TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/22 E2 221497-2/2008

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Veröffentlicht am 22.07.2008
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Spruch

E2 221.497-2/2008-3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Huber-Huber als Einzelrichter über die Beschwerde des D.E., geb. 00.00.1961, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.06.2008, FZ. 08 04.239-EAST West, zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerde wird im Sinne des § 68 Abs 1 AVG hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF; vormals Berufungswerber), ein Staatsangehöriger der Türkei und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte erstmals am 22.03.1991 einen Asylantrag, welchen er im Wesentlichen damit begründete, er werde in der Türkei aufgrund seiner kurdischen Abstammung in allen Lebensbereichen benachteiligt und verfolgt. Mit Bescheid vom 08.05.1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich in Erledigung dieses Asylantrages fest, dass der BF nicht Flüchtling und daher auch nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung hat der BF am 31.10.1991 zurückgezogen und ist freiwillig in sein Herkunftsland zurückgekehrt.

 

2. Am 23.10.2000 stellte der BF nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet erneut einen Asylantrag, welchen er in seinen Einvernahmen vom 06.10.2000 und 09.01.2001 zusammengefasst damit begründete, türkische Spezialeinheiten würden ihn beschuldigen, die PKK zu unterstützen, und deshalb nach ihm suchen. Im September oder Oktober 1998 habe sein Vater Schafe zur Weide gebracht, als Mitglieder der PKK gekommen wären und ihm zwangsweise zehn Schafe abgekauft hätten. Jemand habe seinen Vater und ihn wegen Unterstützung der PKK angezeigt. Daraufhin seien türkische Spezialeinheiten gekommen und hätten den BF und seinen Vater 14 Tage festgehalten und gefoltert. Danach seien sie wieder freigelassen worden, der Vater des BF sei jedoch einen Monat darauf an den Folgen der Folter gestorben. Drei Monate später sei der BF vorgeladen worden, woraufhin er sein Dorf verlassen habe und nach Istanbul gegangen sei, wo er sich eineinhalb Jahre aufgehalten habe. Als er die Nachricht erhalten habe, dass er gesucht werde, habe er die Türkei verlassen.

 

Mit Bescheid vom 21.02.2001, Zl. 00 14.592-BAL, wies das Bundesasylamt Außenstelle Linz den Asylantrag des BF vom 23.10.2000 ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in die Türkei für zulässig. Begründend führte es aus, dass die Angaben des BF über weite Teile unglaubwürdig seien.

 

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 30.11.2006, Zl. 221.497/0-II/39/01, nach Durchführung von mündlichen Berufungsverhandlungen am 25.06.2002 und 22.11.2005 mit der Begründung ab, dass dem Vorbringen des BF jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen sei.

 

Mit Beschluss vom 23.01.2007, Zl. 2006/01/0891-4, lehnte der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde des BF gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates ab.

 

3. Am 14.05.2008 brachte der BF abermals einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Im Zuge der Erstbefragung am 16.05.2008 vor der Erstaufnahmestelle West gab der BF an, seine Fluchtgründe würden sich mit seinen Angaben im ersten Asylantrag [gemeint jener vom 23.10.2000] decken (AS 15). Am 20.05.2008 langte beim Bundesasylamt eine Vollmachtsbekanntgabe ein, wonach der BF die Rechtsanwälte Dr. Günther Klepp, Dr. Peter Nöbauer, Mag. Franz Hintringer, Mag. Rupert Primetshofer mit der rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt hat (AS 39). Bei der Einvernahme am 20.05.2008 vor der Erstaufnahmestelle West führte der BF aus, die in seinen früheren Aussagen getätigten Gründe seien noch gültig (AS 51). Er wolle nicht in die Türkei zurückfahren, da er Angst habe. Dort wo er herkomme, gebe es ständig Krieg. Mehrere Häuser seines Dorfes seien zerstört worden. Früher habe es 250 Häuser gegeben, jetzt nur noch

50. Durch die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Streitkräften und PKK-Anhängern im Nordirak sei die Situation im Heimatdorf des BF verschärft worden. Weil er bereits festgenommen und gefoltert worden sei und dies mit seiner angeblichen Verbindung zur PKK begründet worden sei, fühle er sich um so mehr in Furcht und Unruhe versetzt und habe er Angst vor neuerlichen Folterungen im Falle seiner Rückkehr in die Türkei. Im Zuge der Einvernahme vom 02.06.2008 legte der BF Fotos vor, welche beweisen sollen, dass sein Heimatdorf G. in der Provinz Bingöl bombardiert worden sei. Auch legte er mehrere Nachrichtenmeldungen vor, welche allesamt von Luftangriffen türkischer Streitkräfte im Nordirak bzw. im Grenzgebiet der Türkei zum Irak handeln.

