S1 400.108-1/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Filzwieser als Einzelrichter über die Beschwerde der N.M., geb. 00.00.1990, StA. Russland, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.06.2008, FZ. 08 03.139 EAST-Ost, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG idF BGBL. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt. Die nunmehrige Beschwerdeführerin stellte am 07.04.2008 - gemeinsam mit A.T., ihren Angaben nach ihr Ehegatte - den Antrag, ihr internationalen Schutz zu gewähren.
Am 07.04.2008 hat vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Traiskirchen eine Erstbefragung sowie am 30.05.2008 eine Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, in Gegenwart eines Rechtsberaters, stattgefunden.
Am 09.04.2008 richtete das Bundesasylamt an Polen ein Ersuchen um Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO), welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde.
Am 10.04.2008 bestätigten die Beschwerdeführerin und ihr gesetzlicher Vertreter (Rechtsberater) mit ihrer Unterschrift den Erhalt der Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG vom 10.04.2008, wonach beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da Konsultationen mit Polen geführt würden. Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen wurden der Beschwerdeführerin und ihrem gesetzlichen Vertreter sohin innerhalb der 20-Tagesfrist nach der Antragseinbringung, übermittelt.
Mit Schreiben vom 10.04.2008, eingelangt beim Bundesasylamt am 11.04.2008, stimmten die polnischen Behörden der Übernahme der Beschwerdeführerin zur Prüfung des Asylantrags gem. Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO zu.
Am 16.05.2008 wurde die Beschwerdeführerin von Frau Dr. I.H., MSc, Ärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapeutische Medizin, untersucht. Im Rahmen der gutachterlichen Stellungnahme kam die Ärztin zu der Schlussfolgerung, dass bei der Beschwerdeführerin keine belastungsabhängige psychische Störung festgestellt werden konnte und dass aus medizinischer Sicht einer Ausweisung nach Polen nichts entgegenstehe.
Das Bundesasylamt hegte der Aktenlage nach auf Grund der Minderjährigkeit der Beschwerdeführerin Zweifel an der Rechtsgültigkeit ihrer Eheschließung nach dem russischen Zivilrecht. Daher bestellte es den Rechtsberater Dr. Johannes Zach als gesetzlichen Vertreter. Eine vorgelegte Heiratsbestätigung (As. 21 BAA des Verwaltungsaktes des Gatten der Beschwerdeführerin) wurde einer urkundentechnischen Untersuchung durchgeführt, die bisher nicht abgeschlossen wurde (vgl Aktenvermerk einer juristischen Mitarbeiterin vom 15.07.2008).
In der Einvernahme am 26.05.2008 gab die Beschwerdeführerin in Gegenwart ihres gesetzlichen Vertreters, an, dass sie in Polen von anderen Asylwerbern gehört habe, dass die Leute von Kadyrov tschetschenische Flüchtlinge schlagen würden; auch ihr Cousin sei von ihnen geschlagen worden. Aus Angst von diesen geschlagen zu werden, sei sie mit ihrem Ehegatten in Österreich eingereist. Sie habe einen Bruder, Halbruder und Cousin in Österreich. Die Brüder seien anerkannte Flüchtlinge, der Cousin subsidiär Schutzberechtigter. Sie lebe mit diesen zwar nicht im gemeinsamen Haushalt, aber ihre Wohnung werde von ihrem Halbbruder finanziert. Sie wolle nicht nach Polen zurück, da es dort für sie gefährlich sei. Sie sei nur neun Tage in Polen gewesen, in dieser Zeit habe es keine konkreten Vorfälle gegeben.
2. Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 07.06.2008, Zl: 08 03.139 EAST-Ost, den Antrag auf internationalen Schutz der (nunmehrigen) Beschwerdeführerin ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.
Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid umfangreiche Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, zur Praxis des Non-Refoulement-Schutzes, der Ausweisung und zur Versorgung von Asylwerbern in Polen.
Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass die Antragstellerin keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass sie tatsächliche Gefahr liefe, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen wäre oder ihm eine Verletzung der in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Die Antragstellerin sei in Polen keinen unmenschlichen Handlungen ausgesetzt gewesen. Die polnischen Sicherheitsbehörden würden der Antragstellerin Schutz gewähren können.
