Index
L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §39 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde der Stadtgemeinde T, vertreten durch Dr. R und Dr. Z, Rechtsanwälte in G, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 11. Oktober 2000, GZ. 03-12.10 T 81-00/10, betreffend die Aufhebung einer Berufungsentscheidung in einer Bausache (mitbeteiligte Partei: Dr. S), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren der Beschwerdeführerin wird abgewiesen.
Begründung
Am 26. Februar 1998 wurde bei der erstinstanzlichen Baubehörde eine Bauanzeige des Mitbeteiligten (in der Folge kurz: Bauwerber) vom selben Tag betreffend die Errichtung einer Einfriedung hinsichtlich seiner Liegenschaft im Gebiet der beschwerdeführenden Gemeinde (kurz: Gemeinde) eingebracht. Den Plänen zufolge soll dabei ein Teil des Straßenraumes der R-Gasse von dieser Einfriedung umfangen werden (Anmerkung: siehe dazu auch das hg. Erkenntnis vom 5. Dezember 2000, Zl. 99/06/0139, betreffend ein benachbartes Grundstück; der Mitbeteiligte im gegenständlichen Verfahren ist der in jenem Erkenntnis vom 5. Dezember 2000 genannte Dr. X).
Mit Erledigung vom 8. April 1998 teilte die erstinstanzliche Baubehörde dem Bauwerber mit, sie leite innerhalb der Frist des § 33 Abs. 5 des Steiermärkischen Baugesetzes 1995 (Stmk. BauG) hinsichtlich dieses Bauvorhabens ein Baubewilligungsverfahren ein, weil nicht mit der erforderlichen Sicherheit zeitgerecht beurteilt werden könne, ob eine Beeinträchtigung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes bestehen würde.
Mit Erledigung vom 30. April 1998 wurde die Bauverhandlung (für den 19. Mai 1998) anberaumt. Hiezu wurden unter anderem der Bauwerber, aber auch verschiedene Nachbarn, darunter die Gemeinde, geladen. In der Bauverhandlung gab der beigezogene Amtssachverständige für Ortsbildschutz ein negatives Gutachten ab.
Mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 16. Juli 1998 wurde das Baugesuch abgewiesen "und das angezeigte Vorhaben damit untersagt", was im Wesentlichen mit dem negativen Gutachten des Sachverständigen für Ortsbildschutz begründet wurde.
Dagegen erhob der Bauwerber Berufung, der nach einem ergänzenden Ermittlungsverfahren (Einholung einer Stellungnahme des Sachverständigen für Ortsbildschutz zum Berufungsvorbringen) mit Berufungsbescheid vom 28. Jänner 1999 nicht Folge gegeben wurde.
Dagegen erhob der Bauwerber Vorstellung.
Mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 26. Juli 1999 wurde der Berufungsbescheid vom 28. Jänner 1999 wegen Verletzung von Rechten des Bauwerbers behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwiesen, was im Wesentlichen mit einer Mangelhaftigkeit des Ortsbildgutachtens begründet wurde.
In weiterer Folge wurde mit dem Bescheid der Berufungsbehörde vom 6. März 2000 das Berufungsverfahren gemäß § 38 AVG "bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Vorfrage der Eigentumsverhältnisse" an den Grundstücken, die die verfahrensgegenständliche Liegenschaft bilden, ausgesetzt. Dies wurde damit begründet, dass das Bauvorhaben an der Grenze dieser Grundstücke zum öffentlichen Gut geplant sei. Der Verlauf dieser Grenze und damit die Eigentumsverhältnisse im unmittelbaren Bereich des geplanten Bauvorhabens seien jedoch strittig. Zwecks Erneuerung bzw. Berichtigung dieser Grenze sei ein Verfahren gemäß den §§ 850 ff ABGB beim zuständigen Bezirksgericht zu einem näher bezeichneten Aktenzeichen anhängig (Anmerkung: den Verwaltungsakten ist zu entnehmen, dass die Gemeinde den entsprechenden Antrag eingebracht hatte). Der tatsächliche Grenzverlauf, und daran anknüpfend die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse, seien ein unentbehrliches Tatbestandsmoment für die Entscheidung im gegenständlichen Berufungsverfahren. Da diese Vorfrage schon den Gegenstand des genannten Gerichtsverfahrens bilde, sei das Berufungsverfahren aus verfahrensökonomischen Gründen gemäß § 38 AVG auszusetzen gewesen.
Dagegen erhob der Bauwerber Vorstellung.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den bekämpften Bescheid vom 6. März 2000 wegen Verletzung von Rechten des Bauwerbers behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwiesen.
Nach zusammengefasster Darstellung des Verfahrensganges und der Rechtslage heißt es begründend, die in § 33 Abs. 3 Stmk. BauG geforderte Bestätigung des Verfassers der Unterlagen stehe im Zusammenhang mit der sich aus Abs. 4 ergebenden eingeschränkten Prüfungspflicht der Behörde. Während im Baubewilligungsverfahren entsprechend dem sich aus § 37 AVG ergebenden Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit die Behörde grundsätzlich von sich aus ein eingereichtes Bauvorhaben zur Gänze auf die Übereinstimmung mit den nach diesem Gesetz für die Bewilligung geforderten Voraussetzungen zu überprüfen habe (was sich im Übrigen auch aus § 29 Abs. 1 Stmk. BauG ergebe), finde im Anzeigeverfahren nur eine eingeschränkte Prüfung im Sinne des § 33 Abs. 4 Stmk. BauG statt. Die Baubehörde habe demnach nur zu prüfen, ob die in Abs. 4 leg. cit. normierten Untersagungsgründe vorlägen. Lediglich hinsichtlich der Frage, ob durch ein angezeigtes Bauvorhaben das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild beeinträchtigt werden könne, habe sie die Möglichkeit, ein Baubewilligungsverfahren einzuleiten. Dies sei vorliegendenfalls erfolgt.
