TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/01 S10 400110-1/2008

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Veröffentlicht am 01.08.2008
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Spruch

S10 400.110-1/2008/4E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde der S.H., geb. 00.00.1959, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.06.2008, GZ: 08 01.296-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

 

Die Beschwerdeführerin hat am 05.02.2008 bei der Polizeiinspektion Traiskirchen einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Bei der niederschriftlichen Befragung vor einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei dieser Behörde gab sie im Wesentlichen Folgendes an:

 

Sie sei am 07.01.2008 gemeinsam mit ihrer Tochter M. mit dem Zug von ihrem Heimatdorf G. nach Kiew gereist, wo sie von 00.01.2008 bis 00.02.2008 aufhältig gewesen sei. Sie seien schließlich schlepperunterstützt zuerst mit einem PKW und anschließend mit einem LKW von 03.02.2008 bis 05.02.2008 unterwegs gewesen. Sie habe die Schlepperin gefragt, über welche Länder sie reisen würden, diese habe ihr nur zur Antwort gegeben, dass dies ihre Sache sei. Sie wisse daher nicht, über welche Länder sie gereist seien. Man habe sie an einem ihr unbekannten Ort aussteigen lassen. Von einem der Schlepper seien sie und ihre Tochter schließlich in die Nähe des Flüchtlingslagers gebracht worden.

 

Die Dublin-Abteilung des Bundesasylamtes stellte am 06.02.2008Informationsersuchen gemäß Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II VO) an Polen, Slowakei und Frankreich. Am 11.02.2008 wurde der Berufungswerberin mitgeteilt, dass Konsultationen mit den erwähnten Staaten geführt werden und somit die in § 28 Abs. 2 AsylG normierte 20-Tages-Frist nicht gelte.

 

Am 20.02.2008 wurde die Beschwerdeführerin von einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, Dr. med. I.H. untersucht. Aus der gutachtlichen Stellungnahme geht hervor, dass nach den Angaben der Beschwerdeführerin deren Schwiegersohn in Tschetschenien gekämpft habe, dieser befinde sich nach wie vor dort. Im Jahr 2006 sei das Haus der Beschwerdeführerin durchsucht und beschossen worden. Man habe die Beschwerdeführerin verbal bedroht, jedoch keine körperliche Gewalt angewendet. Die Sachverständige kam zum Ergebnis, dass keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege.

 

Am 28.03.2008 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass seit 27.03.2008 Konsultationen mit Frankreich geführt wurden. Mit Erklärung vom 24.04.2008 erklärte sich Frankreich gemäß Art. 12 der Dublin II VO für zuständig.

 

Zur Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 29 Abs. 5 AsylG erfolgte am 08.05.2008 eine niederschriftliche Einvernahme, in der im Wesentlichen Folgendes vorgebracht wurde:

 

Zur Frage nach in Österreich aufhältigen Verwandten gab die Beschwerdeführerin an, dass sie in Österreich zwei Töchter, zwei Brüder und zwei Schwestern habe. Ihre Tochter S.M. sei mit ihr gemeinsam nach Österreich gekommen. Ihre zweite Tochter, A.M., lebe bereits in Österreich, sowie auch ihre Brüder M.A. und A.I. und ihre Schwestern S.R. und A.L.. Ihre zwei Schwestern L. und R., sowie der Bruder M. seien bereits im Jahr 2003 nach Österreich gekommen. Ihre Tochter M. habe mit ihren Kindern Tschetschenien am 10.12.2006 verlassen. Bezüglich des Kontaktes zu ihren Verwandten gab die Beschwerdeführerin an, dass sie von diesen öfters besucht werde bzw. auch sie schon einige Male bei den Verwandten zu Besuch gewesen sei.

 

In ihrer Heimat habe sie als Lehrerin gearbeitet, zusätzlich habe sie noch einen Kiosk vermietet, zudem habe sie über eine staatliche Pension verfügt. Sie habe in ihrer Heimat im Haus der Mutter gelebt, auch ihre Brüder und Schwestern hätten dort gelebt, solange sie nicht verheiratet waren. Nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 2000 seien jedoch alle ausgezogen. Sie selbst sei in den Jahren 1992 bis 2000 bei ihren Eltern aufhältig gewesen und im Jahr 2005 in ein eigenes Haus gezogen. Sie habe bis zum Jahr 2007 mit ihrer Tochter M. und ihrem Sohn S. in diesem Haus gelebt.

