E10 230.197-0/2008-27E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Hermann LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde der A.V., geb.00.00.1970, StA. von der Republik Kosovo, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.07.2002 FZ. 01 14.193-BAS, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 7 AsylG Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF, BGBl. I Nr. 129/2004 als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Der Asylgerichtshof nimmt den nachfolgenden Sachverhalt als erwiesen an:
1. Bisheriger Verfahrenshergang
1.1. Die Beschwerdeführerin, Staatsangehörige der Republik Kosovo, reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 18.06.2001 einen Asylantrag ein. Dazu wurde sie an den im bekämpften Bescheid ersichtlichen Daten von einem Organwalter des Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenem Bescheid vollständig wiedergegeben.
1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.07.2002 FZ. 01 14.193-BAS wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I). Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in deren -damaligen- Herkunftsstaat Jugoslawien, Provinz Kosovo, wurde gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt II). In weiterer Folge wurde der BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung in dem aus dem Akteninhalt ersichtlichen Umfang erteilt, welche verlängert wurde.
1.3. Gegen den abweislichen Bescheid gem. § 7 AsylG wurde mit Schriftsatz vom 22.07.2002 innerhalb offener Frist "Berufung" [nunmehr: "Beschwerde"] erhoben. Diese Berufung [nunmehr "Beschwerde"] wurde mit Schriftsatz vom 22.5.2005 ergänzt. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Der weitere wesentliche Verfahrenshergang stellt sich wie folgt dar:
1.4. Am 1.4.2008 führte der Unabhängige Bundesasylsenat eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. Deren wesentlicher Verlauf wird wie folgt wieder gegeben:
...
Der VL teilt der BW und dem BWV die Verfügung des Vorsitzenden des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 14.8.2007 mit, wonach die gegenständliche Rechtssache dem bisher zuständigen Senatsmitglied Mag. Lammer abgenommen und dem VL zugewiesen wurde.
Ebenso teilt der VL der BW mit, dass dieser im Rahmen einer genauen Aktendurchsicht im Zuge der Vorbereitung der Berufungsverhandlung feststellte, dass sich hierin ein an den Unabhängigen Bundesasylsenat gerichteter Asylerstreckungsantrag für den nachgeborenen Sohn L. befindet, welcher am 16.8.2006 gem. § 6 AVG an das Bundesasylamt per Fax weitergeleitet wurde.
Weitere Erhebungen ergaben, dass dem Kind vom Bundesasylamt der Status des subsidiärer Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde. Der entsprechende Bescheid (im Akt liegt eine per E-Mail übermittelte Gleichschrift auf) erwuchs mangels Ergreifens eines Rechtsmittels am 29.8.2006 in Rechtskraft.
Die BW wird aufgefordert nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen und wird belehrt, dass unrichtige Angaben bei der Entscheidung im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sind. Ebenso wird auf ihre Verpflichtung zur Mitwirkung an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes hingewiesen und dass auch mangelnde Mitwirkung in der Entscheidung zu berücksichtigen ist.
...
VL: Wie ist die Verständigung mit dem Dolmetscher?
BW: Sehr gut.
VL: Ich wurde von Frau Dr. L., AK OÖ hinsichtlich verschiedener Anfragen zum Stand des Sie betreffenden Asylverfahrens kontaktiert. Sind Sie damit einverstanden, dass der Unabhängige Bundesasylsenat die gewünschten Auskünfte erteilt?
BW: Ja ich bin damit einverstanden.
VL: Ist neben dem nunmehrigen Vollmachtsverhältnis mit Dr. BLUM jenes mit Dr. MORY noch aufrecht?
BW: Das Vollmachtsverhältnis zu Dr. MORY besteht nicht mehr.
VL: Haben Sie bei Ihren bisherigen Aussagen vor dem Bundesasylamt -abgesehen Ihrer Berufungsergänzung vom 22.6.2005 (ua. Bekanntgabe des Aufenthaltes in der BRD)- immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtig stellen?
BW: Ja ich habe immer die Wahrheit gesagt und haben nichts richtig zu stellen.
VL: Hat sich an den Gründen Ihrer Asylantragstellung seit Erhalt des erstinstanzlichen Bescheides etwas geändert?
BW: Es gibt keine Änderungen, die Probleme bestehen immer noch. Er hat geheiratet. Ich habe ein Kind mit ihm, ich habe es aber noch nie gesehen. Seit 1993 habe ich keinen Kontakt mehr zu meinem Kind und meinem Ex-Mann. Ich bin jetzt mit einem Georgier zusammen, mit ihm habe ich meinen Sohn. Meine Familie ist dagegen. Ich habe auch drei Schwestern in Österreich, zwei sprechen mit uns aber eine nicht.
VL an anwesenden Lebensgefährten: Welchen Aufenthaltstitel haben Sie in Österreich?
Lebensgefährte: Ich bin Asylwerber.
VL: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (physisch und psychisch)?
BW: Ich bin nervös und es geht mir nicht besonders gut. Ich habe versucht, zu einem Psychiater zu gehen, aber ich schämte mich.
Die Verhandlung wird für 5 Minuten unterbrochen, da BW weint.
Es wird AS 5 vom anwesenden Dolmetscher übersetzt: Während des Krieges hielt ich mich in Albanien auf und ich habe dort einen Brief erhalten, wonach ich mich bei der UCK zu melden hatte. Ich habe diesen Befehl aber nicht befolgt, da ich Angst hatte und bin bis jetzt in Albanien geblieben. Ich bin hergekommen, weil ich keinen anderen Ausweg hatte. Ich habe Angst in den Kosovo zurückzukehren.
Der Akteninhalt einschließlich der erstinstanzlichen Entscheidung und der Inhalt der Berufung werden mit dem BW erörtert.
Hierzu gibt die BW Folgendes an: Der Fluchtweg hat der Wahrheit entsprochen. Ich reiste vom Kosovo nach Deutschland und dann weiter nach Österreich. Ich war seit 14 Jahren nicht mehr im Kosovo. Der erstinstanzliche Akt wurde richtig wiedergegeben.
VL: Ist Ihnen der Inhalt der Berufungsschrift bekannt?
BW: Ja.
VL: Halten Sie den Inhalt der Berufungsschrift und die dort gestellten Anträge aufrecht?
BW: Ja.
VL: Aus welchem Teil des Kosovo stammen Sie?
BW: Ich stamme aus der Stadt F..
VL: Schildern Sie Ihre privaten und familiären Verhältnisse im Kosovo.
