TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/22 S5 400561-1/2008

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Veröffentlicht am 22.07.2008
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Spruch

S5 400.561-1/2008/2E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Benda als Einzelrichter über die Beschwerde des K.A., geb. 00.00.1988, StA. von Weißrussland, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.6.2008, Zahl: 08 04.571-EAST-West, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG stattgegeben, der Asylantrag zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Asylwerber ist Staatsangehöriger von Weißrussland und ist zusammen mit seiner Mutter mittels eines von Tschechien ausgestellten vom 21.5.2008 bis 27.5.2008 gültigen Visums über Tschechien am 22.5.2008 ins österreichische Bundesgebiet eingereist, wo er am 26.5.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat (Aktenseite 19 f. u. 183).

 

Mit E-mail vom 30.5.2008 ersuchte Österreich Tschechien um die Übernahme des Asylwerbers. Mit Schreiben vom 10.6.2008 übermittelte Tschechien die Zustimmung zur Übernahme des Beschwerdeführers gemäß 9 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) (Aktenseite 67).

 

Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt erklärte der Antragsteller nach Vorhalt, dass Tschechien zur Prüfung seines Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, dass er nicht nach Tschechien wollte, da in Österreich seine Familie sei (Aktenseite 127).

 

Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.6.2008, Zahl: 08 04.571-EAST-West, gem. § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und der Antragsteller gem. § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Tschechien ausgewiesen.

 

Gegen diesen Bescheid hat der Asylwerber fristgerecht Beschwerde erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, dass das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid verkannt habe, dass er im Falle seiner Ausweisung aus Österreich in seinem Recht auf Achtung des Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK verletzt wäre. Er habe seit der Flucht seines Vaters aus Weißrussland vor 5 Jahren ständig mit seiner Mutter zusammengelebt, auch habe diese ihn finanziell unterstützt. Sein Vater habe ihn von Österreich aus ständig finanziell unterstützt, auch sei der Kontakt zu seinem Vater seit dessen Ausreise aus Weißrussland nie abgebrochen. Die Beziehung zwischen ihm und seinen Eltern sei durch ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis gezeichnet.

 

Feststeht, dass der Vater des Asylwerbers wie auch seine Mutter als anerkannte Flüchtlinge im österreichischen Bundesgebiet zum dauernden Aufenthalt berechtigt sind. Der Asylwerber ist bei seinen Eltern im Bundesgebiet aufrecht gemeldet (vgl. ZMR-Abfrage vom 22.7.2008).

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.

 

Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.

 

§ 61 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

(1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

(2) Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, und

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 41 (3) 2. Satz AsylG ist das Verfahren zuzulassen, wenn der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben ist.

 

Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) lautet wie folgt:

 

Abweichend von Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

 

Zunächst ist festzuhalten, dass der Asylgerichtshof sich den Ausführungen des Bundesasylamtes hinsichtlich der grundsätzlich gegebenen Unzuständigkeit Österreichs zur Prüfung des Asylantrages des Asylwerbers anschließt: Der Asylwerber ist nachweislich mit einem von Tschechien ausgestellten von 21.5.2008 bis 27.5.2008 gültigen Visum über Tschechien in Österreich eingereist, wo er am 26.5.2008 einen Asylantrag gestellt hat, sodass letztlich dem Bundesasylamt zuzustimmen ist, dass eine Zuständigkeit Tschechiens als der Staat, der für den Asylwerber ein zum Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gültiges Visum ausgestellt hat (Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung2, 2006, K7 zu Art. 9, Seite 89), zur Übernahme des Beschwerdeführers und zur Prüfung seines Asylantrages auf der Grundlage des Art. 9 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) besteht. Eine solche Zuständigkeit wurde von Tschechien auch fristgerecht anerkannt (vgl. Aktenseite 67).

 

Gemäß der - mittlerweile ständigen - Rechtssprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes (VfGH vom 8.3.2001, G 117/00 u. a., VfSlG 16.122; VwGH vom 23.1.2003, Zl. 2000/01/0498) ist auf Kriterien der Art. 3 und 8 EMRK bei Entscheidungen gemäß § 5 AsylG, ungeachtet des Fehlens einer diesbezüglichen Anordnung in der Bestimmung selbst, Bedacht zu nehmen. Sohin ist zu prüfen, ob der Asylwerber im Falle der Zurückweisung seines Asylantrages und seiner Ausweisung nach Tschechien gem. §§ 5 und 10 AsylG - unter Bezugnahme auf seine persönliche Situation - in seinem Recht gem. 8 EMRK (eine mögliche Verletzung seines Rechts gemäß Art. 3 EMRK wurde vom Asylwerber nicht geltend gemacht) verletzt werden würde, wobei der Maßstab des "real risk" anzulegen ist.

