A1 218.244-0/2008/5E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Andreas Druckenthaner als Vorsitzenden und den Richter Dr. Christian Filzwieser als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Ines Csucker über die Beschwerde der E.F., geb. 00.00.1975, StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.7.2000, GZ. 00 03.834-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die beschwerdeführende Partei begehrte am 2.4.2000 die Gewährung von Asyl. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes Zahl 00 03.834-BAT vom 10. Juli 2000 gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig ist. Dagegen erhob die beschwerdeführende Partei fristgerecht Berufung.
Das Bundesasylamt qualifizierte das Vorbringen der beschwerdeführenden Partei als unglaubwürdig und führte diesbezüglich begründend aus, dass sich die beschwerdeführende Partei lediglich auf abstrakte und allgemein gehaltene Darstellungen beschränke und konkrete und detaillierte Angaben trotz Nachfrage nicht gemacht werden hätten können. Die beschwerdeführende Partei hätte angegeben, dass sie nicht wissen würde, in welchem Ort sie gelebt hätte, sie hätte nur angeben können, dass sie in Katuna State gelebt hätte. Erst laut Vorhalt und nach einiger Bedenkzeit hätte sie sich die Angabe entlocken lassen, dass die Leute ihren Heimatort S. genannt hätten. Dieses Verhalten würde darauf hinweisen, dass die beschwerdeführende Partei der Asylbehörde den wahren Herkunftsort verschwiegen hätte und keinen Ort in Katuna State kenne, da sie nicht aus Katuna State komme.
Sie hätte angegeben, dass ihr Vater im Februar 2000 von Moslems getötet worden wäre. Dazu befragt hätte sie jedoch in keinster Weise konkrete Angaben machen können, hätte lediglich angegeben, dass Moslems Christen getötet hätten, so auch ihren Vater. Es entspreche jedoch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass sich Menschen wie die beschwerdeführende Partei, die für ihr Leben einschneidende Erlebnisse hinter sich hätten, sehr wohl auch an Einzelheiten erinnern und diese lange Zeit nicht vergessen und verarbeiten können. Sie selbst sei jedoch von den vergangenen Ereignissen wenig beeindruckt, Details hätte sie nicht schildern können.
Es sei nicht glaubwürdig, dass ihr Vater Oberhaupt einer Kirche gewesen sein soll, da sie über den christlichen Glauben so gut wie keine Ahnung hätte. Denn als Christ, auch wenn der eigene Vater kein Oberhaupt einer Kirche sei, sollte man zumindest wissen, wann Jesus geboren und was die Christen zu Weihnachten feiern und sollte nicht auf die Frage "wie viele Apostel oder Jünger begleiten Jesus" mit "7 Gebote, ich kenne deren Namen nicht" antworten. Auf Grund des Wissens über den christlichen Glauben sei nicht glaubwürdig, dass sie tatsächlich den christlichen Glauben ausübe und sei es auch nicht möglich, dass ihr in Nigeria wegen ihres Glaubens Gefahr drohe.
Das Bundesasylamt unterließ es, Sachverhaltsfeststellungen zur Situation in Nigeria zu treffen.
Über die fristgerecht erhobene Beschwerde hat der Asylgerichtshof in nicht öffentlicher Sitzung wie folgt erwogen:
Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid erheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an einen Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.
Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde die mündliche Verhandlung und unmittelbar Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 in Asylangelegenheiten erging zum Zeitpunkt des Bestehens des Vorläufers des Asylgerichtshofes, des unabhängigen Bundesasylsenates, ist aber auch für den Asylgerichtshof maßgebend:
Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren eingerichtet und hat in diesen Verfahren bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn die Berufungsbehörde jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht und somit ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich bei derselben Behörde enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG .
Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Das Bundesasylamt hat es nämlich unterlassen, die aktuellen Verhältnisse in Nigeria zu ermitteln, da keine auf Berichtsmaterial oder Dokumentationen beruhenden Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid getroffen wurden.
Derartige Ermittlungen und darauf aufbauende Feststellungen wären aber notwendig gewesen, um das Vorbringen der beschwerdeführenden Partei in erster Instanz in umfassender Weise auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüfen zu können.
Das Bundesasylamt hat es in diesem Zusammenhang verabsäumt, auf das entsprechende Vorbringen der beschwerdeführenden Partei konkret einzugehen, hatte diese doch Verfolgungsgefahr der Christen vor Moslems ins Treffen geführt und selbst behauptet Christin zu sein.
Die von der vom Bundesasylamt diesbezüglich angenommene Unglaubwürdigkeit erweist sich zunächst als nicht nur nicht stichhältig, sondern liegt vor dem Hintergrund des Fehlens der Länderfeststellungen zur Problematik des Konfliktes zwischen Moslems und Christen ein offensichtlich sekundärer Verfahrensmangel vor:
Das Bundesasylamt führte in Bezug auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Religionszugehörigkeit aus, dass "es nicht glaubwürdig ist, dass ihr Vater Oberhaupt einer Kirche gewesen sein soll, sie jedoch über den christlichen Glauben so gut wie keine Ahnung haben. Denn als Christ, auch wenn der Vater kein Oberhaupt einer Kirche war, sollte man zumindest wissen, wann Jesus geboren wurde und was die Christen zu Weihnachten feiern und sollte nicht auf die Frage, wie viel Apostel oder Jünger begleiten Jesus mit 7 Gebote, ich kenne deren Namen nicht, antworten."