Das Bundesasylamt stellte fest, dass nicht von einem besonderen Naheverhältnis der Antragstellerin zu ihrem Bruder, Halbbruder und Cousin auszugehen sei (kein Zusammenleben seit August 2003 bzw. 2005, kein qualifiziertes Pflege-, Unterhalts- und/oder Unterstützungsverhältnis).
3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 26.06.2008 durch den Rechtsberater Dr. Johannes Zach als gesetzlicher Vertreter Berufung (nunmehr als Beschwerde anzusehen) erhoben. Darin wird die Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht. Die Behörde sei verpflichtet gewesen auf die Stellungnahme der Beschwerdeführerin zum medizinischen Gutachten, in der sie ausführte, dass sie die medizinische Ansicht nicht verstehe und sich sehr schlecht fühle, der Beschwerdeführerin das Gutachten zu erläutern. Die Unterlassung dieser Pflicht stelle den Verfahrensmangel dar, da nur bei genauer Kenntnis von Befund und Gutachten der Fachärztin die Beschwerdeführerin allenfalls andere Symptome als bei der fachärztlichen Untersuchung hätte nennen können.
In ihrer mit ihrem Ehemann am 23.06.2008 erhobenen (weiteren persönlich unterfertigten) Beschwerde wird im Wesentlichen behauptet, dass die Beschwerdeführerin auf die Unterstützung ihrer Brüder und ihres Cousin besonders angewiesen sei und ohne deren Unterstützung obdachlos wäre. Die Ausweisung stelle angesichts des besonderen Naheverhältnisses zu ihren Brüdern und ihrem Cousin einen Eingriff in Art. 8 EMRK dar. Die polnischen Asylbehörden würden ein faires Verfahren verweigern und dort würde es an einer Existenzgrundlage fehlen
Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 07.07.2008 beim Asylgerichtshof ein.
II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:
1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.
2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:
Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.
Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.
2.1.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit der Republik Polen gemäß Art. 16 Abs 1 lit c Dublin II VO kraft vorangegangener erster Asylantragstellung in der Europäischen Union gemäß Art 13 Dublin II VO besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.
Ebenso unbestrittenermaßen ist im Asylverfahren der Beschwerdeführerin noch keine Sachentscheidung in Polen gefallen.
2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.
Im Lichte des Art. 7 VO 1560/2003 ergibt sich auch keine Verpflichtung seitens der beteiligten Mitgliedstaaten oder seitens der Regelungen der Dublin II VO, dass die Überstellung in einer Weise durchgeführt wird, die potentiell belastenden Zwangscharakter aufweist.
2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.
Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.
Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).
Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).
Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:
Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.
Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.
Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).
Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).
Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.
2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK
Es leben den Angaben der Beschwerdeführerin nach (abgesehen von ihrem Ehemann, der ebenfalls Asylwerber im Familienverfahren der Beschwerdeführerin ist) keine Angehörigen der Kernfamilie der Beschwerdeführerin in Österreich. Eine außergewöhnliche Nahebeziehung im Sinne eines Abhängigkeitsverhältnisses zu den ebenso in Österreich aufhältigen Brüdern und dem Cousin der Beschwerdeführerin wurde vom Bundesasylamt zu Recht nicht festgestellt. Den Angaben der Beschwerdeführerin zufolge lebte sie mit ihrem Bruder und Halbbruder bis August 2003 bzw. bis 2005 zusammen. Danach bestand lediglich ein telefonischer Kontakt, eine finanzielle Unterstützung erfolgte jedoch nicht. Zurzeit lebt die Beschwerdeführerin auch nicht mit ihren Brüdern zusammen, es besteht somit kein gemeinsamer Haushalt in Österreich oder ein dem