TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/30 S1 400681-1/2008

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Veröffentlicht am 30.07.2008
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Spruch

S1 400.681-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. FILZWIESER als Einzelrichter über die Beschwerde der V.P., geb. 00.00.1991, StA. Russland, vertreten durch die Mutter, diese vertreten durch Katharina AMMANN, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.07.2008, Zl. 08 01.622 EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt. Die minderjährige Beschwerdeführerin stellte am 14.02.2008 - gemeinsam mit ihrem Ehegatten A.Z., ihrer Mutter K.A. sowie ihrer Schwestern V.M. und Z. - in der Erstaufnahmestelle Traiskirchen des Bundesasylamtes den Antrag, ihr internationalen Schutz zu gewähren. Am selben Tag hat vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Traiskirchen eine Erstbefragung sowie am 27.06.2008 eine Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, in Gegenwart eines Rechtsberaters sowie ihrer Mutter als gesetzliche Vertreterin, stattgefunden.

 

Das Bundesasylamt erachtete die Mutter der Beschwerdeführerin offenbar als deren gesetzliche Vertretung, weil die Beschwerdeführerin nur nach muslimischen Riten verheiratet ist.

 

2. Am 26.03.2008 richtete das Bundesasylamt an Frankreich ein Ersuchen um Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO), welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde.

 

Am 09.04.2008 bestätigte die Beschwerdeführerin mit ihrer Unterschrift den Erhalt der Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG vom 09.04.2008, wonach beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da Konsultationen mit Frankreich geführt würden. Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen wurde der Beschwerdeführerin sohin innerhalb der 20-Tagesfrist nach der Antragseinbringung, übermittelt.

 

Mit Schreiben vom 17.04.2008, eingelangt beim Bundesasylamt am gleichen Tag, stimmten die französischen Behörden der Übernahme der Beschwerdeführerin zur Prüfung des Asylantrags gem. Art. 12 der Dublin II-VO zu.

 

3. Am 20.06.2008 erfolgte eine Untersuchung der Beschwerdeführerin in der EAST Ost durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin und langte danach am 23.06.2008 beim Bundesasylamt eine "Gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren gemäß § 10 AsylG 2005" der untersuchenden Ätztin ein (AS 103 bis 107 im Akt des BAA).

 

4. Mit Bescheid vom 04.07.2008, Aktenzahl: 08 01.622 EAST-Ost, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz vom 14.02.2008, ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück. Für die Prüfung des Asylantrages sei gemäß Art. 12 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Frankreich zuständig. Die Antragstellerin wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Frankreich ausgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Frankreich gemäß § 10 Abs. 4 AsylG für zulässig erklärt.

 

Dieser Bescheid wurde am 09.07.2008 an die gesetzliche Vertretung der Beschwerdeführerin zugestellt.

 

5. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes richtet sich die gegenständliche, fristgerecht am 21.07.2008 auf dem Faxwege gemeinsam mit jener ihrer Lebensgefährtin und Tochter eingebrachten Beschwerde, in welcher auch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wurde. Darin führte die Beschwerdeführerin u.a. aus, dass ihr Verfahren zuzulassen sei, da die Anträge ihrer Mutter und Schwestern zugelassen worden seien und es sich um ein Familienverfahren handle. Die Beschwerdevorlage beim nunmehrigen Asylgerichtshof erfolgte am 24.07.2008.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (nunmehr AsylG idF BGBL. I Nr. 4/2008) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.2. Im vorliegenden Fall nimmt das Bundesasylamt fälschlicherweise eine Zuständigkeit Frankreichs gem. Art. 12 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO an, da die Asylwerberin im Transitbereich in Frankreich einen Asylantrag gestellt hat. Gemäß Art. 4 Abs. 3 der Dublin II VO ist die Situation eines minderjährigen Asylwerbers, der durch die Definition des Art. 2 lit. i) gedeckt ist, untrennbar mit der seines Elternteils verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaates, der für die Prüfung des Asylantrages dieses Elternteiles zuständig ist. In Art. 8 der Dublin II VO heißt es: "Hat ein Asylwerber in einem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde, so obliegt diesem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages, sofern die betroffenen Personen dies wünschen." Der Antrag der Mutter, K.A. (AIS 08 01.618) und die Anträge der Schwestern V.M. und Z. (AIS 08 01.619 und 08 01.620) der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz wurden am 10.04.2008 zugelassen. Die Beschwerdeführerin hat im Rahmen ihrer niederschriftlichen Erstbefragung und Einvernahme ihren Wunsch bei ihrer Mutter (bzw. Schwestern) zu bleiben bekundet. Daher ist nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II VO im vorliegenden Fall Österreich zuständig.

 

Die "traditionelle Hochzeit" der Beschwerdeführerin mit ihrem Lebensgefährten verändert die Sachlage nicht, als es im vorliegenden Fall der Aktenlage nach an einer zivilrechtlichen rechtswirksamen Eheschließung sowohl nach russischem als auch nach österreichischem Recht mangelt und die bloß religiöse Eheschließung nicht rechtsverbindlich ist.

 

Gemäß § 34 AsylG Abs. 1 Z 3 gilt der Antrag auf internationalen Schutz eines Familienangehörigen eines Asylwerbers auf Gewährung desselben Schutzes.

 

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Asylanträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen und es erhalten alle Familienangehörige den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylwerbers zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

 

Die Beschwerdeführerin ist die minderjährige unverheiratete Tochter der K.A. und daher Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG. Der Antrag auf internationalen Schutz der minderjährigen Beschwerdeführerin gilt daher gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes wie jener ihrer Mutter.

 

Das Verfahren der Mutter K.A. wurde zugelassen. Daher wäre auch das Verfahren der Beschwerdeführerin nach der zitierten Bestimmung zuzulassen gewesen.

 

2.2 Des Weiteren wäre das Vorgehen des Bundesasylamtes auch auf Grund einer mangelnden Gesamtschau sowohl hinsichtlich der medizinischen als auch der psychischen Lage und familiären Situation der Beschwerdeführerin zu beanstanden gewesen. Darauf brauchte bei gegebener Sachlage nicht weiter eingegangen zu werden.

 

Es war daher gemäß § 41 Abs. 3 3. Satz AsylG vorzugehen.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte nunmehr angesichts des Spruchinhaltes entfallen. Bei dieser Sachlage konnte auch auf eine Erörterung der weiteren Beschwerdeausführungen verzichtet werden.

Schlagworte
Familienverfahren
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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