 

Mit Bescheid vom 03.06.2008, Zl. 08 04.239-EAST West, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz des BF vom 14.05.2008 wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.) und wies den BF in die Türkei aus (Spruchpunkt II.; AS 129 ff). Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass der BF im neuerlichen Asylverfahren keine weiteren asylrelevanten Gründe vorgebracht, sich kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben bzw. sich die den BF treffende allgemeine maßgebliche Lage im Herkunftsstaat nicht geändert habe. Insbesondere habe sich durch die Angriffe der türkischen Armee auf Stellungen der PKK im Nordirak keine geänderte Sachlage ergeben, da nicht zuletzt aufgrund der großen Entfernung des Heimatortes des BF zum irakischen Grenzgebiet keine konkrete subjektive Gefährdung des BF zu erkennen sei. Die vom BF vorgelegten Fotos seien nicht geeignet, die Bombardierung seines Heimatdorfes zu beweisen, zumal aus ihnen weder der Ort noch das Aufnahmedatum hervorgeht. In Bezug auf die in Österreich aufhältigen Verwandten, liege keine derartige Beziehungsintensität vor, dass ein Familienleben gemäß Art 8 EMRK vorliegen würde. Zwar sei ein Eingriff in das Recht auf Privatleben des BF gegeben, doch sei dieser gerechtfertigt, zumal dem BF bei der Antragstellung klar sein musste, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz nur ein vorübergehender ist. Überdies wohne seine Frau mit seinen Kindern im Herkunftsland.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 16.06.2008 fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde). Es würden neue Asylgründe bestehen. Die Heimatprovinz des BF, Bingöl, sei erwiesener Maßen massiv durch kriegerische Auseinandersetzungen zwischen türkischen Streitmächten und PKK-Anhängern beeinträchtigt. Zudem sei das Heimatdorf des BF, G., Anfang des Jahres 2007 von der PKK bzw. vom türkischen Militär zerstört worden. Die Ausweisung des BF in die Türkei sei unzulässig, da zu den beiden Familienangehörigen, mit denen er gemeinsam wohne, und zu weiteren Familienangehörigen ein Familienleben iSd Art 8 EMRK vorliege. Aufgrund der sozialen Kontakte zu seinen Arbeitskollegen liege ein schützenswertes Privat- und Familienleben iSd Art 8 EMRK vor. Aufgrund des nunmehr beinahe 8-jährigen Aufenthalts in Österreich bestehe eine starke soziale Integration in Österreich.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß dem Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, wurde der Asylgerichtshof - bei gleichzeitigem Außerkrafttreten des Bundesgesetzes über den unabhängigen Bundesasylsenat - eingerichtet und treten die dort getroffenen Änderungen des Asylgesetzes mit 01.07.2008 in Kraft; folglich ist das AsylG 2005 ab diesem Zeitpunkt in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 anzuwenden.

 

1. Zuständigkeit des erkennenden Einzelrichters

 

1.1. Gem. § 61 Absatz 3 entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5;

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Absatz 1 AVG, und

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

Gemäß § 22 Absatz 1 ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses.

 

1.2. Da sich die gegenständliche Beschwerde gegen den Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückweisenden Bescheid des Bundesasylamtes sowie gegen die mit dieser Entscheidung verbundene Ausweisung richtet, hat der Asylgerichtshof durch Einzelrichter zu entscheiden.

 

Insbesondere aufgrund der mit der Entscheidung des Asylgerichtshofes gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG zu verbindenden Ausweisung ist die Entscheidung des Asylgerichtshofes als "in der Sache selbst" anzusehen und hat daher in Form eines Erkenntnisses zu ergehen.

 

2. Anzuwendendes Verfahrensrecht

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat das erkennende Gericht, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gem. § 75 (1) des Asylgesetzes 2005, BGBl I Nr. 4/2008 (AsylG 2005) sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz am 16.05.2008 gestellt, weshalb das AsylG 2005 zur Anwendung gelangt.

