TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/28 A1 239991-0/2008

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Veröffentlicht am 28.07.2008
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Spruch

A1 239.991-0/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Andreas Druckenthaner als Vorsitzenden und den Richter Dr. Christian Filzwieser als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Ines Csucker über die Beschwerde der U.D., geb. 00.00.1979, StA. von Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.7.2003, GZ. 03 22.208-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Nigerias, begehrte am 23.7.2003 die Gewährung von Asyl. Mit Bescheid vom 25.7.2003, 03 22.208-BAE, wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I) und erklärte zugleich ihre Zurückweisung (Rückschiebung oder Abschiebung) nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig. (Spruchpunkt II). Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerechte Beschwerde.

 

Über die fristgerecht erhobene Beschwerde hat der Asylgerichtshof in nicht öffentlicher Sitzung wie folgt erwogen:

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid erheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an einen Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde die mündliche Verhandlung und unmittelbar Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 in Asylangelegenheiten erging zum Zeitpunkt des Bestehens des Vorläufers des Asylgerichtshofes, des unabhängigen Bundesasylsenates, ist aber auch für den Asylgerichtshof maßgebend:

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren eingerichtet und hat in diesen Verfahren bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn die Berufungsbehörde jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht und somit ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich bei derselben Behörde enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG .

 

Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren - aus folgenden Gründen - grob mangelhaft:

 

Die Beschwerdeführerin brachte bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 23.7.2003, zu ihrem Ausreisegrund befragt, entscheidungswesentlich folgendes an:

 

"Ich habe Nigeria verlassen, weil ich einen Mann heiraten hätte müssen und ich dies nicht wollte. Da ich mich geweigert habe, diesen Mann zu heiraten, hätte ich getötet werden sollen. Dieser Mann ist sehr alt und er könnte mein Vater sein, weshalb ich ihn nicht heiraten wolle. Als ich noch ein Kind gewesen bin, hat er meine Ausbildung bezahlt, jedoch nur mit der Bedingung, dass ich ihn heiraten muss, wenn ich groß bin. Eines Tages, als meine Mutter auf dem Markt gewesen ist, sind Männer zu uns nach Hause gekommen und einer hat mich am Arm gepackt, weil ich diesen Mann nicht heiraten wollte. Ich habe einen Hammer genommen und diese Person, die mich am Arm gepackt hat, auf den Kopf geschlagen. Die anderen drei Männer sind diesem Mann zu Hilfe gekommen und so habe ich flüchten können. Ich bin zu einer Freundin gelaufen..."

 

Das Bundesasylamt fand es als "nicht glaubhaft, dass Sie sich als Frau gegen 4 Bodyguards zur Wehr setzen haben können, wie Sie es geschildert haben und es ist davon auszugehen, dass diese Bodyguards Ihre Flucht aus dem Haus verhindern können, sollte Sie tatsächlich einen verletzt haben."

 

Zu dieser Schlussfolgerung vor dem Hintergrund der Schilderung der Beschwerdeführerin zu gelangen, erweist sich als nicht stichhaltig, fehlt es doch an einer wesentlich konkreteren Darstellung des Fluchtszenarios seitens der Beschwerdeführerin, was aber gegenständlich derselben nicht angelastet werden kann:

 

Diesfalls hätte vielmehr das Bundesasylamt durch entsprechende Fragestellung versuchen müssen, den Sachverhalt einer endgültigen Klärung zuzuführen:

 

Im gegenständlichen Fall hätte das Bundesasylamt, um sich das Fluchtszenario zu vergegenwärtigen, Fragen nach der Größe des Hauses (Wohnfläche, Stockwerke etc), nach räumlichen Unterteilungen (Anzahl der Zimmer etc) an die Beschwerdeführerin richten müssen:

 

Die entsprechende Beantwortung dieser Fragen hätte dann durchaus zu einem, im Bezug auf die Glaubwürdigkeit, positivem Ergebnis der Beschwerdeführerin gelangen können:

 

Bei Annahme einer entsprechenden Größe, bzw. räumliche Abteilung, hätte es nämlich durchaus sein können, dass sich nicht alle "Bodyguards" des Heiratswilligen am selben Ort im Haus aufhielten, sondern zB in den verschiedenen Räumlichkeiten Nachschau hielten. In einem derartigen Fall zB wäre es dann nicht abwegig, wenn die Beschwerdeführerin mit einem Hammer einen allein sie packenden Bodyguard niederschlägt, während sich die anderen vielleicht in anderen Stockwerken oder Zimmern aufhielten.

 

Auch eine entsprechende Flucht bei einer allfälligen Größe des Hauses und entsprechender räumlichen Abteilung wäre dann durchaus denkbar. Auf jeden Fall hätte sich das Bundesasylamt dieses Fluchtszenario durch entsprechende Aufforderung näher beschreiben lassen müssen.

