S5 245.792-1/2008/2E
Erkenntnis
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Harald Benda als Einzelrichter über die Beschwerde des M.A., geb. 00.00.1974, StA. von Sudan, vertreten durch ROSCHGER Florian, p. A. Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, Schottengasse 3a/1/59, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.6.2008, Zahl: 08 00.416-EAST Ost, gem. § 66 Abs. 4 AVG iVm § 61 Abs. 3 Z 1 lit b des Asylgesetzes 2005 idgF (AsylG) zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG stattgegeben, der Asylantrag zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Der Asylwerber ist Staatsangehöriger des Sudan und ist im Juli 2002 zunächst in Österreich illegal eingereist, wo er am 27.7.2002 einen Asylantrag stellte. Dieses Asylverfahren wurde am 2.6.2004 aufgrund des unbekannten Aufenthaltes des Asylwerbers gemäß § 30 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 eingestellt. Der Asylwerber reiste sodann nach Großbritannien weiter, wo er am 6.2.2004 einen weiteren Asylantrag stellte, welcher letztlich am 6.7.2004 rechtskräftig negativ entschieden wurde. In weiter Folge reiste der Asylwerber erneut illegal ins österreichische Bundesgebiet ein, wo er schließlich am 9.1.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl. Aktenseite 27 des Verwaltungsaktes u. Eurodac-Treffer Aktenseite 11 u. 19 des Dublinaktes sowie Verwaltungsakt Zahl: 02 20.120-BAG).
Mit E-Mail vom 29.2.2008 ersuchte Österreich Großbritannien um Übernahme des Asylwerbers. Großbritannien hat mit Schreiben vom 11.3.2008 gem. Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben.
Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 31.3.2008 erklärte der Antragsteller nach Vorhalt, dass Großbritannien zur Prüfung seines Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, dass die britischen Behörden eine Zusammenarbeit mit der Regierung des Sudan begonnen hätten. Konkret seien im Beisein sowohl von britischen als auch von sudanesischen Behördenvertretern Einvernahmen mit allen sudanesischen Asylwerbern durchgeführt worden, danach hätten die britischen Behörden begonnen, Asylwerber in den Sudan abzuschieben. Die Asylwerber, die in den Sudan abgeschoben worden seien, wären verschwunden. In London hätten er und andere Sudanesen gegen diese Vorgangsweise demonstriert, was seitens der sudanesischen Botschaft gefilmt worden wäre. Er fürchte im Falle seiner Überstellung nach Großbritannien seine Ausweisung in den Sudan. Auch habe er gesundheitliche Probleme, was von den britischen Behörden nicht ernst genommen worden sei (Aktenseite 117).
Mit Stellungnahme vom 2.4.2008 (beim Bundesasylamt per Fax eingebracht am 4.4.2008) brachte der Asylwerber vor, dass er am 27.7.2002 in Österreich seinen ersten Asylantrag gestellt habe, er seither das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht mehr verlassen habe und Österreich daher für die Prüfung seines (gegenständlichen) Asylantrages zuständig sei.
Weiters brachte er erneut vor, dass die britischen Behörden mit der Regierung Sudans kollaborieren und sudanesische Flüchtlinge in den Sudan abschieben würden.
Unter einem legte der Asylwerber zur Untermauerung seines Vorbringens folgende Berichte vor (Aktenseite 127 bis 151):
Bericht des IHCR vom 2.4.2008 ("UK accused of collaborating with Sudan over Darfur refugees")
Artikel des "Sudan Tribune" vom 2.4.2008 ("UK sending Darfur asylum seekers back to Sudan - Aegis"; "Home Office wins Darfur asylum test case")
Bericht des "Aegis Trust" vom 5.6.2006 ("Safe as Ghost Houses")
Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.6.2008, Zahl: 08 00.416-EAST Ost, gem. § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und der Antragsteller gem. § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Großbritannien ausgewiesen.
