TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/28 S12 400562-1/2008

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Veröffentlicht am 28.07.2008
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Spruch

S12 400.562-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde des U.T., geb. 00.00.1988, StA. Türkei, vertreten durch Fromherz & Glawitsch, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.06.2008, FZ. 08 04.607 EAST-West, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, hat sein Heimatland legal mit seinem eigenen Reisepass verlassen, ist am 25.05.2008 illegal in einem LKW in das österreichische Bundesgebiet eingereist und stellte am 27.05.2008 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Bei der Erstbefragung am 27.05.2008 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Anhaltezentrums SPK Salzburg in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Türkisch gab der Beschwerdeführer im Wesentlich an, er sei von seinem Heimatort D. mit einem öffentlichen Reisebus nach Istanbul gefahren, wo ihn sein Freund S., erwartet habe und ihn in ein Hotel gebracht habe, in dem er sich zwei Tage aufgehalten habe. Danach habe ihn S. mit seinem PKW an einen abgelegenen Platz gebracht, wo ein LKW auf ihn gewartet habe. Die Fahrt mit dem LKW habe ungefähr zwei oder drei Tage gedauert. Am 25.05.2008 habe er Österreich erreicht und sei von seinem Bruder, der mit seiner Familie in der Schweiz wohne, abgeholt worden. Sein Heimatland habe er verlassen, weil er aufgrund des Martyriums der Kurden im türkischen Staat auf keinen Fall den Militärdienst leisten wolle. Deshalb werde er vom türkischen Staat gesucht.

 

Mit Aktenvermerk vom 28.05.2008 hielt das Bundesasylamt fest, dass laut Bericht "Organisierte Schlepperkriminalität - Halbjahresbericht 2007" des Bundeskriminalamtes türkische Staatsbürger vorwiegend über Bulgarien, Rumänien und Ungarn illegal nach Österreich einreisen, weshalb an diese Staaten Anfragen gemäß Art. 21 Dublin II-VO gestellt werden. Die entsprechenden Informationsersuchen wurden nach am selben Tag übermittelt.

 

Am 28.05.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass mit Bulgarien, Rumänien und Ungarn Konsultationen geführt würden und aus diesem Grund die im § 28 AsylG normierte 20-Tages-Frist nicht gelte.

 

Mit Schreiben vom 06.06.2008 teilte die zuständige rumänische Behörde mit, dass der Beschwerdeführer in Rumänien bei seiner Visumsantragstellung (Visum gültig von 20.05.2008 bis 19.06.2008) einen bis 20.08.2009 gültigen türkischen Reisepass vorgelegt habe.

 

Das Bundesasylamt richtete daher am 11.06.2008 ein dringliches Aufnahmeersuchen an die zuständige rumänische Behörde.

 

Am 11.06.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5, 68 Abs. 1 AVG, § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG), da Dublin-Konsultationen mit Rumänien seit 11.06.2008 geführt werden.

 

Mit Schreiben vom 18.06.2008 erklärte sich Rumänien gemäß Art. 9 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Feststellung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers für zuständig.

 

Am 25.06.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Türkisch niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, dass er körperlich und geistig in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Er habe nur Magenbeschwerden und gehe deshalb täglich zum Arzt. Er bekomme Tropfen und Tabletten. Verwandtschaftliche Beziehungen in Österreich, im EU-Raum, Norwegen oder Island, habe er nicht nur seinen in der Schweiz lebenden Bruder und dessen Familie. Er lebe auch nicht mit jemandem in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Seine Angaben zur Reiseroute seien nicht korrekt gewesen. Er habe einen Schlepper kennen gelernt, der ihm ein rumänisches Visum besorgt habe. Mit diesem sei er mittels Reisebus am 22.05.2008 von Istanbul über Bulgarien nach Rumänien (Ankunft am 23.05.2008) gereist. Von dort sei er mit Hilfe eines anderen Schleppers mit einem LKW am 26.05.2008 nach Österreich gelangt. Weiters brachte der Beschwerdeführer vor, er wolle in der Schweiz einen Asylantrag stellen. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, dass beabsichtigt sei, seine Ausweisung aus Österreich nach Rumänien zu veranlassen, gab er an, er wolle nicht nach Rumänien abgeschoben werden.