 

3. Vorliegen einer entschiedenen Sache

 

3.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gem. § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Entschiedene Sache liegt immer dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben. Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. z.B. VwGH 27.09.2000, 98/12/0057). Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den eine positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH 22.12.2005, 2005/20/0556; 26.07.2005, 2005/20/0343, mwN).

 

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen. Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235; 15.10.1999, 96/21/0097). Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235). Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH 09.09.1999, 97/21/0913). Die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages wegen geänderten Sachverhaltes darf ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden sind. In der Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid können derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (VwGH 04.04.2001, 98/09/0041). Dies bezieht sich auf Sachverhaltsänderungen, welche in der Sphäre des Antragstellers gelegen sind. Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).

 

"Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder - falls entschiedene Sache vorliegt - das Rechtsmittel abzuweisen oder - falls dies nicht zutrifft - den bekämpften

 

Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (vgl. VwGH 30.5.1995, 93/08/0207).

 

"Sache" des vorliegenden Berufungsverfahrens iSd § 66 Abs. 4 AVG ist somit nur die Frage, ob das Bundesasylamt zu Recht den neuerlichen Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

 

3.2.1. Der BF begründete seinen am 23.10.2000 gestellten Antrag (im Folgenden: Erstantrag) damit, dass er seine Heimat habe verlassen müssen, da ihn türkische Spezialeinheiten beschuldigen würden, die PKK zu unterstützen, und deshalb nach ihm suchen würden. Im September oder Oktober 1998 habe sein Vater Schafe zur Weide gebracht, als Mitglieder der PKK gekommen wären und ihm zwangsweise zehn Schafe abgekauft hätten. Jemand habe seinen Vater und ihn wegen Unterstützung der PKK angezeigt. Daraufhin seien türkische Spezialeinheiten gekommen und hätten den BF und seinen Vater 14 Tage festgehalten und gefoltert. Danach seien sie wieder freigelassen worden, der Vater des BF sei jedoch einen Monat darauf an den Folgen der Folter gestorben. Drei Monate später sei der BF vorgeladen worden, woraufhin er sein Dorf verlassen habe und nach Istanbul gegangen sei, wo er sich eineinhalb Jahre aufgehalten habe. Als er die Nachricht erhalten habe, dass er gesucht werde, habe er die Türkei verlassen.

 

Hinsichtlich des am 16.05.2008 gestellten Antrag auf internationalen Schutz (im Folgenden: Zweitantrag) gab der BF an, seine Fluchtgründe würden sich mit seinen Angaben im Erstantrag decken (AS 15) und seine in früheren Aussagen getätigten Gründe seien noch gültig (AS 51). Er wolle nicht in die Türkei zurückfahren, da er Angst habe. Dort wo er herkomme [Anmerkung: G. in der Provinz Bingöl], gebe es ständig Krieg. Mehrere Häuser seines Dorfes seien zerstört worden. Früher habe es 250 Häuser gegeben, jetzt nur noch 50. Durch die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Streitkräften und PKK-Anhängern im Nordirak sei die Situation im Heimatdorf des BF verschärft worden. Weil er bereits festgenommen und gefoltert worden sei und dies mit seiner angeblichen Verbindung zur PKK begründet worden sei, fühle er sich um so mehr in Furcht und Unruhe versetzt und habe er Angst vor neuerlichen Folterungen im Falle seiner Rückkehr in die Türkei.

 

Sofern der BF hinsichtlich seines Zweitantrages vorbringt, seine im Zuge des Erstantrages vorgebrachten Fluchtgründe seien noch gültig, ist dies als ein Anbringen des BF zu werten, welches die Abänderung eines der Berufung nicht mehr unterliegenden Bescheides begehrt, zumal die formelle Rechtskraft des - den Erstantrag des BF erledigenden - Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates mit der Zustellung am 01.12.2006 (AS 170) eingetreten ist. Darüber hinaus sei noch angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof die gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 23.01.2007 abgelehnt hat (AS 192). Somit ist dem Bundesasylamt nicht entgegenzutreten, wenn es das neuerliche Vorbringen des BF, wonach er in seinem Heimatland von türkischen Spezialeinheiten festgenommen, gefoltert und nunmehr gesucht werde, weil man ihm vorgeworfen habe, die PKK zu unterstützen, wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat, wurde doch bereits im Erstverfahren sowohl vom Bundesasylamt als auch vom Unabhängigen Bundesasylsenat die Unglaubwürdigkeit des diesbezüglichen Vorbringens des BF festgestellt.

