TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/21 C2 312450-1/2008

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Veröffentlicht am 21.07.2008
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Spruch

C2 312450-1/2008/14E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Marth als Einzelrichter über die Beschwerde des T.U., geb. 00.00.1977, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.05.2007, FZ. 06 08.065-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.06.2008 zu Recht erkannt:

 

I. Der Berufung wird stattgegeben und T.U. gemäß § 3 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass T.U. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

II. Der Berufung wird hinsichtlich Spruchpunkt II. stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

Die nunmehr berufende Partei hat am 2.8.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wurde der unter i. bezeichnete Antrag der berufenden Partei mit im Spruch bezeichneten Bescheid vom 15.5.2007, erlassen am 23.5.2007, sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Auf die Erlassung einer Ausweisung des Berufungswerbers wurde durch das Bundesasylamt verzichtet.

 

Mit am 31.5.2007 bei der Behörde eingebrachter Berufung wurde gegen den im Spruch bezeichneten Bescheid berufen.

 

Vom entscheidenden Richter des Asylgerichtshofes wurde am 14.2.2008 und am 16.6.2008 jeweils eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers und eines Sachverständigen abgehalten.

 

Im Verfahren vor dem Asylgerichtshof wurden folgende Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Berufungswerbers in das Verfahren als Beweismittel eingeführt:

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Oktober 2007

 

Amnesty International, ai Jahresbericht 2007, Todesstrafe für alle Straftaten abgeschafft, 01.01. bis 31.12.2006

 

Home Office, Operational Guidance Note Turkey, April 2007

 

Home Office, Country of Origin Information Report Turkey, März 2007

 

Human Rights Watch, Turkey, Jänner 2007

 

Schweizer Flüchtlingshilfe, Türkei, Zur Aktuellen Situation, Oktober 2007

 

U.S. Department of State, Turkey, Country Reports on Human Rights Practices, März 2007

 

Weiters wurden im Verfahren vor dem Bundesasylamt bzw. vor dem Asylgerichtshof folgende Beweismittel vorgelegt oder von Amts wegen beigeschafft:

 

Ein auf den Berufungswerber lautender Reisepass samt mehrerer österreichischen Aufenthaltstitel von 8/99 bis 3/04;

 

ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten eines medizinischen Sachverständigen und

 

ein länderkundliches Gutachten eines Sachverständigen für Türkei und Kurden.

 

II.

 

a. Die nachfolgenden Feststellungen gründen sich auf die oben erwähnten Beweismittel und auf den gesamten erstinstanzlichen Verwaltungsakt sowie auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof.

 

b. Festgestellt wird:

 

Die berufende Partei führt den Namen T.U., ist am 00.00.1977 geboren und türkischer Staatsangehöriger.

 

Die Identität der berufenden Partei steht auf Grund eines vorgelegten, unbedenklichen Identitätsdokuments fest.

 

Die berufende Partei hat eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe durch Privatpersonen und staatliche Organe glaubhaft gemacht.

 

Der Berufungswerber gab an, dass er die Türkei verlassen habe, um in Österreich frei zu studieren, da er homosexuell sei und in der Türkei deswegen massive Probleme gehabt hätte. Er sei schon als Kind von einem Bekannten jahrelang sexuell missbraucht worden und habe immer wieder Probleme - auch mit Polizisten - bekommen, da man ihm ansehen würde, dass er homosexuell sei. Er sei in der Türkei vier Mal vergewaltigt worden, unter anderem auch von Polizisten.

 

Des Weiteren hätte er - auch auf Grund seiner Homosexualität - Angst vor der ihm noch bevorstehenden Ableistung des Wehrdienstes.

 

Auf Grund seiner Erlebnisse in der Türkei habe der Berufungswerber auch psychische Probleme.

 

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung konnte der Berufungswerber den entscheidenden Richter überzeugen, dass er homosexuell sei. So kannte der Berufungswerber die Umstände, unter denen Menschen wie er in der Türkei leben müssten, die einschlägigen Örtlichkeiten und konnte das Verhalten der Polizisten sowie sonstiger Peiniger lebensnahe und glaubhaft beschreiben.

 

Weiters ergibt sich aus dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen, dass der Berufungswerber an einer Anpassungsstörung mit länger dauernder depressiver Reaktion leidet, die sich auf Grund der Belastung durch die Konflikte wegen seiner Homosexualität entwickelt hätten.