 

Die verbliebene Unklarheit kann nicht zu Lasten der Beschwerdeführerin gehen und belastet dieser Verfahrensmangel der mangelhaften Aufklärung des Sachverhaltes den erstinstanzlichen Bescheid mit einem derartig wesentlichen Mangel, dass die Durchführung einer Verhandlung geboten ist.

 

Auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin den Mann, den sie behauptetermaßen hätte heiraten müssen, lediglich mit einem Teil seines Namens, nämlich A. zu bezeichnen pflegt, lässt in mehrfacher Hinsicht nicht den vom Bundesasylamt gezogenen Schluss "der allgemeinen Lebenserfahrung nach ist es nämlich üblich, dass die Frau den kompletten Namen des angeblich zukünftigen Ehemannes kennt" zu:

 

Die Beschwerdeführerin kannte den für sie bestimmten Mann im Grunde genommen nicht, erfuhr sie jedoch erst 3 Monate vor der Asylantragsstellung, dass sie ihn heiraten müsse. Der Aktenlage nach ist nicht zu entnehmen, dass zwischen der Beschwerdeführerin und dem vermeintlich zukünftigen Ehegatten bereits vorher eine Beziehung irgendwelcher Art bestand. Dies kann aus der Angabe der Beschwerdeführerin "als ich noch ein Kind gewesen bin, hat er meine Ausbildung, jedoch nur mit der Bedingung, dass ich ihn heiraten muss, wenn ich groß bin" nicht geschlossen werden, dass sich daraus nicht zwingend ergibt, dass die Beschwerdeführerin überhaupt Kenntnis von diesem Mann hatte - durchaus möglich erscheint auch ein "Kontrakt" zwischen Mutter und diesem Mann ohne nähere Kenntnis der Tochter, der Beschwerdeführerin..

 

Auch diesbezüglich ist dem Bundesasylamt der Vorwurf mangelnder Fragestellung und somit ein Verfahrensfehler vorzuwerfen:

 

Das Bundesasylamt hätte also die Beschwerdeführerin im Detail zur Beziehung zu diesem zukünftigen Ehegatten fragen müssen, etwa

 

seit wann die Beschwerdeführerin diesen Mann kennt,

 

seit wann sie wusste, dass dieser ihre Ausbildung bezahlt, etc.

 

Wiederum bedeutet das Unterlassen entsprechender Fragen und damit entsprechender Aufklärung des Sachverhaltes das Belasten des Bescheid mit einem derartig wesentlichen Verfahrensmangel, der die Durchführung einer neuerlichen Verhandlung notwendig macht.

 

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen wäre also durchaus ein anders lautendes erstinstanzliches Bescheidergebnis denkbar und sind gerade vor diesem Hintergrund noch folgende Begründungsmängel konstatierbar:

 

Das Bundesasylamt begnügte sich bei seinen Länderfeststellungen lediglich mit Allgemeinplätzen politischer Natur:

 

"Einem Artikel der Neuen Züricher Zeitung vom 12.7.1999 zu Folge ist in Nigeria die erste zivile Regierung nach über 50 Jahren Militärherrschaft vereidigt worden. Mit Telefax vom 28.2.2000 teilte die österreichische Botschaft Lagos mit, dass seit der demokratischen Wahl Oba Sanios im Februar 1999 und seinem Amtsantritt Ende Mai 1999 und Wiederwahl im Jahr 2003 eine sehr erfreuliche Wende zu demokratischen Verhältnissen in Nigeria eingetreten ist. Die Regierung versucht durch Bekämpfung der Korruption, Verstärkung der nationalen Sicherheit, Förderung der Wirtschaft, Abbau der Arbeitslosigkeit und Schuldenerlass sowie Entwicklung der Außenwirtschaft die wirtschaftlichen sicherheitsmäßigen Grundlangen für ein geordnetes, ruhiges und prosperierendes Staatswesen zu gewährleisten. Die ethnische Spannungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen werden nicht von staatlicher Seite gefördert oder durchgeführt und spielen sich innerhalb der Bevölkerungsgruppen ab. Dem Bericht vom 14.6.2000, auswärtiges Amt Berlin, zu Folge sind staatliche Repressalien gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen allein wegen ihrer politischen Überzeugung, Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe seit der Machtübernahme durch die Zivilregierung nicht mehr zu beobachten. Auch aus dem Telefax des UNHCR vom 14.8.2000 ist zu entnehmen, dass seit dem die herrschende, demokratisch gewählte Regierung an der Macht ist, es keinerlei Berichte darüber gibt, dass spezifische Organisationen oder ethnische Gruppierungen von den nigerianischen Behörden verfolgt oder schikaniert werden würden."

