E3 224.194-2/2008-7E
BESCHLUSS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. HERZOG-LIEBMINGER als Vorsitzende und den Richter Mag. HUBER-HUBER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. MITTERMAYR über den Antrag auf Wiederaufnahme des mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 17.11.2004, GZ. 224.194/0-IV/17/01, rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens betreffend A.S., geboren 00.00.1960, StA. Iran, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Der Antrag auf Wiederaufnahme des mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 17.11.2004, GZ. 224.194/0-IV/17/01, rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens wird gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG abgewiesen.
BEGRÜNDUNG :
I. Verfahrensgang
1. Der Wiederaufnahmewerber, ein Staatsangehöriger des Iran der persischen Volksgruppe und schiitischen Glaubens, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 26.07.2001 einen Asylantrag.
Dieser wurde nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid des Bundesaslyamtes vom 31.08.2001, Zahl: 01 17.154-BAT, abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Wiederaufnahmewerbers in den Iran für zulässig erklärt (AS 33 ff).
Die dagegen erhobene Berufung (AS 91 ff) wurde nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 17.11.2004, Zahl: 224.194/0-IV/17/01, gemäß §§ 7 und 8 AsylG 1997 abgewiesen (AS 117 ff).
Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Wiederaufnahmewerber aus den von ihm angegeben Gründen den Iran verlassen habe oder dass er nach einer allfälligen Rückkehr in seinem Herkunftsstaat mit relevanten Problemen zu rechnen hätte. Darüber hinaus ergebe sich aus den Länderberichten, dass die Asylantragstellung im Ausland bei zurückkehrenden Bürgern im Iran keine negativen Konsequenzen von hoher Eingriffsintensität nach sich ziehe.
Dazu komme, dass bei einer Recherche die vom Wiederaufnahmewerber geschilderte, am 00.00.2000 in A. stattgefundene Demonstration nicht erhoben werden konnte. Selbst wenn der Wiederaufnahmewerber bei dieser Demonstration tatsächlich festgenommen worden sein sollte, sei davon auszugehen, dass den iranischen Behörden die Identität des Wiederaufnahmewerbers nicht bekannt sei.
Dieser Bescheid wurde dem nunmehrigen Wiederaufnahmewerber am 25.11.2004 zugestellt, sodass dessen Asylverfahren seit diesem Tag rechtskräftig abgeschlossen ist.
Die Behandlung der vom nunmehrigen Wiederaufnahmewerber gegen den Berufungsbescheid erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde von diesem mit Beschluss vom 17.10.2006, 2005/20/0133-6, abgelehnt (AS 187 ff).
2. Mit Schriftsatz vom 04.09.2007, welcher am 07.09.2007 beim Unabhängigen Bundesasylsenat einlangte, stellten der nunmehr anwaltlich vertretene Wiederaufnahmewerber, seine Gattin und die drei gemeinsamen Kinder einen Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs 1 Z 2 AVG.
Darin wird vorgebracht, dass der Wiederaufnahmewerber am 21.08.2007 Kenntnis von einem Zeitungsbericht einer Teheraner Tageszeitung 2000 erlangt hätte, in dem von einer Demonstration der Reisbauern berichtet werde. Gleichzeitig wurde dieser Artikel in Kopie und in beglaubigter Übersetzung vorgelegt. Es liege sohin ein neu hervorgekommenes Beweismittel vor, nach welchem feststehe, dass die vom Wiederaufnahmewerber in seinem Asylverfahren genannte Demonstration tatsächlich stattgefunden habe und seine Angaben sohin der Wahrheit entsprächen. Der Wiederaufnahmewerber sei im Zuge dieser Demonstration als unbeteiligter Passant festgenommen und drei Stunden in einem Polizeifahrzeug festgehalten worden. Zumal er bereits 1995 wegen der Veröffentlichung regimekritischer Zeitungsartikel drei Monate in Haft gewesen sei, ergebe eine Gesamtbetrachtung der Umstände, dass die Furcht des Wiederaufnahmewerbers vor Verfolgung durch iranische Behörden im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention wohlbegründet sei.
3. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E3 zugeteilt.
II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:
Gemäß dem Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, wurde der Asylgerichtshof - bei gleichzeitigem Außerkrafttreten des Bundesgesetzes über den unabhängigen Bundesasylsenat - eingerichtet und treten die dort getroffenen Änderungen des Asylgesetzes mit 01.07.2008 in Kraft; folglich ist das AsylG 2005 ab diesem Zeitpunkt in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 anzuwenden.
1. Zuständigkeit des erkennenden Senats:
Gemäß § 75 Abs 7 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 4/2008, sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
[...]
Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
[...]
Im Rahmen der Interpretation des § 75 Abs 7 AsylG ist mit einer Anhängigkeit der Verfahren beim Unabhängigen Bundesasylsenat mit 30.6.2008 auszugehen (vgl. Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG). Der in der genannten Übergangsbestimmung erwähnte 1. Juli 2008 ist im Sinne dieser genannten Bestimmung des B-VG zu lesen.
