TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/24 C10 316913-3/2008

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Veröffentlicht am 24.07.2008
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Spruch

C10 316.913 -3/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Daniel LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde des R.Z., geb. 00.00.1976 alias 00.00.1985, StA Afghanistan, vertreten durch Mag. Mirjami Ritzschke, DIAKONIE Flüchtlingsdienst, Steinergasse 3, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.06.2008, FZ. 08 03.559 - EAST Ost, gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991 idgF (AVG), iVm § 61 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, entschieden:

 

In Erledigung der Beschwerde von R.Z. vom 27.06.2008 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.06.2008, FZ. 08 03.559 - EAST Ost, wird der bekämpfte Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte erstmals am 27.6.2003 in Österreich einen Asylantrag. Im Rahmen der Einvernahme vom 27.6.2003 gab der Beschwerdeführer an, er beantrage in Österreich Asyl, da er aufgrund seiner politischen Gesinnung nicht bei der derzeitigen Polizeiverwaltung mitarbeiten wolle. Drei Brüder seien bereits verhaftet worden, dies sei der Grund, weshalb er sich zur Flucht entschlossen habe. Bei der Einvernahme am 6.8.2003 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt, Nachstehendes an: "Ich habe Afghanistan deshalb verlassen, weil ich von einem Kommandanten des früheren General Massoud Probleme befürchtete. Mein Vater wurde im Jahr 1995 von vier unbekannten Personen getötet. Er war Parteimitglied der Hezbe-e Islami, nach dem Tod meines Vaters habe ich Rache geschworen und wollte mich vor ca. zwei bis drei Jahren für den Tod meines Vaters rächen. Aus diesem Grund schloss ich mich im Jahre 2001, das genaue Datum kann ich nicht angeben, den Taliban an. Ich hatte damals in Erfahrung gebracht, dass es sich bei dem Mörder meines Vaters um einen Kommandanten des General Massoud handelt. Ich hoffte, mit den Taliban den Tod meines Vaters rächen zu können. Da jedoch die Taliban-Herrschaft in Afghanistan durch Krieg beendet wurde, konnte ich mein Vorhaben, einen Vater zu rächen, nicht ausführen. Ich kehrte anschließend nach Kabul zurück. Irgendwann im Jahre 2002 erfuhr ich von meinem Onkel, dass der Kommandant S.A. erfahren hätte, dass ich den Tod meines Vaters rächen wollte. Da ich Angst hatte, dass mich dieser Kommandant finden und töten könnte, habe ich mich nur mehr versteckt in Kabul aufgehalten."

 

2. Mit Bescheid vom 11.8.2003, Zahl: 03 19.137-BAE, wies das Bundesasylamt den Antrag des Berufungswerbers gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I 1997/76, ab (Spruchpunkt I); gemäß § 8 AsylG erklärte es, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers nach Afghanistan sei zulässig (Spruchpunkt II). Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft habe machen können und aufgrund dessen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, dass er Afghanistan einzig und allein aufgrund der allgemeinen Lage verlassen habe. Dieser Bescheid wurde am 13.8.2003 gemäß § 23 Abs 3 ZustellG im Akt hinterlegt und ist mangels Erhebung eines Rechtsmittels in Rechtskraft erwachsen.

 

3. Am 6.10.2006 stellte der Beschwerdeführer einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung am 7.10.2006 gab der Beschwerdeführer zur Reiseroute befragt an, im Jahre 2001 von Afghanistan nach Pakistan, dann weiter in den Iran gereist zu sein. Er sei weiter in die Türkei gereist, dann nach Bulgarien, weiter nach Ungarn, und schließlich zu Fuß nach Österreich. Die genaueren Zeitpunkte könne er nicht angeben. An anderer Stelle gab er an, er sei von London nach Wien geflogen. Zu seinem Fluchtgrund befragt erklärte er: "Mein Vater und mein Onkel waren Mitglied der Hezbe-e Islam Hekmayar. Sie kämpften aktiv gegen die russ. Besatzung. A. und J. A., die unter sich Rivalen waren, gehörten zur Gegenpartei der Hezb-e Islami Hekmatayr, Jamiat-e Islami. In unserer Gegend verlor die Hezb-e Islami den Kampf. Somit musste mein Vater und Onkel die Waffen an A. abgegeben. Der Rivale J.A. tötete daraufhin meinen Onkel und einige Milizen. Es kam zum Kampf zwischen meinem Vater und dem J.A.. Von beiden Seiten wurden Menschen umgebracht. Mein Vater schloss sich den Taliban an und J.A. ist dann geflohen. Nach dem Sturz der Taliban kam J.A. zurück, weshalb wir dann aus Angst um unser Leben das Land verlassen mussten. Wir flohen nach Pakistan. Die Taliban wollten uns zwingen, weiter den Widerstandskampf gegen Amerika und deren Alliierten aufzunehmen. Auch wurden wir nicht von den Gegnern verfolgt. Ich wollte nicht kämpfen. Aus Angst um mein Leben musste ich weiter fliehen. Ich möchte hier um internationalen Schutz ansuchen."

