A2 312.505-1/2008/9E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Filzwieser als Einzelrichter über die Beschwerde des I.G., geb. 00.00.1975, StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.05.2007, FZ. 05 12.662-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.03.2008 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und I.G. gemäß § 7 AsylG 1997 idgF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 12 AsylG 1997 idgF wird festgestellt, dass I.G. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der Verfahrensgang vor dem Bundesasylamt ergibt sich aus der Aktenlage. Das Bundesasylamt hat in seiner Entscheidung dem Beschwerdeführer wegen der allgemeinen Lage in Somalia den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, nicht jedoch den Status des Asylberechtigten wegen Unglaubwürdigkeit der geschilderten persönlichen Verfolgung.
2. Der (seinerzeitig zuständige) Unabhängige Bundesasylsenat führte am 18.03.2008 eine mündliche Verhandlung durch, an welcher der (nunmehrige) Beschwerdeführer und sein Vertreter teilnahmen. Das Bundesasylamt hatte seine Nicht-Teilnahme entschuldigt und den Antrag gestellt, die Berufung (nunmehr: Beschwerde) abzuweisen. Im Rahmen dieser Verhandlung wurden unter anderem Berichte zur Situation in Mogadischu und den Volksgruppen "Tuni" und "Hawiye" in das Verfahren eingeführt.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer I.G., geb. 00.00.1975 ist Staatsangehöriger von Somalia, aus Mogadischu, zugehörig der Volksgruppe der Tuni. Von Angehörigen des Clans der Hawiye, welche den Rebellen der USC angehörten, wurde der Beschwerdeführer als Angehöriger einer ethnischen Minderheit verfolgt. Er wurde zweimal von bewaffneten Gruppen der Hawiye entführt, erpresst und mit dem Tod bedroht. Anlässlich seiner ersten Entführung konnte der Beschwerdeführer von seinem Onkel freigekauft werden. Bei seiner zweiten Entführung gelang ihm nur durch glückliche Umstände die Flucht. Mit Hilfe seines Onkels verließ der Beschwerdeführer daraufhin Somalia und gelangte auf nicht näher feststellbare Weise nach Österreich. Über Bezugspersonen in Somalia außerhalb von Mogadischu verfügt der Beschwerdeführer nicht.
1.2. Zur Lage in Somalia werden über die diesbezüglichen Feststellungen des Bundesasylamtes hinaus aufgrund der in der Folge genannten in der Verhandlung vom 18.03.2008 erörterten Quellen nachfolgende Feststellungen getroffen:
UN Security Council, Report of the Secretary-General on the situation in Somalia pursuant to paragraphs 3 and 9 of Security Council resolution 1744 (2007) vom 20.04.2007
UK Home Office, Border § Immigration Agency, Operational Guidance Note, Somalia, 12.11.2007
Dt. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Somalia, 17.03.2007
USDOS, Country Report on Human Rights Practices, 10.03.2008, Somalia
Konvolut an aktuellen Internetauszügen zur Situation in Mogadischu und "Tuni", insbesondere Information Request des Immigration and Refugee Borad vom 15.02.2005
Insbesondere ergibt sich daraus, dass Digil eine oft diskriminierte Stammesgruppe ist; die Tuni sind ein lokaler Clan der Digil, zumeist aus Südsomalia. Hawiye sind ein einflussreicher Clan in Somalia. Eine Schutzalternative in Somaliland oder Puntland besteht für Personen aus Südsomalia/Mogadischu ohne Bezug zu den dort herrschenden Ethnien regelmäßig nicht. Staatliche Organe funktionieren in Südsomalia nicht. Die Menschenrechtslage ist grundsätzlich in Somalia vielfach sehr schlecht; zuletzt kam es in Mogadischu wieder zu massiven Gewaltausbrüchen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der Beschwerdeführer erweckte in der mündlichen Verhandlung vor dem nunmehr zuständigen Richter des Asylgerichtshofes einen persönlich glaubhaften Eindruck. Der Beschwerdeführer erstattete detaillierte und insgesamt glaubwürdig erscheinende Angaben, allfällige Widersprüche, respektive Ungereimtheiten konnten in der Verhandlung aufgeklärt werden. Seine (auch vom Bundesasylamt nicht mit substantiierten Argumenten verneinte) ethnische Zugehörigkeit wurde auch durch den (aus Somalia stammenden) Dolmetscher der Verhandlung nicht in Frage gestellt, worauf nur vollständigkeitshalber hingewiesen wird (Verhandlungsschrift Seite 6, unten).