 

Neu brachte der BF im Zweitantrag jedoch vor, dass sein Heimatdorf G. in der Provinz Bingöl von türkischen Streitkräften bombardiert worden sei und die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Streitkräften und PKK-Anhängern im Nordirak die Situation im Heimatdorf des BF verschärft hätten. Dem BF gelang es jedoch nicht die im Vergleich zum Erstverfahren behauptete Sachverhaltsänderung glaubhaft zu machen. Zwar versuchte er die Bombardierung seines Heimatdorfes durch Vorlage von Fotos, welche zusammengestürzte Bauwerke zeigen, zu belegen. Zu Recht hegte das Bundesasylamt aber Zweifel an der Beweiskraft der vorgelegten Bilder, zumal aus diesen weder der Ort noch das Aufnahmedatum hervorgeht. Die Erstbehörde stellte zur Lage in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei fest, dass es im Oktober 2007 im Zuge einer militärischen Operation auf Kurdengebiete im Nordirak zu Luftangriffen der türkischen Luftwaffe auf kurdische Dörfer im Nordirak gekommen ist (Bescheid S. 14), jedoch ist den Länderfeststellungen nicht zu entnehmen, dass das Heimatdorf des BF, G., noch andere Dörfer in der Provinz Bingöl von diesen Luftangriffen durch das türkische Militär betroffen gewesen wären. Auch aus den vom BF im Zweitverfahren vorgelegten Nachrichtenmeldungen (Beilagen ./7 bis ./12) ist diesbezüglich nichts zu gewinnen. Handeln die ins Treffen geführten Nachrichtenmeldungen doch allesamt von den Militäraktionen der türkischen Streitkräfte im Nordirak. Aus den vorgelegten Berichten geht jedoch nicht hervor, dass es im Heimatdorf bzw. in der Heimatprovinz des BF zu Militäraktionen, insbesondere zur - wie vom BF behauptet - Bombardierung von Privathäusern gekommen wäre.

 

Zusammenfassend ist auszuführen, dass eine Bedrohung des BF in dessen Heimatdorf aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Streitkräften und PKK-Anhängern im Nordirak sowie eine Bombardierung seines Heimatdorfes seitens des türkischen Militärs vom BF nicht glaubhaft gemacht wurde und mangels glaubhaften Kern der behaupteten Sachverhaltsänderung keine wesentliche Änderung des Sachverhalts eingetreten ist. Dem Bundesasylamt ist daher nicht entgegenzutreten, wenn es von keinem neuen objektiven Sachverhalt ausgeht und den Antrag auf internationalen Schutz vom 16.05.2008 wegen entschiedener Sache zurückweist.

 

3.2.2. Auch im Hinblick auf die maßgebliche Rechtslage sind keine solchen Änderungen eingetreten, die zu einer inhaltlichen Prüfung des gegenständlichen Antrages vom 16.05.2008 führen würden. Zwar liegt dem rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren ein Asylantrag gemäß § 3 Asylgesetz 1997 zu Grunde, der gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen wurde. Dem nunmehrigen Verfahren hingegen liegt ein Antrag auf Internationalen Schutz im Sinne des § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005 zu Grunde, der nach den Bestimmungen dieses neuen Gesetzes zu prüfen ist. Das Asylgesetz 2005 in der geltenden Fassung stellt aber gegenüber dem Asylgesetz 1997 keine wesentliche Änderung der Rechtslage in dem Sinne dar, dass die geänderten Bestimmungen - hätten sie schon bei Erlassung des rechtskräftigen Erstbescheides bestanden - zu einer anders lautenden Entscheidung hätten führen können (vgl. dazu allgemein VwGH 17.03.1988, 86/06/0159; siehe hiezu auch Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht3, 221). Ebenso wie nach der alten Rechtslage ist nach der neuen die Glaubhaftmachung einer Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (idF des Artikel 1 Absatz 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) conditio sine qua non in Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, nach vormaliger Diktion in Hinblick auf die Gewährung von Asyl. Zumal sich weder Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) inhaltlich geändert hat, noch das Asylgesetz 2005 andere - für den Asylwerber günstigere - Anforderungen an die Glaubhaftmachung asylrelevanter Verfolgung statuiert, wäre die seinerzeitige Entscheidung - wären die Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 damals schon in Geltung gestanden - gleich lautend gewesen, zumal dem BF eben diese Glaubhaftmachung nicht gelungen ist.

