S12 400.549-1/2008/6E
Erkenntnis
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde des S.T., geb. 00.00.1983, StA.
Russland, vertreten durch seine Gattin K.A., p.A.: Betreuungsstelle Traiskirchen, 2514 Traiskirchen,
Otto Glöckel-Straße 24, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.06.2008,
Zahl: 08 01.694-EAST-Ost, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBI. I Nr. 100/2005, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger, reiste am 17.02.2008 illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der darauf folgenden Einvernahme durch die Polizei, Polizeiinspektion Traiskirchen EAST, am selben Tag gab der Beschwerdeführer an, er sei Ende Jänner gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem Kind mit seinem Reisepass legal aus seinem Heimatland ausgereist und über Brest/Weißrussland in Polen eingereist. Die Einreise sei ihnen in Polen jedoch verweigert worden, weil im Reisepass seines Kindes der Stempel über den Lichtbild gefehlt habe. Sie seien daraufhin wieder nach Brest zurückgefahren, wo seine Gattin und sein Kind in einem Privatquartier übernachtet hätten, während er selbst nach Moskau gefahren sei. Von dort aus habe er seinen Reisepass via Flugzeug zu seinen Verwandten nach Grozny geschickt, welche ihm den fehlenden Stempel beim Passamt in Grozny besorgt und ihm den Reispass wieder zurückgechickt hätten. In der Folge sei er zu seiner Familie nach Brest gefahren und anschließend seien alle gemeinsam weiter nach Polen gefahren. An der Grenze seien sie kontrolliert worden und er habe gesagt, dass sie nach Österreich weiterreisen wollen. Daraufhin seien ihnen die Reisepässe abgenommen worden und die Familie sei nach Terespol gebracht worden, wo ihnen auch die Fingerabdrücke abgenommen worden seien. Sie seien dann selbständig in ein Flüchtlingslager gefahren, welches außerhalb von Warschau liege. Nach zwei Tagen seien sie in das Flüchtlingslager B. verbracht worden. Dort seien sie ca. 5 bis 6 Tage geblieben, bis sie einen Schlepper gefunden hätten, welcher sie nach Österreich gebracht habe. Nach Österreich habe er deswegen reisen wollen, weil sich hier seine Mutter und seine Schwester befänden. Um Asyl habe er in Polen nicht angesucht. Insgesamt sei er ca. 8-9 Tage in Polen verblieben. Dort sei es genauso wie in Russland. Zu seinen Fluchtgrund befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er seit Jahren wegen seines verschollenen Bruders von russischen Militärangehörigen verfolgt werde. Er sei in Kasachstan in Behandlung gewesen, nachdem er nach einem Luftangriff sein Gedächtnis verloren habe. Weiters habe er seine Mutter und seine Schwester finden wollen. Polen habe er am 16.2.2008 verlassen. Nach Polen wolle er nicht zurückkehren, weil ihn dort vermutlich die russische Organisation finden werde. Ferner gab der Beschwerdeführer an, dass er Narben und Schussverletzungen an Kopf und Körper habe. Zum Nachweis seiner Identität legte er einen Inlandsreisepass, eine russische Geburtsurkunde sowie einen russischen Vaterschaftsnachweis vor. Diese Dokumente wurden geprüft und für echt befunden (Aktenseite 25).
Eine EURODAC-Abfrage vom 17.02.2008 bestätigte, dass der Beschwerdeführer am 01.02.2008 in Lublin (Polen) einen Asylantrag gestellt hat.
2. Das Bundesasylamt nahm nach der Aktenlage am 19.02.2008 Konsultationen mit Polen auf und ersuchte unter Hinweis auf den Eurodac-Treffer um Rückübernahme des Beschwerdeführers aufgrund Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (ABl. L 50 vom 25.02.2003; Dublin II-VO).
3. Am 20.02.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5 und 68 Abs. 1 AVG) (§ 29 Abs. 3 Z 4 AsylG) und dass Konsultationen mit Polen seit dem 18.02.2008 geführt würden (AS 111-117).
Am 26.02.2008 langte beim Bundesasylamt per Fax die Antwort Polens ein, mit der Polen der Übernahme des Beschwerdeführers auf Grundlage des Art. 16 Abs 1 lit. c Dublin II-VO zustimmte (AS 15).
