TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/08 D5 254525-0/2008

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Veröffentlicht am 08.08.2008
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Spruch

D5 254525-0/2008/1E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Christine AMANN als Vorsitzende und den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Beisitzer über die Beschwerde der K.G., geb. 00.00.1964, StA. von Georgien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.10.2004, FZ. 03 34.136-BAS, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Die Beschwerdeführerin, eine georgische Staatsangehörige, reiste ihren Angaben zufolge am 3.11.2003 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Am 17.11.2003 fand eine Einvernahme und am 2.12.2003 eine zweite Einvernahme im Beisein eines Sachverständigen vor dem Bundesasylamt statt. Mit Bescheid vom 20.10.2004, Zahl: 03 34.136-BAS, wies das Bundesasylamt ihren Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab (= Spruchteil I.) und erklärte das Bundesasylamt ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 für zulässig (= Spruchteil II.); gleichzeitig verfügte das Bundesasylamt die Ausweisung der Beschwerdeführerin "aus dem österreichischen Bundesgebiet" gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 idF BGBl. Nr. 101/2003 (= Spruchteil III.). Nachdem dieser Bescheid der Beschwerdeführerin am 21.10.2004 zugestellt worden war, erhob sie dagegen fristgerecht eine Beschwerde.

 

Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 17.11.2003 beim Bundesasylamt gab die Beschwerdeführerin vor dem Organwalter Mag. H.W. zu ihrem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes an:

 

Sie gehöre der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas an und habe als Anhängerin der Zeugen Jehovas in Georgien Versammlungen besucht und Broschüren verteilt. In Georgien gebe es Leute, die die Anhänger der Zeugen Jehovas auf der Straße verfolgen und verprügeln würden. Dies seien die Leute von M., welcher ein Gottesdiener der Kirche sei. Besonders schlimm sei es geworden, als die Leute erfahren hätten, dass sie Anhängerin der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas und noch dazu Ossetin sei. Zwischen den Georgiern und Osseten habe es bereits in den vergangenen Jahren Konflikte gegeben. Die Osseten seien aus Georgien vertrieben und umgebracht worden. Dieser Konflikt bestehe seit 1991. Hinzu komme, dass ihr Ehemann im Jahr 1992 mitgenommen worden sei und seitdem nicht mehr zurückgekommen sei. Ob er lebe oder tot sei, wisse sie nicht. Dies passiere vielen Leuten. Sie sei auf der Straße, während des Verteilens der Broschüren, genau beobachtet worden. Es seien zwei Personen auf sie zugekommen, hätten ihr die Broschüren entrissen und diese mitsamt ihrer Tasche von der Brücke geworfen. Wenn sie nach Georgien zurückkehren müsse, werde sie weiterhin bedroht und geschlagen werden, denn sie sei bereits einmal zusammengeschlagen worden, während sie die Broschüren verteilt habe und von Tür zu Tür gegangen sei. Aus diesem Grunde habe sie ihr Heimatland verlassen.

 

Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 2.12.2003 beim Bundesasylamt gab die Beschwerdeführerin vor dem Organwalter Mag. H.W. (im Beisein des Sachverständigen Hr. M.F.) zu ihrem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes an:

 

Sie sei vor ca. drei bzw. vier Monaten, während einer kleineren Versammlung, getauft worden. Dies sei eine spezielle Versammlung für Leute gewesen, die sich taufen lassen wollten. Bei einem Kongress habe sie nie teilgenommen. Die Taufe habe in einem kleineren Becken stattgefunden, der ältere Bruder habe sie im Wasser untergetaucht. Es sei eine Ansprache gehalten worden und seien ihr während der Taufe Fragen gestellt worden, welche sie auch beantwortet habe. In Georgien sei sie mit ihren Schwestern predigen gewesen. Sie hätten Broschüren verteilt und den Leuten über ihren Glauben erzählt. In Georgien werde man als Anhänger der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas geschlagen und die Magazine zerrissen. Man könne nicht sagen, dass man tagtäglich geschlagen werde, aber es geschehe sehr oft.

