TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/08 S8 319835-1/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.08.2008
beobachten
merken
Spruch

S8 319.835-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. BÜCHELE als Einzelrichter über die Beschwerde der V.S., geb. 00.00.1960, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.06.2008, FZ. 07 11.740 - EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005, BGBL. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt. Die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige, reiste am 17.12.2007 in das österreichische Bundesgebiet ein (gemeinsam mit ihrem Ehegatten und ihren zwei Kinder zwischen elf und zwölf Jahren)und stellte am 18.12.2007 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (in der Folge: Asylantrag) Sie wurde hierzu am 17.12.2007 durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Grenzpolizeiinspektion Dürnkrut erstbefragt sowie am 17.01.2008 und am 21.04.2008 vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, im Beisein eines Rechtsberaters niederschriftlich einvernommen.

 

2. Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass die Beschwerdeführerin am 11.10.2007 in Polen einen Asylantrag gestellt hatte. Das Bundesasylamt richtete sodann am 27.12.2007 gestützt auf die Angaben des Eurodac-Systmes ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (kurz: Dublin-Verordnung) an die zuständige polnische Behörde. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 über die Führung von Konsultationen mit Polen erhielt die Beschwerdeführerin am 28.12.2007. Mit Schreiben vom 03.01.2008 erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens der Beschwerdeführerin für zuständig.

 

3. Mit dem beim Asylgerichtshof bekämpften Bescheid vom 03.06.2008, Zahl: 07 11.740-EAST Ost, wurde der Asylantrag der nunmehrigen Beschwerdeführerin ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin-Verordnung Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die nunmehrige Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei. Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu Polen, insbesondere zum polnischen Asylwesen sowie zur medizinischen Versorgung. Beweiswürdigend hielt die Behörde im Wesentlichen fest, dass die nunmehrige Beschwerdeführerin keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass sie konkret Gefahr liefe, in Polen Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihr durch die Überstellung eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte. Weiters drohe keine Verletzung der nach Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte.

 

4. Gegen den genannten Bescheid richtet sich die fristgerecht am 16.06.2008 eingebrachte Beschwerde, in welcher im Wesentlichen die Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptet wurde.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008, (in der Folge: AsylG 2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Asylantrag im 18.12.2007 gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 zur Anwendung gelangt.

 

2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden. Aufgrund der im Mai 2007 erfolgten Asylantragstellung bezieht sich im Gegenstand § 5 AsylG 2005 auf die Dublin-Verordnung, da gemäß Art. 29 leg. cit. diese Verordnung auf Asylanträge anwendbar ist, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten - dies ist der 01.09.2003 - gestellt werden.

 

Die Dublin-Verordnung ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Es ist daher zunächst zu überprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin-Verordnung) Kriterien der Art. 6 bis 12 bzw. Art. 14 und Art. 15 Dublin-Verordnung zuständig ist oder die Zuständigkeit bei ihm selbst nach dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin-Verordnung (erste Asylantragstellung) liegt.

 

2.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung eine Zuständigkeit von Polen gemäß Art.16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung bestand. Die Zuständigkeit wurde von Polen mit Schreiben vom 03.01.2008 ausdrücklich anerkannt. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung war somit gegeben.

 

Gemäß Art. 19 Abs. 3 Dublin-Verordnung erfolgt die Überstellung des Antragstellers von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrages auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat.

 

Die Erhebung eines Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung für den Rechtsbehelf hemmt ex lege die mit der Zustimmung des ersuchten Mitgliedsstaates zu laufen beginnende 6-Monatsfrist des Art. 19 Abs. 3 Dublin-Verordnung; diese beginnt wieder zu laufen, wenn die (negative) Entscheidung der Rechtsmittelinstanz ergangen ist und kann allenfalls neuerlich gehemmt werden, wenn die nationale Rechtsordnung einen weiteren Rechtsbehelf vorsieht, dem wieder aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. Filzwieser/Liebminger, Dublin II-VO², K25 zu Art. 19).

 

Gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin-Verordnung (bzw. Art. 20 Abs. 2) geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung des Asylwerbers nicht erfolgen konnte oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylwerber flüchtig ist.

 

Die Regelung stützt sich auf die Überlegung, dass der Mitgliedstaat, der die gemeinsamen Zielvorgaben zur Kontrolle der illegalen Zuwanderung nicht umsetzt (hier also: die Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedsstaat nicht zeitgemäß durchführt), gegenüber den Partnerländern die (negativen) Folgen tragen muss. Außerdem soll auch durch diese Bestimmung vermieden werden, dass eine Kategorie sogenannter refugees in orbit entsteht, deren Antrag monate- oder gar jahrelang in keinem Mitgliedstaat geprüft wird. Der Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der 6-Monatsfrist stellt keinen fingierten Selbsteintritt, sondern eine besondere Zuständigkeitsnorm dar, die letztlich lediglich vom Ablauf der Frist abhängig ist (Filzwieser/Liebminger, Dublin II-VO², K 30 zu Art. 19).