BW: Meine Eltern sind gestorben. Ich habe zwei Halbbrüder väterlicherseits, welche im Kosovo leben. Diese lebten früher in England. Danach gefragt gebe ich an, dass ich mit meinen Halbbrüdern nicht rede. Erst recht, seitdem ich mit meinem Lebensgefährten zusammen bin. Ich habe noch einen Bruder in Deutschland. Ich habe noch drei weitere Schwestern in Österreich. Ich hatte früher Kontakt zu ihnen, sie haben mir auch Dokumente nach Österreich geschickt. Ich lege nunmehr diese Dokumente vor (diese werden in Kopie als Beilage 1-3 zum Akt genommen, Inhalt der Dokumente wird erörtert).
VL: Hinsichtlich der von Ihnen namhaft gemachten F.B. und L.C. wird Ihnen mitgeteilt, dass erstere laut ZMR zwischenzeitig öStGB und zweitere gem. Auszug aus dem AIS und ZMR nicht Asyl gewährt wurde, sie verfügt aber offensichtlich über einen fremdenrechtlichen Aufenthaltstitel.
BW: Frau B. wurde vor ein paar Monaten österreichische Staatsbürgerin. Ich habe noch eine weitere Schwester, M.M., sie ist auch Österreicherin. Ich war nicht in der GVS, sondern meine Schwester hat mich unterstützt.
VL: Aufgrund des Akteninhaltes ist davon auszugehen, dass Sie der Volksgruppe der Albaner angehören, aus einem mehrheitlich von Albanern bewohnten Gebiet stammen und sich zum Islam bekennen.
BW: Ja, das stimmt.
VL: Können Sie zum bisher behaupteten, ausreisekausalen Sachverhalt irgendwelche weiteren Bescheinigungsmittel vorlegen?
BW: Nein.
VL: Warum nicht?
BW: Diese Dokumente sind bereits 3-4 Jahre alt. Wir haben einen Termin beim Standesamt fixiert, eine Hochzeit ist nicht möglich, da ich vom Kosovo keine weiteren Dokumente bekomme.
VL: Sie gaben in der bereits erwähnten Berufungsergänzung vom 22.6.2005 an, seit Mitte der Neunzigerjahre in der BRD als Asylwerberin aufhältig gewesen zu sein. Ist das richtig?
BW: Ja, das stimmt, im Jahre 1995 war ich in Deutschland aufhältig. Danach gefragt gebe ich an, dass ich direkt von Deutschland nach Österreich gekommen bin. Ich habe einen Brief erhalten, wonach ich mich am 14. melden soll, da ich aber Angst hatte, inhaftiert zu werden, nahm ich diesen Termin nicht wahr.
VL: Aus der Übersetzung aus AS 5 geht hervor, dass Sie angaben, während des Krieges in Albanien gewesen zu sein.
BW: Meine Angaben, entsprechen alle der Wahrheit. Ich habe damals angegeben, dass ich in Albanien war, um nicht nach Deutschland zurückgeschoben zu werden. Danach gefragt gebe ich an, dass ich 1990 bzw. 1991 die Aufforderung der UCK bekam.
VL: Das würde heißen, ca. 2 Jahre vor Ihrer Hochzeit?
BW: Ja. Ich war damals Krankenschwester. Ich habe damals ehrenamtlich gearbeitet für eine Gesellschaft. Ich habe Menschen in ihren Häusern besucht und auch betreut. Ich wurde 1989 auch vergiftet. Es gibt auch ein Buch darüber, wo mein Name vorkommt. Ich war in meinen jungen Jahren politisch tätig. Man kann es recherchieren und ich habe es auch angegeben.
VL: Wer hat Sie denn vergiftet?
BW: Es war im Jahr 1989, als viele Sachen im Kosovo passierte. Danach gefragt gebe ich an, dass es die Serben machten. Auch heute gibt es noch Menschen, die immer noch krank sind. Es gibt Menschen, die ich behandelte, die dann nach Deutschland oder in die Schweiz gereist sind.
VL: Brachten Sie vor den deutschen Asylbehörden den selben Sachverhalt vor wie hier in Österreich?
BW: Nein, habe ich nicht. Vielleicht hätte ich in Deutschland Asyl bekommen, wenn ich die Wahrheit gesagt hätte. Es wurde meinen Bruder damals geraten, mich als minderjährig zu melden, damit ich bei ihnen wohnen kann. Ansonsten hätte ich in einer staatlichen Unterkunft wohnen müssen. Das war der Fehler, den wir begangen haben. Ich konnte als minderjährige Person keine politischen Verfolgungen angeben.
VL: Unter welchen Namen haben Sie in Deutschland einen Asylantrag gestellt?
BW: Unter dem selben Namen, ich gab mich aber als 16 oder 17-jährig aus. An das genaue von mir angegebene Geburtsdatum kann ich mich nicht mehr erinnern.
VL: Sind sie damit einverstanden, dass der Unabhängige Bundesasylsenat über das Bundesasylamt, Grundsatz- und Dublinabteilung vom BAMF eine Aktenkopie des Sie betreffenden Asylverfahrens anfordert, aus der auch ihre Angaben zur Begründung ihres Asylantrages in Deutschland hervorgeht?
BW: Ja, es ist kein Problem. Meine Mutter starb als ich 14 Jahre alt war. Ich habe angegeben, dass ich keine Verwandten mehr im Kosovo habe und nach Deutschland gereist bin um bei meinem Bruder zu leben. Ich wurde auch gefragt, ob ich politische Probleme im Kosovo hätte, dies habe ich verneint.
VL: Wollen Sie die Gründe, warum Sie den Kosovo verlassen haben noch einmal schildern, oder entspricht die Schilderung vor dem BAA der Wahrheit?
BW: Ich habe damals die Wahrheit gesagt. Ich kenne zwar die Personen, mit denen ich zusammenarbeitete und kann auch das Geburtsdatum nennen, kann aber den Namen nicht angeben.
VL: Warum können Sie den Namen nicht angeben?
BW: Weil ich mit ihnen nicht rede und ihnen auch keine Probleme machen will.
VL: Wann haben Sie geheiratet?
BW: 1992 habe ich geheiratet und 1993 haben wir uns wieder getrennt. Danach gefragt gebe ich an, dass am 00.00.1992 das Familienfest stattfand. Wann wir standesamtlich geheiratet haben, kann ich nicht genau sagen. Ca. 2 Monate später heirateten wir standesamtlich.
VL: Wo haben Sie geheiratet?
BW: In der Gemeinde V..
VL: Wie hießt Ihr damaliger Gatte und wann ist er geboren?
BW: Er heißt I.R., es ist 1971 geboren. Das genaue Geburtsdatum weiß ich nicht mehr.
VL: Wo lebten Sie mit Ihrem Gatten?
BW: Im Dorf B..
VL: Handelte es sich dabei um eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus oder um ein Einfamilienhaus?
BW: Wir lebten in einem Haus, wir hatten dort drei Zimmer. Dort wohnten seine Eltern. Insgesamt lebten dort 14 Personen im Familienverband.