 

Zum psychologischen Gutachten vom 20.02.2008, wonach bei der Beschwerdeführerin keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege, erklärte die Genannte, dass sie sich in einer schwierigen Situation befinde, sie sei nervös und vergesse Manches.

 

Zur Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG befragt gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes an:

 

Ihre Verwandten seien hier in Österreich, ihre Tochter lebe hier allein mit ihren drei Kindern, sie benötige ihre Hilfe. Sei habe bei ihrer Erstbefragung nicht die Wahrheit über ihren Reiseweg gesagt, weil sie Angst gehabt hätte, abgeschoben zu werden.

 

2. Das Bundesasylamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 03.06.2008, GZ. 08 01.296-EAST Ost, den Antrag auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 12 Dublin II VO Frankreich zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Frankreich ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Frankreich zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zum französischen Asylverfahren, zur Versorgung von Asylwerbern, zur Anerkennungsquote und zum Refoulement.

 

Festgestellt wurde, dass ein Familienverfahren vorliegt. Die Antragstellerin ist gemeinsam mit ihrer minderjährigen Tochter S.M. von Frankreich illegal nach Österreich eingereist, bzw. vor ihrer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet mit ihrer Tochter in Frankreich aufhältig gewesen. Aufgrund der Angaben der Antragstellerin sowie des Antwortschreibens der französischen Behörden steht fest, dass die Antragstellerin in Frankreich einen Asylantrag gestellt hat. Mit Erklärung vom 24.04.2008 erklärte sich Frankreich gemäß Art. 12 der Dublin II VO für zuständig.

 

Festgestellt wurde weiters, dass die Antragstellerin nach Frankreich überstellungsfähig ist.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass die Antragstellerin keine stichhaltigen Gründe für die Annahme habe glaubhaft machen können, dass sie tatsächlich Gefahr liefe, in Frankreich Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden. Aufgrund der allgemeinen Lage in Frankreich sei in keinster Weise davon auszugehen, dass der Antragstellerin in Frankreich eine Verletzung ihrer durch Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gewährleisteten Rechte drohen könnte. Derartiges habe sich im gesamten Verfahren nicht ergeben. Bei der Untersuchung der Antragstellerin am 20.02.2008 sei keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung festgestellt worden.

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 18.06.2008, eingelangt am 23.06.2008 bei der Erstbehörde, Berufung erhoben.

 

Diese Berufung gilt gemäß Asylgerichtshofeinrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, als Beschwerde.

 

Darin wird im Wesentlichen moniert, dass die Erstbehörde ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei; das Bundesasylamt habe es unterlassen, Ausführungen zu Art. 8 EMRK zu tätigen. Auf die persönlichen Lebensumstände der Beschwerdeführerin, welche eine Ausweisung nach Frankreich unzulässig machen würden, sei nicht eingegangen worden. Es seien weder die Tochter noch die Geschwister der Beschwerdeführerin zeugenschaftlich einvernommen worden. In diesem Zusammenhang sei auf Art. 7 der Dublin II VO zu verweisen. Die humanitäre Klausel des Art. 15 Dublin II VO erlaube eine Zusammenführung von Familienangehörigen über den Familienbegriff des Art. 2 lit. i der Dublin II VO hinaus. Es sei der "viel weitere" Familienbegriff des Art. 8 EMRK heranzuziehen. Die Asylbehörde habe die enge Beziehung, welche die Beschwerdeführerin zu ihrer Tochter M., zu ihren Enkelkindern, aber auch zu deren Geschwistern habe, nicht berücksichtigt. Aus der Aktenlage sei nicht ersichtlich, dass die Behörde ein diesbezügliches Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. In einem ähnlich gelagerten Fall habe der Unabhängige Bundesasylsenat in seiner Entscheidung vom 06.03.2008, GZ: 317.772-1/3E-XVI/48/08 ausgesprochen, dass nur durch eine tiefergehende Fragestellung an den Berufungswerber zu den näheren Umständen des Familienlebens mit seinen Kindern in seiner Heimat, aber auch in Österreich, u.U. auch durch Befragung der in der Berufungsschrift angebotenen Zeugen sichergestellt werden könne, dass keine besondere Intensität der familiären Beziehung bestehe.

