TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/24 S12 400630-1/2008

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Veröffentlicht am 24.07.2008
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Spruch

S12 400.630-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde des A.Y., geb. ungeklärt, StA.

Afghanistan, vertreten durch: Mag. G.Z. gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.06.2008, FZ. 08 02.842 EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara reiste am 26.03.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.2. Eine Eurodac-Abfrage vom 26.03.2008 ergab, dass der Beschwerdeführer am 03.12.2007 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden war.

 

1.3. Bei der Erstbefragung am 27.03.2008 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen EAST in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei 1993 geboren und habe sein Heimatland vor fünf Jahren mit einem PKW Richtung Pakistan verlassen. Nach einer Woche Aufenthalt in Pakistan sei er dann von dort aus schlepperunterstützt in den Iran weitergereist. In der Folge sei er weiter illegal in die Türkei und von dort aus illegal nach Griechenland gelangt. In Griechenland seien ihm die Fingerabdrücke abgenommen worden und sie schriftlich zur Ausreise aufgefordert worden. Er sei dann nach einem Tag Anhaltung nach Athen gereist und 12 Tage dort geblieben. Von dort aus habe er sich nach Patras begeben, wo er zweieinhalb Monate zugebracht habe. In der Folge sei er illegal schlepperunterstützt auf einem LKW versteckt nach Italien gefahren. Mit dem LKW sei er quer durch Europa gefahren und schließlich nach Österreich gelangt, wo er einen Asylantrag gestellt habe. Die Reise habe insgesamt ca. 5 Monate gedauert. Einen Asylantrag habe er in Griechenland nicht gestellt. In seine Heimat könne er nicht zurück, er habe Angst hingerichtet zu werden. In Griechenland wiederum würde er sehr schlecht behandelt werden; er sei nur illegal dort gewesen und würde ins Gefängnis kommen.

 

1.4. Am 02.04.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, im Beisein des gesetzlichen Vertreters, Mag. S., sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, dass er körperlich und geistig in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Seine bisherigen Angaben würden der Wahrheit entsprechen. Dass er 16 Jahre alt sei, wisse er von seiner Mutter. Sein Geburtsdatum wisse er nur ungefähr, die Griechen hätten ein präzises Datum hingeschrieben. In Griechenland sei er vor ca. vier Monaten eingereist und ca. zweieinhalb Monate dort geblieben, bevor er über Italien nach Österreich gelangt sei. Einen Asylantrag habe er in Griechenland nicht gestellt, weil er dies nicht beabsichtigt habe. Aufgrund der Zweifel des Bundesasylamtes an der behaupteten Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurde dieser zu einer ärztlichen Altersfeststellung geladen. Der Rechtsberater legte eine "Petition an den Deutschen Bundestag - Abschiebung von Flüchtlingen nach Griechenland aussetzen" vor.

 

1.5. Am 03.04.2008 richtete das Bundesasylamt ein dringliches Aufnahmeersuchen an die zuständige griechische Behörde.

 

1.6. Am 07.04.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5, 68 Abs. 1 AVG, §29 Abs.3 Z 4 AsylG), da Dublin Konsultationen mit Griechenland seit 02.04.2008 geführt würden (vgl. AS 89f, Übernahme durch den Rechtsberater bestätigt).

 

1.7. Mit Schreiben vom 07.04.2008 nahm der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers zum Zulassungsverfahren Stellung und führte dabei aus, dass die Einleitung des Aufnahmeverfahrens mit Griechenland rechtswidrig sei, da der Asylwerber nach eigenen Angaben minderjährig sei. Die am 07.04.2008 ausgefolgte Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG an den Asylwerber sei daher unzulässig.

 

1.8. Mit Schreiben vom 08.05.2008 informierte das Bundesasylamt die zuständige griechische Behörde darüber, dass aufgrund des Fristablaufes die Zuständigkeit zur Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO auf Griechenland übergangen sei.