VL: Wem gehörte das Haus?
BW: Das Haus gehörte meinem Schwiegervater.
VL: Wie heißt der Schwiegervater?
BW: Die Schwiegermutter hieß N., der Name des Schwiegervaters fällt mir jetzt nicht ein, er war damals glaublich 46 / 47 Jahre alt. Ich weiß auch, dass er 5-6 Monate, nachdem ich das Haus verlassen habe, verstorben ist.
VL: Wie kann ein Ortsunkundiger das Haus finden?
BW zeichnet Skizze, diese wird als Beilage 4 zum Akt genommen. Von V. fährt man ca. 3-4 Kilometer nach B., dort ist es das dritte oder vierte Haus rechter Hand. Zwischen V. und B., befindet sich der Ort, wo wir standesamtlich heirateten.
VL: Wie heißt das Kind, das aus der Ehe stammt und wann und wo wurde es geboren?
BW: Das Kind heißt E.R. und ist am 00.00.1993 geboren.
VL: Bei welcher Behörde wurde die Geburt registriert?
BW: Ich denke in V.. Mein Ex-Mann machte es. Es war früher so, dass die Frauen weniger Rechte hatten, wir durften so etwas nicht machen.
VL: Wo befindet sich das Kind zurzeit?
BW: Bei seinem Vater.
VL: Wissen Sie, wie es ihm geht?
BW: Nein. Ich habe keinen Kontakt. Mein Bruder hat versucht Kontakt zu meinem Kind aufzunehmen, doch es hat nicht gelungen. Auch meine Verwandten erzählen mir nicht viel, wie es ihm geht. Sie wollen nicht, dass ich mir Sorgen mache.
VL: Gibt es Verwandte im Kosovo, mit denen Sie Kontakt haben?
BW: Nein, auch nicht mit Freunden.
VL: Haben Sie einmal versucht, die Pflege und Obsorge für das Kind zu erhalten?
BW: Wir haben versucht, dass eine Sitzung im Dorf abgehalten wird in der darüber entschieden wird, aber sie waren nicht einverstanden. Eine Versöhnung wäre aber Vorraussetzung gewesen, um darüber zu reden. Wenn es mir möglich wäre, dann würde ich heute noch das Kind wollen. Ich glaube aber nicht, dass es mir möglich ist.
VL: Sind Sie mit Ihrem Gatten noch verheiratet?
BW: Ja, normalerweise schon. Ich weiß, dass er geheiratet hat und fünf Kinder hat.
VL: Was wissen Sie alles über Ihren Mann, nachdem Sie ihn verlassen haben?
BW: Nein, ich weiß sonst nichts über ihn. Es hat mal vor 3 oder 4 Jahren einen Streit zwischen meinem Bruder und ihm gegeben. Meine Schwägerin erzählte es mir, den mein Bruder wollte nicht, dass ich es weiß. Sie haben sich in einem Kaffee gegenseitig geschlagen.
VL: Wie heißt Ihr Bruder und wohnt er?
BW: Er heißt L.A.. Er wohnt in der Stadt F.. Früher hieß die Straße H., die Namen wurden geändert und ich glaube, dass sie jetzt D. heißt. In der Nähe befindet sich eine Bushaltestelle und ein Taxistand. Vom Taxistand aus kann man das Haus sehen. Ca. 300-400 Meter vom Taxistand entfernt befindet sich das Haus. Es gab beim Taxistand auch früher ein Kaffeehaus, wo sich Pensionisten aufhalten.
VL: Wünschen Sie, dass Ihnen in Beilage 1 ersichtlichen und während der Verhandlung einsehbaren Quellen einschließlich des Berichts von Attache Pichler vom 20.03.2008 zur Lage im Kosovo sowie die daraus ableitbaren Kernaussagen zur Kenntnis gebracht werden, oder wünschen Sie eine Ausfolgung eines Exemplars an ihren Vertreter mit der Einräumung einer angemessenen Frist zur Abgabe einer Stellungnahme?
BW: Ich bin mit einer schriftlichen Stellungnahme einverstanden.
VL: In welcher Form und wo erhielten Sie die Aufforderungen der UCK?
BW: Das habe ich damals mündlich erfahren. Es gab damals noch keine Armee der UCK, sondern verschiedene Gruppen, die sich später zusammengeschlossen haben. Ich habe einen Brief erhalten, auf dem auch der Adler aufgebracht war, ich habe ihn weggeschmissen. Ich habe später auch weitere Dokumente erhalten. Ich war in der serbischen Zeit auch zwei Tage in Haft, ich war damals 16 oder 17 Jahre alt. Ich hatte damals politische Dokumente am Grundstück meines Vaters eingegraben. Diese wurden von der serbischen Polizei mit einem Metallsuchgerät gefunden, das war der Grund warum ich zwei Tage in Haft war.
VL: Was wollte die UCK genau von Ihnen?
BW: Ich war Krankenschwester und ich hätte in der Nacht aushelfen sollen. Ich hätte auch kämpfen sollen. Ich war Mitglied der LDK.
VL: Zu welcher konkreten Handlung wurden Sie aufgefordert?
BW: Ich hätte mich an einem bestimmten Datum einer Gruppe anschließen sollen.
VL: Wie hätte das konkret vor sich gehen sollen?
BW: Mein Name stand drin und ich wurde dazu aufgefordert. Es war nicht unterschrieben.
VL: Was stand konkret im Schreiben?
BW: Frau A.V. wird aufgefordert an diesem Tag um 22:00 Uhr sich zu melden. Die Adresse, wo ich mich melden sollte, weiß ich nicht mehr. Ich bin nicht hingegangen, weil ich wusste, dass ich nicht mehr zurückkomme.
VL: Wie viele Aufforderungen haben Sie erhalten bzw. wie viele Kontaktaufnahmen erfolgten?
BW: Zwei Mal. Dann habe ich nichts mehr bekommen. Danach gefragt gebe ich an, dass es in einem Abstand von nicht länger als eine Woche war.
VL: Warum hat Sie Ihr Mann geschlagen?
BW: Wir haben uns zum ersten Mal zwei Wochen vor der Eheschließung gesehen. Es war uns damals nicht möglich, dass man länger zusammen ist oder miteinander ausgeht. Wir kannten uns eben nicht. Er hat dann auch erfahren, dass ich politisch tätig bin. Er stammt aus einer armen Familie. Sie waren arbeitslos. Man konnte in der Familie als Frau nicht die eigene Meinung äußern. Er hat mich sehr oft geschlagen, und wenn ich ihn fragte warum, sagte er, weil ich seine Gefangene bin.