gleichzuhaltendes Naheverhältnis. Die Brüder der Beschwerdeführerin leben in Villach. Ein Zusammenleben mit dem Cousin der Beschwerdeführerin wurde ebenfalls nicht behauptet und geht aus dem Akt auch nicht hervor. Soweit in der Beschwerdeschrift behauptet wird, die Wohnung der Beschwerdeführerin in Wien sei von ihrem Halbbruder organisiert worden und sie ohne seine Unterstützung obdachlos wäre, ist dem entgegenzuhalten, dass dieses Vorbringen aus dem Akt nicht ersichtlich ist; die Beschwerdeführerin dem Zentralmelderegister nach lediglich beim Verein Ute Bock eine Postadresse hat. Im Allgemeinen kommt Asylwerbern auch ein Anspruch auf Leistungen aus der Grundversorgung in Österreich zu. Darüber hinaus könnte die Beschwerdeführerin gegebenenfalls auch in anderen Staaten der Europäischen Union von ihren Familienangehörigen weiterhin finanziell unterstützt werden. Unter diesen Umständen reicht die bloße finanzielle Unterstützung der Brüder der Beschwerdeführerin nach der Einreise nicht aus, um die sich aus der Zuständigkeitsordnung der Dublin II VO ergebende Ausweisung nach Polen als Eingriff in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK erscheinen zu lassen. Es erscheint eine Familienzusammenführung menschenrechtlich nicht zwingend erforderlich zu sein (trotz grundsätzlicher Maßgeblichkeit dieser Umstände im Sinne des Art 15 Abs 2 Dublin II VO). Der Asylgerichtshof verkennt dabei nicht, dass eine Zusammenführung für die Beteiligten vorteilhaft und aus humanitären Gesichtspunkten nicht zu beanstanden wäre, ein rechtlicher Zwang, den der Asylgerichtshof rechtlich sanktionieren müsste, liegt aber, im Sinne der oben durchgeführten Erwägungen, nicht vor. Dass die Erstbehörde diesfalls aus freiem Ermessen, vom Selbsteintrittsrecht nicht Gebrauch gemacht hat, fällt in ihren alleinigen Entscheidungs- und Verantwortungsbereich, den der Asylgerichtshof nicht zu bewerten hat (vgl zu Art 8 EMRK und VO 343/2003 des RATES, VwGH 29.03.2007, Zl. 2005/20/0040 bis 0042 und VwGH 26.01.2006, Zl. 2002/20/0423, wobei die dem letztgenannten Erkenntnis zugrunde liegende Beziehungstiefe hier nicht erreicht ist). Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07, VfGH vom 01.10.2007, Zl. G 179, 180/07).
2.1.2.2. Kritik am polnischen Asylwesen
Hiezu ist einleitend festzuhalten, dass die seinerzeitige Judikatur zu § 4 AsylG 1997 und vor dem Beitritt zur Europäischen Union am 01.04.2006 nicht mehr unmittelbar relevant ist (zuletzt VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673). Konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf tschetschenische AsylwerberInnen unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Der bloße Umstand, dass eine Reihe von Asylverfahren negativ endet (wobei in Polen notorischerweise AntragstellerInnen aus Tschetschenien zumindest tolerierten Aufenthalt erhalten) ist mangels Bestehen eines allgemeinen Konsens über eine Gruppenverfolgung von Tschetschenen in Russland (auch in Österreich wird eine solche in der Regel nicht bejaht) und mangels verifizierbarer Angaben über ein Fehlverhalten polnischer Behörden im vorliegenden Fall kein ausreichendes Argument die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG erschüttern zu können.
2.1.2.2.1 Hervorzuheben ist insbesondere, dass bei tschetschenischen AntragstellerInnen aus Tschetschenien aus Polen praktisch keine Abschiebungen in die Russische Föderation erfolgen (siehe im Erstbescheid, Seite 14 unten zitierte Mitteilung der polnischen Asylbehörde vom 18.03.2008). Die Einführung des "subsidiären Schutzstatus" neben Flüchtlingsstatus und "tolerated stay" lässt ebenso keine potentielle Gefährdung tschetschenischer Schutzsuchender erkennen, sodass auf die näheren Details des Inkrafttretens der jeweiligen Regelungen und des genauen Inhalts vorangegangener Gesetzesänderungen hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht näher einzugehen war, da jedenfalls keine dieser Gesetzesänderungen Grund zur Annahme gibt, dass Polen nunmehr allgemein oder im Besonderen gegenüber tschetschenischen Schutzsuchenden bedenkliche Sonderpositionen verträte.