 

Auch hat der Sachverständige für die Türkei festgestellt, dass erkennbare Homosexuelle, wie der Berufungswerber, Gewalt seitens Dritter ausgesetzt sind und sie sogar von staatlichen Organen in "Schutzhaft" genommen und als Auslöser der Angriffe angesehen werden. Auch sei die Homosexualität im Orient sehr schlecht angesehen.

 

Insgesamt ist das Vorbringen des Berufungswerbers als glaubhaft festzustellen und der rechtlichen Würdigung zu Grunde zu legen. Der Berufungswerber wurde also wegen seiner Angehörigkeit zur sozialen Gruppe der Homosexuellen von Privatpersonen und staatlichen Organen mehrfach vergewaltigt und misshandelt, er fürchtet daher zumindest subjektiv, aber objektiv nachvollziehbar, weitere Verfolgung im Herkunftsstaat wegen der Zugehörigkeit zur genannten sozialen Gruppe.

 

All dies ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren, insbesondere aus den erwähnten Gutachten und den glaubhaften Aussagen des Berufungswerbers.

 

Die staatlichen Organe sind hinsichtlich der Verfolgung durch Privatpersonen zwar schutzfähig aber wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nicht schutzwillig.

 

Es ist dem Berufungswerber, der einerseits auch von staatlichen Organen vergewaltigt wurde und andererseits über die diskriminierende, sich auch aus dem Gutachten des Sachverständigen für die Türkei ergebende Verwaltungs- und Gerichtspraxis nicht zuzumuten, sich unter den Schutz der zumindest potentiell schutzunwilligen Organe zu stellen; zweifelsohne begründet sich die Schutzunwilligkeit der türkischen Organe aus der Homosexualität des Berufungswerbers.

 

All dies ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren, insbesondere aus dem erwähnten Gutachten und den glaubhaften Aussagen des Berufungswerbers.

 

Der berufenden Partei steht eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung.

 

Da sich im Verfahren - insbesondere auch aus dem Gutachten des Sachverständigen für die Türkei - ergeben hat, dass die Probleme des Berufungswerbers wohl in der gesamten Türkei bestehen würden, insbesondere etwa auch in einer noch viel untoleranteren ländlichen Gegend, besteht keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative für den Berufungswerber.

 

All dies ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren, insbesondere aus dem erwähnten Gutachten und den glaubhaften Aussagen des Berufungswerbers.

 

Es liegen keine Gründe vor, nach denen die berufende Partei von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen ist.

 

Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

 

c. Rechtlich folgt daraus:

 

c.1.: Zur Berufung gegen Spruchpunkt I des im Spruch genannten Bescheides

 

Anzuwenden war das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG 2005"), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter; ebenso entscheidet der Asylgerichtshof gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005 durch Einzelrichter, wenn im vor dem 1.7.2008 anhängigen Verfahren bereits vor diesem Zeitpunkt eine Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat stattgefunden hatte; dies ist im vorliegenden Verfahren der Fall, sodass der erkennende Richter als Einzelrichter zur Entscheidung zuständig war.

 

Gemäß § 3 AsylG 2005 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in Folge: GFK), droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

 

Die berufende Partei konnte eine aktuell bestehende Verfolgung durch Privatpersonen und auch staatliche Organe glaubhaft machen. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ist auch hervorgekommen, dass die staatlichen Organe - unbeschadet ihrer Schutzfähigkeit - nicht schutzwillig sind, da der Berufungswerber homosexuell ist und dass ihm keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht. Da keine Gründe vorliegen, nach denen die berufende Partei von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen wäre, war der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und festzustellen, dass dem Berufungswerber kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

c.2.: Zur Berufung gegen Spruchpunkt II des im Spruch genannten Bescheides

 

Zur Anwendbarkeit der relevanten Rechtsvorschriften und zur Zuständigkeit des entscheidenden Senates siehe oben c.1. i. und ii..

 

Da der Berufung gegen Spruchpunkt I des im Spruch bezeichneten Bescheides statt zu geben war, war Spruchpunkt II des im Spruch bezeichneten Bescheides pro forma zu beheben.

 

c.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Eingriff in sexuelle Selbstbestimmung, gesamte Staatsgebiet, gesundheitliche Beeinträchtigung, Gutachten, Schutzunwilligkeit, sexuelle Orientierung, soziale Gruppe, Zurechenbarkeit
Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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