 

Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 27.05.2008 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutzes gemäß Art. 9 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Rumänien zuständig sei. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Rumänien ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Rumänien gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass durch die Vollziehung der Ausweisung und die Zurück- und Abschiebung nach Rumänien in die durch Art. 13 iVm Art. 3 EMRK garantierten Rechte verletzt würde, weil im rumänischen Asylwesen die Rechtsmittelfristen zu kurz seien, als dass man gegen eine negative Entscheidung mit einem Rechtsmittel vorgehen könnte. Überdies sei davon auszugehen, dass er in Rumänien eine negative Entscheidung erhalten werde, gegen die er aufgrund der kurzen Rechtsmittelfristen nicht vorgehen könne und demnach in die Türkei ausgewiesen werde, wo er einer unmenschlichen oder menschenunwürdigen Behandlung ausgesetzt sei. Weiters habe es die Erstbehörde unterlassen, ihm die Möglichkeit einzuräumen, zu den getroffenen Länderfeststellungen Stellung zu nehmen und habe damit sein Parteiengehör verletzt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, hat sein Heimatland verlassen und ist mit seinem gültigen türkischen Reisepass und einem gültigen rumänischen Visum über Rumänien und Bulgarien kommend am 25.05.2008 illegal in Österreich eingereist und hat am 27.05.2008 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

In Österreich, im Bereich der EU, Norwegen oder Island hat der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen oder Personen, mit denen er in einer familienähnlichen Gemeinschaft lebt. Sein Bruder und dessen Familie leben in der Schweiz.

 

Der Beschwerdeführer leidet an Magenschmerzen und wird medizinisch versorgt.

 

Rumänien hat sich mit Schreiben vom 18.06.2008 gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO für die Aufnahme des Asylwerbers für zuständig erklärt.

 

1.2. Die in § 28 Abs. 2 AsylG festgelegte zwanzigtägige Frist zur Erlassung eines zurückweisenden Bescheides nach § 5 AsylG gilt nicht, weil dem Beschwerdeführer das Führen von Konsultationen gemäß der Dublin II-VO binnen Frist mitgeteilt wurde, weshalb kein Übergang der Zuständigkeit an Österreich wegen Fristüberschreitung eingetreten ist.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die oben angeführten Feststellungen ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt, insbesondere aus den Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.05.2008 sowie aus der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers vom 25.06.2008 sowie aus der Zuständigkeitserklärung Rumäniens vom 18.06.2008.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Gemäß §§ 73 Abs. 1 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Verfahren das AsylG 2005 anzuwenden war.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde tritt.

 

3.2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin II-VO ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Staates.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Dublin II-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

3.3. Gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO ist, wenn der Asylwerber ein gültiges Visum besitzt, der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrages zuständig, es sei denn, das Visum wurde in Vertretung oder mit schriftlicher Zustimmung eines anderen Mitgliedstaates erteilt. Besitzt der Asylwerber mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind gemäß Abs. 3 die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Asylantrags in folgender Reihenfolge zuständig:

 

der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

 

der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;

 

bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 AsylG ist der Antrag zuzulassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach seiner Einbringung entscheidet, dass er zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen gemäß der Dublin II-VO oder einem entsprechenden Vertrag geführt. Dass solche Verhandlungen geführt werden, ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen.

 

3.4. Im gegenständlichen Fall ist das Bundesasylamt ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer über ein gültiges Visum für Rumänien verfügt und, dass Rumänien einer Übernahme des Beschwerdeführers auf Grundlage des Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO am 17.08.2007 zugestimmt hat, zu Recht von einer Zuständigkeit Rumäniens zur Prüfung des Asylantrages ausgegangen.

 

3.5. Zu prüfen bleibt daher, ob Österreich im gegenständlichen Fall verpflichtet wäre, im Hinblick auf Art. 3 EMRK von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen.

 

3.5.1. Der Verfassungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 08.03.2001, G 117/00 u.a. VfSlg 16.122, aus, dass § 5 AsylG nicht isoliert zu sehen sei; das im Dubliner Übereinkommen festgelegte Selbsteintrittsrecht Österreichs verpflichte - als Teil der österreichischen Rechtsordnung - die Asylbehörde unter bestimmten Voraussetzungen zur Sachentscheidung in der Asylsache und damit mittelbar dazu, keine Zuständigkeitsbestimmung im Sinne des § 5 vorzunehmen. Eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs. 1 AsylG sei durch die Heranziehung des Selbsteintrittsrechtes zu vermeiden. Dieser Rechtsansicht schloss sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23.01.2003, Zl. 2000/01/0498, an.