 

Im Rahmen der Einvernahme am 25.10.2006 gab der Beschwerdeführer an:

"Ich weiß nicht mehr wann. Ich war nur vier oder fünf Tage in Österreich. Dann bin ich nach Frankreich gereist. Von Frankreich bin ich nach Afghanistan gereist. Das war im Jahr 2003." Die Frage, seit wann seine Probleme bestünden, beantwortete er, wie folgt: "Die Probleme hatte ich bereits, als ich meinen ersten Asylantrag in Österreich eingebracht habe." Weiters wurden dem Beschwerdeführer seine unterschiedlichen Angaben während seiner Verfahren sowohl in Österreich als auch in England vorgehalten und im die Möglichkeit gegeben hierzu Stellung zu nehmen. Als Grund für die neuerliche Antragstellung gab er an: "Mir ist nichts anderes übrig geblieben. Egal wohin ich in die Europa fahre, wird mir zuerst gesagt, dass ich zuerst in Österreich war. Ich bitte Sie um Asyl."

 

4. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.4.2007, Zahl: 06 10.682-EAST-Ost, gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Zif 1 AsylG aus dem Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen. Der Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.4.2007, Zahl:

06 10.682-EAST-Ost, wurde dem Beschwerdeführer am 30.4.2007 persönlich zugestellt.

 

5. Mit Telefax vom 14.6.2007 stellte der nunmehrige Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachte gleichzeitig das Rechtsmittel der Berufung ein. Begründend wird in der Berufung ausgeführt, die erstinstanzliche Behörde habe lediglich Einblick in das Erstverfahren genommen; damals sei ihm kein Glaube geschenkt worden. Die Behörde habe sich ohne weiteres Ermittlungsverfahren ihrer damaligen Meinung angeschlossen; sie habe sich nicht mit seinem Vorbringen nicht auseinandergesetzt.

 

6. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.12.2007, Zahl: 06 10.682, wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung abgewiesen. Der gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 22.1.2008, Zahl:

316.913-1/2E-X/29/08, stattgegeben.

 

7. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 22.01.2008, Zl. 316.913-2/2E-X/29/08 wurde die Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.04.2007, Zl. 06 10.682-EAST Ost gemäß §68 Abs.1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG abgewiesen. Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich das Vorbringen des Berufungswerbers auf Umstände beziehe, welche diesem bereits während des ersten Asylverfahrens bekannt waren und nicht nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens entstanden sind. Dem Vorbringen des Berufungswerbers seinen keine neuen asylrelevanten Sachverhaltsänderungen zu entnehmen. Dem Vorbringen in der Berufung, die erstinstanzliche Behörde habe sich mit den Angaben des Berufungswerbers nicht auseinandergesetzt, sei entgegen zu halten, dass das Bundesasylamt den Beschwerdeführer mehrmals zu seinem Vorbringen einvernommen und diesem Widersprüchlichkeiten vorgehalten, sowie Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt habe; das Berufungsvorbringen ginge daher ins Leere. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 31.01.2008 persönlich zugestellt.