2.1.2.3. Versorgung von Asylwerbern in Polen, Gefährdungen durch Kadyrov-Kräfte
Hier ist auf Basis der Aktenlage festzuhalten, dass auch die Ausführungen in der Beschwerde, wonach Personen, die in Polen subsidiären Schutz erhielten durch mangelhafte Versorgung existentiell bedroht wären (dies, in einem Mitgliedstaat der EU) sich ebenso weitgehend auf veraltete Quellen stützen und das reale Bild grob überzeichnen (siehe insbesondere die im Erstbescheid wiedergegebene Anfragebeantwortung der ÖB Warschau vom 12.12.2006, der ebenso nicht substantiiert entgegnet wurde; Seiten 12f des Erstbescheides) - abgesehen davon, dass ein konkreter individueller Bezug dieses Vorbringens zur Berufungswerberin und deren Ehegatten nicht hergestellt worden ist.
Nur vollständigkeitshalber wird bemerkt, dass Erkenntnisse in aktuelleren Verfahren, diese Einschätzung bestätigen (vgl UBAS 31.03.2008, 317.468-1/8E-XV/53/08): Zur allgemeinen Versorgung von Asylwerbern in Polen, denen "tolerated stay" zuerkannt wurde, steht demnach unwidersprochen fest, dass solchen Personen die gleichen sozialen Rechte zuerkannt werden, als polnischen Staatsbürgern. Der Verbleib in Flüchtlingslagern ist, wie nunmehr hervorgekommen ist, in Einzelfällen auch länger als 3 Monate nach Statuszuerkennung möglich. Das Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik ist gesetzlich mit der Integration, auch dieser Personengruppen, betraut und diesbezüglich auch aktiv tätig. Dass die diesbezüglich in früheren Berichten von Hilfsorganisationen beschriebenen (inzwischen auch veralteten) wieder gegebenen Befürchtungen, sich tatsächlich materialisiert hätten, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil zeigt etwa die rasche Reaktion der polnischen Behörden auf den Zuwachs an Antragstellern in der 2. Jahreshälfte 2007 (Bau neuer Flüchtlingsunterbringungsstätten), dass die entsprechenden Verpflichtungen tatsächlich ernst genommen werden. Es ist zwar festzuhalten, dass es Aufgabe der Erstbehörde gewesen wäre, diese aktuellen Erkenntnisse in den Bescheid aufzunehmen, im vorliegenden Fall kann dies aber nicht als wesentlicher Verfahrensfehler gewertet werden, als die neuen Erkenntnisse den Standpunkt des Beschwerdeführers nicht stützen.
Zu den vage angegebenen Befürchtungen vor Dritten in Polen ist auf die diesbezüglich zutreffenden Ausführungen im Erstbescheid betreffend den Gatten der Beschwerdeführerin (Seite 15 f des Bescheides vom 07.06.2008) zu verweisen.
2.1.2.4. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK zu verpflichten.
2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.
2.2. Spruchpunkt II:
Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung der Beschwerdeführerin erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.
2.3. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
2.4. Vollständigkeitshalber ist festzuhalten, dass die Erstbehörde zu Recht und im Interesse der Beschwerdeführerin von einer Minderjährigkeit der Beschwerdeführerin und sohin einer Vertretung durch einen Rechtsberater ausgegangen ist, als ihr weder eine Heiratsurkunde vorgelegt worden ist, noch sie ohne Weiteres davon ausgehen musste, dass Ehen nach russischem Recht von österreichischen Behörden "automatisch" (insbesondere ohne Einbindung des Familiengerichts) als solche anzusehen sind, die gemäß § 175 ABGB zur Volljährigkeit in den persönlichen Verhältnissen führen. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, wie die Beschwerdeführerin durch diese Vorgehensweise (relevante Verfahrensschritte wurden ihr ohnedies auch persönlich zur Kenntnis gebracht) in ihren subjektiven Rechten, beziehungsweise an einer effizienten Rechtsverfolgung, gehindert werden hätte können.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.