 

Hatte der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 15.10.2005, G 237/03 u.a. ausgesprochen, dass jene zum Dubliner Übereinkommen angestellten Überlegungen auch für das Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin-VO zutreffen, ergänzte er in seinem Erkenntnis vom 17.06.2005, B 336/05-11, dies dahingehend, dass die Mitgliedstaaten nicht nachzuprüfen haben, ob ein bestimmter Mitgliedstaat generell sicher sei, da die entsprechende Vergewisserung durch den Rat erfolgt sei; eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat im Einzelfall sei jedoch gemeinschaftsrechtlich zulässig. Sollte diese Überprüfung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers etwa durch eine Kettenabschiebung bedroht sind, sei aus verfassungsrechtlichen Gründen das Eintrittsrecht zwingend auszuüben.

 

In seinem Erkenntnis vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582 (dem ein - die Zuständigkeit Italiens nach dem Dubliner Übereinkommen betreffender - Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates zugrunde lag) sowie in dem (bereits die Dublin-VO betreffenden) Erkenntnis vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095-9, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass in Verfahren wie dem gegenständlichen eine Gefahrenprognose zu treffen ist, ob ein - über die bloße Möglichkeit hinausgehendes - ausreichend substantiiertes "real risk" besteht, dass ein aufgrund der Dublin-VO in den zuständigen Mitgliedstaat ausgewiesener Asylwerber trotz Berechtigung seines Schutzbegehrens, also auch im Falle der Glaubhaftmachung des von ihm behaupteten Bedrohungsbildes, im Zielstaat der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt ist, wobei insbesondere zu prüfen sei, ob der Zielstaat rechtliche Sonderpositionen vertritt, nach denen auch bei der Zugrundelegung der Behauptungen des Asylwerbers eine Schutzverweigerung zu erwarten wäre. Weiters wird ausgesprochen, dass geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat für sich allein genommen keine ausreichende Grundlage dafür sind, um vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

 

3.5.2. Im gegenständlichen Fall kann nun nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihm durch eine Rückverbringung nach Rumänien die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Während des gesamten Verfahrens hat der Beschwerdeführer bestritten, jemals ein Visum für Rumänien beantragt zu haben. Erst nach mehrmaliger wiederholter Nachfrage gab der Beschwerdeführer schließlich in der niederschriftlichen Einvernahme zu, dass er mit einem gültigen Reisepass und einem rumänischen Visum von Istanbul über Bulgarien nach Rumänien gereist sei. Sein Vorbringen erschöpfte sich darin, dass er - unsubstantiiert - angab, er wolle nicht nach Rumänien. Der Beschwerdeführer stellte dies lediglich allgemein in den Raum, ohne eine konkrete Bedrohung anzugeben bzw. ohne dieses Vorbringen entsprechend zu begründen.

 

Wie bereits erwähnt hat der Beschwerdeführer während des gesamten Verfahrens kein Vorbringen erstattet, welchem zu entnehmen ist, aus welchen Gründen er nicht nach Rumänien wolle. Erstmals in der Beschwerde wurde vorgebracht, dass dem Beschwerdeführer auf Grund der Bestimmungen des rumänischen Asylgesetzes in Rumänien kein faires Asylverfahren offen stehe. Dieses Vorbringen wurde allerdings lediglich unsubstantiiert in den Raum gestellt ohne dies näher auszuführen und inwiefern der Beschwerdeführer individuell und konkret davon betroffen sei; es wurden weder - den erstinstanzlichen Länderfeststellungen widersprechende - Berichte vorgelegt, noch finden sich in der Beschwerde Hinweise oder Quellenangaben, die das Beschwerdevorbringen stützen. Der allgemeine Hinweis, er könne gegen eine negative Entscheidung der rumänischen Behörden aufgrund der kurzen Rechtsmittelfristen kein Rechtsmittel erheben, ist ebenfalls nicht geeignet eine konkrete individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers abzuleiten. Nur am Rande ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass - wie aus dem Akteninhalt eindeutig ersichtlich - der Beschwerdeführer in Rumänien keinen Asylantrag gestellt hat, es sohin auch keinen "allenfalls" bestehenden negativen Bescheid gibt.

 

Der Beschwerdeführer hat sohin kein Vorbringen erstattet, das die Annahme rechtfertigen könnte, dass ihm in Rumänien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Soweit aus dem Vorbringen bzw. aus der Berufung herauszulesen ist, dass der Beschwerdeführer in Rumänien möglicherweise kein Asyl erhalten werde und in die Türkei abgeschoben werden könnte, ist ihm entgegenzuhalten, dass es nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörden sein kann, "hypothetische Überlegungen über den möglichen Ausgang" eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen (vgl. u.a. VwGH vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095).