VL: Von Ihnen befürchtete Übergriffe stellen nach dem kosovarischen Strafgesetzbuch (in Verhandlung elektronisch einsehbar) amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar, welche die Sicherheitsbehörden bei Gefahr im Verzuge (Tatbegehungs- oder Tatwiederholungsgefahr) ohne richterlichen Befehl unverzüglich zum präventiven Einschreiten ermächtigen (siehe ebenfalls elektronisch aufliegende und einsehbare kosovarische Strafprozessordung). Bei mangelnder Schutzwilligkeit durch einzelne KPS-Beamte besteht die Möglichkeit, sich unmittelbar an die internationalen Behörden, an das PIK (Police Inspectorate of Kosovo) oder auch an den Ombudsmann wenden (vgl. zu den genannten Quellen insbesondere auch Home Office, Operational Guidance Note, Jänner 2007, den aufliegenden und einsehbaren Bericht Fact Finding Mission unter Teilnahme des BMI, FMF Schweiz, Bundesasylamt, Rotes Kreuz/ACCORD, Unabhängiger Bundesasylsenat, MOI Slowenien vom 14. - 19.5.2006 [an dieser FFM nahm auch das entscheidende Senatsmitglied teil und konnte sich vor Ort einen persönlichen Eindruck über die tatsächliche Zugänglichkeit der oa. Behörden verschaffen]). Ebenso existieren im Kosovo entsprechende effektive Schutzprogramme (vgl. hierzu ergänzend elektronisch aufliegende und in anonymisierter Form einsehbare Auskunft des VB Prishtina vom 5.7.2006, Az. 190/06 zu Asylverfahren 300.400, Gutachten von Dr. V.D. vom 7.5.2007. Ebenso einsehbar und erörtert: Qualifikationsprofil des VB Prishtina und Dr. D..)
Ich gehe davon aus, dass derartige Übergriffe auch nach serbischem Recht strafbar waren.
BW: Bei welchem Staat hätte man sich damals beschwerden sollen. Wir hatten keinen eigenen Staat gehabt.
VL: Was wäre passiert, wenn Sie Ihren Gatten bei der serbischen Polizei angezeigt hätten?
BW: Entweder meine Familie oder ich...... Er hätte uns umgebracht. Wie er jetzt denkt, kann ich nicht sagen, aber vor 15 Jahren war er so. Das wäre nicht möglich gewesen, dass eine Frau das Haus verlässt und die serbische Polizei informiert, dass sie geschlagen wurde.
VL Aus einem Gutachten von Dr. D. vom Dezember 2007, sowie einer Auskunft vom VB Prishtina vom 25.6.2007, Zahl 350/07 geht hervor, dass häusliche Gewalt im Kosovo oft noch ein Tabuthema ist, die Behörden dagegen jedoch grundsätzlich vorgehen, wenn sie davon Kenntnis erlangen. Es gibt auch eine eigene Polizeieinheit, die gegen häusliche Gewalt vorgeht. Im Einzelfall kann es jedoch dazu kommen, dass der behördliche Schutz nicht ausreichend sein kann. Ebenso ist aus dem genannten Gutachten ableitbar, dass alleinstehende Frauen im Falle einer Rückkehr in den Kosovo von der dortigen schlechten Wirtschaftslage besonders betroffen sein können. Eine zielgerichtete gegen Frauen gerichtete Gesetzgebung oder Vollziehung existiert nicht, aufgrund der patriarchalisch geprägten Tradition kann es jedoch im Alltag vor allem in ländlichen Gebieten und konservativen Familien zu Benachteiligen von Frauen im Alltag kommen. Aufgrund der wirtschaftlichen und faktischen Gegebenheiten vor Ort sehen sich Frauen, wenn sie ihren Mann verlassen oft veranlasst, die Kinder beim Vater zu belassen.
BW: Man hat keine Chance die Kinder zu bekommen.
VL: Aus dem soeben genannten Gutachten von Frau Dr. D. vom 07.05.2005 ergibt sich auch, dass für die UCK ausschließlich freiwillige rekrutiert wurden. Ebenso ergibt sich aus einer Anfragebeantwortung vom VB Prishtina, Attaché Pichler vom 2.9.2006, Zahl 423/06, dass die Weigerung, die UCK aktiv zu unterstützen und ein Auslandsaufenthalt während des Krieges heute keinen Grund zur Verfolgung darstellt. Darüber hinaus existiert die UCK nicht mehr und kann sie nicht bedrohen (siehe og. Gutachten von Dr. D.). Auch UNHCR geht im Positionspapier vom Juni 2006 offensichtlich nicht davon aus, dass Personen, welche nicht für die UCK kämpften, zum schutzbedürftigen Personenkreis zu zählen sind.
BW: Ich möchte es nicht übertreiben, dass meiste was hier berichtet wird, entspreche nicht der Wahrheit, weil bei solchen Angelegenheiten nie jemand die Wahrheit erzählt. Ich habe heute keine Namen erwähnt und werde auch dabei bleiben.
VL: Ebenso wäre gemäß der albanischen Tradition und den Gesetzen des Kanun eher anzunehmen, dass die männlichen Familienmitglieder bzw. das "Familienoberhaupt" zur Rechenschaft gezogen werden würde, wenn es nicht veranlasst hätte, dass sie der Aufforderung der UCK nachgekommen wären. Dies würde ebenfalls nahe legen, dass eine solche Aufforderung an das männliche "Familienoberhaupt" und nicht an Sie ergangen wäre.
BW: Mein Vater war oft in Haft. Er hat gewusst was ich mache. Ich war politisch tätig, ich habe meine Tätigkeiten ausgeübt, ich tat das aus Überzeugung.
VL: Ihre damalige politische Tätigkeit wäre heute für Sie ein Vorteil.
BW: Ich war früher bei der LDK und denke, dass ich keine Probleme im Falle einer Rückkehr mit der LDK hätte. Viele kennen mich, aber eine Rückkehr in den Kosovo kommt für mich nicht mehr in Frage, erstens wegen der Probleme mit meinem Ex-Mann und zweitens weil ich einen Mann orthodoxen Glaubens geheiratet habe. Wir haben ein Kind miteinander.
VL: Religiöse Mischehen sind im Kosovo grundsätzlich kein Problem.
BW: Das ist Ihre Meinung. Er ist Orthodox und aus Georgien, und ich glaube, dass es nicht viel Unterschied zwischen Serbisch-Orthodox und Georgisch-Orthodox gibt.
VL: Wie heißt Ihr Lebensgefährte?
BW: Sein echter Name lautet V.B.. Seinen Asylantrag stellte er unter G.G.. Meines Wissens hat Dr. HOFBAUER seinen Akt.
VL: Es besteht die Möglichkeit, ihr Vorbringen über den Verbindungsbeamten des BMI in Prishtina, insbesondere durch Einsichtnahme in die entsprechenden Personenstandsurkunden zu überprüfen. Sind Sie damit einverstanden?
BW: Ja.