 

Die Sperrwirkung einer rechtskräftigen nach dem Asylgesetz 1997 ergangenen Entscheidung für ein nach dem Asylgesetz 2005 anhängiges Verfahren bringt der Gesetzgeber nunmehr in § 75 Absatz 4 Asylgesetz 2005 explizit zum Ausdruck:

 

§ 75 Übergangsbestimmungen

 

...

 

(4) Ab- oder zurückweisende Bescheide auf Grund des Asylgesetzes, BGBl. Nr. 126/1968, des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, sowie des Asylgesetzes 1997 begründen in derselben Sache in Verfahren nach diesem Bundesgesetz den Zurückweisungstatbestand der entschiedenen Sache (§ 68 AVG).

 

3.2.3. Da dem gegenständlichen Folgeantrag des BF kein auf einem geänderten asylrelevanten Tatsachensubstrat basierendes Vorbringen zugrunde liegt, welches darüber hinaus einen "glaubhaften Kern" aufweist, und auch keine Änderung in der Rechtslage eingetreten ist, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides abzuweisen.

 

4. Unzulässigkeit der Ausweisung des BF

 

4.1. § 10 Asylgesetz lautet:

 

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird;

 

...

 

(2) Ausweisungen nach Abs. 1 sind unzulässig, wenn

 

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht

 

zukommt oder

 

2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden.

 

(3) Wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

 

(4) Eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, gilt stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

4.2. Das Bundesasylamt ist gemäß § 58 Absatz 1 Asylgesetz die in erster Instanz sachlich zuständige Asylbehörde, die innerhalb des in § 1 Asylgesetz normierten Anwendungsbereiches über Anträge auf Internationalen Schutz im Sinne des § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz bescheidmäßig abzusprechen, so hin Entscheidungen gemäß § 22 Absatz 1 Asylgesetz zu fällen hat. Auch wenn sich eine bescheidmäßige Erledigung des Bundesasylamtes inhaltlich nur auf Verfahrensvorschriften stützt und nur über die darin geregelten verfahrensrechtlichen Rechtsverhältnisse abspricht (verfahrensrechtlicher Bescheid), wie dies beispielsweise bei einer Antragszurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz der Fall ist, so ergeht dieser verfahrensrechtliche Bescheid aber dennoch aus Anlass des vom Anwendungsbereich des § 1 Asylgesetz umfassten Asylverfahrens, mit dem materielles Recht vollzogen wird. Unter Zugrundelegung einer zuständigkeitsrechtlichen Betrachtensweise, nach welcher der Materiengesetzgeber im Asylgesetz 2005 dem Bundesasylamt die Entscheidungen in Asylangelegenheiten als Behörde erster Instanz zugewiesen hat (vgl. hiezu allgemein Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz I (2004), § 1 Rz 7 mit Hinweis auf VfSlg 2425/1952 und 8466/1978), handelt es sich - nach Ansicht des erkennenden Richters des Asylgerichtshofes - auch bei einer verfahrensrechtlichen Zurückweisungsentscheidung um eine "Entscheidung nach diesem Bundesgesetz" im Sinne von § 10 Absatz 1 erster Halbsatz Asylgesetz. Folglich war das Bundesasylamt zur Verbindung der Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz des BF vom 16.05.2008 nach § 68 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz mit einer Ausweisung gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 1 Asylgesetz zuständig.

 

4.3. Gemäß § 10 Abs 2 Z 2 AsylG ist eine Ausweisung unzulässig, wenn diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würde. Bei Ausspruch der Ausweisung kann ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens vorliegen (Art. 8 Abs 1 EMRK).

 

4.3.1. Der Begriff des "Familienlebens" in Artikel 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern, sondern auch zB Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben im Sinne des Artikel 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Artikel 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus. Die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. dazu EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981,118; EKMR 14.3.1980, 8986/80 EuGRZ 1982,311; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1).

 

Auch der Verwaltungsgerichtshof führt beispielsweise in seinem Erkenntnis vom 21.01.2006, Zahl 2002/20/0423, aus, dass die Beantwortung der Frage, "ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens iSd Art. 8 MRK ein Familienleben vorliegt, [...] nach der Rechtsprechung des EGMR jeweils von den konkreten Umständen ab[hängt], wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind (Hinweis Entscheidung EGMR 13. Juni 1979, Marckx gegen Belgien; Entscheidung EGMR 12. Juli 2001, K. und T. gegen Finnland; E VfGH 15. Oktober 2004, G 237/03; E VfGH 1. März 2005, B 1242/04)."

 

Im Lichte der dargestellten Judikatur reicht die bloße Verwandtschaft zwischen Erwachsenen nicht aus, um von einem nach Artikel 8 EMRK geschützten Familienleben zu sprechen. Hiezu bedarf es der Existenz jener weitergehenden Bindungsfaktoren, wie sie die (restriktive) Rechtssprechung der Straßburger Instanzen und der nationalen Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts berücksichtigt, und die über die normalen emotionalen Bindungen von erwachsenen Verwandten hinausgehen. Allerdings darf das Kriterium der "Abhängigkeit" nicht isoliert betrachtet oder zu eng ausgelegt werden, sondern bedarf es einer ganzheitlichen Bewertung (siehe hiezu ebenfalls VwGH 21.01.2006, Zahl 2002/20/0423; zur Reichweite von Artikel 8 EMRK vgl. auch zuletzt VwGH 08.06.2006, Zahl 2003/01/0600).

 

Die Beziehung der bereits volljährigen Kinder zu den Eltern ist vor allem dann geschützt, wenn jene auch nach Eintritt der Volljährigkeit im Haushalt der Eltern weiterleben, ohne dass sich ihr Naheverhältnis zu den Eltern wesentlich ändert (Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 860 unter Hinweis auf Wiederin in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 8 EMRK Rz 76).

 

Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR im Fall Cruz Varas gegen Schweden).

 

4.3.1.1. Der BF brachte im Verfahren vor, eine Schwester von ihm lebe seit 30 Jahren in Deutschland. In Österreich befänden sich sein Schwager, P.I., welcher österreichischer Staatsbürger sei (AS 45), sein Onkel, B.B., welcher bereits seit 35 Jahren in Österreich lebe und seine Cousine, D.A.. Weiters lebe er mit seinen Cousins, K.E. und B.M. zusammen. Das Bundesasylamt stellte im erstinstanzlichen Bescheid fest, dass die Angaben des BF zur Ausweisung der weiteren rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden (AS 175). In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesasylamt aus, dass in Bezug auf die Verwandten keine derartige Beziehungsintensität festgestellt werden konnte, welche den Schluss zuließe, dass mit diesen Personen in Österreich ein schützenswertes Familienleben gemäß Art 8 EMRK vorliegen würde (AS 183). Dieser Ansicht ist im Ergebnis beizupflichten. Hinsichtlich seiner in Deutschland lebenden Schwester kann schon allein aufgrund der örtlichen Distanz zwischen den beiden kein Familienleben iSd Art 8 EMRK vorliegen, welches eine Ausweisung des BF in die Türkei unzulässig machen würde, zumal der BF auch angab, finanziell von dieser nicht abhängig zu sein. Man würde sich zwar gegenseitig besuchen, dennoch ist daraus keine dermaßen enge Beziehung abzuleiten, welche ein Familienleben iSd Art 8 EMRK begründen könnte. Selbiges gilt auch für den Schwager des BF, für dessen Cousine sowie für dessen Onkel, war der BF doch nicht einmal in der Lage, deren Wohnadresse anzugeben (AS 49), obwohl der BF angab, dass sie sich ständig besuchen würden. Auch hinsichtlich der beiden Cousins, die gemeinsam mit dem BF wohnen, ist ein Vorliegen eines Familienlebens iSd Art 8 EMRK zu verneinen, ist aus der Aussage des BF vom 02.06.2008 doch zu entnehmen, dass der Zweck der eingegangenen Wohngemeinschaft lediglich die Aufteilung der anfallenden Mietkosten ist (AS 75), zumal sie im Heimatland zwar im selben Dorf, jedoch nicht in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt haben.

 

Ein Eingriff im das Familienleben des BF durch seine Ausweisung in die Türkei liegt daher nicht vor.