Nunmehr handelt es sich bei dem gegenständlichen Wiederaufnahmeverfahren, welches am 30.06. bzw. 01.07.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig war, zwar um keines gegen einen abweisenden Bescheid, sondern um ein solches, für welches der Unabhängige Bundesasylsenat als "weiterer unabhängiger Verwaltungssenat" iSd Art 129c Abs 1 B-VG idF BGBl I Nr.100/2005 gemäß § 69 Abs 4 AVG zur Entscheidung zuständig war.
Im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation der Bestimmung des § 75 Abs 7 AsylG ist jedoch auch hier auf Art 151 Abs 39 Z 1 und Z 4 B-VG Bedacht zu nehmen, wonach der bisherige unabhängige Bundesasylsenat mit 01.07.2008 zum Asylgerichtshof wird und alle am 01.07.2008 bei letzterem anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen sind.
2. Anzuwendendes Verfahrensrecht
Gemäß § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF, sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.
Gemäß § 69 Abs 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gem. § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.
Gemäß § 69 Abs 2 AVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
Nach Abs 4 leg cit steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem.
3. Zu den Entscheidungsgründen:
3.1. Tatsachen und Beweismittel können nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens schon vorhanden gewesen sind, ihre Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich geworden ist ("nova reperta"), nicht aber, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt ("nova causa superveniens") (vgl. z. B. VwGH 20.06.2001, Zl. 95/08/0036, und die bei Walter/Thienel,
Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 124 zu § 69 AVG zitierte Rechtsprechung). "Tatsachen" sind Geschehnisse im Seinsbereich, mit "Beweismittel" sind Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen gemeint (VwGH 11.03.2008, 2006/05/0232).
3.2. Der verfahrensgegenständliche Wiederaufnahmeantrag wird auf einen Artikel in einer Teheraner Tageszeitung 2000 gestützt. Es handelt sich somit um ein Beweismittel, welches bereits bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens (17.11.2004) vorhanden gewesen ist, welches der Wiederaufnahmewerber jedoch erst am 21.08.2007 erhalten hat.
Da der Antrag auf Wiederaufnahme am 04.09.2007 zur Post gegeben wurde, ist er auch fristgerecht iSd § 69 Abs 2 AVG, zumal sowohl die subjektive Zweiwochenfrist als auch die (am 25.11.2004 zu laufen beginnende) objektive Dreijahresfrist gewahrt wurden.
3.3. Im Neuerungstatbestand des § 69 Abs 1 Z 2 AVG wird ausdrücklich festgelegt, dass die Wiederaufnahme nur dann in Betracht kommt, wenn der Wiederaufnahmsgrund allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Es obliegt daher der Behörde, bereits im Wiederaufnahmeverfahren zu prüfen, ob die neue Tatsache oder das neue Beweismittel einen anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (vgl. VwGH 22.02.2001, Zl. 2000/04/0195).
Voraussetzung für die Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ist somit die Entscheidungsrelevanz der neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel, d. h. dass der Wiederaufnahmegrund allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid mit einiger Wahrscheinlichkeit herbeiführen könnte. Da es im Verfahren über einen Wiederaufnahmsantrag um die Durchbrechung des Grundsatzes der Rechtskraft geht, sind die Prozessvoraussetzungen streng zu prüfen. Es obliegt der Behörde, bereits im Wiederaufnahmeverfahren zu prüfen, ob die neue Tatsache oder das neue Beweismittel einen anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (vgl. die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 5 und E 117 zu § 69 AVG zitierte Rechtsprechung).
3.4. Der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme wird - wie bereits erwähnt - auf einen Zeitungsartikel gestützt, in welchem von einer Demonstration berichtet wird, an welcher der Wiederaufnahmewerber laut seinem Vorbringen im Asylverfahren teilgenommen habe und dabei festgenommen worden sei.
Damit ist zwar bescheinigt, dass diese Demonstration - entgegen der Feststellungen des Unabhängigen Bundesasylsenats im Bescheid vom 17.11.2004 - tatsächlich stattgefunden hat.
Der Wiederaufnahmewerber bzw. dessen rechtsfreundlicher Vertreter übersieht jedoch, dass der Unabhängige Bundesasylsenat in diesem Bescheid auch ausführte, dass selbst unter der Annahme, dass der Wiederaufnahmewerber bei der Demonstration 2000 tatsächlich festgenommen worden und ihm die Flucht aus dem Polizeifahrzeug gelungen ist, davon auszugehen ist, dass den iranischen Behörden seine Identität nicht bekannt ist. Dies ergäbe sich zum einen aus der großen Anzahl der Teilnehmer von 7.000 bis 8.000 Personen und zum anderen daraus, dass seine Personalien nicht aufgenommen wurden. Überdies habe der Wiederaufnahmewerber nach seinen eigenen Angaben auch nachher noch acht Monate unbehelligt im Iran leben können.
Aus dieser (Alternativ-)Begründung ist sohin ersichtlich, dass der als neu hervorgekommenes Beweismittel vorgelegte Zeitungsartikel weder allein noch in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Der Antrag auf Wiederaufnahme war daher abzuweisen.
4. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs 7 AsylG iVm § 67d Abs 4 AVG unterbleiben.