VL: Es wäre ebenso möglich, im Umfeld Ihres (ehemaligen) Gatten oder bei ihm persönlich hinsichtlich der behaupteten Ehe bzw. seiner nunmehrigen Einstellung zum Umstand, dass Sie ihn verlassen haben über den VB in Prishtina zu ermitteln. Sind Sie damit einverstanden?
BW: Ja, ich bin damit einverstanden. Ich glaube nicht, dass jemand die Wahrheit sagen wird. Ich bin einverstanden, dass man im Umfeld meines ehemaligen Gatten ermittelt.
Es gibt aber Zeugen, die wissen wie ich das Haus verlassen habe. Es gibt eine alte Dame, die damals 74 oder 75 Jahre alt war. Sie sah, wie ich blutete und das Haus verließ. Ich weiß den Familiennamen nicht mehr, sie wohnt im Haus neben meinem Ex-Mann. Danach gefragt gebe ich an, dass es das Haus vor dem Haus meines Ex-Mannes war. Es gibt auch zwei Männer, die nach dem Haus meines Ex-Mannes wohnen, die mich auch sahen.
VL: Weiß Ihr Mann, dass Sie in Österreich sind?
BW: Ja, ich denke schon. Ich glaube nicht, dass es ein Problem sein wird.
Keine Fragen des BWV. Stellungnahme ergeht schriftlich nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens.
BWV: Es wird angeregt, dass sich der VB Pichler auch zur einer gemischt religiösen Lebensgemeinschaft bzw. Ehe äußert.
BW legt einen jugoslawischen Staatsbürgerschaftsnachweis samt beglaubigte Übersetzung vor (Beilage 5).
Der VL ordnet die Durchführung weiterer Erhebungen an und schließt die Verhandlung.
Die Niederschrift wird den Anwesenden zur Durchsicht vorgelegt und der Berufungswerberin durch den Dolmetscher rückübersetzt
BW: Bezüglich meines Sohnes gebe ich an, dass ich nicht genau weiß, ob er 1992 oder 1993 auf die Welt kam. Er wird jedenfalls heuer 15 Jahre alt.
Mein Sohn war 5,5 Monate alt, als ich meinen Mann 1992 oder 1993 verließ.
Die BW gibt auf Befragung durch den VL an, dass sie den Dolmetscher während der Verhandlung einwandfrei verstanden hat und sie hat nach Rückübersetzung keine Beanstandungen am Inhalt der Verhandlungsschrift und der Rückübersetzung selbst.
...
1.5. Im weiteren Verfahren wurde der Asylakt aus Deutschland über das Bundesasylamt, Grundsatz- und Dublinabteilung angefordert, welcher am 21.5.2008 ho. einlangte. Hinsichtlich dessen Inhaltes wird auf den Akteninhalt verwiesen.
1.6. Ebenso wurde eine Anfrage beim Verbindungsbeamten des BMI in Prishtina, Attaché Pichler gerichtet, welcher diese mit Schreiben vom 25.4.2008 beantwortete.
1.7. Mit Beweisaufnahme gem. § 45 (3) AVG vom 9.6.2008 wurde den Verfahrensparteien die Möglichkeit eingeräumt, sich zum Beweisergebnis zu äußern. Vom Bundesasylamt wurde keine weitere Stellungnahme abgegeben. Der BFV äußerte sich mit Schriftsatz vom 2.7.2008. Hinsichtlich des Inhaltes des Schriftsatzes wird auf den Akteninhalt verwiesen.
1.8. Hinsichtlich des Verfahrensherganges und Parteienvorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
2. Die Beschwerdeführerin
Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich im eine im Herkunftsstaat der Mehrheitsethnie angehörige Albanerin, welcher aus einem überwiegend von Albanern bewohnten Gebiet stammt und sich zum Mehrheitsglauben des Isalm bekennt.
Der Beschwerdeführerin verfügt über die im Akt ersichtlichen privaten und familiären Anknüpfungspunkte in Österreich.
Im Kosovo ist die BF formell mit S.R., nähere Daten im Akt ersichtlich verheiratet. Aus dieser Ehe stammt der gemeinsame Sohn E., welcher bei seinem Vater aufhältig ist.
Die BF verfügt über eine medizinische Ausbildung.
3. Die Lage im Herkunftsstaat Kosovo
Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Kosovo werden unter Heranziehung des zitierten Quellenmaterials die nachfolgenden Feststellungen getroffen:
Kosovo - Bericht 1. April 2006 von Attaché Armin Vogl, ÖB Außenstelle Prishtina, sowie vom 31. März 2007 und 20. März 2008 von Attaché Andreas Pichler (Beilagen A1 - A3)
Auswärtiges Amt der BRD, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien (Kosovo), 15.02.2007 (Beilage B) & 29.11.2007 (Beilage B1)
Home Office, Operational Guidance Note, Februar 2007 (Beilage C)
UNHCR Positionspapier vom März 2005 (Beilage D)
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Erkenntnisse Serbien und Montenegro, Sonderbericht 2001-2005, vom September 2005 (Beilage E)
UNHCR Positionspapier vom Juni 2006 (Beilage F)
Auswärtiges Amt der BRD, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien u. Montenegro (Kosovo), 29.06.2006 (Beilage G)
OSCE: Assembly Support Initiative Newsletter July 2006, No 23: "Who will police the police? The role of the Police Inspectorate of Kosovo (PIK) (Beilage H)
"Five Persons Arrested On Charges For Participation And organizing March Riots, Pirshtina, 28. Aug. (Kosovo com). (Beilage I)
Bericht Fact Finding Mission unter Teilnahme des BMI, FMF Schweiz, Bundesasylamt, Rotes Kreuz/ACCORD, Unabhängiger Bundesasylsenat, MOI Slowenien vom 14. - 19.5.2006 [an dieser FFM nahm auch das entscheidende Senatsmitglied teil und konnte sich vor Ort einen persönlichen Eindruck über die tatsächliche Zugänglichkeit der oa. Behörden verschaffen]) (Beilage J)
BAMF, Informationszentrum Asyl und Migration, Serbien und Montenegro, Dezember 2004 (Beilage K)
Ausgewählte Presseberichte (Zusammgefasst: Beilage L)
Der Kurier vom 26.1.2007: "Athisaari präsentiert Kosovo-Pan" (kurier.at; Zugriff am 7.2.2007)
Wiener Zeitung vom 5.2.2007: "Kosovo: Moskau bleibt hart" (www.wienerzeitung.at; Zugriff am 7.2.2007)
Der Standard vom 6.2.2007: "Ahtisaari warnt vor Gewalt im Kosovo" (derstandard.at; Zugriff am 7.2.2007)
Der Kurier vom 25.7.2007: "EU will Kosovo-Gespräche" (www.kurier.at;
Zugriff am 27.8.2007)
www.netzeitung.de: "EU warnt Kosovo vor einseitiger Unabhängigkeit", "Ex-Rebellenführer" siegt bei Wahlen im Kosovo; beide Quellen vom 19.11.2007, Zugriff am 19.7.2007
Financial Times Deutschland vom 3.12.2007: "Kosovo: Troika legt Abschlussbereicht vor"
Der Westen vom 3.12.2007: "Kosovo-Verhandlungen für Albaner beendet"
United Nations Security Concil: Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Adminstration Mission in Kosovo vom 3. Jänner 2008 (Beilage M)
.BAA: Faktendokumente Kosovo vom 22.2.2008, 17.3.2008, 27.3.2008
Die im Text genannten Quellen
OCSE-Mission Kosovo: Aktuelles "Municipial Profile" der Herkunftsgemeinde (Beilage P)
1. a. Allgemeines:
Im Kosovo, einem Gebiet von ca. 11.000 qkm, leben ca. zwischen 1,8 und 2 Millionen Einwohner; Währung ist seit 1.1.2002 der EURO; Amtssprachen sind Englisch, Albanisch, Serbisch (Türkisch dort, wo diese Minderheit wohnt). Neben ethnischen Albanern leben im Kosovo nachstehende Minderheiten:
Kosovo-Serben (KS)
Rund 80.000-90.000, davon 50.000-60.000 im Nordkosovo, rund 20.000-30.000 in den Enklaven des Südens.