 

1.9. Am 23.05.2008 wurde der Beschwerdeführer von Dr. A.K. zwecks Feststellung seines Alters untersucht. In dem als Sachverständigengutachten titulierten Befund werden Größe, Gewicht, Geschlecht, Hautfarbe, Kopfumfang, Anzahl der Zähne, Art der Behaarung, Farbe der Nägel und Größe der Nieren und Volumen der Schilddrüse wiedergegeben. Ohne nähere Begründung folgt eine Zusammenfassung, wonach "aufgrund der äußeren Inspektion, des äußeren Eindruckes sowie der sonographischen Messgrößen von Nieren und Schilddrüse das Alter von Herrn A.Y. auf 21 bis 23 Jahre, jedoch deutlich über dem 18. Lebensjahr eingeschätzt" werde (AS 103f). Dem Arztbrief beigelegt wurde ein Auszug aus dem Lehrbuch "Ultraschalldiagnostik in Pädiatrie und Kinderchirurgie", Hofmann et al, 3.Aufl., aus dem hervorgeht, dass Länge und Volumen der Nieren mit dem Alter der Patienten korrelieren "- besser aber mit der Körperlänge" (AS 111).

 

1.10. Am 29.05.2008 teilte das Bundesasylamt dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers, Mag. S., mit, dass es auf der Grundlage des Gutachtens zur Altersfeststellung des Beschwerdeführers von dessen Volljährigkeit des Asylwerbers ausgehe. Dem Rechtsberater wurde die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme eingeräumt.

 

1.11. Am 04.06.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, dass er körperlich und geistig in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Dem Beschwerdeführer wurde seitens des Bundesasylamtes erklärt, dass aufgrund der ärztlichen Untersuchung eindeutig von seiner Volljährigkeit auszugehen sei und es wurde ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Dazu brachte der Beschwerdeführer vor, dass seine Mutter und sein Onkel ihm gesagt hätten, dass er 16 Jahre alt sei und er auch in Griechenland dieses Alter angegeben habe. Ferner legte er einen Landesverweis der griechischen Behörden vor. Verwandtschaftliche Beziehungen in Österreich, im (sonstigen) EU-Raum, Norwegen oder Island habe er nicht und er lebe auch nicht mit jemandem in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft.

 

1.12. Am 21.06.2008 legte der Beschwerdeführer, mittlerweile vertreten durch Mag. G.Z., eine Stellungnahme zum Gutachten von Dr. A.K. vor, in dem zusammengefasst unter Verweis auf die Stellungnahme eines Experten auf dem Gebiet der Altersfeststellungen das Gutachten von Dr. A.K. einerseits als unschlüssig gerügt wird und die dort angewandte Methode der Untersuchungen an Schilddrüse und Nieren als für eine Feststellung des Alters ungeeignet kritisiert wird (AS 131 bis 145).

 

1.13. In der Folge nahm Dr. A.K. zu der von ihm angewandten Methode der Altersfeststellung "von Asylanten" mittels Ultraschalluntersuchung von Niere und Schilddrüse Stellung (vgl. AS 147f). Darin legt Dr. A.K. dar, dass er seit 25 Jahren Forschungsmitglied der österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde und der österreichischen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin sei. Ferner sei er seit 25 Jahren Ausbilder der österreichischen und deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin und veranstalte vier Mal pro Jahr Ausbildungskurse für Pädiater in St. Anna Kinderspital und in der Kinderklinik Glanzing im Wilhelminenspital. Darüber hinaus halte er seit 10 Jahre Ausbildungskurse an der Universitätskinderklinik in Heraklion, Kreta und verweise auf zahlreiche wissenschaftliche Publikationen an der Universitätskinderklinik Wien. Zu der von ihm angewandten Methode halte er fest, dass die Vermessung von Länge und Volumen der Nieren und Volumen der Schilddrüsen eine standardisierte Methode sowohl in der Kinder- und Jugendheilkunde als auch in der Erwachsenenmedizin mit festgelegten Mittelwerten und Standardabweichungen sei. Diese Werte zur Untermauerung der Schätzung des Alters von Personen heranzuziehen sei ihm bei der Suche nach objektiven Messdaten zur Unterstützung des subjektiven Eindrucks der körperlichen Stigmata gekommen. Überschneidungen der Messdaten aus dem Kinder- und Jugendalter und aus dem Erwachsenenalter seien möglich. Eine genaue Feststellung des chronologischen Alters wäre mittels eines Handwurzelröntgens der rechten Hand und Bestimmung des Knochenalters möglich, dies sei aber nach Auskunft der Menschenrechtskommission entgegen den Menschenrechten (Strahlenbelastung). Zusammenfassend scheine ihm nach seiner langjährigen Erfahrung die völlig strahlenfreie und belastungsfreie Methode der Ultraschalluntersuchung von Niere und Schilddrüse eine gut geeignete Möglichkeit das angegebene Alter von Personen zusätzlich zur persönlichen Einschätzung zu untermauern.