 

Im o.a. Bescheid vom 20.10.2004 stellte das Bundesasylamt (durch den Organwalter ADir. R.H.) zunächst als maßgebenden Sachverhalt fest:

 

Die Identität der Beschwerdeführerin sei in Ermangelung geeigneter Identitätsdokumente nicht feststellbar gewesen. Ausdrücklich festgestellt werden könne, dass die Nationalität der Beschwerdeführerin aufgrund des von ihr verwendeten Idioms der russischen Sprache feststehe. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin sei vollumfänglich unglaubwürdig.

 

In der Folge traf das Bundesasylamt auf Seite 10 bis 18 des erstinstanzlichen Bescheides Länderfeststellungen zur Lage in Georgien.

 

Das Bundesasylamt führte sodann im o.a. Bescheid als Beweiswürdigung aus:

 

Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin habe keine Glaubwürdigkeit zuerkannt werden können. Sie habe sich auf abstrakte und allgemein gehaltene Darlegungen beschränkt, konkrete oder detaillierte Angaben habe die Beschwerdeführerin - trotz Nachfrage - nicht darlegen können. Die Beschwerdeführerin sei nicht in der Lage gewesen, genaue Auskünfte zu den angeblichen Ereignissen zu machen. Die Aussagen zu ihrer behaupteten Religionsgemeinschaft seien von Unwissenheit und Desinformation gekennzeichnet, sie habe faktisch nichts Überzeugendes dazu vorbringen können. Jedoch sei nahe liegend, wenn jemand bewusst seine bisherige Religion verlasse und zu einer anderen Religionsgemeinschaft konvertiere, der Betroffene von sich aus seine Beweggründe für den Religionswechsel darlegen würde, insbesondere sein Gegenüber - also hier den einvernehmenden Organwalter - von der Richtigkeit seines Tuns überzeugen würde, schlussendlich nicht nur allgemein gehaltene Floskeln zur Religionsausübung darlegen würde, sondern fundierte Aussagen zu den besonderen Riten und Gebräuchen seiner Religion angeben könne. Davon sei die Beschwerdeführerin jedoch im Rahmen ihrer Einvernahme weit entfernt gewesen. Auch die ergänzend mit ihr im Beisein eines Aktivisten der Zeugen Jehovas durchgeführte Einvernahme habe keine Hinweise auf die Zugehörigkeit zur behaupteten Religionsgemeinschaft ergeben. Dies in Verbindung mit der Tatsache, dass es die Beschwerdeführerin bis heute nicht der Mühe wert empfunden habe, sich um die Vorlage von Identitätspapieren zu kümmern, spreche einmal mehr als deutlich dafür, dass der auf einem Lügengebilde basierende Asylantrag lediglich der Erlangung eines wie auch immer gearteten Aufenthaltsrechtes in einem europäischen Staat diene, nicht aber der Erlangung von Verfolgungsschutz. Letztlich sei daher festzuhalten, dass es der Beschwerdeführerin im konkreten Fall nicht gelungen sei, den Voraussetzungen für eine Glaubhaftmachung zu entsprechen. Vor dem Hintergrund dieser Prämissen sei ihre vor der Asylbehörde präsentierte Fluchtgeschichte tatsächlich als zu blass, wenig detailreich und zu oberflächlich und daher in Folge als keinesfalls glaubhaft zu qualifizieren gewesen.

 

Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes führte das Bundesasylamt im o.a. Bescheid zu § 7 AsylG idF BGBl. I Nr. 126/2002 (= Spruchteil I.) insbesondere aus:

 

Wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert worden sei, sei dem Vorbringen der Beschwerdeführerin insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden könne. Es sei an dieser Stelle zu betonen, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung einnehme.

 

In Bezug auf die Entscheidung über den subsidiären Schutz gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (= Spruchteil II.) führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus: Das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd § 57 Abs. 2 FrG 1997 sei bereits unter Spruchteil I. geprüft und verneint worden. Die Beschwerdeführerin habe nicht substantiiert (im Sinne der einschlägigen Judikatur) glaubhaft machen können, dass sie im gesamten Staatsgebiet von Georgien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer drohenden Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG ausgesetzt wäre.