In diesem Zusammenhang ist dem Bundesasylamt vorzuwerfen, dass es die Angaben der Beschwerdeführung nicht in ihrer Gesamtheit beurteilte, sondern lediglich einzelne Fragen herausnahm, welche die beschwerdeführende Partei nicht zu beantworten wusste:
Das Bundesasylamt hat dabei auch nicht ins Kalkül gezogen, dass es sich bei der beschwerdeführenden Partei um eine Person niedrigsten Bildungsstandes handelt. Die beschwerdeführende Partei gab im Rahmen der Ersteinvernahme an, Analphabetin zu sein.
Darüber hinaus war die beschwerdeführende Partei sehr wohl in der Lage, Fragen, den christlichen Glauben betreffend - auf zwar sehr naive Weise - zu beantworten und wäre das Bundesasylamt gehalten gewesen, die gesamten von der beschwerdeführenden Partei gegebenen
Antworten Beweis zu würdigen:
In diesem Sinne gab die Beschwerdeführerin folgende nicht unrichtige
Antworten:
"Am Karfreitag tragen alle Leute schwarz, am Ostersonntag gingen die Leute in die Kirche und schreien Halleluja. Am Karfreitag wird um Jesus getrauert, er starb um Ostern herum, ich weiß nicht genau wann. Jesus wurde gekreuzigt, ich weiß aber nicht von wem. Jesus musste sterben für die Sünden der Menschen;
F: Warum schreit man am Ostersonntag Halleluja in der Kirche?
A: Weil die Leute glücklich sind, weil Jesus auferstanden ist.
Die Mutter von Jesus ist Maria
F: Bekommt man in der Kirche Brot oder ähnliches zu essen?
A: Die Kommunion.
F: Was ist die Kommunion?
A: Wenn jemand getauft werden soll, dann bekommt er etwas mit Zucker und Honig in den Mund, sein Kopf wird ihm gewaschen. Wenn jemand alles über Gott weiß, dann bekommt er die Kommunion.
F: Bekamen sie auch die Kommunion?
A: Ja, als ich klein war.
F: Wie oft bekamen sie die Kommunion in der Kirche?
A: Jeden Sonntag bekam ich die Kommunion in den Mund.
F: Was symbolisiert die Kommunion?
A: Einen Segen bedeutet das.
Von einer völligen Unwissenheit der Beschwerdeführerin kann, den christlichen Glauben betreffend, keine Rede sein.
Die Beschwerdeführerin hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich angeführt,:
" Die Moslems kämpften gegen die Christen", und "die Moslems bringen die Christen überall um" und zielt dieses Vorbringen nicht darauf ab, dass die Verfolgung vor dem Hintergrund der Ausübung des christlichen Glaubens erfolgte, sondern vor dem Hintergrund der Zugehörigkeit zum christlichen Glauben. Das Bundesasylamt jedoch stellte auf ersteres ab, indem es ausführte "ist es auch nicht glaubhaft, dass sie tatsächlich den christlichen Glauben ausüben und ist es auch nicht möglich, dass ihr in Nigeria wegen ihres Glaubens Gefahr droh"t.
Tatsächlich aber, und dies ist dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei in erster Instanz zu entnehmen, ging es den Moslems darum, dass für sie geltende Recht, die Scharia, flächendeckend einzuführen und dies notfalls unter Gewaltanwendung, hatte doch die beschwerdeführende Partei angegeben:
"Die Moslems kämpften gegen die Christen. Weil ein Gesetz gemacht wurde, dass jeder Christ seinen Kopf zu bedecken hat, wer seinen Kopf nicht bedeckt, wird getötet.
F: Welches Gesetz genau wurde eingeführt?
A: Das besagt, dass sich die Christen die Haare schneiden müssen, sich den Kopf bedecken müssen und so tun müssen wie die Moslems.
F: Wie heißt dieses Gesetz?
A: Charia
A: Nein, das Gesetz ist von den Moslems eingeführt worden, damit die Christen so tun wie die Moslems.
F: Warum kam es zu diesen Kämpfen zwischen Christen und Moslems?
A: Weil die Christen das Charia-Gesetz nicht wollen.
Es geht also um die Frage, ob die Moslems die beschwerdeführende Partei aus ihrer Sicht als Christin ansehen - unabhängig von einer individuellen Glaubensbetätigung der beschwerdeführenden Partei - und ihr aus diesem Umstand heraus Verfolgungsgefahr droht.
Das Verkennen dieser Problematik und die daraus resultierenden Mängel belasten den erstinstanzlichen Bescheid mit einem wesentlichen Begründungsmangel im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG.
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen wäre es eben, wie bereits angeführt, jedenfalls notwendig gewesen, Länderfeststellungen in Bezug auf eine mögliche Konfliktsituation Moslems und Christen zu treffen.
In diesem Sinne war gemäß § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.