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 26.03.2008 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutzes gemäß Art. 10 Abs. iVm Art. 18 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Griechenland zuständig sei. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.

 

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass durch die Vollziehung der Ausweisung und die Zurück- und Abschiebung nach Griechenland für ihn ein "real risk" bestehe, dass er in seinen Grundrechten verletzt würde. Seine diesbezüglichen Ausführungen stütze er auf das Positionspapier des UNHCR vom April 2008, den Jahresbericht von amnesty international vom 28.05.2008, eine ACCORD Anfragebeantwortung vom 03.03.2008, auf verschiedene von Pro Asyl wiedergegebenen Informationen sowie den Country Report des USDOS vom März 2007. Überdies sei bezüglich der Frage seiner Voll- oder Minderjährigkeit einerseits das Gutachten unschlüssig, andererseits die angewandte Methode zur Altersfeststellung völlig ungeeignet, seine Volljährigkeit festzustellen. Aufgrund seiner Minderjährigkeit seien auch die Konsultationen mit Griechenland rechtswidrig gewesen.

 

4. Mit Schreiben vom 11.06.2008, eingelangt bei der erstinstanzlichen Behörde am 30.06.2008 (demnach nach Ablauf der einmonatigen Frist), hat sich Griechenland gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO für die Aufnahme des Asylwerbers für zuständig erklärt.

 

5. Am 22.07.2008 wurde die gegenständliche Beschwerde dem Asylgerichtshof vorgelegt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang der Sachverhalt ergeben sich aus dem dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

2.1. Gemäß §§ 73 Abs. 1 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Verfahren das AsylG 2005 anzuwenden war.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde tritt.

 

2.2. § 41 Abs. 3 AsylG besagt, dass in einem Verfahren über eine Berufung gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden ist. Ist der Berufung gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Berufung gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Der Gesetzgeber hat einerseits für das Verfahren über Berufungen gegen zurückweisende Bescheide in Asylangelegenheiten sehr kurze Fristen vorgesehen (siehe §§ 41 Abs. 2 und 37 Abs. 3 AsylG), andererseits aber die Berufungsbehörde dazu verpflichtet, bei einem "mangelhaften Sachverhalt" der Berufung stattzugeben, ohne § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden (vgl. § 41 Abs. 3 AsylG). Das Ermessen, das § 66 Abs. 3 AVG der Berufungsbehörde einräumt, allenfalls selbst zu verhandeln und in der Sache zu entscheiden, besteht somit in einem solchen Verfahren nicht. Aus den Materialien (Erläuterungen zur RV, 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von Erhebungsmängeln die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuweisen" ist. Diese Zulassung stehe einer späteren Zurückweisung nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Berufungsbehörde im Verfahren über Berufungen gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit möglichst entlasten wollte. Die Formulierung des § 41 Abs. 3 AsylG ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint"), schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein in Frage kommt, wenn der Berufungsbehörde - auf Grund erforderlicher zusätzlicher Erhebungen - eine unverzügliche Erledigung der Berufung unmöglich ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin II-VO ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Staates.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Dublin II-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