Am 29.02.2008 wurde der Beschwerdeführer von Frau Dr. H., Ärztin für allgemeine Medizin und psychotherapeutische Medizin, zur Erstellung einer gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren gemäß untersucht. In der gutachterlichen Stellungnahme wird angeführt, dass aus aktueller Sicht eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege, wobei differenzialdiagnostisch nach dem ersten Gespräch an eine milde Form der PTSD oder an eine Angsterkrankung, aber auch an eine dissoziative Störung gedacht werde. Dies müsse bei einer zweiten Sitzung näher eingegrenzt werden. Derzeit würden sich Hinweise auf eventuelle dissoziative Symptome mit Derealisationserlebnissen finden sowie Hinweise auf intrusive Erinnerungen, die jedoch bei der angeführten Sitzung nicht gänzlich abgeklärt werden hätten können. Zusätzlich werden Hinweise auf eventuelle Störungen im Zeitgitter angeführt. In der Stellungnahme wird um nochmalige Vorstellung von Herrn S. ersucht. Die weiteren Fragen, ob die Störung den Asylwerber hindern würde, seine Interessen im Verfahren war zu nehmen, sowie ob die Störung für den Asylwerber eine Gefahr eines Dauerschadens oder von Spätfolgen bedeuten würde als auch ob im Falle einer Überstellung in den Dublinstaat die reale Gefahr bestehen würde, dass der Antragsteller aufgrund dieser psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder sich die Krankheit in lebensbedrohlichem Ausmaß verschlechtern würde, ließ die Ärztin in ihrer Stellungnahme unbeantwortet (siehe Aktenseite 67 bis 75).
Am 05.03.2005 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt einvernommen, wobei sichtlich nur seine Personaldaten aufgenommen wurden, der Beschwerdeführer aber nicht weiter einvernommen wurde.
In der Folge wurde der Beschwerdeführer noch weitere zwei Male von Frau Dr. H. untersucht (am 10.03.2008 sowie am 25.03.2008). Wiederum kam Frau Dr. H. zum Schluss, dass aus aktueller Sicht eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege und kam nach der zweiten Exploration und einer abschließenden kurzen Begutachtung am 25.03.2008 zusammenfassend zum Ergebnis, dass im Fall des Beschwerdeführers eine komplexe PTSD vorliege. Es seien mehrfache Erlebnisse zu explorieren, die geeignet erscheinen würden, eine solche Störung auszulösen. Auch würden sich einige Symptome finden, welche typisch für eine belastungsabhängige psychische Störung dieser Art seien. In Zusammenschau sämtlicher Symptome könne eine komplexe PTSD, F.43.1, mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Weiters liege der Verdacht auf ein Derealisations- und Depersonalisationssyndrom, F.48.1., vor. Die Diagnosestellung erfolge symptom- und kriterienorientiert nach ICD-10. Im Befund wird festgestellt, dass der Asylweber zwar allseits orientiert und bewusstseinklar, aber sehr müde wirke und seine Konzentration etwas herabgesetzt sei. Er habe Ich-Störungen wahrscheinlich im Sinne von Derealisations- und Depersonalisationserlebnissen. Zum Zeitpunkt der Gespräche habe er keine Suizidgedanken gehabt. Lebenswille sei vorhanden, jedoch gebunden an ein "normales Leben". Bei äußeren akustischen Störfaktoren weise er eine ausgeprägte Schreckhaftigkeit auf. Zudem hätten sich deutliche Hinweise auf dissoziative Symptome im Sinne einer Depersonalisation und Derealisation ergeben. In der Schlussfolgerung wird ausgeführt, dass in Zusammenschau sämtlicher explorierter und beobachteter Symptome eine komplexe PTSD wahrscheinlich sei. Genaue Inhalte der festgestellten Intrusionen würden nicht eingehender erfragt werden können, da der Asylwerber massiv abwehre, es sei jedoch durchaus in Zusammenschau mit den sonstigen typischen Symptomen eine PTSD anzunehmen. Die Exploration und die weitere Abklärung mittels DES II ergebe den hochgradigen Verdacht auf F.48.1, Derealisations- und Depersonalisationssyndrom. Der Asylwerber habe derzeit noch Ressourcen, die für seine Stabilität sorgen würden (Kind, Familie). Der Asylwerber lehne Medikamente ab, da die einmalige Einnahme des verordneten Medikaments zu Übelkeit geführt habe, werde sich jedoch das Aufsuchen der Psychologin in der Betreuungsstelle überlegen. Eine Begleitung durch Psychologin oder Psychotherapeutin werde empfohlen.