Türken
Rund 13.500, vor allem im Raum Prizren. Vor allem alte osmanische "bürgerliche Oberschicht".
Zigeuner / Roma
Diese Gruppe existiert seit rund 500 Jahren im Kosovo und ist völlig zersplittert.
Roma: Sprache "romanes" bzw. serbisch.
Ashkali / "Ägypter"
Beide sind Nachfahren von Nicht Roma Gruppen bzw. behaupten dies zu sein.
Ashkali: Sprache Albanisch
Ägypter: Sprache Albanisch, Romanes oder Serbisch. Serbisch überwiegt.
Goraner
Ca. 12.500. Muslimisch, wohl Nachfahren der mittelalterlichen Bogumilen.
Bosniaken / Thorben
Muslime serbokroatischer Sprache aus dem altbulgarischen Raum.
Kroaten
Serbokroatisch, röm.-katholisch. Siedlungsgebiet vor allem im Raum Janjevo (Beil. /A).
1. b. Lageentwicklung:
Seit dem Rückzug der jugoslawischen Sicherheitskräfte aus dem Kosovo und Beendigung der Kampfhandlungen zwischen der NATO und der Bundesrepublik Jugoslawien am 10. Juni 1999 steht der Kosovo unter internationaler Verwaltung, die eine zivile (UNMIK) und eine militärische Komponente (KFOR) hat.
Die Rechtsgrundlage hiefür bietet Resolution 1244 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999.
Im Rahmen der UNMIK wirkt eine erhebliche Anzahl von zivilen Experten am Wiederaufbau mit. Dort sind ca. 2.507 Personen (31. Oktober 2006), davon 506 internationale Bedienstete und 2.001 lokale Kräfte beschäftigt (Beil. /B, Seite 6).
Gemessen an den Kosten, welche die internationale Gemeinschaft im Kosovo aufgewendet hat, haben die zivilen Aufbauprozesse in den sieben Jahren seit dem Nato-Erstschlag immer noch nicht die erhofften Erfolge gebracht. Die Wirtschaftslage hat sich zweifellos nicht günstig entwickelt, da die Arbeitslosenquote mit 55% beziffert wird.
Durch massiven Einsatz der internationalen Gemeinschaft konnte die Stabilisierung der Sicherheitslage und ein einigermaßen sicheres Umfeld für die zivilen Aufbauaufgaben erreicht werden. Ein ernsthaftes Problem stellt die organisierte Kriminalität dar, deren nachhaltige Bekämpfung durch die internationale Gemeinschaft bislang versäumt wurde.
Durch die von vielen Bürgern begrüßte Beruhigung der ethnischen Spannungen, kann wohl davon ausgegangen werden, dass es zu keinen gleichartigen kriegsähnlichen Zuständen wie im März 2004 mehr kommen wird (Beil. /A, Seite 4).
Im Kosovo herrscht ungeachtet der Ethnie grundsätzlich Bewegungsfreiheit.
Neben Privatautos basiert der Verkehr zum großen Teil auf unzähligen Taxis und auf festen Routen fahrenden Minibussen und Sammeltaxis. Ferner ist durch die UNMIK/PISG Verwaltung ein staatlich finanziertes öffentliches Transportsystem aufgebaut worden, so dass in allen Bereichen des Kosovo ein öffentliches Transportsystem funktionsfähig ist. Im Sammeltaxi oder Minibus kostet z.B. eine Fahrt zwischen Vushtrri/Vucitrn und Prishtinë/Pri¿tina rd. 1 Euro und zwischen Mitrovice/Mitrovica und Prishtinë/Pri¿tina ca. 1,50 Euro.
Daneben verbindet der öffentliche Personenverkehr von 06.00 Uhr bis 20.00 Uhr im 15- Minutentakt mit Omnibussen die größeren Städte und Gemeinden.
Eine Fahrt von Prishtinë/Pri¿tina nach Vushtrri/Vucitrn kostet hier 0,80 Euro (0,50 Euro für Schüler und Studenten), nach Mitrovice/Mitrovica 1,30 Euro (0,80) und nach Gjakove/Djakovica, Pejë/Pec sowie Istog/Istok 4 Euro. Die Fahrpreise zwischen Prizren und Prishtinë/Pri¿tina liegen bei 3 Euro (2 Euro) und zwischen Ferizaj/Uro¿evac und Prishtinë/Pri¿tina 2 Euro (1,50). Außerdem gibt es innergemeindliche Busse, die z.B. in Prishtinë/Pri¿tina unabhängig von der Linie und der der Zahl der passierten Haltestellen 0,40 Euro je Fahrt kosten. (Beil. /B, Seite 27).
Am 23.Oktober 2004 fanden zum zweiten Mal im Kosovo Parlamentswahlen statt. Die Wahlen, die erstmals in eigener Verantwortung der Zentralen Wahlkommission des Kosovo organisiert wurden, sind insgesamt friedlich und ohne Zwischenfälle (-Beil. /D, Seite 1), jedoch unter geringfügiger Wahlbeteiligung seitens der Serben, verlaufen.
Die Kosovo-Serben boykottierten die Wahl: Nur 891 (!) von 89.000 Wahlberechtigten gingen zu den Urnen (Beil./ A, Seiten 11, 12).
