TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/04 A4 318215-1/2008

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Veröffentlicht am 04.08.2008
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Spruch

A4 318.215-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. LAMMER als Vorsitzenden und die Richterin Dr. HOLZSCHUSTER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin VB Biondo über die Beschwerde des A.M., geb. 00.00.1984, StA. Ägypten, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.02.2008, FZ. 07 08.446-BAW, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I.1. Der nunmehrige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Ägypten, reiste am 22.08.2007 per Flugzeug in das Bundesgebiet ein und stellte am 13.09.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz iSd § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG. Der nunmehrige Beschwerdeführer wurde am 14.09.2007, 24.09.2007 und am 21.02.2008 im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache niederschriftlich einvernommen. Der nunmehrige Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, aus Angst vor einer Blutrache, der sich sein Vater durch Flucht ins Ausland entzogen hat, sein Heimatland verlassen zu haben. Der Grund der Blutrache wäre eine Auseinandersetzung seines Großvaters mit einem Angehörigen einer anderen Familie. Seine Mutter und sein jüngerer Bruder wären nicht gefährdet, da für sie das Gesetz der Blutrache nicht gelte.

 

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.02.2008, FZ. 07 08.446-BAW, wurde der am 13.09.2007 gestellte Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen und dem nunmehrigen Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde dem nunmehrigen Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ägypten nicht zuerkannt und wurde er gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ägypten ausgewiesen.

 

Die belangte Behörde geht davon aus, dass sich der nunmehrige Beschwerdeführer in seinem Vorbringen bezüglich der Blutrache auf abstrakte und allgemein gehaltene Darlegungen beschränkt. Er sei nicht in der Lage, konkrete und detaillierte Angaben zu liefern und stellte sein Vorbringen darüber hinaus widersprüchlich dar. Aufgrund dieser Umstände musste dem nunmehrigen Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit versagt werden.

 

3. Gegen diese Entscheidung erhob der nunmehrige Beschwerdeführer am 05.03.2008 Berufung (Beschwerde).

 

II. Der Asylgerichtshof hat in nichtöffentlicher Sitzung erwogen:

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg.cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (VwGH 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von der (dort) Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (VwGH 14.3.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG, siehe VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Im Hinblick darauf, dass sich der nunmehrige Beschwerdeführer im Hinblick auf Fluchtgründe auf die Angst vor einer bevorstehenden Blutrache bezieht und dies von der Erstinstanz nicht mit eindeutiger Sicherheit widerlegt werden konnte, hätte es zu eingehenden aktuellen Feststellungen zur politischen und menschenrechtlichen Lage in Ägypten unter besonderer Einbeziehung der Blutrache mit einer besonderen Auseinandersetzung mit dieser traditionellen Institution bedurft. Es kann nicht von vorneherein gesagt werden, dass die erforderlichen Feststellungen und Auseinandersetzungen - trotz der zum Teil widersprüchlichen Aussagen des nunmehrigen Beschwerdeführers - für die Beurteilung des Antrages auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers und seiner Glaubwürdigkeit bedeutungslos wären. Einer diesbezüglichen Asylrelevanz ist im vorliegenden Fall im Hinblick auf eine Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe nicht von vorneherein auszuschließen. Das bedeutet für den Fall, dass keine Kassation vorgenommen werde, dass der Asylgerichtshof dem amtswegig zu ermittelnden Sachverhalt und die diesbezüglichen Beweismittel im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vorzuhalten hätte.

 

Von der durch § 66 Abs. 3 AVG der "Berufungsbehörde" eingeräumten Möglichkeit, die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist, war im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen nicht Gebrauch zu machen:

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren eingerichtet, wobei dem Asylgerichtshof - einer unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" (Beschwerdeinstanz) zukommt. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es ist gemäß § 18 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Antragsteller dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines vollständigen Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor der Asylgerichtshof käme, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen des Antragstellers sachgerecht einzugehen. Die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen würde damit zur bloßen Formsache degradiert. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn der Asylgerichtshof, statt seine "umfassende" Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Asylgerichtshof beginnen und zugleich bei derselben Behörde enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG (VwGH 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315).

 

Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall das dem Asylgerichtshof gemäß § 66 Abs. 2 und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Blutrache, Glaubwürdigkeit, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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