Dr. H. stellt in ihrer Stellungnahme ferner fest, dass die genannte Störung für den Asylweber die Gefahr eines Dauerschadens oder von Spätfolgen bedeute und begründet diese Einschätzung damit, dass sich derzeit keine Hinweise auf Vernachlässigung von Familie oder basalen Lebensbedürfnissen finden würden, jedoch eine massive Beeinträchtigung des Schlafes vorliege und sich der Asylweber in einer ständigen Übererregung, die aggressive Durchbrüche möglich erscheinen lassen würde, befinde. Die Frage, ob im Falle einer Überstellung nach Polen die reale Gefahr bestehe, dass der Antragsteller aufgrund dieser psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder sich die Krankheit in lebensbedrohlichem Ausmaß verschlechtern würde beantwortete Frau Dr. H. in ihrer Stellungnahme mit "Nein"; weist aber in der Begründung darauf hin, dass die Überstellung an sich mit großer Wahrscheinlichkeit zu keinem lebensbedrohlichen Zustand führen würde, aber erfahrungsgemäß bei diesen Störungen (F.43.1 und F.48.1), es zu einer deutlichen Verschlechterung bei geplanter Abschiebung kommen werde, weswegen aus medizinischer/therapeutischer Sicht eine Überstellung nicht empfohlen werden könne, insbesondere, da die Mutter und die Schwester laut Asylweber in Österreich seien. (Aktenseite 83 bis 91).
9. Am 01.04.2008 fand beim Bundesasylamt nach erfolgter Rechtsberatung eine Einvernahme des Beschwerdeführers in Anwesenheit eines Rechtsberaters statt.
Dabei führte der Beschwerdeführer auf die Frage nach den in Österreich aufhältigen Verwandten an, dass er mit seinem Sohn und seiner Ehefrau nach Österreich gekommen sei. Auch seine Mutter lebe in Österreich und habe einen positiven Bescheid erhalten. Sie würde sich seit zwei Jahren in Österreich befinden. Auch seine Schwester wohne in Wien. In Tschetschenien habe er mit seiner Ehefrau bei seiner Mutter gemeinsam in einem Haus in seinem Dorf gelebt. Auf die seitens des Bundesasylamtes geplante Überstellung nach Polen angesprochen, gab der Beschwerdeführer an, dass er sich in Polen nicht sicher fühle. Es sei dort genauso wie in seiner Heimat. Er werde auch in Polen verfolgt. In Polen sei er in einem Lager unweit von einem Militärlager gewesen. Die Leute, die ihm helfen könnten, seien in Österreich, nämlich seine Mutter, sein Schwager und seine Schwester. Es sei auch meistens von seiner Mutter betreut worden, da er seine Ehefrau aus Sicherheitsgründen zu den Verwandten geschickt habe. Er habe mehr Zeit mit seiner Mutter als mit seiner Ehefrau verbracht. Finanziell sei er nicht von seiner Mutter abhängig, aber seine Mutter habe für ihn gesorgt, auch nachdem er angeschossen worden sei. Der Rechtsberater beantragte einen Selbsteintritt auf Grundlage des Artikels 8 EMRK und unter Hinweis auf das Gutachten der Ärztin.
Am 08.04.2008 langte beim Bundesasylamt ein nervenärztlicher Befund von Dr. A.K., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, M., betreffend den Beschwerdeführer ein, in dem zusammenfassend eine posttraumatische Belastungsstörung mit Verdacht auf produktiv psychotische Symptomatik diagnostiziert wird (Aktenseite 102).
12. Mit Bescheid vom 20.06.2008 Zahl: 0801.694-EAST-OST, laut Übernahmebestätigung zugestellt am 25.06.2008 (AS 211), wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück, stellte fest, dass "gemäß Art. 16 (1) (c)" der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen für die Prüfung des Asylantrages zuständig sei; gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG wies das Bundesasylamt gleichzeitig den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen aus und stellte gemäß § 10 Abs. 4 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen demzufolge zulässig sei.