Nach dem Sieg bei den 3. Parlamentswahlen am hat der Führer der Demokratischen Partei Kosovos (PDK) Hashim Thaci angekündigt, die Provinz im Süden Serbiens in wenigen Wochen in die Unabhängigkeit zu führen. Eine Kosovo-Regierung unter seiner Führung werde "unmittelbar nach dem 10. Dezember" die Unabhängigkeit ausrufen. An diesem Tag soll die sogenannte Vermittlungstroika aus Russland, der EU und den USA ein Ergebnis ihrer inzwischen monatelangen Bemühungen um eine Einigung im Streit um den künftigen Status des Kosovos vorlegen.
Nach Veröffentlichung des offiziellen Wahlergebnisses durch die Wahlkommission kommt es im Parlament zu folgender Mandatsverteilung:
PDK: 37 Sitze
LDK: 25 Sitze
ARK: 13 Sitze
Christdemokraten: 11 Sitze
AAK: 10 Sitze
Nationale Minderheiten: 24 Sitze (davon fallen 10 an die serbische Minderheit)
Die internationale Gemeinschaft lehnt eine einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo ab.
1. c. Religionen
Muslime (sunnitisch): Überwiegende Mehrheit von 80%, sehr zurückhaltende lokaleTradition des Islam.
Serbisch-Orthodoxe: Ident mit den K-Serben, 5-7%.
Generell kann gesagt werden, dass religiöse Motivation im Kosovo keine besondere Bedeutung zugemessen wird. Als repräsentatives Beispiel können die weltweiten Proteste der muslimischen Bevölkerung gegen die dänischen Karikaturen genannt werden. Als sogar in Serbien diesbezügliche Protestkundgebungen stattfanden, verhielten sich die Kosovaren äußerst ruhig. Es kam nicht einmal zu sog. "Wirtshausdiskussionen".
Im Gebiet des heutigen Kosovo lebten schon seit Jahrhunderten röm. kath. Christen, Serbische Orthodoxe und Muslime friedlich miteinander, und hat die Religion schon immer eine untergeordnete Rolle in der Entwicklung der Gesellschaft im Kosovo gespielt.
Es werden sowohl christliche, muslimische aber auch serbisch-orthodoxe Feiertage zelebriert, jeder auf seine Weise, doch gab es niemals bewusste Störungen von Gottesdiensten oder sonstigen religiösen Feierlichkeiten. Der albanische Moslem nimmt es nicht sehr genau mit den Ge- und Verboten des Propheten (Beil./A, Seite 9).
Im Kosovo existieren praktisch keine extremistischen Gruppierungen, außerdem praktiziert die muslimische Bevölkerung ihren Glauben in der Öffentlichkeit kaum. Kopftuchtragende Frauen und Mädchen sieht man in Städten und Dörfern nur ganz vereinzelt (Beil. /E, Seite 7).
1. d. Administrative Einteilung
PISG (Provisional Institutions of Self-Governance), = provisorische administrative Institutionen
30 Municipalities, i.e. Bezirkshauptmannschaften (nicht Gemeinden)
KFOR (Kosovo Force)
4 MNBs = Multinationale Brigaden, nämlich "Centre", "Nordost", "Ost" und "Südwest"
2. Sicherheitslage im Kosovo:
2. a. Lageentwicklung:
Insgesamt hat sich die Sicherheitslage seit Juni 1999 verbessert, mit der Unruhen Mitte März 2004 wieder punktuell eingetrübt (ohne auf das Niveau von 1999 zurückzufallen). (Beil. /B, Seite 10).
Seit der Veröffentlichung des UNHCR-Positionspapiers vom März 2005 hat sich die Sicherheitslage im Kosovo schrittweise verbessert. Die Anzahl der Minderheitenangehörigen, die für die Provisorischen Selbstverwaltungsorgane im Kosovo (PISG) und für das Kosovo Protection Corps (KPC) arbeiten, ist gestiegen; die Freizügigkeit hat sich grundsätzlich verbessert; eine Reihe von wichtigen Maßnahmen wurde unternommen, um den Eigentumsschutz zu stärken; zur Überwachung des Zugangs von Minderheiten zu öffentlichen Einrichtungen wurde eine Inter-Ministerielle Kommission eingerichtet.
Die UN-Verwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) berichtete im Mai 2006, dass die Kriminalitätsstatistik im ersten Quartal dieses Jahres für Delikte, bei denen ein ethnischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden konnte, merklich gesunken sei.
Verglichen mit 72 zwischen Januar und März 2005 gemeldeten Vorfällen wurden in der gleichen Zeitspanne dieses Jahres lediglich 19 solcher Vorfälle berichtet. Zu deren Opfern gehörten 12 Kosovo- Serben, sechs Kosovo-Albaner und ein Kosovo-Kroate. (Beil. /F, Seite 3)
Die Statusverhandlungen beeinflussen die momentane Sicherheitslage. Jener Teil der Bevölkerung (Kosovo-Albaner, die der Idee des Großalbaniens nachhängen und die Kosovo-Serben, welche sich von einer klar distanzieren), der die Zuerkennung einer Form von Unabhängigkeit nichts positives abgewinnen können, werden versuchen, dieses Ziel mit allen Mitteln zu bekämpfen, es dürften aber die Unruhen, wie im März 2004, nicht wahrscheinlich sein. Momentan reduziert sich dieser "Zweckterrorismus" jedoch auf eine Zunahme von Behauptungen von ethnischen motivierten Übergriffen und geschieht dies mit Hilfe der serbischen Behörden.
Das UN Security Council bezeichnet die allgemeine Sicherheitslage als ruhig, ohne dass größere Zwischenfälle stattgefunden hätten; einige erwähnenswerte Vorfälle hätten sich jedoch ereignet (Beilage M Seite 3).
2. b. Kriminalität:
Die Schwerstkriminalität ist im Laufe der Jahre erheblich zurückgegangen (Beil. /E, Seite 5).
Die (derzeit vorherrschende) Kriminalität im Kosovo ist OK (Organisierte Kriminalität)-orientiert. Dies bedeutet das praktische Nicht-Vorhandensein von überwiegender und "gefährlicher" Straßenkriminalität. Die organisierte Kriminalität (OK) stellt jedoch nach Ansicht vieler internationaler Beobachter eines der Hauptprobleme des Kosovo dar. Wie in vielen Ländern des Balkan hat OK das durch die Ereignisse der 90er-Jahre bestehende Vakuum ausgenützt und weitreichende Netzwerke aufgebaut (Beil. /C, Punkt 2.8.). Die Hauptfelder der OK sind der Schmuggel von Kraftstoffen, der Zigaretten und Medikamenten in den Kosovo sowie Menschenhandel (Prostitution) (Beil. /A, Seite 25f, sowie damit im Einklang Beil. /E, Seite 5,).