2.3. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Hierbei ist entscheidungsrelevant, ob der Beschwerdeführer tatsächlich volljährig ist, da andernfalls jedenfalls eine Zuständigkeit Österreichs gemäß Art. 6 der Dublin-II VO bestünde. Da die Erstbehörde Zweifel an der vom Beschwerdeführer behaupteten Minderjährigkeit hatte, beauftragte sie Dr. A.K. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung des Alters des Beschwerdeführers (AS 123 ff). Das Gutachten ist ausgesprochen kursorisch gehalten, Angaben über die spezifische Qualifikation des Gutachters und die Verlässlichkeit der von ihm verwendeten Methoden, sowie die Gewichtung der verschiedenen Methoden untereinander fehlen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht möglich, schlüssig nachzuvollziehen, wie der Gutachter zu der von ihm festgelegten Altersbestimmung gelangen konnte. Sonstige Umstände, die den Befund der Volljährigkeit decken könnten (zB widersprüchliche Aussagen zu Lebensgeschichte) sind ebenso nicht ersichtlich. Unter diesen Prämissen kann aber der Kritik in der Beschwerde hinsichtlich vermeintlicher Unschlüssigkeit des Gutachtens und Ungeeignetheit der Untersuchungsergebnisse auf Basis der Aktenlage nicht hinreichend begegnet werden. Es muss von Amts wegen Aufgabe der Erstbehörde sein, gerade in einem wissenschaftlich notorischerweise sensiblen Bereich wie jenem der "Altersfeststellung" vor Befassung eines Gutachters Erhebungen zu dessen Untersuchungsmethodik und Reputation (sofern diese nicht als notorisch anzusehen ist) zu machen.

 

An dieser Einschätzung vermag auch die Stellungnahme von Dr. A.K. nichts zu ändern, in der er die von ihm angewandte Methode zur Altersfeststellung mittels Ultraschalluntersuchung von Niere und Schilddrüse zu untermauern versucht. In dieser Stellungnahme wird nämlich einerseits keinerlei spezifische ausgewiesene Expertise Dris. A.K. zur Altersfeststellung dargelegt und andererseits bestätigt, dass für die Feststellung des Alters einer Person die Methode der Vermessung von Niere und Schilddrüse lediglich als Unterstützung des subjektiven Eindrucks der körperlichen Stigmata und der persönlichen Einschätzung dienen könne. Zudem gesteht die Stellungnahme zu, dass Überschneidungen der Messdaten aus dem Kinder- und Jugendalter und aus dem Erwachsenenalter möglich seien und eine genaue Feststellung des chronologischen Alters mit der Methode der Vermessung von Nieren- und Schilddrüsenvolumen nicht möglich seien. Dies sei nach Ansicht Dris. A.K. nur mittels eines Handwurzelröntgens und Bestimmung des Knochenalters möglich. Aus dem Gutachten von Dr. A.K. geht nun geradezu nicht hervor, in wie weit im gegenständlichen Fall in nachvollziehbar dargestellter Weise andere Methoden zwecks Feststellung des Alters konkret angewandt worden sind. In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 21.06.2008 darauf hinweist, dass er nur sehr kurz untersucht worden ist, ohne dass es dabei zu einem Gespräch gekommen sei. Im Gutachten von Dr. A.K. wird somit nicht dargestellt, wie und in wie fern unter Zugrundelegung anderer Methoden Rückschlüsse auf das konkrete Alter des Beschwerdeführers gezogen werden konnten.

 

Da die Erstbehörde also eine entscheidungsrelevante Vorfrage hinsichtlich der Zuständigkeit Griechenlands nicht hinreichend geklärt hat, war gemäß § 41 Abs 3 3. Satz AsylG vorzugehen. So die Erlassung einer neuerlichen Unzuständigkeitsentscheidung beabsichtigt ist, werden zum Thema des Alters des Beschwerdeführers ergänzende Entscheidungsgrundlagen dem Verfahren zugrunde zulegen und dem Parteiengehör zu unterwerfen sein.

 

3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte nunmehr angesichts des Spruchinhaltes entfallen. Bei dieser Sachlage konnte auch auf eine Erörterung der weiteren Kritik in der Beschwerde am griechischen Asylverfahren nicht eingegangen zu werden.

Schlagworte
Gutachten, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Minderjährigkeit, Parteiengehör, Volljährigkeit
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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