 

Weiters zitierte die Beschwerdeführerin in Hinblick auf Art. 8 EMRK Entscheidungen des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 28.11.2006, GZ: 307.344-C1/E1-XI/33/06, sowie vom 14.11.2007, G:

314.662-1/6E-XVIII/60/07. Die Beschwerdeführerin wies zudem darauf hin, dass sie laut Befund des Psychotherapeuten E.K. vom 16.08.2008 an einer schweren Anpassungsstörung fußend auf einer posttraumatischen Belastungsstörung infolge serieller Traumatisierung leide. Die Durchführung der Ausweisung stelle daher eine Verletzung von Art. 3 EMRK dar.

 

Dem Beschwerdeschriftsatz vom 23.06.2008 wurde ein "Psychotherapeutischen Kurzbericht" des Psychotherapeuten E.K. vom 16.06.2008 beigelegt, wonach bei der Beschwerdeführerin eine schwere Anpassungsstörung, fußend auf einer höhergradigen post-traumatischen Belastungsstörung infolge serieller Traumatisierung vorliege. Des weiteren wurden mit Berufung handschriftliche "Gesuche" der Schwester der Beschwerdeführerin, S.R., sowie der Tochter der Beschwerdeführerin, A.M., sowie auch des Bruders der Beschwerdeführerin, M.A., in Vorlage gebracht, in welchen auf die sehr enge Bindung zwischen diesen Verwandten und der Beschwerdeführerin sowie deren Tochter S.M. verweisen wird; die Beschwerdeführerin habe keine anderen Verwandten in Europa und benötige die Hilfe ihrer Verwandten. Aus diesem Grund sei es notwendig, dass die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Tochter in Österreich bleiben könne.

 

Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 07.07.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und 15 Dublin II VO, bzw. dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Das aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO eingeleitete Wiederaufnahmeersuchen an Frankreich erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages durch den Beschwerdeführer (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO).

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Frankreichs gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO besteht, zumal die Beschwerdeführerin im Jänner 2008 in Frankreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, weiters eine Zustimmung vom 24.04.2008 zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin durch die französischen Behörden vorliegt. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigenden notorischen Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl. 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist."

(VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen infolge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K8-K13 zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten, wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Im konkreten Fall leben - abgesehen von der Tochter S.M. - noch eine weitere Tochter, A.M., zwei Brüder, M.A. und A.I., sowie zwei Schwestern, S.R. und A.L. in Österreich. Der Antrag auf internationalen Schutz der Tochter S.M. wird ebenfalls - wie jener der Beschwerdeführerin - zurückgewiesen.

 

Zu dem behaupteten besonderen Naheverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und ihren in Österreich lebenden Verwandten darf zunächst darauf verwiesen werden, dass - wie dies auch im angefochtenen Bescheid ausgeführt ist - die Tochter A.M. bereits volljährig und somit nicht zur Kernfamilie der Beschwerdeführerin zugehörig ist. Bezüglich ihrer Geschwister erklärte die Beschwerdeführerin selbst im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme, dass diese bereits im Jahr 2000 aus dem Haus der Eltern ausgezogen seien. Diese hätten geheiratet, sie habe die Geschwister lediglich öfters gesehen. Im Jahr 2003 seien ihre Schwestern L. und R. sowie ihr Bruder M. nach Österreich gekommen.

 

Bereits im Herkunftsland lebte die Beschwerdeführerin somit mit ihren Geschwistern nicht mehr im gemeinsamen Haushalt, auch eine finanzielle Abhängigkeit zu diesen ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich; so erklärte die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang, dass sie in ihrer Heimat als Lehrerin gearbeitet habe sowie Einnahmen aus der Vermietung eines Kiosks gehabt und zusätzlich noch über eine staatliche Pension verfügt habe.

 