 

8. Gegen die letztgenannte Entscheidung wurde Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.

 

9. Am 11.04.2008 stellte der nunmehrige Beschwerdeführer (aus dem Stande der Schubhaft) vertreten durch den DIAKONIE Flüchtlingsdienst einen weiteren (schriftlichen) Antrag auf internationalen Schutz. In seinem Antrag führte der Genannte aus, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan gefährdet sei. Für den Fall, dass die Erstbehörde zur Ansicht gelange, dass keine Asylgründe vorliegen, müsse jedenfalls festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde. Der Unabhängige Bundesasylsenat komme in seiner ständigen Rechtsprechung betreffend afghanische Staatsbürger zu dem Ergebnis, dass durch eine Abschiebung nach Afghanistan in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK eingegriffen würde; seit dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.08.2003, welcher in Rechtskraft erwachsen sei, sei es zu einer Änderung des Sachverhaltes gekommen. Die seit 2005 in Afghanistan eskalierte Sicherheitslage sei ein Sachverhalt, welcher nach der Entscheidung vom 27.08.2003 entstanden sei. Dazu sei auf UBAS - Entscheidungen in ähnlich gelagerten Entscheidungen zu verweisen (z.B: 244.473-IV/11/06 vom 27.10.2006, 228.258/5-III/07/06 vom 20.06.2006).

 

Am 22.04.2008 erfolgte eine Erstbefragung des nunmehrigen Beschwerdeführers durch Organe des Öffentlichen Sicherheitsdienstes, wobei der Genannte erklärte, seine Asylgründe seien noch immer die gleichen, wie bei seinem letzten Antrag auf internationalen Schutz. Er wolle nun seine Asylgründe nochmals erläutern, da im Jahr 2003 ein persisch sprechender Dolmetscher übersetzt habe und es dabei zu sprachlichen Missverständnissen gekommen sei; der Dolmetscher habe einiges falsch übersetzt. Bei der neuerlichen Einvernahme im Jahr 2006 sei ihm dann vorgeworfen worden, warum er jetzt abweichende Angaben mache, auf seine vorgebrachten Asylgründe sei nicht eingegangen worden. Dies wolle er jetzt klarstellen. Sein Vater sei Mitglied der Hezb-e Islami gewesen, auch sein Onkel sei Mitglied dieser Partei gewesen. Diese Partei habe Probleme mit der Gegenpartei namens Jamiat-e Islami gehabt. Bei einem Angriff dieser Partei seien sein Onkel und fünf oder sechs seiner Leute getötet worden, auch auf der Gegenseite seien einige Leute getötet worden. In weiterer Folge seien sie ständig von der gegnerischen Partei angegriffen worden. Weil er und seine Familie Angst um ihr Leben hatten, seien sie nach J. geflüchtet. Dort seien sie von Taliban aufgesucht worden, welche seinen Vater um Mitarbeit ersucht hätten. Sein Vater sei schließlich aus Angst einige Zeit bei den Taliban gewesen, habe sich dann jedoch von diesen abgesetzt, weshalb sie nach Pakistan geflüchtet seien. Auch in Pakistan sei er von den Taliban und den Feinden seiner Familie verfolgt worden, aus diesem Grund sei er nach Europa und schließlich nach Österreich geflüchtet. Die Lage in seiner Heimat habe sich verschlechtert, die Feinde seiner Familie seien jetzt an der Macht, diese würden ihn im Falle seiner Rückkehr wahrscheinlich töten.

 

Am 06.05.2008 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer niederschriftlich einvernommen, wobei der Genannte befragt zu seinem Fluchtgrund sein bisheriges Vorbringen wiederholte und ergänzend angab, dass er von anderen Flüchtlingen erfahren habe, dass viele Mitglieder der Hezbe Islami und auch Kommandanten von der heutigen Regierung unter dem Vorwand, Taliban zu sein, getötet worden seien. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er gefangen genommen oder getötet zu werden. Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 13.05.2008 bekräftigte der nunmehrige Beschwerdeführer seine am 06.05.2008 getätigten Angaben und verwies auf sein Schreiben (beim Bundesasylamt eingelangt am 09.04.2008), in welchem er auf die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan hinwies. In seinem Schreiben führte er überdies aus, ihm als Sohn eines Hezbe Islami Mitgliedes drohe im Falle seiner Rückkehr der Tod. Mitglieder der Jamiat - Partei seien für die jetzige Regierung tätig und würden Mitglieder der Hezb-e-Islami an die Regierung ausliefern, mit der Behauptung, diese seien Taliban. In Afghanistan habe er weder Haus noch Vater oder Mutter.