Zu gutachterlichen Stellungnahme zum Zulassungsverfahren von Frau Dr. H. wird im angefochten Bescheid ausgeführt, dass zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung diagnostiziert worden sei und dies auch im Befundbericht des Dr. K. bestätigt werde, aber nach der Gesetzeslage dies einer Zurückweisung des Antrages nach § 5 AsylG nicht entgegenstehe und vor dem Hintergrund der jüngeren einschlägigen Rechtssprechung des EMRK zu Artikel 3 EMRK gemessen am hohen Eingriffsschwellenwert von Artikel 3 im EMRK kein Abschiebehindernis und kein Grund für einen zwingenden Selbsteintritt nach Artikel 3 Abs. 2 Dublin II Verordnung erkannt werde.
Auch eine Verletzung von Artikel 8 im EMRK sei nicht gegeben, zumal Mutter und Schwester des Beschwerdeführers nicht zur Kernfamilie des Beschwerdeführers zählen, seit länger Zeit kein Zusammenleben mehr stattgefunden habe und der Beschwerdeführer auch seit seiner Ankunft in Österreich nicht bei seiner Mutter und bei seiner Schwester unterbracht sei, sondern sich in Bundesbetreuung befinde. Auch sei der Beschwerdeführer nicht dermaßen auf eine Unterstützung durch Mutter oder Schwester angewiesen, dass ein derartiges qualifiziertes Pflege-, Unterhalts- und/oder Unterstützungsverhältnis vorliege, welches die Unzumutbarkeit eines weiteren Verbleibs im Gebiet der Europäischen Union außerhalb der Republik Österreich für den Beschwerdeführer indiziere. Auch sei keine qualifizierte Pflegebedürftigkeit des Beschwerdeführers gegeben, welche weitere ständige Pflege und Betreuung durch die Verwandtschaft des Beschwerdeführers zwingend notwendig machen würde, zumal der Beschwerdeführer in Begleitung seiner Ehegattin sei.
13. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 08.07.2008 rechtzeitig Beschwerde und führte in dieser im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass Österreich vom Selbsteintrittsrecht nach Artikel 3 Abs. 2 Dublin II zwingend Gebrauch zu machen habe, weil Polen rechtliche Sonderpositionen gegenüber tschetschenischen Asylwerbern vertrete, selbst beim Zugeständnis eines subsidiären Schutzes in Polen der Beschwerdeführer nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens Gefahr laufe, seiner existenziellen Lebensgrundlagen beraubt zu werden und an einer posttraumatischen Belastungsstörung und anderen schwierigen Krankheiten leide, für die es in Polen keine ausreichende medizinische bzw. psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten gebe. Schließlich würde die Ausweisung des Beschwerdeführers auch eine Verletzung von Artikel 8 EMRK bedeuten.
14. Die gegenständliche Beschwerde langte am 15.07..2008 beim Asylgerichtshof ein.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt des Beschwerdeführers.
2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist gemäß Abs. 1 auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG ist die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz mit einer Ausweisung zu verbinden. Diese gilt gemäß § 10 Abs. 4 AsylG stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den bezeichneten Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen. Wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würden und diese nicht von Dauer sind, ist gemäß § 10 Abs. 3 AsylG gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.
Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt, von jenem (einzigen) Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Gemäß Abs. 2 leg. cit. kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Gemäß dem Zuständigkeitskriterium des Art. 13 Dublin II-VO ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig, wenn sich anhand der Kriterien dieser Verordnung nicht bestimmen lässt, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt.
In den Art. 5 ff Dublin-VO werden die Kriterien aufgezählt, nach denen der zuständige Mitgliedstaat bestimmt wird.
Gemäß § 28 Abs. 2 AsylG ist der Antrag zuzulassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach seiner Einbringung entscheidet, dass er zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen gemäß der Dublin II-VO oder einem entsprechenden Vertrag geführt. Dass solche Verhandlungen geführt werden, ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen.
§ 41 Abs. 3 AsylG lautet: "In einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung ist § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamts im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."