Gegen diesen Bescheid hat der Asylwerber fristgerecht Beschwerde erhoben und hierbei im Wesentlichen erneut geltend gemacht, dass das Bundesasylamt ohne weitere Begründung im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen sei, dass Großbritannien zur Prüfung seines Asylantrages zuständig sei, sich aber nicht mit den Ausführungen in seiner Stellungnahme zur von ihm geltend gemachten Zuständigkeit Österreichs auseinandergesetzt hätte. Er würde überdies im Falle seiner Überstellung nach Großbritannien in seinen Rechten gemäß Art. 3 EMRK verletzt, da - wie den von ihm vorgelegten Berichten zu entnehmen sei - Großbritannien Asylwerber aus Darfur in den Sudan abschieben würde, wo diese Gefahr liefen, Folter und Ermordung ausgesetzt zu sein. Zu der von ihm vorgebrachten Gefahr einer Abschiebung in den Sudan habe das Bundesasylamt keinerlei Ermittlungen angestellt und keine Feststellungen getroffen. Auch habe das Bundesasylamt trotz der von ihm geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden keine Untersuchung im Hinblick auf das Vorliegen einer krankheitswertigen psychischen Störung veranlasst.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.
Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.
§ 61 AsylG 2005 lautet wie folgt:
(1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über
Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und
Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
(2) Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.
(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen
1. zurückweisende Bescheide
a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;
b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5
c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, und
2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung
(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.
Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.
Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
Gemäß § 41 (3) AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Gemäß Art. 29 Satz 2 u. 3 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) ist die (Dublin II-) Verordnung auf Asylanträge anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten (1.9.2003) gestellt werden und gilt - ungeachtet des Zeitpunkts der Stellung des Antrages - ab diesem Zeitpunkt für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Asylwerbern. Für einen Asylantrag, der vor diesem Datum eingereicht wird, erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach den Kriterien des Dubliner Übereinkommens.
Gemäß Art. 8 Dubliner Übereinkommen (97/C 254/01) ist, sofern auf der Grundlage der anderen in diesem Übereinkommen aufgeführten Kriterien kein für die Prüfung des Asylantrages zuständiger Staat bestimmt werden kann, der erste Mitgliedstaat, bei dem der Asylantrag gestellt wird, für die Prüfung zuständig.
Gemäß Art. 3 Abs. 4 Dubliner Übereinkommen (97/C 254/01) hat jeder Mitgliedstaat unter der Voraussetzung, dass der Asylwerber diesem Vorgehen zustimmt, das Recht, einen von einem Ausländer gestellten Asylantrag auch dann zu prüfen, wenn er aufgrund der in diesem Übereinkommen definierten Kriterien nicht zuständig ist. Der nach den Kriterien zuständige Mitgliedstaat ist dann von seinen Verpflichtungen entbunden, die auf den Mitgliedstaat übergehen, der den Asylantrag zu prüfen wünscht. [...]
Gemäß der - mittlerweile ständigen - Rechtssprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes (VfGH vom 8.3.2001, G 117/00 u. a., VfSlG 16.122; VwGH vom 23.1.2003, Zl. 2000/01/0498) ist auf Kriterien der Art. 3 und 8 EMRK bei Entscheidungen gemäß § 5 AsylG, ungeachtet des Fehlens einer diesbezüglichen Anordnung in der Bestimmung selbst, Bedacht zu nehmen.
Sohin ist zu prüfen, ob der Asylwerber im Falle der Zurückweisung seines Asylantrages und seiner Ausweisung nach Großbritannien gem. §§ 5 und 10 AsylG - unter Bezugnahme auf seine persönliche Situation - in seinen Rechten gem. Art. 3 und/oder 8 EMRK verletzt würde, wobei der Maßstab des "real risk" anzulegen ist.