 

10. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.06.2008, Zl. 08 03.559 - EAST Ost, wurde der Asylantrag vom 22.04.2008 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 1 AsylG die Ausweisung des Genannten nach Afghanistan ausgesprochen. Dieser Bescheid wurde am 18.06.2008 an den Vertreter des Berufungswerbers zugestellt und dagegen fristgerecht Beschwerde erhoben.

 

In seiner Beschwerde moniert der nunmehrige Beschwerdeführer, dass er bereits bei seiner schriftlichen Antragstellung vom 10.04.2008 auf die veränderte Sachlage (Eskalation der Sicherheitslage seit 2005) hingewiesen habe. Die Sachverhaltsänderung beziehe sich auf allgemein bekannte Tatsachen, welche jedenfalls von Amts wegen zu berücksichtigen seien; in diesem Zusammenhang verwies der Beschwerdeführer auf die diesbezügliche Judikatur des VwGH vom 29.06.2000, Zl. 99/01/0400, sowie vom 07.06.2000, Zl. 99/01/0321). Die derzeitige Sicherheitslage sei ein Sachverhalt, welcher nach der rechtskräftigen Entscheidung vom 28.08.2003 entstanden sei. Es gebe zahlreiche Länderberichte, welche auf die Eskalation der Sicherheitslage seit 2005 hinweisen würden, die erstinstanzliche Behörde habe sich jedoch mit den Länderberichten nicht auseinander gesetzt. Die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers habe sich im Vergleich zum Jahr 2003 verändert.

 

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in das Aktenkonvolut betreffend den ersten Rechtsgang im Asylverfahren, den Folgeantrag auf internationalen Schutz vom 06.10.2006 sowie vom 11.04.2008, die niederschriftlichen Einvernahmeprotokolle vor den Organen der Sicherheitsbehörden und dem Bundesasylamt, den bekämpften Bescheid sowie den Beschwerdeschriftsatz.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG s. VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

2. Das Bundesasylamt stützte seine Entscheidung auf "entschiedene Sache" im Ergebnis darauf, dass in einer Gesamtbetrachtung der Beschwerdeführer keinesfalls einen "neuen Sachverhalt" vorgetragen und glaubhaft gemacht habe.

 

"Entschiedene Sache" i.S.d. § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH v. 09.09.1999, Zl. 97/21/0913; VwGH v. 27.09.2000, Zl. 98/12/0057; VwGH v. 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH v. 10.06.1998, Zl. 96/20/0266). Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.1.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH vom 24.02.2000, Zl. 99/20/0173-6).

 

3. Das Bundesasylamt hat richtig erkannt, dass hinsichtlich des Hauptantrages auf Gewährung des Status des Asylberichtigten entschiedene Sache vorliegt, da der Berufungswerber keine glaubhaften Fluchtgründe vorgebracht hatte, die sich nicht auf die bereits rechtskräftig abgewiesenen Fluchtgründe aus dem Hauptverfahren beziehen.

 

Wenn aber bei der Zurückweisung wegen entschiedener Sache kein gesonderter Abspruch über den Subsidiärschutz erfolgte, impliziert dies, dass sich auch auf der Ebene des Subsidiärschutzes (Refoulmentschutz) der Sachverhalt nicht wesentlich verändert haben darf (s. Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, Kommentar, 3. überarbeitete Auflage, § 8, K2). Das Bundesasylamt hat es unterlassen, zu ermitteln, ob hinsichtlich des Eventualantrages auf Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten eine neue Sache vorliegt. Im vorliegenden Fall hat sich das Bundesasylamt mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers in Zusammenhalt mit der von ihm erwähnten geänderten Situation im Herkunftsstaat im bekämpften Bescheid nicht ausreichend auseinandergesetzt, sondern in seiner Beweiswürdigung lediglich festgehalten: "Dass sich im festgestellten Herkunftsstaat Afghanistan maßgebliche Änderungen ergeben hätten, welche für sich alleine bereits einen neuen asylrelevanten Sachverhalt bewirken würden, wurde nicht einmal behauptet." Diese Ansicht ist im vorliegenden Fall jedenfalls verfehlt, machte der Beschwerdeführer im Zuge seines nunmehrigen Asylverfahrens doch mehrmals auf eine Eskalation der Sicherheitslage in seinem Herkunftsstaat aufmerksam.

