TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/31 S10 400072-1/2008

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Veröffentlicht am 31.07.2008
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Spruch

S10 400.072-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde des P. F., geb. 1983, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.06.2008, Zahl: 08 03.164-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005, idF. BGBl. I Nr. 4/2008 (AsylG), als unbegründet abgewiesen.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

 

Der Beschwerdeführer hat am 08.04.2008 bei der Polizeiinspektion Traiskirchen einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Im Zuge der niederschriftlichen Befragung vor einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei dieser Behörde legte er ein Urteil des Obersten Gerichtshofes der Republik Slowenien vor und gab im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er habe seinen Herkunftsstaat von Istanbul aus illegal am 28.03.2008 versteckt auf der Ladefläche eines LKW verlassen. Die Reise bis nach Österreich habe 9 Tage gedauert. Einmal pro Tag sei gehalten worden und er habe dann seine Notdurft verrichten dürfen. Nach ein paar Minuten habe er wieder einsteigen müssen. Wo die Pausen stattfanden könne er nicht sagen, da sie jedes Mal in unbewohntem Gebiet stehen geblieben seien. Essen habe er vom Schlepper bekommen. Am 08.04.2008 um 05:00 Uhr sei er vom LKW ausgestiegen. Der Lenker habe ihm ein Zugticket gekauft und er sei bis in die Nähe des Flüchtlingslagers gefahren, dann sei er zu Fuß zum Lager gegangen. Er habe im Jahr 2005 und 2006 in Frankreich und in Slowenien um Asyl angesucht. Beide Anträge seien negativ abgeschlossen worden. Er habe mit seiner Familie telefoniert und es sei ihm gesagt worden, dass er keine Probleme habe, wenn er in die Türkei zurückkomme. Dann sei er im Oktober 2006 in die Türkei zurückgegangen, dort jedoch sehr schlecht behandelt worden. Die Polizei habe ihn geschlagen und gefoltert, sodass er operiert werden hätte müssen. Die Operation sei im Jahr 2007 gewesen und sei er außerdem zum Militärdienst aufgefordert worden. Da er auf seine eigenen Leute schießen müsste, habe er am 28.03.2008 sein Land verlassen.

 

Ein AFIS-Abgleich ergab, dass der Beschwerdeführer am 07.11.2005 in Frankreich sowie am 19.10.2005 und am 15.02.2006 in Slowenien einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht hat.

 

Am 14.04.2008 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass seit 10.04.2008 Konsultationen mit Slowenien geführt wurden. Mit Erklärung vom 17.04.2008 erklärte sich Slowenien gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates (Dublin II VO) für zuständig.

 

Da die erstinstanzliche Behörde ein Vorgehen nach § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG beabsichtigte, wurde dem Asylwerber eine Aktenabschrift ausgehändigt und eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt, in der die Rechtsberatung erfolgte. Überdies wurden dem Rechtsberater die relevanten Aktenbestandteile zugänglich gemacht.

 

Zur Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 29 Abs. 5 AsylG erfolgte am 28.04.2008 eine niederschriftliche Einvernahme, in der im Wesentlichen Folgendes vorgebracht wurde:

 

Zu Beginn dieser Einvernahme legte der Beschwerdeführer ein Schriftstück vor, aus dem hervorgeht, dass der Dorfvorsteher bestätige, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 2007 - 2008 in der Türkei gesucht worden wäre, da er dort politische Parolen gerufen hätte. Dazu führte der Beschwerdeführer aus, dass er in den Jahren 2007 und 2008 insgesamt ungefähr eineinhalb Jahre in der Türkei verbracht hätte.