Trotzdem ist Prishtina obwohl es ein Nachkriegsland ist, diesbezüglich sicherer als vergleichsweise Wien.
In Bezug auf die Kleinkriminalität ist das momentane Hauptaugenmerk der Polizei auf die Bereiche Diebstahl, Kfz Diebstahl, Einbruchsdiebstahl, Raub, illegaler Waffenbesitz und Gewalt in der Familie fokussiert. Die Kleinkriminalität nimmt in den Übergangsmonaten Oktober, November sowie im Februar und März im Kosovo im Verhältnis zu den restlichen Monaten zu. Die Ursache darin sieht UNMIK und die KPS in der Verbesserung der Witterung (besser als im Hochwinter) und im trotzdem noch frühen Eintritt der Dunkelheit (Beil. /A, Seite 25).
Die Zahl der registrierten Delikte stieg 2005 im Vergleich zum Jahr 2004 wieder leicht auf 68.081 an. Zahlen zu 2006 liegen noch nicht vor. Ausgewählte Delikte mit Aufklärungsquote in Klammern:
(Beil. /B, Seite 11).
2. c. Sicherheitsaspekte in Bezug auf UCK und AKSH:
Die UÇK hat die im Juli 1999 gegenüber KFOR deklarierten großen Waffen abgegeben und sich am 21. September 1999 formell aufgelöst. Am 01. Februar 2000 wurde das zivile Hilfskorps "Kosovo Protection Corps" (KPC, alb. TMK "Kosovo Verteidigungs- Truppe") eingerichtet, um politisch neutral und multi-ethnisch organisiert strikt zivile Aufgaben wie Katastrophenschutz, Such- und Rettungsdienste, Minenräumung, Wiederaufbau, humanitäre Hilfseinsätze etc. zu übernehmen. (Beil. G, Seite 8).
Seit 2002 macht die "Albanische Nationale Armee" (AKSh), vormals "Front für Albanische Nationale Einheit" (FBKSh), wiederholt durch großalbanische Propaganda in den Medien und durch die Übernahme der "Verantwortung" für den Sprengstoffanschlag auf die Eisenbahnlinie bei Zvecan im April 2003 auf sich aufmerksam. Eine akute Gefährdung der Sicherheitslage in der Region stellt diese bewaffnete Gruppierung, die Verbindungen zu ehemaligen und aktiven Mitgliedern des KPC und zu Strukturen der organisierten Kriminalität hat, derzeit jedoch nicht dar. UNMIK hat allerdings diese bewaffnete Gruppierung als terroristische Organisation verboten, wodurch schon die reine Mitgliedschaft zu einer strafbaren Handlung wird. (Beil. B, Seite 8).
Seitdem war nichts Wesentliches mehr zu vernehmen, allenfalls propagandistisch großalbanische "Internet - Auftritte" und ist es 2004 in Albanien zu Verhaftungen mutmaßlicher führender AKSh-Mitglieder gekommen (Beil. /E, Seite 6).
2.1. Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der internationalen Behörden:
Zur Zeit sind 2.160 Vollzugsbeamte der internationalen Polizei aus 44 Ländern vor Ort im Einsatz (Stand: Oktober 2005, aus Deutschland 238 Polizisten).
Der Aufbau einer lokalen, multi-ethnischen Polizei (Kosovo, Police Service, KPS) ist weit vorangetrieben worden.
Im Kosovo sind derzeit ca. 17 300 KFOR-Soldaten aus NATO-und Nicht NATO-Staaten stationiert (Beil. /B, Seite 7 hinsichtlich der Anzahl der KFOR-Soldaten).
UNMIK (United Nations Mission in Kosovo) - KPS (Kosovo Police Service) - KFOR (Kosovo Force). Alle drei Sicherheitskörper gemeinsam sorgen für ein sicheres Umfeld. Der Sicherheitsstandard ist als hoch zu bewerten (Beil. /A, Seite 25).
In gleicher Weise wird im Bericht des britischen Home Office ausdrücklich und wiederholt festgestellt, dass UNMIK, KPS und KFOR für alle ethnischen Albaner, (auch für solche aus Minderheitengebieten, für solche, die mit dem serbischen Regime in Zusammenhang gebracht werden, für solche, die sich vor UCK (Englisch: KLA)-Übergriffen/Vorwürfen fürchten, und für solche aus gemischten Ehen) zulänglichen Schutz bieten (Beil. /C, Punkte 3.8 bis 3.11).
UNMIK-Police (Internationale Polizei) hat insgesamt ca. 1800 Mitarbeiter (CivPol und Ziviladministration). Die massive Präsenz der internationalen Polizei im Kosovo in Verbindung mit KPS stellt sicher, dass die Polizei ihren Aufgaben nachkommt.
Momentane Rolle der UNMIK-Police:
Polizei Stationen: Alle bestehenden wurden bereits an die KPS übergeben.
Monitoring (im Stations- und regionalen Bereich): Grundsätzlich gibt es pro Polizeidienststelle 2 internationale CivPol-Beamte in der Funktion als Monitor und Berater. Die Grenzsektion der UNMIK-Polizei steht nach wie vor unter internationaler Führung und Verantwortung
Community Police (bürgernaher Polizeidienst): Verdichtete Streifentätigkeit in den Wohngebieten der ethnischen Minderheiten. Die soll vor allem der Bevölkerung und den internationalen politischen Vertretern zeigen, dass die Minderheiten besonderen Schutz genießen und dass auf deren Anliegen mit besonderer Sensitivität eingegangen wird.
KFOR (ca. 19.000 Soldaten): Durch nachstehende Aufgabenerfüllung (i.e. Intelligence, Patrouillen, Joint Patrols mit KPS und UNMIK-Police) werden hohe internationale Sicherheitsstandards durchgesetzt.
UNMIK-Administration (DOJ - Justizdepartment) internationale und nationale Staatsanwälte und Richter. Durch Aufgabenverteilung ist sichergestellt, dass internationale Staatsanwälte und Richter folgende Sachverhalte bearbeiten:
Internationale Verbrechen (inkl. OK)
Ethnisch motivierte Straftaten
Kriegsverbrechen
Die restlichen Straftaten werden bereits - unter Aufsicht und Mentoring -
Der "Internationalen" durch einheimische Richter und Staatsanwält
bearbeitet.
KPS (Kosovo Police Service): - Multiethnisch, 6.831 Polizeibeamte und 1148 Zivilbedienstete (401 Beamte in der Polizeischule in Vushtri) mit Stand März 2006. Der Vertrauensgrad der Bevölkerung im Kosovo in die KPS ist nach wie vor ungebrochen hoch.
Um die Behauptung einer ethnisch motivierten Straftat, Anzeige derselben auf einer Polizeidienststelle und die daraus resultierenden Auswirkungen am anschaulichsten darzustellen, darf ein Beispiel