Zunächst ist festzuhalten, dass der Asylgerichtshof sich den Ausführungen des Bundesasylamtes hinsichtlich der grundsätzlich gegebenen Unzuständigkeit Österreichs zur Prüfung des Asylantrages des Asylwerbers anschließt: Der Asylwerber hat nachweislich nach seiner zunächst am 27.7.2002 erfolgten Asylantragstellung in Österreich und der Einstellung dieses Verfahrens in Großbritannien am 6.2.2004 einen Asylantrag gestellt, über den am 6.7.2004 inhaltlich rechtskräftig (negativ) entschieden wurde, sodass Großbritannien trotz der ursprünglich grundsätzlich gemäß Art 8 des Dubliner Übereinkommen (97/C 254/01) gegebenen Zuständigkeit Österreichs als der Mitgliedstaat, in welchem zuerst ein Asylantrag gestellt wurde, durch die erfolgte inhaltliche Prüfung des Asylantrages und des dadurch erfolgten Selbsteintritts zum zuständigen Mitgliedstaat geworden ist, zumal nicht erkannt werden kann, dass der Asylwerber bis zu seiner Ausreise ins Bundesgebiet und erneuten Asylantragstellung in Österreich im Jänner 2008 das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlassen hätte. Eine solche Zuständigkeit wurde von Großbritannien letztlich gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) anerkannt.
Das Bundesasylamt hat im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der vom Asylwerber geäußerten Angaben, wonach die britischen Behörden mit der Regierung Sudans kollaborieren und sudanesische Flüchtlinge in den Sudan abschieben würden, lediglich ausgeführt, dass "die allgemein gehaltenen Darstellungen und Behauptungen ohne Beweisanbot" nicht geeignet wären, die Unzulässigkeit der Anwendung der Dublin II VO im konkreten Fall dazulegen (Seite 16 des angefochtenen Bescheides), ohne aber auf die vom Beschwerdeführer zur Stützung seines Vorbringens vorgelegten Berichte in irgendeiner Weise konkret einzugehen bzw. diesbezüglich nähere Ermittlungen angestellt zu haben.
Folgt man den Angaben des Beschwerdeführers, so befürchtet dieser im Falle einer Rückkehr nach Großbritannien infolge des bereits rechtkräftig negativ abgeschlossenen Asylverfahrens durch die britischen Behörden in den Sudan abgeschoben zu werden. Hierzu ist auszuführen, dass der Asylwerber in casu ein entsprechend substantiiertes Vorbringen in Bezug auf eine mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat im erstinstanzlichen Verfahren und in der Beschwerde getätigt hat, dies im Lichte der Anforderungen des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 23.1.2007, Zahl: 2006/01/0949). So hat dieser erstinstanzlich auch einige aktuelle Berichte zur Untermauerung der Glaubwürdigkeit der von ihm geäußerten Befürchtungen vorgelegt.
Es wäre angesichts des Vorbringens des Asylwerbers Aufgabe der Erstbehörde gewesen, eingehende Ermittlungen etwa durch eine Anfrage bei der britischen Dublin-Behörde dahingehend anzustellen, wie der britische Staat mit Asylwerbern aus dem Sudan im Allgemeinen und im Besonderen mit jenen aus der Region Darfur zu verfahren pflegt. Ohne die Vornahme derartiger Erhebungen kann nun aber aus Sicht des Asylgerichtshofes nicht von Entscheidungsreife gesprochen werden. Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesasylamt weiters nach Durchführung des zu ergänzenden Beweisverfahrens ausgehend von den Ermittlungsergebnissen klare Feststellungen zu oben aufgeworfenen Fragen zu treffen haben, wobei diese jedenfalls auch individuell gestützte Ausführungen zur zu erwartenden Vorgangsweise der britischen Behörden im Falle einer Überstellung des Beschwerdeführers zu umfassen haben. Insgesamt werden alle Feststellungen mit aktuellen Quellen zu versehen sein. Weiters wird es sich vor dem Hintergrund, dass der Asylwerber erstinstanzlich (nicht näher definierte) gesundheitliche Probleme geltend gemacht hat (Aktenseite 117), als notwendig erweisen, dem Asylwerber im Hinblick auf seine Überstellungsfähigkeit einer ärztlichen Untersuchung zuzuführen.
Auf die Notwendigkeit der Wahrung des persönlichen Parteiengehörs in einer Einvernahme ist zu verweisen.
Eine Sanierung dieses Verfahrensmangels im Verfahren vor dem Asylgerichtshof war diesem aufgrund der engen Frist des § 37 Abs. 3 AsylG (Entscheidung binnen zwei Wochen) nicht möglich, sodass lediglich ein Vorgehen gem. § 41 Abs. 3 AsylG möglich war.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.