Bezugnehmend auf die von der Beschwerdeführerin vorgelegten "Gesuche" ihrer Tochter sowie auch ihrer Schwester und ihres Bruders bleibt anzumerken, dass es zwar nachvollziehbar ist, dass gemeinsame einschneidende Erlebnisse die verwandtschaftlichen Beziehungen noch enger werden lassen können, auch wenn verwandte Personen über mehrere Jahre de facto getrennt waren. Die von der Beschwerdeführerin dargelegten Umstände ihrer Beziehung zu ihren Verwandten (getrennter Haushalt, keine finanzielle Unterstützung) legen aber nicht nahe, dass eine über sehr gute verwandtschaftliche Verhältnisse hinausgehende Beziehung vorliegt; aus denselben Erwägungen ist auch das Vorliegen eines Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK zu der bereits volljährigen Tochter M. auszuschließen. Diese verfügt über eine eigene Familie und hat nach Aussage der Beschwerdeführerin den Herkunftsstaat bereits am 10.12.2006 verlassen. Die Beschwerdeführerin erklärte im Zuge ihrer Einvernahme ausdrücklich, dass sie in der Heimat bis zum Jahr 2007 mit ihrer Tochter M. sowie auch mit ihrem Sohn S. im gemeinsamen Haushalt gelebt habe, davon dass auch ihre Tochter M. im gemeinsamen Haus gelebt habe, sprach sie nicht. Auch die Tochter M. erklärte im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme nur, dass sie nur mit ihrer Mutter und ihrem Bruder im gemeinsamen Haus gelebt habe.

 

Diese Erwägungen führen zum Schluss, dass die Überstellung der Beschwerdeführerin - gemeinsam mit ihrer Tochter M. - in das nach der Dublin II VO zur Führung seines Asylverfahrens zuständige Frankreich nicht geeignet ist, eine Verletzung der in Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte zu bewirken.

 

Die Tochter der Beschwerdeführerin, S.M., ist ebenfalls Asylwerberin in Österreich, und wird deren Berufung ebenfalls mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag abgewiesen. Die (Kern-) Familienangehörige der Beschwerdeführerin ist daher ebenfalls gemäß der Dublin II VO nach Frankreich zu überstellen.

 

Sofern in der Beschwerdeschrift nunmehr moniert wird, dass die belangte Behörde keine Ermittlungen betreffend die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihren Verwandten angestellt habe, so kann dieser Ansicht nicht beigetreten werden. Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vom 08.05.2008 erfolgte eine umfangreiche Befragung der Beschwerdeführerin und deren Tochter bezüglich ihrer in Österreich lebenden Verwandten, insbesondere in Hinblick auf einen allfällig in der Heimat vorliegenden gemeinsamen Haushalt bzw. ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis. Beide Aspekte wurden von der Erstbehörde genau hinterfragt. Bezüglich des von der Beschwerdeführerin angeführten Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates (UBAS) vom 03.06.2008, GZ 317.772-1/XVI/48/2008 sei vorab bemerkt, dass die in der Beschwerdeschrift zitierte Passage lediglich einen Verweis auf eine Entscheidung des UBAS vom 28.11.2006, GZ: 307.344-C1/E1-XI/33/06 darstellt. Doch auch der Verweis auf diese Entscheidung kann im vorliegenden Fall nicht zielführend sein. In der zitierten Entscheidung hat der Berufungswerber bis zu seiner behaupteten Entführung mit seiner Familie im gemeinsamen Haushalt gelebt und für seine Mutter und seine Geschwister gesorgt, ab dem Zeitpunkt seines Aufenthaltes in Österreich bestand regelmäßiger Kontakt, weshalb eine ausreichende Beziehungsintensität für ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK angenommen wurde. Im vorliegenden Fall hingegen gab die Beschwerdeführerin an, dass sie in der Heimat nur mit ihrem Sohn S. und der Tochter M. gemeinsam gelebt habe, von einem gemeinsamen Haushalt mit der Tochter M. (welche bereits eine eigene Familie mit Kindern hatte) sprach sie jedoch nicht. Überdies bestand bereits in der Heimat keine finanzielle Abhängigkeit zur Tochter, vielmehr erklärte die Beschwerdeführerin, ihren Lebensunterhalt durch ihre Tätigkeit als Lehrerin bestritten bzw. über eine staatliche Pension verfügt zu haben, weshalb auch keine finanzielle Abhängigkeit ersichtlich ist. Aus den eben erwähnten Umständen war von keiner Beziehungsintensität auszugehen, welche einem Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK entspricht. Auch der Hinweis auf die Entscheidung des UBAS vom 14.11.2007, GZ: 314.662-1/6E-XVIII/60/07 (betreffend das Familienleben Ziehmutter und Sohn) muss im vorliegenden Fall in Leere gehen, da in diesem Fall seit dem 2. Lebensjahr des Sohnes ein gemeinsames Familienleben vorgelegen ist und Ziehmutter und Sohn auch gemeinsam die Heimat verlassen haben. Im vorliegenden Fall hat jedoch, wie bereits ausgeführt, bereits in der Heimat kein gemeinsamer Wohnsitz von Mutter und Tochter mehr vorgelegen.