Die Frage des Grenzverlaufes und damit im Zusammenhang stehend ein eventueller Grenzstreit sei im Katalog der Untersagungsgründe des § 33 Abs. 4 leg. cit. nicht enthalten. Insbesondere handle es sich bei dieser Frage nicht um einen offenkundigen Widerspruch zu sonstigen baurechtlichen Vorschriften. Die Lösung von Grenzstreitigkeiten bzw. strittiger Grenzfragen in einem Anzeigeverfahren würde auch den Intentionen des Baugesetzes widersprechen. Das Anzeigeverfahren sei nach den Erläuternden Bemerkungen zu § 20 leg. cit. als vereinfachtes Verfahren vorgesehen, das insbesondere eine kürzere Verfahrensdauer gewährleisten solle.
Schließlich habe gemäß § 33 Abs. 8 leg. cit. die Beurteilung, ob Untersagungsgründe vorlägen, auf Grundlage der zum Zeitpunkt des Einlangens der Anzeige maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Grenzverlauf weder strittig gewesen noch sei ein entsprechendes zivilgerichtliches Verfahren anhängig gewesen.
Aus all dem ergebe sich somit zweifelsfrei, dass im Baubewilligungsverfahren nunmehr lediglich die Ermittlungen zur Frage einer eventuellen Beeinträchtigung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes durchgeführt werden könnten. Die Klärung von Grenzfragen als Vorfrage und somit auch die Aussetzung des Verfahrens im Sinne des § 38 AVG sei daher nicht möglich.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und, ebenso wie der mitbeteiligte Bauwerber, in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall ist das Steiermärkische Baugesetz 1995, LGBl. Nr. 59 (Stmk. BauG), anzuwenden.
§ 33 leg. cit. regelt das Anzeigeverfahren. Nach dessen Abs. 4 hat die Behörde unter bestimmten Voraussetzungen das angezeigte Vorhaben mit schriftlichem Bescheid innerhalb von acht Wochen zu untersagen.
Nach Abs. 5 dieser Bestimmung hat die Behörde binnen acht Wochen nach Einlangen der Anzeige ein Baubewilligungsverfahren einzuleiten und den Anzeigenden hievon zu verständigen, wenn nicht zeitgerecht beurteilt werden kann, ob eine Beeinträchtigung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes besteht.
Der Verweis in § 33 Abs. 5 Stmk. BauG auf das Baubewilligungsverfahren bedeutet lediglich einen Verweis auf die prozessualen Vorschriften des II. Abschnittes des II. Teiles des I. Hauptstückes dieses Gesetzes über das Baubewilligungsverfahren (§§ 22 - 32). Der Prüfungsumfang, der den Gegenstand des jeweiligen Bauverfahrens bildet, ergibt sich aus den jeweils zur Anwendung kommenden materiell-rechtlichen Vorschriften des Stmk. BauG. Für anzeigepflichtige Vorhaben wird dieser Prüfungsumfang in § 33 Abs. 4 leg. cit., umschrieben. Entgegen der tragenden Auffassung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid ist die Prüfungsbefugnis der Behörde in diesem Verfahren aber nicht auf die nur in Z. 3 dieser Gesetzstelle genannten Themen beschränkt. Vielmehr umfasst diese Kognition alle Themen, die in § 33 Abs. 4 leg. cit. genannt sind. Es trifft daher nicht zu, dass die Baubehörden im gegenständlichen Baubewilligungsverfahren lediglich "Ermittlungen zur Frage einer eventuellen Beeinträchtigung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes" durchführen könnten, wie die belangte Behörde annimmt.
Vorliegendenfalls war daher die Berufungsbehörde berechtigt, die Frage des (gemäß § 33 Abs. 4 Z. 1 iVm Abs. 2 Z. 2 Stmk. BauG relevanten) Grenzverlaufes zu prüfen, wobei im Übrigen eine im Zuge des Verfahrens erfolgte Änderung des Grenzverlaufes nicht behauptet wurde und es nicht darauf ankommt, wann den Organwaltern der Baubehörden Bedenken am Grenzverlauf gekommen sind (zumal in diesem Baubewilligungsverfahren § 33 Abs. 8 leg. cit. nicht anwendbar ist). Die Berechtigung der Berufungsbehörde, die Frage des Grenzverlaufes zu prüfen, ergibt sich aus ihrer aus § 39 Abs. 2 AVG erfließenden Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung und ist daher unabhängig von der prozessualen Position, die hier der Gemeinde selbst im Verfahren vor ihren Behörden zukommt; damit ist auf das diesbezügliche Vorbringen in der Gegenschrift des Bauwerbers, die Gemeinde sei in ihrer Eigenschaft sei es als Eigentümerin des Straßengrundes, sei es als Verwalterin des öffentlichen Gutes mit Einwendungen zum Grenzverlauf präkludiert, nicht einzugehen, weil es hier auf diese Aspekte nicht ankommt.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Dabei war nur der Schriftsatzaufwand zuzuerkennen, weil die beschwerdeführende Gemeinde als Gebietkörperschaft von der Entrichtung der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG befreit ist. Das diesbezügliche Kostenmehrbegehren war daher abzuweisen.
Wien, am 29. März 2001
Schlagworte
Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000060196.X00Im RIS seit
11.07.2001