen in verschiedenen Landesteilen - in die Stadt E. im Jahr 1993 für ihn schwierig war den Lebensunterhalt für seine Familie zu erwerben, da er seine Landwirtschaft nicht mehr bewirtschaften konnte und daher auf anderweitige Erwerbstätigkeiten vor allem im Baugewerbe in E. und Istanbul angewiesen war. Im letzten Jahr vor der Ausreise sei er mit seiner Familie in Istanbul wohnhaft gewesen, wo sich seine Angehörigen heute noch aufhalten. Konkrete Schwierigkeiten mit türkischen Behörden seit dem Verlassen seines Heimatdorfes im Jahr 1993 verneinte der BF. Anderweitige individuelle Gründe für seine Ausreise seien nicht gegeben gewesen. Darüber hinaus verwies er auf die allgemein schwierige Lage der Kurden und ihre Benachteiligung in der Türkei.

 

Aus diesem Vorbringen ließ sich kein individuelles Bedrohungsszenario den BF betreffend ableiten.

 

Auch im Hinblick auf die bloße Volksgruppenzugehörigkeit des BF war angesichts der allgemeinen Lage der Kurden in der Türkei in Verbindung mit der Tatsache, dass auch im Herkunftsstaat des BF ein erheblicher kurdischer Bevölkerungsanteil einschließlich mehrerer Verwandter des BF lebt, die offenkundig keiner systematischen Verfolgung ausgesetzt sind, eine asylrelevante Gefährdung des BF nicht feststellbar.

 

Im Lichte dieser Feststellungen war insgesamt eine begründete Furcht des BF vor Verfolgung aus den von ihm behaupteten oder aus anderweitigen Gründen im Falle einer Rückkehr in die Türkei nicht feststellbar.

 

Der BF kann sich im Falle der Rückkehr auf seine bereits vor der Ausreise gezeigte Selbsterhaltungsfähigkeit stützen. Darüber hinaus verfügen die verschiedenen Angehörigen des BF, nämlich seine eigenen Familienangehörigen sowie seine weiteren Verwandten sowie die seiner Gattin in seiner Heimat über offenbar hinreichende Existenzmöglichkeiten. Ihm steht auch eine zumutbare Unterkunft bei seinen Angehörigen zur Verfügung. Allenfalls kann er bei anfänglichen materiellen Schwierigkeiten nach der Rückkehr in gewissem Maße auf die Unterstützung seiner Verwandten zurückgreifen. Er hat demnach, soweit es die notwendigen Existenzgrundlage für sich angeht, in diesem Fall - auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Lage in der Türkei - keine Situation zu gewärtigen, die eine unmenschliche Behandlung iSd Art. 3 EMRK darstellen würde.

 

1.3. Zur Lage in der Türkei:

 

Im Hinblick auf die aktuelle Situation in der Türkei wird auf die aktuellen Feststellungen im oben angeführten länderkundlichen Bericht verwiesen. Im Hinblick auf das Vorbringen des BF ist dahin gehend von Bedeutung, dass es bei einem dzt. Anteil der Kurden von etwa einem Fünftel an der Gesamtbevölkerung der Türkei, d.h. etwa 14 Mio. Kurden, der sich auf die gesamte Türkei verteilt und zum größten Teil in die türkische Gesellschaft integriert ist, zu keinen systematischen und weit verbreiteten Repressionen gegen Staatsbürger kurdischer Herkunft kommt.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Als Beweismittel wurden herangezogen:

 

Das erstinstanzliche Verfahrensergebnis

 

Die persönlichen Angaben des BF vor der Berufungsbehörde

 

Die oben angeführten länderkundlichen Feststellungen anhand der angeführten Informationsquelle

 

2.1. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich nach Maßgabe folgender Erwägungen:

 

2.1.1. Die Feststellungen zur Situation in der Türkei bzw. in der früheren Heimat des BF stützen sich auf die Feststellungen der Erstbehörde zum Zeitraum bis 2002 und die länderkundlichen Feststellungen des Asylgerichtshofs selbst die aktuelle Lage in der Türkei betreffend. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität dieser Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.

 

2.1.2. Die Feststellungen zur Identität, ethnischen und regionalen Herkunft des BF ergeben sich aus dem Akteninhalt und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, ebenso die Feststellungen zu den genaueren Lebensumständen des BF vor der Ausreise und denen seiner Angehörigen und Verwandten damals wie heute.

 

Soweit die erstinstanzliche Behörde die genaue Identität des BF (noch) nicht als erwiesen ansah, ist ergänzend auszuführen, daß diese im Lichte aller (wenn auch in Kopie) vorgelegten Dokumente des BF in Zusammenschau mit dem übrigen Vorbringen als hinreichend geklärt und damit als nachgewiesen anzusehen war.

 

2.1.3. Die Feststellungen zu den vom BF behaupteten Ausreisegründen gründen sich auf das entsprechende Vorbringen des BF über die gesamte Verfahrensdauer hinweg Aus diesem war letztlich kein asylrelevantes aktuelles Bedrohungsszenario den BF betreffend abzuleiten (vgl. oben unter II.1.2.).

 

2.1.4. Die Feststellungen oben zur fehlenden Rückkehrgefährdung - in Form eventueller Ermangelung einer hinreichenden Lebensgrundlage - stützen sich ebenso auf das eindeutige Ermittlungsergebnis in Form der persönlichen Darstellung des BF.

 

III. Rechtlich folgt:

 

1. Gemäß § 75 (1) AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005, sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG idF BGBl I Nr. 101/2003 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt. Der Berufungswerber hat seinen Asylantrag am 02.10.2002 gestellt. Das gegenständliche Verfahren ist somit nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG) zu führen.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005, diesem hinzugefügt durch Art. 2 Z. 54 Asylgerichtshofgesetz AsylGHG 2008, sind am 1.Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Gem. § 75 Abs. 7 Z. 1 haben Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofs ermannt wurden, alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in den bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen. Im gg. Fall war daher vor dem Hintergrund des oben dargestellten Verfahrensverlaufs der unten zeichnende Richter des Asylgerichtshofs als Einzelrichter zur Fortsetzung des vor dem 1. Juli 2008 begonnenen Verfahrens und zur Entscheidung über die gg. Anträge des BF berufen.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

3. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zugrundeliegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sei, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011; VwGH 21.09.2000, 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

 

Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, und ist ihm dort die Inanspruchnahme inländischen Schutzes auch zumutbar, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, 98/01/0352; 15.3.2001, 99/20/0134; 15.3.2001, 99/20/0036). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

 

3.1. Vor dem Hintergrund der oben getroffenen Feststellungen zur aktuellen Situation in der Türkei war den BF betreffend angesichts der zu seinem Vorbringen getroffenen Feststellungen (vgl. oben) aus den folgenden Gründen keine aktuelle begründete Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat feststellbar:

 

Dem BF gelang es aus den oben dargelegten Gründen nicht glaubhaft darzulegen, dass er vor der Ausreise einer asylrelevanten Verfolgung in der Türkei unterlegen war noch dass er einer solchen bei einer Rückkehr in die Türkei unterliegen würde, weshalb eine Subsumierung des Vorbringens unter die Verfolgungstatbestände der GFK nicht möglich war. Auch eine eventuell aus anderen Gründen bestehende aktuelle Verfolgungsgefahr war aus Sicht der Behörde im Lichte der aktuellen länderkundlichen Feststellungen nicht feststellbar.

 

Das Beschwerdebegehren war daher hinsichtlich Spruchpunkt I abzuweisen.

 

4. Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat nach § 57 Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75/1997 (FrG), zulässig ist; diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.

 

Gemäß Art. 5 § 1 des Fremdenrechtspakets BGBl. I 100/2005 ist das FrG mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft getreten; am 1.1.2006 ist gemäß § 126 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (Art. 3 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge: FPG) das FPG in Kraft getreten. Gemäß § 124 Abs. 2 FPG treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des FrG verwiesen wird, an deren Stelle die entsprechenden Bestimmungen des FPG. Demnach wäre die Verweisung des § 8 AsylG auf § 57 FrG nunmehr auf die "entsprechende Bestimmung" des § 50 FPG zu beziehen.

 

Gemäß § 50 Abs. 1 FPG ist die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, die Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde, oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung Fremder in einen Staat oder die Hinderung an der Einreise aus einem Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 GFK), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative.

 

Da sich die Regelungsinhalte beider Vorschriften (§ 57 FrG und § 50 FPG) nicht in einer Weise unterscheiden, die für den vorliegenden Fall von Bedeutung wäre, lässt sich die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die sich - unmittelbar oder mittelbar - auf § 57 FrG bezieht, insoweit auch auf § 50 FPG übertragen.

 

Zur Auslegung des § 57 FrG ist die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum inhaltsgleichen § 37 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, heranzuziehen. Danach erfordert die Feststellung nach dieser Bestimmung das Vorliegen einer konkreten, den Berufungswerber betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427). Im Übrigen ist auch im Rahmen des § 8 AsylG zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

4.1. Eine mögliche Gefährdung des BF iSd des § 50 Abs. 2 FrG im Herkunftsstaat ist vor dem Hintergrund der Feststellungen oben zur Frage der Asylrelevanz des Vorbringens jedenfalls zu verneinen.

 

Ausgehend vom Vorbringen des BF sowie auch von der Lageeinschätzung des Asylgerichtshofs auf der Grundlage der eingesehenen Berichte sind darüber hinaus derart exzeptionelle Umstände, die eine Rückführung im Hinblick auf innerhalb oder außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen lassen könnten, im Falle des BF ebenfalls nicht ersichtlich (vgl. zu Art. 3 EMRK z.B. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

 

Hinzu kommt, dass vor dem Hintergrund der vom BF selbst dargestellten Lebensverhältnisse seiner Familienangehörigen und übrigen Verwandten sowie der eigenen früheren Lebensumstände und Fähigkeiten auch nicht ersichtlich ist, dass er bei einer Rückführung in den Herkunftsstaat in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (wie etwa Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden oder ausweglosen Situation ausgesetzt wäre.

 

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Annahme des Bundesasylamtes, es lägen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Gefahr im Sinne des § 57 FrG (respektive § 50 FPG) vor, als mit dem Gesetz in Einklang stehend, und geht auch der Asylgerichtshof in der Folge von der Zulässigkeit der Abschiebung des BF in die Türkei gem. § 8 AsylG aus.

 

5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Lebensgrundlage, non refoulement, soziale Verhältnisse, Unterkunft, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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