 

Zur behaupteten Rückkehr in die Türkei vor der Einreise nach Österreich gab der Beschwerdeführer an, er habe Slowenien in Richtung Türkei zwischen Jänner und April 2007 verlassen. Im Lager in Slowenien habe es auch Leute gegeben, die illegale Sachen gemacht hätten. Dort habe er einen Iraner getroffen, der ihm einen Mann vermittelt hätte, der ihn mit einem PKW aus der Stadt gebracht hätte. Danach sei er in den Laderaum eines LKW gesetzt worden. Es sei ein LKW mit einer weißen Plane gewesen. In drei Tagen sei er dann in der Türkei gewesen. Der LKW-Lenker habe ihn in Istanbul aussteigen lassen. In der Zeit, in der er sich in der Türkei aufgehalten habe, sei er zweimal von der Polizei festgenommen und zur Polizeihauptdienststelle gebracht worden. Dort sei er einmal einen Tag und einmal zwei Tage lang festgehalten sowie gefoltert worden. Am 28.03.2008 habe er die Türkei verlassen und sei am 08.04.2008 hier gewesen. Er sei wieder mit dem LKW gekommen.

 

Zur Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG befragt gab der Beschwerdeführer zusammengefasst Folgendes an:

 

Er möchte auf keinen Fall nach Slowenien fahren und sei bereit alles zu machen, damit er dort nicht hin müsse. Das Verfahren in Österreich sei höher einzuschätzen, überdies glaube er nicht, dass Slowenien auf europäischem Niveau sei. Die seien dort sehr grob und sie würden ihr eigenes System verfolgen sowie sich nicht den allgemeinen Richtlinien unterwerfen. Er sei ungefähr 6 Monate dort gewesen. Nichts sei dem europäischen Standard angepasst gewesen. Man bekomme ein Papier, auf dem die Rechte stehen würden, so wie hier. Nur während der 6 Monate dort habe er keinen einzigen Punkt auf dem Schreiben gefunden, der mit der Wirklichkeit übereingestimmt habe.

 

Am 05.05.2008 wurde vom Beschwerdeführer persönlich beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, ein weiteres Schriftstück des genannten Dorfvorstehers in Form eines Fax beigebracht. Nach diesem wäre der Beschwerdeführer am 05.03.2007 von Slowenien in die Türkei gereist und hätte am 28.03.2008 diese wieder verlassen.

 

2. Das Bundesasylamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 09.06.2008, Zahl: 08 03.164-EAST Ost, den Antrag auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO Slowenien zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Slowenien ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Slowenien zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zum behaupteten Reiseverlauf des Beschwerdeführers, zur Behandlung des Beschwerdeführers in Slowenien sowie zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers.

 

Festgestellt wurde weiters, dass keine Umstände, die gegen eine Ausweisung des Beschwerdeführers sprechen, ermittelt werden konnten.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass sich aufgrund der Zustimmung der slowenischen Asylbehörde ergebe, dass sich der Beschwerdeführer in Slowenien aufgehalten und Asylanträge eingebracht habe. Den Behauptungen des Beschwerdeführers, er habe Slowenien freiwillig verlassen und wäre in die Türkei zurückgekehrt, werde einerseits aufgrund der in den Angaben des Beschwerdeführers [...] vorhandenen Widersprüche und andererseits aufgrund der Zustimmung Sloweniens kein Glauben geschenkt. Der Beschwerdeführer habe nämlich bei seiner Erstbefragung im Verfahren bekannt gegeben, dass er im Oktober 2006 in die Türkei zurückgekehrt wäre. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt habe er dann bekannt gegeben, dass seine Rückkehr in den Heimatstaat zwischen Jänner und Februar bzw. April 2007 erfolgt wäre. In Bezug auf die seitens des Beschwerdeführers vorgebrachten Gründe, warum er nicht nach Slowenien zurückkehren wolle, führte die Erstbehörde aus, dass das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers neben sinnwidersprechenden Angaben nur allgemeine unbescheinigte Behauptungen enthalte, durch die es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, glaubhaft zu machen, dass seine Überstellung durch Österreich eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bewirken würde. Zu den beigebrachten Bescheinigungsmitteln führte die Erstbehörde aus, dass diesen keinerlei Beweiskraft zukomme und begründete dies im Wesentlichen mit mangelnder Authentizität sowie dem Umstand, dass nicht nachvollziehbar sei, woher das Wissen des genannten Dorfvorstehers S. B. zur angeblichen Rückkehr des Beschwerdeführers und dessen erneuter Ausreise stamme. Aus dem bei seiner Ersteinvernahme vorgelegten Urteil des Obersten Gerichtshofes von Slowenien ergebe sich, dass seine gegen den negativen Asylbescheid vom 07.06.2006 eingebrachte Beschwerde am 30.08.2006 abgewiesen worden sei. Da eine Zustimmung von Slowenien aufgrund Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II Verordnung erfolgt sei, aus der sich ergebe, dass dem Beschwerdeführer der Zugang zu einem Asylverfahren in Slowenien aktuell offen stehe und auch vom Beschwerdeführer selbst keine Unzulänglichkeiten, die eine Entscheidung oder die Verfahrensführung selbst betroffen hätten, vorgebracht worden seien, sei das vom Beschwerdeführer beigebrachte Urteil keiner Übersetzung zugeführt worden, zumal es keine von Amts wegen aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür gebe, dass Slowenien etwa rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, nach denen er, auch bei Zugrundelegung der Behauptungen des Beschwerdeführers - sofern ihm im Herkunftsstaat eine Bedrohung der im Asyl- und Refoulementbereich relevanten Rechtsgüter tatsächlich drohe -, eine Schutzverweigerung zu erwarten hätte.

