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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der SD in Wien, geboren am 29. Dezember 1974, vertreten durch Dr. Raimund Gehart, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Opernring 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. August 2000, Zl. 214.186/0- IX/27/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Ukraine, betrat am 26. Februar 1999 im Rahmen einer Übernahme nach dem Dubliner Übereinkommen das Bundesgebiet und stellte am 1. März 1999 einen Asylantrag.
Vor dem Bundesasylamt gab sie am 7. Mai 1999 an, sie und ihre Familie seien in der Ukraine wegen der deutschen Abstammung der Mutter ihres Stiefvaters bedroht worden. Die Beschwerdeführerin habe während ihrer Tätigkeit als Wirtschaftsberaterin ihr Studium fortgesetzt und an einer Doktorarbeit gearbeitet. Im April 1998 sei sie telefonisch aufgefordert worden, die ganze Familie solle die Ukraine verlassen, weil in der Ukraine keine Deutschen gebraucht würden. Sollte dieser Forderung nicht sofort nachgekommen werden, würde die Beschwerdeführerin vergewaltigt werden. Ende Mai, Anfang Juni 1998 sei sie zwei Wochen bei ihren Eltern in Charzisk gewesen. Danach habe sie sich nach Donetzk begeben, um eine Prüfung abzulegen. Nach der Prüfung habe sie festgestellt, dass jemand an ihrer Autotüre ein Hakenkreuz hineingeritzt habe. Eine Anzeige über diesen Vorfall habe sie nicht erstattet. Ihre Eltern hätten ihr geraten, nicht mehr im Studentenheim in Donetzk zu wohnen und wieder nach Hause zu ziehen. Ende August 1998 sei sie abends von einem fremden Mann in einer Einfahrt des Hauses einer Freundin bedroht worden. Wenn die Familie nicht sofort die Ukraine verlasse, würde aus der Beschwerdeführerin "eine Süchtige" gemacht werden.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 2. November 1999 den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Ukraine gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Das Bundesasylamt hielt die Angaben der Beschwerdeführerin über ihre Flucht für glaubhaft, jedoch könne in diesen Angaben keine Bedrohung durch den Heimatstaat bzw. keine Bedrohung Dritter, die der Heimatstaat nicht gewillt sei hintanzuhalten, entnommen werden.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bekräftigte die Beschwerdeführerin, dass ihr eine Rückkehr in die Ukraine unmöglich sei. Sie habe dort große Probleme gehabt, die mit der Nationalität bzw. der Abstammung ihrer Eltern zusammenhingen. Im Falle einer Rückkehr in die Ukraine würde die Beschwerdeführerin dort Schikanen der schlimmsten Art ausgesetzt sein, die ihr sogar das Leben kosten könnten.
In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 24. Juli 2000 gab die Beschwerdeführerin als Partei vernommen an:
"Der Grund dass ich aber auch meine Familie die Ukraine verlassen haben lag darin, dass man uns verprügelt hat und uns gedroht hat uns nach dem Leben zu trachten. Befragt wer die Leute waren, die meine Familie verprügelt hat und die Drohungen ausgestoßen hat sowie wer verprügelt wurde gebe ich an: Die Drohungen bezogen sich auf die gesamte Familie aber insbesondere auf meinen Stiefvater. Er wurde zweimal verprügelt. Er weiß zwar nicht wer genau die Leute waren, die ihn verprügelt haben, nimmt aber an, dass es sich dabei um Angehörige des Staatsapparates gehandelt hat. Befragt wann das war, gebe ich an: Im Frühling etwa April/Mai 1998. Er ist damals in diesem Zusammenhang vier Wochen im Krankenhaus gelegen. Befragt, inwiefern sich die Drohungen gegen mich gerichtet haben, gebe ich an: Ich bin im Sommer 1998 eines Abends in Charzisk während der Abenddämmerung beim Eingang zum Haus wo eine Freundin von mir wohnt von einem Mann am Hals gepackt und unter Vorzeigen auf ein Messer gleichsam als letzte 'gut gemeinte Warnung' darauf hingewiesen, dass wir die Ukraine verlassen sollten, andernfalls man zu anderen Mitteln greifen werde. Befragt, ob dieser Mann etwas gesagt hat, weshalb man meine Familie nicht in der Ukraine haben will, gebe ich an, dass alles damit zusammenhängt, dass meine Großeltern deutscher Herkunft sind - die Mutter meines Stiefvaters und deren Eltern waren Deutsche - weshalb meine Familie ständig als Faschisten beschimpft wird, z.B. kann mein Halbbruder Denys deswegen nicht allein zur Schule gehen. Befragt wann diese Beschimpfungen begonnen haben, gebe ich an, dass schon meine Großmutter zu Sowjetzeiten einerseits als Faschisten beschimpft wurde und andererseits etwa auf Behörden als Letzte drangekommen ist oder die Pensionsauszahlung besonders schleppend erfolgt ist. Befragt, ob mein Halbbruder in Charzisk zur Schule gegangen ist, gebe ich an, dass das zutrifft. Befragt, ob ich auch in Donetzk Probleme hatte, gebe ich an: Ich habe in Donetzk ein weiterführenden Studium in Wirtschaftswissenschaften geführt und gleichzeitig in der Donetzker Gebietsverwaltung in der Abteilung für Außenwirtschaftsbeziehungen gearbeitet. Etwa Ende Mai/Anfang Juni 1998 wurde in Donetzk mein Auto aufgebrochen, aber nichts herausgestohlen, dafür aber wurden in die Tür sowie in die Windschutzscheibe Hakenkreuze geritzt. Befragt, wer meiner Meinung nach das getan hat, gebe ich an, dass ich das nicht weiß, ich weiß nur, dass es weder meine Arbeits- noch meine Studienkollegen gewesen seien."
Die Mutter der Beschwerdeführerin machte bei ihrer Zeugenvernehmung in dieser Verhandlung folgende Angaben:
"Befragt, ob meine Tochter auch in Donetzk Probleme hatte, gebe ich an: Man hat ihr ins Auto Zettel hineingelegt mit irgendwelchen Aufschriften, auch hat man mich während sie in Donetzk beschäftigt war mit den oben genannten Drohungen angerufen, aber genaueres kann ich dazu nicht sagen. Befragt, von wann bis wann meine Tochter in Donetzk war, gebe ich an: Sie hat fünf Jahre in Donetzk studiert. Von 1992 bis Ende 1998, weil sie nach dem normalen Studium auch das Fortsetzungsstudium gemacht hat. Befragt, ob ihre Tochter auch während der Zeit, wo sie in Donetzk studiert hat, zu Hause gewohnt hat, gibt sie an: Ja. Das ist nur etwa 30 Kilometer von Charzisk entfernt. Sie ist jeden Tag von zu Hause nach Donetzk gependelt.
Festgehalten wird, dass die BW1 (die Beschwerdeführerin) die Zeugin fragt, ob sie nicht irgendetwas in ihrer Erzählung vergessen hat und ob sie sich des Umstandes bewusst ist, dass der VL gefragt hat, ob sie von Anfang an zwischen Donetzk und Charzisk gependelt ist.
Die Zeugin gibt darauf an: Im ersten Jahr haben wir meiner Tochter eine Wohnung in Donetzk gemietet, das heißt aber nicht, dass sie sich dort die ganze Zeit aufgehalten hat, sie ist sehr oft nach Hause gekommen."
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. In der Begründung dieser Entscheidung stellte die belangte Behörde fest, dass die Beschwerdeführerin ukrainische Staatsangehörige russischer Volksgruppenzugehörigkeit sei. Die Mutter des Stiefvaters der Beschwerdeführerin sei ethnische Deutsche. Nicht feststellen konnte die belangte Behörde, dass die Beschwerdeführerin die Ukraine deswegen verlassen habe, weil sie auf Grund der deutschen Abstammung ihres Stiefvaters Drohungen ausgesetzt gewesen sei.
Die belangte Behörde führte in der Beweiswürdigung aus, dass die Angaben der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter in Bezug auf die Dauer des Pendelns zwischen Wohnort und Studienort einander widersprächen, weshalb dem Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen in seiner Gesamtheit nicht geglaubt werden könne.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass die Beschwerdeführerin weder eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention habe glaubhaft machen können, noch stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass die Beschwerdeführerin in der Ukraine Gefahr liefe, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe ausgesetzt zu sein.
Selbst dann, wenn die Beschwerdeführerin die Wahrheit gesagt haben sollte, wäre für sie nichts gewonnen, weil sie sich den drohenden Übergriffen dadurch hätte entziehen können, dass sie sich in einen anderen Teil der Ukraine begeben hätte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über den der Verwaltungsgerichtshof in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erblickt die Beschwerde in der unschlüssigen Beweiswürdigung der belangten Behörde. Diese habe die Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin aus gar nicht vorhandenen Widersprüchen zwischen ihren Aussagen und denen ihrer Mutter abgeleitet.
Die Beweiswürdigung der belangten Behörde ist insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um deren Schlüssigkeit, also die Übereinstimmung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut, oder darum handelt, ob die Beweise, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind.
Die erstinstanzliche Behörde hat der Beschwerdeführerin geglaubt. Die belangte Behörde versagt hingegen der Beschwerdeführerin den Glauben wegen einer geringfügigen Abweichung der Aussage der Beschwerdeführerin von der Aussage ihrer Mutter über ein an sich belangloses Detail der Lebensumstände der Beschwerdeführerin in der Ukraine, und zwar die Frage, in welchem Zeitraum die Beschwerdeführerin während ihres Studiums zwischen Wohn- und Studienort hin und her gependelt sei. Dies ist umso weniger nachvollziehbar, als sich die beiden Aussagen ihrem bloßen Wortlaut nach auch in Übereinstimmung bringen lassen (der Umstand, dass die Eltern der Beschwerdeführerin für diese im ersten Jahre ihres Studiums eine Wohnung in Donetzk gemietet hatten schließt nicht aus, dass die Beschwerdeführerin danach in einem Studentenheim in Donetzk lebte, und die Aussage, dass die Beschwerdeführerin während ihres Studiums "jeden Tag" gependelt sei, lässt nicht zwingend darauf schließen, dass dies während der gesamten Studienzeit ausnahmslos so gewesen sein müsste). Die belangte Behörde hätte die Pflicht gehabt, wirkliche oder vermeintliche Divergenzen zwischen den Aussagen der Beschwerdeführerin und deren Mutter dadurch zu hinterfragen, dass sie sich die Umstände des Wohnens während des Studiums sowohl von der Beschwerdeführerin als auch von deren Mutter hätte detailliert schildern lassen. Erst aus einem solchen Ermittlungsergebnis könnten allenfalls schlüssige Anhaltspunkte über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin über deren Fluchtgründe gewonnen werden.
Diesem von der Beschwerdeführerin an sich zu Recht gerügten Verfahrensmangel kommt jedoch im Ergebnis keine Relevanz zu. Selbst wenn man die Richtigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin zu Grunde lägt, lässt sich aus ihrem Vorbringen keine asylrelevante Verfolgungsgefahr ableiten.
Die von der Beschwerdeführerin geschilderten, gegen sie persönlich gerichteten Verfolgungshandlungen durch Privatpersonen stellen mangels ausreichender Intensität keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar (vgl. das die Durchführung von drei Hausdurchsuchungen und das Anschreien und Beschimpfen durch Polizisten betreffende hg. Erkenntnis vom 10. März 1994, Zl. 94/19/0277, sowie das eine kurze Inhaftierung betreffende hg. Erkenntnis vom 6. März 1996, Zl. 95/20/0130).
Ferner hat die Beschwerdeführerin auf Vorhalt, dass sie als Russin sich in der Südostukraine ein neues Leben aufbauen könne, lediglich darauf hingewiesen, dass es äußerst schwierig sei, an einem völlig anderen Ort der Ukraine ein Leben aufzubauen. Die belangte Behörde hat festgestellt, dass sich im Verfahren nichts ergeben habe, das der Annahme entgegenstünde, die Beschwerdeführerin könne sich den von ihr angegebenen Übergriffen dadurch entziehen, dass sie sich in einen anderen Teil der Ukraine begebe.
Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt zwar voraus, dass ein Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät. Dem entspricht die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 1999, Zl. 98/01/0614 mwN). Hinweise darauf, dass die nach ihren eigenen Angaben als Wirtschaftsberaterin tätige Beschwerdeführerin in einem anderen Teil der Ukraine in eine derartige existentielle Notlage geraten könnte, bestehen aber nicht. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auch in der Beschwerde lassen sich keine dahingehenden Anhaltspunkte entnehmen.
Der Asylantrag der Beschwerdeführerin musste daher von der belangten Behörde zu Recht abgewiesen werden.
Bei der gemäß § 8 AsylG vorzunehmenden Non-Refoulement-Prüfung ist die belangte Behörde ebenfalls im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Beschwerdeführerin im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG hervorgekommen sind.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 29. März 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000200539.X00Im RIS seit
18.05.2001