 

In Bezug auf die Entscheidung gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (= Spruchteil III.) stellte das Bundesasylamt fest, dass die Beschwerdeführerin keinerlei familiäre und/oder sonstige soziale Anknüpfungspunkte zum österreichischen Bundesgebiet habe sowie kein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich vorliege. Weiters sei der Aufenthalt der Beschwerdeführerin nur ein vorübergehender. Die Ausweisung stelle daher keinen Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

 

Gegen diesen o.a. Bescheid erhob die Beschwerdeführerin am 3.11.2004 fristgerecht eine Beschwerde, in welcher sie folgende Anträge stellte:

 

Der Asylgerichtshof möge

 

den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und ihr gemäß § 7 AsylG Asyl gewähren,

 

für den Fall der Abweisung ihres obigen Antrages gemäß § 8 AsylG feststellen, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien unzulässig sei, sowie

 

den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass von einer Ausweisung ihrer Person Abstand genommen werde.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

 

Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht:

 

Sie gehöre der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas an. Als Anhängerin der Zeugen Jehovas habe sie in Georgien Versammlungen besucht und Broschüren verteilt. Während des Verteilens der Broschüren sei sie auch zusammengeschlagen worden. Weiters sei sie von zwei Personen genau beobachtet und von diesen belästigt worden. Diese hätten ihr die Broschüren entrissen und mitsamt ihrer Tasche über die Brücke geworfen. Wenn sie nach Georgien zurückkehre, werde sie weiter bedroht und geschlagen werden.

 

Die Beweiswürdigung im o.a. Bescheides hält in mehrfacher Hinsicht einer näheren Betrachtung nicht stand:

 

1.1. Im erstinstanzlichen Verfahren wurde sowohl die erstinstanzliche Einvernahme am 17.11.2003 sowie die weiterer Einvernahme am 2.12.2003 von Hr. Mag. W. durchgeführt. Hr. Mag. W. hat auch, um die Behauptungen der Beschwerdeführerin, dass sie Angehörige der Zeugen Jehovas sei, genauer zu hinterfragen, mit Bescheid vom 2.12.2003 einen Sachverständigen bestellt. Im Zuge der Einvernahme der Beschwerdeführerin am 2.12.2003 waren sowohl der Organwalter des Bundesasylamtes als auch der Sachverständige anwesend, der die Fragen zur Abklärung des maßgeblichen Sachverhaltes formulierte und an die Beschwerdeführerin richtete (AS 55 - 59 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes). Im weiteren Verfahren fällt sogleich als wesentlicher Mangel auf, dass ein dieser Einvernahme folgendes Gutachten des Sachverständigen mit der endgültigen Abklärung der Frage fehlt, ob die Beschwerdeführerin nun eine Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas ist. Es lassen sich im erstinstanzlichen Verwaltungsakt auch keine Hinweise finden, dass seitens des Bundesasylamtes das fehlende Gutachten des Sachverständigen urgiert worden wäre, welches im gegenständlichen Fall eine abschließende (negative) Glaubwürdigkeitsprüfung in schlüssiger Weise ermöglicht hätte und zur Untermauerung der Feststellungen herangezogen hätte werden können.

 

1.2. Das Bundesasylamt hat sich mit der im Fall der Beschwerdeführerin maßgeblichen Lage in Georgien nicht auseinandergesetzt, da in der Begründung des o.a. Bescheides zwar umfangreiche allgemeine Länderfeststellungen enthalten sind, jedoch aktuelle Länderfeststellungen zur Situation von Anhängern der Zeugen Jehovas in Georgien völlig fehlen. Ohne notwendige Befassung mit aktuellen Berichten zum Vorbringen der Beschwerdeführerin - insbesondere zu den behaupteten Übergriffen der Anhänger des M. gegen die Anhänger der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas - war es dem Bundesasylamt aber auch verwehrt, abschließend die Frage zu beurteilen, ob die Beschwerdeführerin im gesamten Staatsgebiet von Georgien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keiner drohenden Gefahr bzw. Verfolgung ausgesetzt wäre.