2.2. Im vorliegenden Fall erweist sich das vom Bundesasylamt eingeholte ärztliche Gutachten von Dr. H. als in sich widersprüchlich und daher unschlüssig, zumal einerseits in diesem Gutachten zwar ausgeführt wird, dass im Falle der Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen keine reale Gefahr bestehe, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner psychischen Störung in einen lebensbedrohlichem Zustand gerate oder sich die Krankheit in lebensbedrohlichem Ausmaß verschlechtere, andererseits aber gleichzeitig festgestellt wird, dass erfahrungsgemäß bei den im Fall des Beschwerdeführers vorliegenden Störungen es bei einer geplanten Abschiebung zu einer deutlichen Verschlechterung komme, weshalb aus medizinischer/therapeutischer Sicht eine Überstellung nicht empfohlen werde könne. Damit aber erweist sich das vorliegende Gutachten als in sich widersprüchlich und kann daraus keinesfalls geschlossen werden, dass bzw. ob eine Überstellungsfähigkeit des Beschwerdeführers vorliegt, ohne dass dieser in seinen durch Artikel 3 EMRK geschützten Rechte verletzt würde. Im angefochtenen Bescheid fehlt somit eine ausreichende Auseinandersetzung zur Frage des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers in Hinblick auf eine Überstellungsfähigkeit nach Polen. Zwar ist vor dem Hintergrund der Judikatur des EMRK zum Artikel 3 EMRK- wie bereits das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid ausgeführt hat- das Vorliegen eines posttraumatischen Belastungssyndroms für sich allein genommen kein automatischer Hinderungsgrund für eine Überstellung, dennoch besteht im konkreten Fall die Möglichkeit, dass in der Person des Beschwerdeführers gelegene Umstände vorliegen, die von ihrer Schwere her geeignet sind, in den Schutzbereich des Artikel 3 EMRK zu fallen, so diese Umstände auch nicht als bloß entfernte Möglichkeit ("spekulativ") einzustufen seien. Um dies abschließend beurteilen zu können, erfordert es eine medizinische Beurteilung in nachvollziehbarer wie aktueller Weise zur Frage der Überstellungsfähigkeit des Beschwerdeführers nach Polen vor dem Hintergrund einer dadurch möglichen Verletzung seiner Rechte aus Artikel 3 EMRK.
Käme die erstinstanzliche Behörde zu dem Schluss, dass ein Selbsteintritt Österreichs gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zur Hintanstellung der Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK nicht erforderlich sei, ist überdies zu klären, ob dem Beschwerdeführer angesichts seines psychischen Zustandes ein Durchführungsaufschub zu gewähren ist. Der in § 10 Abs. 3 AsylG in Bezug auf die mit der zurückweisenden Entscheidung zu verbindende Ausweisung vorgesehene Durchführungsaufschub stellt auf das Vorliegen von Gründen ab, die in der Person des Asylwerbers liegen und dazu führen, dass die Durchführung der Ausweisung in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK eingreift. Den Materialien zufolge kommen als Gründe "etwa eine fortgeschrittene Schwangerschaft, Spitalsaufenthalt oder vorübergehender sehr schlechter Gesundheitszustand in Frage" (Erläuterungen zur RV 952 Blg RNR 22.GP, 23). Feststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sind daher auch notwendig, um die Transport- bzw. Überstellungsfähigkeit des Beschwerdeführers daraufhin prüfen zu können, ob ein Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG geboten ist.
2.3. Der Sachverhalt, welcher dem Asylgerichtshof nunmehr vorliegt, ist daher "so mangelhaft", dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unerlässlich ist (vgl. zu den erforderlichen Ermittlungsergebnissen Punkt 2.2). Der Gesetzgeber hat für das Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide sehr kurze Fristen (§ 41 Abs. 2, § 37 Abs. 3 AsylG) vorgesehen, andererseits aber die Rechtsmittelinstanz dazu verpflichtet, bei einem "mangelhaften Sachverhalt" der Beschwerde stattzugeben, ohne § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden (§ 41 Abs. 3 AsylG). Das Ermessen, das § 66 Abs. 3 AVG der Beschwerdeinstanz einräumt, allenfalls selbst zu verhandeln und zu entscheiden, besteht somit in einem solchen Verfahren nicht. Aus den Materialien (Erläut. zur RV, 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von Erhebungsmängel die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuweisen" ist. Diese Zulassung stehe einer späteren Zurückweisung nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Rechtsmittelinstanz im Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit möglichst entlasten wollte. Die Formulierung des § 41 Abs. 3 AsylG ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint"), schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein in Frage kommt, wenn der Beschwerdeinstanz - auf Grund erforderlicher zusätzlicher Erhebungen - eine unverzügliche Erledigung der Beschwerde unmöglich ist.
2.4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.