 

4.3.2. Ist im gegenständlichen Fall ein Eingriff in das Familienleben des BF zu verneinen, so bleibt noch zu prüfen, ob mit der Ausweisung ein Eingriff in dessen Privatleben einhergeht und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Artikel 8 Absatz 2 EMRK).

 

4.3.2.1. Nach der Rechtssprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u. a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat, unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) auch in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

 

Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Ausweisungs- und Abschiebungspraxis der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art "Handreichung des Staates" - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. GHIBAN gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; DRAGAN gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde. Der EGMR hat diese Frage zwar noch nicht abschließend entschieden, jedoch in Fallkonstellationen das Recht auf Privatleben erörtert, in denen ein legaler Aufenthalt der Beschwerdeführer nicht vorlag. Hat er in der Rechtssache GHIBAN (aaO.) zu einem rumänischen Staatsangehörigen, der wegen Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden konnte, die Frage letztlich noch offen gelassen ("Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Aufenthalt des Bf. unter diesen Umständen eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Privatlebens war..."), so nahm er in der bereits mehrfach zitierten Rechtssache SISOJEVA (aaO.) einen Eingriff in das Privatleben an, obwohl die Beschwerdeführer in Lettland keinen rechtmäßigen Aufenthalt hatten.

 

Wenn man - wie die aktuelle Judikaturentwicklung des EGMR auch erkennen lässt - dem Aufenthaltsstatus des Fremden für die Beurteilung des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben keine Relevanz beimisst, so wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Schrankenprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK Berücksichtigung zu finden haben.

 

4.3.2.2. Der BF reiste Mitte Oktober 2000 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich mittlerweile beinahe acht Jahre in Österreich auf. Er ist seit Anfang 2004 ständig bei einem Bauunternehmen beschäftigt und verfügt über eine Arbeitsbewilligung bis 2010. In Österreich befinden sich sein Schwager, sein Onkel und seine Cousine. Zudem bildet der BF gemeinsam mit seinen Cousins, K.E. und B.M., eine Wohngemeinschaft.

 

Aufgrund der beinahe 8-jährigen Aufenthaltsdauer in Österreich, der regelmäßigen Erwerbstätigkeit, welcher der BF in Österreich nachgeht, und der sonstigen in Österreich - insbesondere zu seinen Verwandten und Arbeitskollegen - gepflegten sozialen Beziehungen stellt eine Ausweisung des BF jedenfalls einen Eingriff in dessen Privatleben dar.

 

4.3.2.3. Es bleibt zu prüfen, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Artikel 8 Absatz 2 EMRK). Der Eingriff in das Privatleben des BF durch dessen Ausweisung müsste hinsichtlich des verfolgten legitimen Ziels verhältnismäßig sein. Die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung ist dann gegeben, wenn das staatliche Interesse an der Einhaltung der öffentlichen Ordnung das Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich überwiegt.

 

Im gegenständlichen Fall kann nicht davon gesprochen werden, dass die öffentlichen Interessen an der Ausweisung des BF dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiegen würden. Insbesondere ist das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung hinsichtlich der Einhaltung der öffentlichen Ordnung nicht dringend geboten, zumal der BF während seines Aufenthalts in Österreich nicht straffällig geworden ist. Weiters ist der BF in der Lage, seine Lebenserhaltungskosten aufgrund seiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit selbst zu bestreiten und ist er auf keine Unterstützungszahlungen des Staates oder karitativer Einrichtungen angewiesen.

 

Eine Interessenabwägung führt somit zu dem Ergebnis, dass das Interesse des BF an einem Verbleib die öffentlichen Interessen an einer Ausweisung überwiegt. Ein mit der Ausweisung des BF einhergehender Eingriff in dessen Privatleben ist daher nicht verhältnismäßig bzw. notwendig iSd Art 8 Abs 2 EMRK.

 

Folglich ist der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesasylamtes stattzugeben und die in Spruchpunkt II. des Bescheides ausgesprochene Ausweisung des BF in die Türkei ersatzlos zu beheben.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Aufenthalt im Bundesgebiet, bestehendes Familienleben, EMRK, familiäre Situation, Familienbegriff, Glaubwürdigkeit, Integration, Intensität, Interessensabwägung, Lebensgrundlage, Prozesshindernis der entschiedenen Sache, soziale Verhältnisse, Spruchpunktbehebung, Volljährigkeit
Zuletzt aktualisiert am
13.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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