 

Im Zusammenhang mit dem rumänischen Asylverfahren ist lediglich der Vollständigkeit halber noch anzuführen, dass von Seiten der Republik Rumänien keine systemwidrigen Verletzungen der Verpflichtungen aus der Dublin II-VO bekannt sind. Auch geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat sind für sich genommen keine ausreichende Grundlage dafür, dass die österreichischen Asylbehörden vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssten (vgl. u.a. VwGH vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095). Im Übrigen wird auch auf die Länderfeststellungen im erstinstanzlichen Bescheid verwiesen, welche sich mit dem rumänischen Asylverfahren eingehend auseinandersetzen.

 

Wenn der Beschwerdeführer behauptet, eine Überstellung wäre aufgrund seiner Magenbeschwerden im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig, ist auf das jüngste Erkenntnis des VfGH (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK wiedergibt (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ist durch die Abschiebung die Verletzung von Art. 3 EMRK zu befürchten. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Im vorliegenden Fall ist jedenfalls davon auszugehen, dass die vom Beschwerdeführer behaupteten Magenbeschwerden in Rumänien behandelt werden. Gegenteiliges wurde auch nicht vorgebracht. Darüber hinaus leidet der Beschwerdeführer nicht an schwerwiegenden lebensbedrohenden Krankheiten, die nach der Rechtsprechung des EGMR dann, wenn sie im Zielstaat nicht behandelt werden können, ein Rückschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK darstellen können (vgl. D.V. Vereinigtes Königreich, 02.05.1997). Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf einen existenzbedrohenden Zustand ersichtlich.

 

Wenn der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeschrift anführt, dass ihm nicht seitens des Bundesasylamtes die Möglichkeit eingeräumt worden sei, sich zu den Länderfeststellungen zu äußern, ist festzuhalten, dass es richtig ist, dass die belangte Behörde gemäß § 45 Abs. 3 AVG dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu geben hat, sich über die von ihr getroffenen Länderfeststellungen zu äußern. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002), was nicht geschehen ist. Gegenstand des Parteieingehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1955, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten die Berufungsbehörde das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062). Im konkreten Fall hat die Erstbehörde die von ihr getroffenen Länderfeststellungen ihrem Bescheid zugrunde gelegt und hätte der Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt in seiner Beschwerde hierzu Stellung zu nehmen. Vor dem Hintergrund der Judikatur ist daher die Verletzung des Parteiengehörs als saniert anzusehen.

 

3.5.3. Ferner ist eine Überprüfung gemäß Art. 8 EMRK dahingehend vorzunehmen, ob der Beschwerdeführer über im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK relevante Verbindungen in Österreich verfügt.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kelin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayer ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer selbst angegeben, dass er keine Verwandten in Österreich sowie im Bereich der EU (einschließlich Norwegen und Island) habe, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis oder eine besondere Nahebeziehung bestehe. Folglich würde der Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Rumänien in seinem durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht verletzt werden.

 

3.5.4. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass kein Anlass für einen Selbsteintritt Österreichs gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO aufgrund einer drohenden Verletzung von Art. 3, 8 EMRK besteht.

 

3.5.5. Festzuhalten ist auch, dass die in § 28 Abs. 2 AsylG normierte 20-tägige Frist im gegenständlichen Fall eingehalten worden ist.

 

3.5.6. Hinsichtlich Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides ist noch auszuführen, dass keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich sind, da weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch der Beschwerdeführer in Österreich über Angehörige im Sinne des Art. 8 EMRK verfügt. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ersichtlich. Was schließlich den seitens des Bundesasylamtes im Bescheidspruch aufgenommenen Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Rumänien anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass die getroffene Ausweisung, da diese mit einer Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG verbunden ist, gemäß § 10 Abs. 4 erster Satz AsylG schon von Gesetzes wegen als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat gilt.

 

3.5.7. Die Beschwerde erwies sich somit als nicht berechtigt und war daher spruchgemäß abzuweisen.

 

3.5.8. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG abgesehen werden.

Schlagworte
Ausweisung, Familienbegriff, gesundheitliche Beeinträchtigung, medizinische Versorgung, real risk, Rechtsschutzstandard, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
13.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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