 

1.3. Im gegenständlichen Fall wurden die erstinstanzlichen Einvernahmen am 17.11.2003 sowie am 2.12.2003 von Hr. Mag. W. durchgeführt, den abschließenden Bescheid des Bundesasylamtes genehmigte jedoch Hr. ADir. H.. Fest steht jedenfalls, dass die erfolgten erstinstanzlichen Einvernahmen der Beschwerdeführerin zwar von demselben Organwalter durchgeführt wurden, dass jedoch in weiterer Folge ein ganz anderer Organwalter den erstinstanzlichen Bescheid vom 20.10.2004 genehmigt hat. Dass diese Vorgehensweise lediglich deshalb erfolgt wäre, um unverhältnismäßigen Aufwand abzuwenden, lässt sich dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt nicht ansatzweise entnehmen.

 

Der hier im Ermittlungsverfahren unterlaufene Fehler durch unterschiedliche Organwalter wiegt insofern umso schwerer, als der den Bescheid genehmigende Organwalter im o.a. Bescheid die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin, ohne persönliche Eindrücke aus der Einvernahme, festgestellt hat, wodurch sich auch die oben bereits genannten Begründungen als mangelhaft erweisen.

 

1.4. Zusammenfassend bleibt an dieser Stelle als maßgebend festzuhalten, dass im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren vor dem Bundesasylamt neben dem Verfahrensfehler iSd § 27 Abs. 1 AsylG schwere Mängel aufgetreten sind, die von fehlenden Ermittlungen bis zu mangelhaften Begründungen im erstinstanzlichen Bescheid reichen.

 

2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich für den zuständigen Senat des Asylgerichtshofes rechtlich Folgendes:

 

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I Nr. 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1.7.2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nichts anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, vom Asylgerichtshof (konkret: von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat) weiterzuführen.

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren nach leg. cit. gegen einen abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes. Daher ist das Verfahren des Beschwerdeführers von dem zuständigen Senat des Asylgerichtshofes (D/5) weiterzuführen.

 

2.2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden.

(...)

 

Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt: "Einem zurückweisenden Bescheid iSd § 66 Abs. 2 AVG muss (demnach) auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen zuletzt das Erkenntnis vom 20.4.2006, Zl. 2003/01/0285)."

 

Was für den Unabhängigen Bundesasylsenat bis zum 30.6.2008 zu gelten hatte, gilt nunmehr gleichermaßen für den Asylgerichtshof.

 

2.4. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen; § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 27 Abs. 1 erster Satz AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 ist der Asylwerber persönlich von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes zu vernehmen, soweit dies ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich ist.

 

Gegen die in dieser Bestimmung auferlegte Verpflichtung hat das Bundesasylamt im erstinstanzlichen Verfahren der Beschwerdeführerin verstoßen (siehe oben 1.3.). Dass hier der Organwalter des Bundesasylamtes, der die erstinstanzlichen Einvernahmen am 17.11.2003 sowie am 2.12.2003 (im Beisein des Sachverständigen Hr. F.) durchgeführt hat, nicht auch den in der Folge erlassenen erstinstanzlichen Bescheid vom 20.10.2004 genehmigt hat, oder umgekehrt dass hier der den Bescheid genehmigende Organwalter des Bundesasylamtes nicht auch die erstinstanzlichen Einvernahmen durchgeführt hat, lässt sich laut vorgelegtem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes nicht ansatzweise damit begründen, dass ein unverhältnismäßiger Aufwand abzuwenden gewesen wäre (vgl. VwGH 30.8.2005, Zl. 2004/01/0602).

 

Der erfolgte Verstoß gegen die asylrechtliche Verfahrensregel des § 27 Abs. 1 erster Satz AsylG 1997 wurde in der gegenständlichen Fallkonstellation dadurch zum schweren Verfahrensfehler, dass der den Bescheid genehmigende Organwalter seine Entscheidung mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin begründet hat, ohne diese persönlich einvernommen zu haben.