2.2. Die vom Bundesasylamt angenommene Beweiswürdigung erwies sich schon für sich genommen als nicht überzeugend. So führt das Bundesasylamt zur Frage der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Minderheit der Tuni lediglich aus, dass besondere äußere Kennzeichen wie Aussehen oder Sprache, die die Zugehörigkeit erkennbar machen würden, nicht vorliegen. Weiters hält das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer entgegen, dass das Vorbringen mit dem anderer somalischer Asylwerber übereinstimme. Vom Bundesasylamt wird abgesehen von allgemein gehaltenen Textbausteinen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Asylwerbern lediglich ein fallbezogener Widerspruch angeführt (Einmal sei er wegen seiner Weigerung für die Rebellen zu kämpfen, das andere Mal wegen Gelderpressung festgehalten worden - Seite 13 des Bescheides). Diesbezüglich ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung schlüssig und nachvollziehbar den Ablauf und die Hintergründe seiner Entführungen schildern konnte. Da vom Bundesasylamt lediglich eine einzige abweichende Aussage des Beschwerdeführers anlässlich der kursorischen Befragung zu den Fluchtgründen im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes angeführt wird, ist dies für sich alleine nach Ansicht des Asylgerichtshofes nicht geeignet, insgesamt die Versagung der Glaubwürdigkeit der behaupteten Fluchtgründe zu rechtfertigen. Auch die sonstigen vom Verhandlungsleiter in der Verhandlung vom 18.03.2008 vorgehaltenen Widersprüche die sich aus den erstinstanzlichen Einvernahmeprotokollen zu ergeben schienen, konnten vom Beschwerdeführer und seinem Vertreter im Ergebnis nachvollziehbar aufgeklärt werden (siehe Verhandlungsschrift, Seite 5), wobei auch die augenscheinlich zu Tage getretene Aufregung des Beschwerdeführers mit ins Kalkül zu ziehen war. Nicht beabsichtigte Unsicherheiten bzw. Missverständnisse bei der Übersetzung der erstinstanzlichen Einvernahmen sind unter diesen Gesichtspunkten ebenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.
Angesichts des im Asylverfahren gültigen Maßstabs für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit, vgl nur EGMR 10.07.2007, Rs 34081/05 ACHMADOV, Natalia BAGUROVA : "The Court acknowledges that, due to the special situation in which asylum seekers often find themselves, it is frequently necessary to give them the benefit of the doubt when it comes to assessing the credibility of their statements and the documents submitted in support thereof. However, when information is presented which gives strong reasons to question the veracity of an asylum seeker's submissions, the individual must provide a satisfactory explanation for the alleged inaccuracies in those submissions (see, among others, Collins and Akasiebie v. Sweden (dec.), application no. 23944/05, 8 March 2007 and Matsiukhina and Matsiukhin v. Sweden (dec.), no. 31260/04, 21 June 2005)" ist zusammenfassend festzuhalten, dass Informationen, welche die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers massiv in Zweifel ziehen könnten, nicht aufgetreten sind.
Von einer ethnisch bedingten Verfolgung des Beschwerdeführers ist auch ohne hinzutretende individuelle Umständebereits angesichts der durch den Asylgerichtshof jedenfalls nicht bezweifelten Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum Minderheitenclan der Tuni (im Hinblick auf die festgestellte Situation dieses Clans und der mangelnden Schutzalternative in Somalia) und seiner individuellen Herkunft auszugehen.
2.3. Die Feststellungen zur Lage in Somalia ergeben sich aus einer Gesamtschau der zitierten angeführten aktuellen Quellen, denen von beiden Verfahrensparteien nicht entgegengetreten wurde.
Aufgrund der Dominanz ethnischer Beziehungen in Somalia erscheint es im Falle der Rückkehr auf Basis dieser Informationslage erheblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer wiederum Gefahr läuft, Opfer von Angehörigen der Hawiye zu werden, wobei mangels Relokationsmöglichkeit auch nahe liegend wäre, dass ein Zusammenhang mit seiner seinerzeitigen Flucht durch die lokalen Hawiye hergestellt würde.
3. Rechtliche Würdigung:
Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.
Da der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz vor diesem Datum gestellt hat, kommt im gegenständlichen Verfahren das Asylgesetz 1997 in seiner geltenden Fassung zur Anwendung.
Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.
Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 haben Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idgF ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling i.S.d. Asylgesetzes ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung".
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).
Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; VwGH 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose.
Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183, VwGH 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH 27.01.2000, Zl. 99/20/0519, VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256, VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177, VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203, VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0291, VwGH 07.09.2000, Zl. 2000/01/0153, ua.).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Aktenlage entgegen der Ansicht des Bundesasylamtes, bei Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers, das Vorliegen einer aktuellen ethnisch motivierten Verfolgungsgefahr, dies unter Berücksichtigung aller zu II.2. getroffenen Ausführungen. Eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit liegt für den Beschwerdeführer mangels ethnischen/familiären Anknüpfungspunkten in anderen Landesteilen vor dem Hintergrund der allgemein weiterhin sehr schlechten Menschenrechtssituation in Somalia nicht vor.
Gemäß § 12 AsylG 1997 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.