 

Aufgrund einer Stellungnahme der österreichischen Botschaft Lagos vom 3.1.2000 wurde mitgeteilt, dass es nach Ansicht der Botschaft relativ einfach ist, eine vollkommen andere Identität anzunehmen und - mit anderen Dokumenten ausgestattet - an einem anderen Ort vor der Verfolgung sicher zu leben.

 

Kein Wort über die aktuelle Menschenrechtssituation, keinerlei Ausführungen über Haftbedingungen im Allgemeinen und jenen bezüglich Frauen - was gerade im gegenständlichen Fall eine Rolle spielt, hat doch die Beschwerdeführerin einen Vorfall geschildert, der mögliche strafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen könnte.

 

Dies stellt einen weiteren wesentlichen Verfahrensmangel dar, der im Hinblick auf eine Vervollständigung der Länderfeststellungen im besagten Sinne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfordert.

 

Auch aufgrund des Mangels an Verwendung aktuellen Länderdokumentationsmaterials ist ein weiterer Verfahrensmangel im Sinne des § 66 Abs. 2 zu beklagen:

 

Das Bundesasylamt bezog sich bei seinen - oberflächlichen - Länderfeststellungen lediglich auf Länderdokumentationsmaterial aus dem Jahr 2000, der Bescheid selbst datiert jedoch vom Juli 2003.

 

Zutreffend weist die Beschwerde auf bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des erstinstanzlichen Bescheides bestehendes Länderdokumentationsmaterial hin, welches durchaus fallbezogen bei entsprechender Berücksichtigung zu einem anders lautenden Bescheid hätten führen können:

 

Unter anderem ist unter Zugrundelegung des ins Treffen geführten Länderdokumentationsmaterials (Akkordländerbericht Nigeria September 2002, Seminarbericht Nigeria, 28.-29. Juni 2002) dem Beschwerdeführervorbringen, es bestehe keine interne Fluchtalternative - das Bundesasylamt nahm eine solche unter Hinweis auf die Möglichkeit der Änderung der Identität und der daraus resultierenden Fähigkeit, in einer Großstadt unterzutauchen, an - nicht entgegenzutreten, wonach für Frauen eine innerstaatliche Fluchtalternative zumindest mehr als fraglich erscheint.

 

Die Nichtberücksichtigung dieses Länderdokumentationsmaterials, obwohl für das Bundesasylamt als Spezialbehörde leicht einsehbar, lässt den erstinstanzlichen Bescheid gleichfalls mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaften und löst die Rechtsfolge des §66 Abs. 2 AVG aus.

 

Der erstinstanzliche Bescheid gibt zwar in diesem Zusammenhang die Auskunft der österreichischen Botschaft am 3.1.2000 richtig wieder, wonach es nach Ansicht der Botschaft ein leichtes sei, mit anderen Dokumenten ausgestattet, eine andere Identität anzunehmen, offen bleibt jedoch, ob die Annahme einer anderen Identität so ohne weiteres auf legalem Wege möglich ist. Ein Weg in die Illegalität ist aber der Beschwerdeführerin nicht zumutbar.

 

Die Unklarheit dieses Länderdokumentationsmaterials bewirkt eine Nichtnachvollziehbarkeit und damit letztlich eine Unschlüssigkeit der erstinstanzlichen Bescheidbegründung; das Bundesasylamt hätte hierbei eine Quelle heranziehen müssen, die zweifelsfrei zu erkennen gibt, dass die Maßnahme einer Identitätsänderung jederzeit auf legalem Wege möglich ist. Diesbezüglich - aufgrund der unschlüssigen Bescheidbegründung - liegt ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 66 Abs. 2 vor.

 

Zusammenfassend hat also das Bundesasylamt im 2. Rechtsgang folgendermaßen vorzugehen:

 

1. Ausführliche Befragung der Beschwerdeführerin im Bezug auf das dargestellte Fluchtszenario;

 

2. Ausführliche Befragung der Beschwerdeführerin im Bezug auf die Beziehung zu jenem Mann, mit dem sie zwangsverheiratet werden hätte sollen.

 

3. Ergänzung der Länderfeststellungen im Hinblick auf Darstellung der Menschenrechtssituation, der Situation der Frauen im Allgemeinen sowie alleinstehender Frauen.

 

4. Ausführliche Darstellung einer möglichen internen Fluchtalternative unter einwandfreier Erklärung der Möglichkeit der Annahme einer anderen Identität;

 

5. Ausführliche Auseinandersetzung mit den Haftbedingungen in Nigeria.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Familienverfahren, Kassation
Zuletzt aktualisiert am
20.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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