 

2.1.2.2. Französisches Asylverfahren, mögliche Verletzung des Art. 3

EMRK

 

Im gegenständlichen Fall kann nicht gesagt werden, dass die Beschwerdeführerin ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihr auf Grund der persönlichen Situation ausnahmsweise durch eine Rückverbringung nach Frankreich entgegen der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde (sog. "real risk"). Die Beschwerdeführerin führte in diesem Zusammenhang nur aus, sie wolle nicht nach Frankreich zurück, weil sich in Österreich ihre Verwandten befinden würden.

 

Die Beschwerdeführerin erstattete somit keinerlei Vorbringen, welches die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 Asylgesetz widerlegen konnte, auch der Asylgerichthof verfügt darüber hinaus aktuell über kein Amtswissen hinsichtlich solch offenkundiger, besonderer Gründe, die die Annahme rechtfertigen, die Beschwerdeführerin wäre in Frankreich einer realen Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung ausgesetzt.

 

2.1.2.3. Medizinische Aspekte

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Frankreich nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohen und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf die jüngste diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR zur Frage einer ausreichenden medizinischen Behandlung in Zusammenhang mit Art. 3 EMRK zu verweisen:

 

GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06

 

AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05

 

PARAMASOTHY gg. NIEDERLANDE, 10.11.2005, Rs 14492/03

 

RAMADAN & AHJREDINI gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 35989/03

 

HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05

 

OVDIENKO gg. Finnland, 31.05.2005, Rs 1383/04

 

AMEGNIGAN gg. Niederlande, 25.11.2004, Rs 25629/04

 

NDANGOYA gg. Schweden, 22.06.2004, Rs 17868/03

 

Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich folgende Judikaturlinien:

 

Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland und allfälligerweise "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend. In der Entscheidung HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05 wurde die Abschiebung des am Down-Syndrom leidenden Beschwerdeführers nach Bosnien-Herzegowina für zulässig erklärt und ausgeführt, dass die Möglichkeit der medizinischen Versorgung in Bosnien-Herzegowina gegeben sei. Dass die Behandlung in Bosnien-Herzegowina nicht den gleichen Standard wie in Schweden aufweise und unter Umständen auch kostenintensiver sei, sei nicht relevant. Notwendige Behandlungsmöglichkeiten wären gegeben und dies sei jedenfalls ausreichend. Im Übrigen hielt der Gerichtshof fest, dass ungeachtet der Ernsthaftigkeit eines Down-Syndroms diese Erkrankung nicht mit den letzten Stadien einer tödlich verlaufenden Krankheit zu vergleichen sei.

 

Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finnland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und selbstmordgefährdet ist, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes "real risk".

 

Auch Abschiebungen psychisch kranker Personen nach mehreren Jahren des Aufenthaltes im Aufenthaltsstaat können in Einzelfällen aus öffentlichen Interessen zulässig sein (vgl. PARAMSOTHY gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 14492/05; mit diesem Judikat des EGMR wurde präzisiert, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach neunjährigem Aufenthalt in den Niederlanden, welcher unter posttraumatischem Stresssyndrom leidet und bereits einen Selbstmordversuch hinter sich hat, zulässig ist, da spezielle Programme für Behandlungen von traumatisierten Personen und verschiedene therapeutische Medizin in Sri Lanka verfügbar sind, auch wenn sie nicht den selben Standard haben sollten wie in den Niederlanden).

 

In besonderem Maße instruktiv für die Frage, ob eine posttraumatische Belastungsstörung oder andere schwere psychische Erkrankungen einer Abschiebung in den Herkunftsstaat entgegenstehen, sind die beiden erst jüngst ergangenen Entscheidungen AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05 und GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06.

 

Im ersteren Fall ging es um eine iranische Asylwerberin, bei der von zwei psychiatrischen Gutachtern unabhängig voneinander schwere psychische Störungen in Gestalt von schweren Depressionen, akuten Selbstmordgedanken und ein multikausales Trauma infolge diverser Erlebnisse diagnostiziert worden waren. Ein Gutachter war zu dem Ergebnis gekommen, dass für die Beschwerdeführerin im Falle einer Abschiebung in den Iran ein reales Risiko eines Selbstmordes bestand [...]. Die gegen die Abschiebung der Beschwerdeführerin in deren Herkunftsstaat Iran erhobene Beschwerde mit der Begründung, eine solche verstoße infolge des schlechten Gesundheitszustandes der BW gegen Art. 3 EMRK, wies der EGMR ab. [...]