 

Bereits in der älteren Judikatur zum AsylG 1997 hat der Verwaltungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass durch die Bestimmung des § 27 Abs. 1 AsylG die Wichtigkeit des persönlichen Eindruckes des entscheidenden Organs des Bundesasylamtes zur Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers im besonderen Maße und abweichend von den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes hervorgehoben werde (VwGH 11.11.1998, Zl. 98/01/0308).

 

Der im Fall der Beschwerdeführerin gesetzte Verfahrensfehler iSd § 27 Abs. 1 AsylG ist wesentlich, weil nicht auszuschließen ist, dass der den erstinstanzlichen Bescheid genehmigende Organwalter aufgrund des persönlichen Eindruckes der Beschwerdeführerin in einer Einvernahme zu einer anderen Glaubwürdigkeitsbeurteilung und somit zu anderen Feststellungen im o.a. Bescheid gelangen hätte können.

 

Daneben sind im erstinstanzlichen Asylverfahren der Beschwerdeführerin noch weitere Mängel aufgetreten, die von mangelhaften Begründungen im erstinstanzlichen Bescheid bis hin zu fehlenden Ermittlungen reichen.

 

Die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft mit dem Hinweis auf die Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin könnte im gegenständlichen Fall nach Ansicht des zuständigen Senates des Asylgerichtshofes nur dann das maßgebende Ergebnis einer Prüfung sein, wenn der Beschwerdeführerin damit entgegengetreten werden könnte, dass nach vollständiger Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes - insbesondere zu den von der Beschwerdeführerin behaupteten Übergriffen seitens der Anhänger des M. gegen die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas - sowie nach der Einholung des ausständigen Gutachtens des Sachverständigen keine Umstände zu Tage treten, die auf eine Gefährdung iSd GFK schließen lassen. Zwar obliegt es der Beschwerdeführerin von sich aus entscheidungsrelevante Tatsachen vorzubringen, das Bundesasylamt hätte jedoch von Amts wegen darauf hinzuwirken gehabt, dass die Angaben der Beschwerdeführerin im Hinblick auf einen relevanten Grund iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vervollständigt werden. Nur in dieser Form hätte das Bundesasylamt im gegenständlichen Fall eine abschließende (negative) Glaubwürdigkeitsprüfung in schlüssiger Weise vornehmen können.

 

Folglich ist das Ermittlungsverfahren betreffend die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin mangelhaft geblieben. Die aufgezeigten Mängel sind wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Vermeidung der Mängel zu einem für die Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis hätte führen können.

 

Hinsichtlich der gebotenen Ermittlungen zur Situation der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.4.2001, Zl. 99/20/0301, ausgeführt, dass zur Abgrenzung einer konkreten, von einem Asylwerber vorgebrachten Fluchtgeschichte zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat eine - je nach Fall unterschiedliche detaillierte - Ermittlung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat notwendig sei. Darüber hinaus erweise sich die Ermittlung dieser Situation auch im Bereich der Feststellung nach § 8 AsylG als unentbehrlich, stelle sie doch den Hintergrund für die Beurteilung der Zulässigkeit einer der dort genannten Rückbringungsmaßnahmen dar (ibid).

 

Fest steht, dass das Bundesasylamt den Sachverhalt im gegenständlichen Fall so mangelhaft ermittelt hat, dass die Durchführung oder Wiederholung einer Einvernahme unvermeidlich erscheint.

 

Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes ist der Ansicht, dass die schweren Mängel vom Bundesasylamt zu sanieren sind, da im gegenteiligen Fall der Großteil des Ermittlungsverfahrens vor den Asylgerichtshof als gerichtliche Beschwerdeinstanz verlagert würde und somit - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - der zweiinstanzliche Verfahrensgang unterlaufen würde.

 

Aus den dargelegten Gründen ist gemäß § 66 Abs. 2 AVG der o.a. Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückzuverweisen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Glaubwürdigkeit, Gutachten, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Religion
Zuletzt aktualisiert am
15.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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