 

Der Asylwerber macht in seiner Beschwerde geltend, im Falle seiner Ausweisung aus Österreich in seinem Recht auf Art. 8 EMRK verletzt zu werden, da er mit seinen Eltern ein "Familienleben" iSd Art. 8 EMRK führen würde und weiters von diesen finanziell abhängig sei.

 

Hierzu ist auszuführen, dass das Vorliegen eines "Familienlebens" iSd Art. 8 EMRK laut ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern ipso iure nur bis zum Erreichen der Volljährigkeit letzterer angenommen wird. Danach wird die Beziehung des Kindes zu den Eltern nur dann als "Familienleben" iSd Art. 8 EMRK zu qualifizieren sein, wenn eine "hinreichend stark ausgeprägte" Nahebeziehung besteht, wofür nach Ansicht der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung ist (VfSlg 17.340/2004; VwGH 26.1.2006, 2002/20/0423, jeweils unter Berufung auf die Rsp des EGMR). IdS hat der VfGH auch im Fall einer 21-jährigen Türkin ein Familienleben bejaht, die zu ihren Eltern nach Österreich gezogen war und in deren Haushalt lebte (VfSlg 17.457/2005). Zum gleichen Ergebnis gelangt der VwGH bei einem gleichaltrigen Türken, der ebenfalls mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt zusammenlebte, von ihnen finanziell unterstützt wurde und das bereits in der Heimat geführte Familienleben fortsetzte (VwGH 26.1.2006, 2002/20/0423). Folgt man dieser Rechtsprechungslinie der GH öffentlichen Rechts, so ergibt sich daraus, dass bei erwachsenen Kindern ein Familienleben dann anzunehmen ist, wenn diese auch nach Eintritt der Volljährigkeit im Haushalt der Eltern weiterleben, ohne dass sich ihr Naheverhältnis zu den Eltern wesentlich ändert (vgl. hierzu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, ÖJZ 2007/74, S. 852 ff.).

 

Ausgehend von den Aussagen des Asylwerbers, an dessen Glaubwürdigkeit auch das Bundesasylamt keine Zweifel gehegt hat, hat dieser seit der Flucht seines Vaters aus Weißrussland vor fünf Jahren bis zur eigenen Ausreise ununterbrochen zusammen mit seiner Mutter im selben Haushalt gelebt. Es wird nicht verkannt, dass der Asylwerber in seiner Heimat bereits ein eigenes Einkommen erwirtschaftet hat, jedoch hat dieser glaubwürdig dargelegt, dennoch auf eine zusätzliche materielle Unterstützung durch seine Mutter angewiesen gewesen zu sein, wie auch, mit seinem Vater trotz der räumlichen Trennung seit dessen Ausreise nach Österreich ständig in intensivstem Kontakt gestanden zu sein (Aktenseite 123). Der Asylwerber hat durch Vorlage eines Konvoluts an Überweisungsbelegen (Aktenseite 143 ff.) überdies nachgewiesen, bereits vor seiner eigenen Ausreise nach Österreich durch seinen Vater regelmäßig finanzielle Unterstützung erhalten zu haben und von diesem auch aktuell im Rahmen seines nunmehrigen Aufenthaltes im Bundesgebiet materielle Zuwendungen zu empfangen (Aktenseite 123). Aus dem zentralen Melderegister ist ersichtlich, dass der Asylwerber an derselben Adresse seiner Eltern aufrecht gemeldet ist.

 

Vor dem Hintergrund, dass der erst 19-jährige Asylwerber in seiner Heimat durchgehend mit seiner Mutter zusammengelebt hat und dem Umstand, dass dieser gemeinsam mit seiner Mutter (mit welcher er bis dato ein Familienleben geführt hat) die Heimat verlassen hat und ins österreichische Bundesgebiet eingereist ist, nunmehr bei beiden Eltern wohnhaft ist, von beiden Elternteilen sowohl in der Vergangenheit als auch aktuell materielle Unterstützung erhalten hat, erschiene bei einer abwägenden Gesamtbetrachtung eine nunmehrige Trennung des Asylwerbers von seinen in Österreich befindlichen Angehörigen durch seine isolierte Rückschiebung nach Tschechien als unbillige Härte, sodass in casu die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) geboten erscheint.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, bestehendes Familienleben, familiäre Situation, Intensität, Interessensabwägung, Selbsteintrittsrecht, Zuständigkeitsmangel
Zuletzt aktualisiert am
21.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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