 

Der Entscheidung GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06 lag ua. der Fall zugrunde, dass der Zweitbeschwerdeführer - ein russischer Asylwerber, der drei (!) Selbstmordversuche begangen bzw. mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich hatte und dem von Gutachern einhellig eine schwere psychische Erkrankung ua. in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine akute Selbstmordgefährdung bescheinigt worden war - seine Abschiebung nach Russland mit dem Hinweis auf seinen schlechten und infolge aktueller Suizidgefahr lebensbedrohlichen Gesundheitszustand in Beschwerde zog. Auch diese Beschwerde wies der EGMR mit einer über weite Strecken identen Begründung wie in der Entscheidung AYEGH gg. Schweden ab. [...]

 

Die dargestellten Entscheidungen zeigen deutlich, dass bei Vorliegen von Erkrankungen im Allgemeinen nur solche relevant sind, die bekanntermaßen zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen und grundsätzlich keine Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bestehen (siehe dazu nunmehr auch VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9).

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR leitet sich der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab ab. Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer - wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren - medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustandes außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig zu machen.

 

Im vorliegenden Fall liegen mehrere Beurteilungen des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin vor. Die von der Erstbehörde im Zulassungsverfahren beauftragte Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin Dr. med. I.H. kam in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 20.02.2008 zum Ergebnis, dass eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung nicht vorliege und eine Überstellung der Berufungswerberin nach Frankreich möglich sei.

 

Dementgegen wird im psychotherapeutischen Kurzbericht des Psychotherapeuten E.K. vom 16.06.2008 eine schwere Anpassungsstörung, fußend auf einer höhergradigen posttraumatischen Belastungsstörung infolge serieller Traumatisierung festgestellt.

 

Der in der Beschwerde (unter Verweis auf den beigelegten psychotherapeutischen Kurzbericht des Vereins Hemayat, unterfertigt von E.K.) geltend gemachten höhergradigen posttraumatischen Belastungsstörung zufolge serieller Traumatisierung der Berufungswerberin steht die oben genannte ärztliche Beurteilung entgegen.

 

Aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage betreffend § 30 AsylG geht hervor, dass die Diagnose einer belastungsabhängigen, krankheitswertigen psychischen Störung und die Beurteilung deren Auswirkungen durch einen sachverständigen Arzt zu erfolgen hat, wobei als solcher sachverständiger Arzt ein Facharzt der Psychiatrie, ein Facharzt für Psychiatrie-Neurologie, ein Facharzt für Neurologie-Psychiatrie sowie ein praktischer Arzt mit dem "PSY III-Diplom" angesehen werden. Im Gegensatz zur genannten ärztlichen Sachverständigen werden vom Verfasser der genannten Kurznachricht keine dieser Voraussetzungen erfüllt, sodass der Schluss gezogen werden darf, dass der gutachterlichen Stellungnahme der Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin im Zulassungsverfahren ein höherer Beweiswert zukommt als dem in der Beschwerde vorgelegten psychotherapeutischen Kurzbericht. In diesem Zusammenhang ist zudem darauf zu verweisen, dass die Beschwerdeführerin auf Vorhalt, dass laut psychologischem Gutachten vom 20.02.2008 keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege, selbst lediglich entgegnete, dass sie sich in einer schwierigen Situation befinde, nervös sei und Manches vergesse.

 

Aus Sicht des erkennenden Asylgerichtshofes war daher dem Ergebnis des Gutachtens der Sachverständigen Dr. I.H. zu folgen.

 

Im Falle einer Überstellung nach Frankreich kann entsprechend den Feststellungen der Erstbehörde bezüglich der medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung zudem von einer ausreichenden und adäquaten Versorgung der Beschwerdeführerin in Frankreich ausgegangen werden.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Frankreich weder eine Verletzung des Art. 3 EMRK noch des Art. 8 EMRK dar, somit besteht auch kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Frankreich in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, familiäre Situation, medizinische Versorgung, real risk, Rechtsschutzstandard, soziale Verhältnisse
Zuletzt aktualisiert am
15.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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