 

In Anbetracht der Tatsache, dass die das Erstverfahren beendende rechtskräftige Entscheidung aus dem Jahr 2003 stammt - in Zusammenhang mit dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers - hat es das Bundesasylamt verabsäumt, entscheidungsrelevante Feststellungen zur nunmehrigen Situation in Afghanistan zu treffen. Wesentlich in einem Verfahren wegen entschiedener Sache ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers seit Erlassung des rechtskräftigen Bescheides im Erstverfahren eine Situation ergeben hat, in welcher der Rückkehrer der Gefahr ausgesetzt wäre, Opfer von asylrelevanter Verfolgung zu werden. Den weiteren Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid, dass auch aufgrund der allgemeinen Lage im Herkunftsland weiterhin kein Rückkehrhindernis nach Afghanistan ersichtlich sei und diesbezüglich die im Erstverfahren getroffenen refoulementrelevanten Feststellungen nach wie vor Gültigkeit hätten, kann daher aus den eben erwähnten Umständen nicht beigetreten werden, zumal die belangte Behörde im Dunklen lässt, warum - entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers - die allgemeine Lage im Herkunftsland weiterhin kein Rückkehrhindernis darstellt.

 

Es ist jedenfalls nicht Aufgabe der Berufungsbehörde, die vom Bundesasylamt übergangenen, asylrechtlich nicht von vornherein irrelevanten Vorbringensteile anstelle der Erstbehörde zu deren allgemein gehaltenen Feststellungen über die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführerin in Beziehung zu setzen und zu prüfen, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Partei danach die von ihr behaupteten Gefahren drohen (vgl. VwGH v. 08.06.2006, Zl. 2004/01/0487). Der Akt der Beweiswürdigung ist in einem Bescheid erkennbar und nachvollziehbar darzulegen. Die Gedankengänge der Behörde zur Beweiswürdigung, d.h. zur Würdigung der von ihr aufgenommenen Beweisergebnisse im Bezug auf deren Wahrheitsgehalt, müssen daher auch für die Partei bzw. deren Vertreter und die Berufungsbehörde schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. VwGH v. 20.11.2000, Zl. 95/20/0256). Die Begründung des bekämpften Bescheides erfüllt diese Anforderungen jedoch nicht. Hätte das Bundesasylamt bei einer Gesamtbetrachtung des Vorbringens des Beschwerdeführers, dieses einer schlüssigen Würdigung unterzogen, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass es zu einem anderen Ergebnis im bekämpften Bescheid gelangt wäre.

 

Die erstinstanzliche Asylbehörde wird sich im fortgesetzten Verfahren mit, dem Gesamtvorbringen des Beschwerdeführers, auseinanderzusetzen haben und dem Beschwerdeführer im Rahmen einer Verhandlung zu den fallbezogenen Länderberichten das Parteiengehör einräumen zu haben.

 

4. Von der durch § 66 Abs. 3 AVG der Berufungsbehörde eingeräumten Möglichkeit, die mündliche Verhandlung und unmittelbarer Beweisaufnahme selbst durchzuführen, wenn "hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist", war im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen nicht Gebrauch zu machen:

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren eingerichtet. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens zu wesentlichen Sachverhaltsfragen in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor dem Asylgerichtshof käme, weil es das Bundesasylamt unterlässt, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen, indem der angefochtene Bescheid keine Feststellungen zu entscheidungsrelevanten Sachverhaltselementen enthält. Diese Aufgabe kommt primär dem Bundesasylamt zu. Die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen würde sonst zur bloßen Formsache degradiert. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn der Asylgerichtshof, statt seine "umfassende" Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den gesamten entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG (vgl. VwGH

v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, VwGH v. 30.09.2004, Zl. 2001/20/0315).

 

Im konkreten Fall wäre im Zuge des Verfahrens vor dem Bundesasylamt der relevante Sachverhalt zu erheben und dem Beschwerdeführer im Rahmen einer Verhandlung zu den fallbezogenen Länderberichten das Parteiengehör einzuräumen.

 

4. Ausgehend von diesen Überlegungen musste im vorliegenden Fall der gesamte Bescheid behoben werden, da der Spruch des Bundesasylamtes den Antrag gänzlich zurückweist und nicht zwischen Haupt- und Eventualantrag unterscheidet. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Sicherheitslage
Zuletzt aktualisiert am
20.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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