S 10 400.787-1/2008-2Z
B E S C H L U S S
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde der minderjährigen M.L., geb. 00.00.2005, StA. Russische Föderation, vertreten durch die Mutter, M.M., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.07.2008, Zahl:
08 04.979 - EAST West, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
BEGRÜNDUNG
I. 1. Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 14.07.2008, GZ: 08 04.979 - EAST West, den Antrag auf internationalen Schutz der minderjährigen Beschwerdeführerin, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 (AsylG) als unzulässig zurückgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates (Dublin II VO) Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die minderjährige Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.
2. Der nähere erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt sich aus dem Verwaltungsakt.
Die Mutter der minderjährigen Beschwerdeführerin brachte am 06.06.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Am 09.06.2008 erfolgte in der Erstaufnahmestelle West eine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, wobei im Wesentlichen folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt vorgebracht wurde:
Die Mutter der Beschwerdeführerin habe im Juni 2007 Russland gemeinsam mit ihrer Tochter verlassen und sei über Weißrussland nach Polen gereist, wo sie am 01.06.2007 einen Asylantrag stellte. Bis Ende Jänner 2008 sei sie dort, gemeinsam mit ihrer Mutter, deren Schwester und deren minderjährigem Kind, in verschiedenen Flüchtlingslagern aufhältig gewesen, bis sie über Deutschland illegal in Frankreich einreiste, wo sie am 29.01.2008 ebenfalls einen Asylantrag stellte. In Straßbourg hätte sie gemeinsam mit den vorgenannten Verwandten in einem Flüchtlingslager gelebt, bis sie am 03.06.2008 Frankreich in Richtung Deutschland verlassen hätte und am selben Tag illegal in Österreich eingereist wäre.
Auf ihrer Reise hätten sie immer ihre Mutter, deren Schwester, M.N. und deren minderjähriges Kind (Cousin) begleitet.
Die Tante der minderjährigen Beschwerdeführerin (Schwester ihrer Mutter), ihr minderjähriges Kind und ihr Lebensgefährte, Herr T.T., stellten ihre Anträge auf internationalen Schutz am 06.06.2008 in Österreich, diese wurden ebenso mit Bescheid des Bundesasylamtes zurückgewiesen.
Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme der Tante der minderjährigen Beschwerdeführerin in der Erstaufnahmestelle West am 27.06.2008 gab diese an, schwanger zu sein. Sie berichtete über Probleme bei der Geburt ihres ersten Kindes in Polen und auf Nachfrage des Rechtsberaters, Mag. TAKACS, auch über zwei Fehlgeburten. Bezüglich medizinischer Befunde und Mutterkindpass meinte die Tante, sie wäre bei einem Gynäkologen in Vöcklabruck, Herrn Dr. W., gewesen, der Befunde nachreichen würde. Den Mutterkindpass habe sie nicht mitgenommen.
Der Rechtsberater ersuchte um eine Untersuchung gemäß § 10 AsylG.
In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerde der Tante der Beschwerdeführerin wird unter anderem eingewendet, dass trotz Hinweis auf eine Risikoschwangerschaft und zwei Fehlgeburten entgegen dem Ersuchen in der Einvernahme keine ärztliche Untersuchung erfolgt sei.
Zwei ärztliche Befundberichte des behandelnden Arztes Dr. W. vom 05.07.2008 und 31.07.2008 wurden der Beschwerde beigelegt.
Die Erteilung einer aufschiebenden Wirkung wurde beantragt.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.
Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz am 06.06.2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG idgF zur Anwendung gelangt.
Gemäß § 37 Abs. 1 AsylG hat der Asylgerichtshof einer Beschwerde gegen eine mit einer zurückweisenden Entscheidung (§§ 4 und 5 AsylG oder § 68 Abs. 1 AVG) verbundene Ausweisung binnen einer Woche ab Beschwerdevorlage die aufschiebende Wirkung zuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die Ausweisung lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Nach der Literatur ist hier auch Art. 8 EMRK maßgeblich (Vogl/Taucher/Bruckner/Marth/Doskozil, Fremdenrecht 6. Anm. zur - analogen - Regelung des § 37 Abs 1 AsylG, 155, Frank/Anerinhof/Filzwieser AsylG 2005, K3 zu § 37 Abs 1 AsylG, 512 und K8 zu § 38 AsylG, 522f; vgl auch Fahrner/Premiszl, Das Fristensystem im "Dublin-Verfahren" nach dem Asylgesetz 2005, Migralex 2/06, 69f).
Gemäß § 37 Abs. 2 AsylG ist bei der Entscheidung, ob einer Beschwerde gegen eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung nach § 5 verbunden ist, die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, auch auf die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Art. 19 Abs. 2 und 20 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II VO) und die Notwendigkeit der effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts Bedacht zu nehmen.
2. Die unter I. 2. genannten Aspekte sind noch nicht hinreichend geklärt; beim derzeitigen Stand des Verfahrens ist daher bei einer sofortigen Durchsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung der minderjährigen Beschwerdeführerin, die nach den Aussagen ihrer Mutter seit ihrer Flucht vor fast zweieinhalb Jahren diese Zeit gemeinsam mit den oben genannten Verwandten (Tante und deren minderjähriges Kind) verbracht hat, eine Verletzung von Art. 8 EMRK nicht auszuschließen.
Bis zur Entscheidung des Asylgerichtshofes erscheint die Anwesenheit der minderjährigen Beschwerdeführerin in Österreich für den Fall der Notwendigkeit von weiteren Befragungen ihrer Mutter vor allem in Hinblick auf deren Schwester vorteilhaft. Aufgrund der dem Asylgerichtshof hier zur Entscheidung zukommenden knappen Entscheidungsfristen liegt im konkreten Fall derzeit auch keine unzulässige Beeinträchtigung des "effet utile" der Dublin II VO vor.
Der Asylgerichtshof war im Ergebnis gehalten, gemäß § 37 Abs. 1 AsylG vorzugehen.
Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG entfallen.