 

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 17.06.2008, eingelangt am 18.06.2008 bei der Erstbehörde, Berufung erhoben. Darin wird im Wesentlichen das erstinstanzliche Vorbringen des Beschwerdeführers wiederholt. Diese Berufung gilt gemäß Asylgerichtshofeinrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, als Beschwerde.

 

Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 07.07.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Das aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO eingeleitete Wiederaufnahmeersuchen an Slowenien erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages durch den Beschwerdeführer (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO).

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Sloweniens gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO besteht, zumal der Beschwerdeführer zuletzt am 15.02.2006 in Slowenien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, weiters eine Zustimmung vom 17.04.2008, eingelangt am selben Tag, zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers durch die slowenischen Behörden vorliegt. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten, wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer selbst angegeben, dass er keine Verwandten in Österreich sowie im Bereich der EU (einschließlich Norwegen und Island) hat, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis oder eine besondere Nahebeziehung besteht. Folglich würde der Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Slowenien in seinem durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht verletzt werden.

 

2.1.2.2. Slowenisches Asylverfahren, mögliche Verletzung des Art. 3

EMRK

 

Im gegenständlichen Fall kann nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihm auf Grund der persönlichen Situation ausnahmsweise durch eine Rückverbringung nach Slowenien entgegen der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde (sog. "real risk"). Der Beschwerdeführer beschränkte sich darauf im Wesentlichen vorzubringen, dass in Slowenien ein rassistisches Regime herrsche und die europäischen Vorgaben nicht eingehalten werden würden sowie, dass Rechte der Asylwerber in Slowenien nur auf dem Papier existieren würden. Die Widerlegung der in § 5 Abs. 3 AsylG normierten Rechtsvermutung ist dem Beschwerdeführer damit nicht gelungen.

 

Nicht nur, dass der Beschwerdeführer mit seinem pauschalen Vorbringen, wie bereits dargelegt, die Regelvermutung des § 5 Absatz 3 Asylgesetz nicht widerlegen konnte, verfügt der Asylgerichthof darüber hinaus aktuell über kein Amtswissen hinsichtlich solch offenkundiger, besonderer Gründe, die die Annahme rechtfertigen, der Beschwerdeführer wäre in Slowenien einer realen Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung ausgesetzt.

 

Im Ergebnis stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Slowenien weder eine Verletzung des Art. 3 EMRK noch des Art. 8 EMRK dar und besteht somit auch kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO.

 

2.1.2.3. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs. 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art. 3 oder Art. 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen. Insbesondere die mehrfach divergierenden Angaben des Beschwerdeführers über das Datum der von ihm angegebenen Rückkehr in die Türkei vor der Einreise nach Österreich (Oktober 2006, Jänner und Februar bzw. April 2007) waren nicht geeignet, den Aussagen des Beschwerdeführers eine hinreichende Glaubwürdigkeit beimessen zu können.

 

2.2. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Slowenien in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, real risk, Rechtsschutzstandard
Zuletzt aktualisiert am
20.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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