 

Im gegenständlichen Verfahren führte das Bundesasylamt vom 27.12.2007 bis 03.01.2008 Konsultationen mit Polen gemäß der Dublin-Verordnung und teilte dies der Beschwerdeführerin innerhalb der 20-Tages-Frist des § 28 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 mit. Das Bundesasylamt stützte seine Entscheidung auf die Zustimmung Polen zur Übernahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 16 Abs.1 lit. c Dublin-Verordnung, welche am 03.01.2008 erfolgte. Die 6-Monatsfrist begann daher gemäß Art. 19 Abs. 3 Dublin-Verordnung mit der Zustimmung von Polen am 03.01.2008, zu laufen. Die Zuständigkeit zur (inhaltlichen) Prüfung des gegenständlichen Asylantrages ist daher gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin-Verordnung am 03.07.2008 auf Österreich übergegangen, weil die Überstellung der Beschwerdeführerin nicht innerhalb der 6-monatigen Überstellungsfrist durchgeführt und diese Frist weder gehemmt -etwa durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde nach § 37 AsylG 2005 - noch verlängert wurde.

 

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie am 03.07.2008 die Betreuungsstelle des Bundesasylamtes verlassen hat.

 

Art. 9 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02.09.2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Dublin-Verordnung lautet:

 

"(2) Der Mitgliedstaat, der die Überstellung aus einem der in Artikel 19 Absatz 4 und Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 genannten Gründe nicht innerhalb der in Artikel 19 Absatz 3 und Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe d) der genannten Verordnung vorgesehenen regulären Frist von sechs Monaten vornehmen kann, ist verpflichtet, den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist zu unterrichten. Ansonsten fallen die Zuständigkeit für die Behandlung des Asylantrags bzw. die sonstigen Verpflichtungen aus der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 gemäß Artikel 19 Absatz 4 und Artikel 20 Absatz 2 der genannten Verordnung diesem Mitgliedstaat zu."

 

Da Österreich vor Ablauf der 6-Monatsfrist der möglichen Fristverlängerung des Art. 19 Abs. 4 Dublin-Verordnung Polen von der Abreise des Beschwerdeführers nicht informierte, wurde die Frist nicht verlängert.

 

2.2. Da nach den Bestimmungen der Dublin-Verordnung nunmehr Österreich zur Prüfung des Asylantrages der Beschwerdeführerin zuständig ist, war Spruchteil I. des gegenständlichen Bescheides gemäß § 5 Abs. 1 iVm. § 41 Abs. 3 AsylG 2005 ersatzlos zu beheben.

 

2.3. Zu Spruchteil II. des angefochtenen Bescheides:

 

2.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Asylantrag zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn erstens dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder zweitens diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 leg. cit. verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

2.3.2. Der gegenständlichen Beschwerde gegen die zurückweisende Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren war stattzugeben, weil im Entscheidungszeitpunkt des Beschwerdeverfahrens die Voraussetzungen für die Zurückweisung des Antrages nach § 5 Abs. 1 AsylG 2005 nicht mehr gegeben waren, weswegen gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 auch Spruchteil II. des o. a. Bescheides ersatzlos zu beheben war.

 

Gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 2005 gilt ein Ausweisungsverfahren als eingeleitet, wenn im Zulassungsverfahren eine Bekanntgabe nach § 29 Abs. 3 Z 4 oder 5 AsylG 2005 erfolgt und das Verfahren vor dem Asylgerichtshof einzustellen (§ 24 Abs. 2) war und die Entscheidung des Bundesasylamtes in diesem Verfahren mit einer Ausweisung (§ 10) verbunden war. Gemäß § 27 Abs. 4 erster Satz AsylG 2005 ist ein gemäß Abs. 1 Z 1 eingeleitetes Ausweisungsverfahren einzustellen, wenn das Verfahren zugelassen wird. Gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 ist der gegenständliche Asylantragvom 18.12.2007 zuzulassen.

 

2.4. Da der hier maßgebliche Sachverhalt somit durch die Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde eindeutig geklärt war, konnte die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung unterbleiben. Dem bleibt hinzuzufügen, dass der Asylgerichtshof gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide im Zulassungsverfahren grundsätzlich ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann.

Schlagworte
Familienverfahren, Fristversäumung, Überstellungsfrist
Zuletzt aktualisiert am
15.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten