TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/11 D3 309501-1/2008

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Veröffentlicht am 11.08.2008
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Spruch

D3 309.501-1/2008/7E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Clemens Kuzminski als Einzelrichter über die Beschwerde der M. G., geb. 1947, StA. Armenien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.01.2007, GZ. 06 11.997-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.04.2008 zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

II. Gemäß § 8 AsylG 2005 wird M. G. der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien zuerkannt.

 

III. Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird M. G. eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 07.08.2009 erteilt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Die Berufungswerberin, eine armenische Staatsbürgerin, Angehörige der Volksgruppe der Armenier und armenisch-apostolischen Bekenntnisses, reiste am 08.11.2006 illegal nach Österreich und stellte am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Am gleichen Tag wurde die Asylwerberin durch die Polizeiinspektion Traiskirchen der Erstbefragung unterzogen, wobei sie angab wegen der Ehe ihres Sohns mit einer Azerbaidschanerin, genauso wie diese, verfolgt zu werden und deshalb geflohen zu sein.

 

Am 14.11.2006 erfolgte vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, eine Einvernahme, wobei die Berufungswerberin unter Beiziehung eines Dolmetschers für die armenische Sprache, wie folgt angab:

 

F: Möchten Sie zu Ihrer Person oder zu allfällig vorgelegten Dokumenten etwas berichtigen, ergänzen oder richtig stellen?

 

A: Nein.

 

F: Haben Sie weitere Beweismittel oder identitätsbezeugende Dokumente, die Sie noch vorlegen können?

 

A: Nein.

 

Sind Ihnen Ihre Angaben bei der Erstbefragung noch bekannt oder sollen Ihnen diese nochmals zur Kenntnis gebracht werden?

 

A: Mir ist noch alles bekannt.

 

F: Möchten Sie zu Ihren sonstigen Angaben bei der Erstbefragung etwas ergänzen oder richtig stellen?

 

A: Nein. Es ist alles richtig.

 

F: Halten Sie die Angaben in Ihrer Erstbefragung zu Ihrem Reiseweg aufrecht?

 

A: Ja.

 

F: Können Sie etwas über die Fahrt mit dem Bus sagen, durch welche Länder Sie gefahren sind?

 

A: Ich weiß nicht, durch welche Länder wir gefahren sind. Ich war vorher noch nie in diesen Ländern.

 

F: Haben Sie unterwegs Pausen gemacht, sind Sie aus dem Bus ausgestiegen?

 

A: Wir blieben nur in Wäldern stehen und sind ausgestiegen. Dort haben wir was gegessen. Um 04.00 Uhr sind wir dann wieder weitergefahren.

 

F: Wurden Sie während der Fahrt angehalten oder kontrolliert?

 

A: Nein. Wir nicht.

 

F: Wurde der Bus kontrolliert?

 

A: Nein.

 

F: Wurden dabei die Reisepässe kontrolliert?

 

A: Uns hat niemand kontrolliert. Ich wurde zu einem Bahnhof gebracht und dort stieg ich aus.

 

F: Sind Sie mit Ihrem eigenen Reisepass ausgereist?

 

A: Ja, der Pass blieb beim Schlepper. Er hätte alles regeln sollen.

 

F: Wann und von wem wurde der Reisepass ausgestellt?

 

A: Von der Passbehörde S. in Jerewan im Jahr 2003.

 

F: Hatten Sie ein Visum in dem Pass?

 

A: Nein.

 

F: Haben Sie jemals in einem EU-Staat einen Asylantrag gestellt?

 

A: Nein.

 

F: Sind Sie ansonsten jemals in einen EU-Staat eingereist?

 

A: Nein.

 

F: Haben Sie im Bereich der EU, in Norwegen oder in Island Verwandte?

 

A: Nur meine beiden Söhne.

 

F: Haben Sie jetzt in Österreich schon Kontakt mit Ihren Söhnen gehabt?

 

A: Mein Sohn hat mich hier in Empfang genommen. Ich bin dann zu ihm gegangen und dann brachte er mich hierher. Mit dem anderen Sohn hatte ich auch schon Kontakt.

 

F: Besteht zu diesen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung? Wenn ja, wie sieht diese aus?

 

A: Meine Söhne helfen mir. Sie geben mir kein Geld, aber sie kümmern sich um mich.

 

F: Welchen Status haben Ihre Söhne in Österreich?

 

A: Das weiß ich nicht.

 

F: Wissen Sie, ob sie Asylwerber sind oder einen Aufenthaltstitel haben?

 

A: Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass sie seit dem Jahr 2000 in Österreich sind.

 

F: Welchen Kontakt hatten Sie seit dem Jahr 2000 zu Ihren Söhnen?

 

A: Meine Söhne haben einen Bekannten angerufen. Ich habe dann den Bekannten besucht und wurde über meine Söhne aufgeklärt.

 

F: Dabei wurde nie gesagt, welchen Aufenthaltsstatus Ihre Söhne in Österreich haben?

 

A: Ob sie in einem Asylverfahren waren, weiß ich nicht, gehe aber davon aus. Ich wusste jedoch, dass sie sich in Österreich befinden.

 

F: Sind Sie vorbestraft oder haben Sie strafbare Handlungen begangen?

 

A: Nein.

 

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat erkennungsdienstlich behandelt?

 

A: Nein.

 

F: Waren Sie jemals in Haft?

 

A: Nein.

 

F: Besteht gegen Sie in Ihrem Heimatland ein Haftbefehl?

 

A: Nein.

 

F: Werden Sie derzeit von den Behörden in Ihrem Heimatland gesucht?

 

A: Nein.

 

F: Hatten Sie jemals Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland?

 

A: Ich wurde zum Schluss von Behörden verfolgt.

 

F: Waren Sie jemals aktiv politisch tätig oder einer Partei zugehörig?

 

A: Nein.

 

F: Möchten Sie zu den von Ihnen bei der Erstbefragung angegebenen Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen?

 

A: Der Grund ist, dass meine Schwiegertochter türkischer Abstammung ist. Das ist mein Problem.

 

F: Von welchem Sohn ist das die Frau?

 

A: Von S. S..

 

F: Wie heißt seine Frau?

 

A: A. G..

 

F: Ist sie auch in Österreich?

 

A: Ja.

 

F: Welche Probleme hatten Sie selbst jetzt dadurch konkret?

 

A: Im November 2005 war ich am Markt einkaufen. Dort traf ich auf meine Nachbarin. Diese griff mich an und schlug mich zusammen. Sie beschimpfte mich als einen Volksfeind. Die Polizei erschien und brachte uns auf die Station. Sie wollten den Grund dieser Auseinandersetzung wissen. Meine Nachbarin erwähnte dort, dass ich eine türkische Schwiegertochter hätte. Die Polizei fragte nach meiner Adresse und ich gab sie ihnen. Zwei Monate später kamen 2 Polizisten zu mir nach Hause. Sie fragten nach dem Aufenthaltsort meiner Söhne. Ich sagte, dass ich es nicht wissen würde. Sie glaubten mir nicht und beschimpften und beleidigten mich. Im Juli 2006 kamen drei Polizisten. Sie fragten mich erneut nach dem Aufenthaltsort meiner Söhne. Ich antwortete wie immer, dass ich nicht wissen würde, wo sie sind. Die Männer beschimpften mich als Volksfeind und meinten, dass sie von den österreichischen Behörden bereits informiert wurden, dass meine Söhne in Österreich sind und mit der türkischen Schwiegertochter hier leben würden. Sie meinten, dass sie bereits seit 2 Jahren nach ihnen fahnden würden. Sie müssten nun wissen, wo sie sich konkret aufhalten, um sie zu töten.

 

F: Sie erzählen eigentlich von den Problemen Ihrer Söhne. Hatten Sie selbst jetzt irgendwelche Benachteiligungen oder so etwas?

 

A: Aufgrund dessen musste ich ständig umziehen, doch ich habe diese Nachbarin dann zufällig am Markt gesehen und so begannen meine Probleme. Sie meinten, wenn man meine Söhne umgebracht hätte, dann würde man sich meiner annehmen.

 

F: Gab es dazu irgendwelche konkreten Vorfälle oder Übergriffe?

 

A: Vor diesen beiden Vorfällen gab es selbstverständlich auch Übergriffe. Diese waren jedoch zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Konfliktes zwischen Armeniern und Aserbaidschanern im Jahr 1988.

 

Nach diesen beiden Vorfällen habe ich alles verkauft.

 

F: Wovon haben Sie in Ihrer Heimat Ihren Lebensunterhalt bestritten?

 

A: Ich habe schwarz als Raumpflegerin gearbeitet.

 

F: Hätten Sie nicht in einen anderen Teil Ihres Landes ziehen können?

 

A: Armenien ist nicht so groß, dass man einander nicht mehr sieht und wieder erkennt. Ich bin schon sehr oft umgezogen.

 

F: Was hätten Sie bei einer Rückkehr in Ihr Heimatland zu befürchten?

 

A: Man würde mich aufgrund der letzten Vorfälle umbringen. Ich bin alt und gebrechlich und meine Kinder leben hier.

 

F: Wollen Sie weitere Fluchtgründe angeben oder Ihr Vorbringen ergänzen?

 

A: Nein, ich habe nur diesen Grund.

 

Am 21.12.2006 wurde die Asylwerberin vor dem Bundesasylamt,

Außenstelle Traiskirchen, erneut einvernommen, sie wie folgt angab:

 

F: Haben Sie außer Ihrem Sohn weitere Angehörige in Österreich?

 

A: Ich habe zwei Söhne hier.

 

F: Sind Sie im Besitz von Dokumenten?

 

A: Nein.

 

F: Haben Sie jemals einen Reisepass besessen, wenn ja, wo befindet sich dieser?

 

A: Mein Pass ist beim Schlepper verblieben. Ich hatte nur diesen Pass.

 

F: Hatten Sie nie eine Geburtsurkunde oder Heiratsurkunde?

 

A: Die Heiratsurkunde wurde mir bei der Abteilung für Verstorbene abgenommen. Eine Geburtsurkunde hatte ich nie.

 

F: Wann wurde Ihnen der Pass ausgestellt?

 

A: 2003 habe ich meinen letzten Pass ausgestellt bekommen.

 

F: Haben Sie Ihr Heimatland illegal oder legal verlassen?

 

A: Ich reiste legal. Ich flog nach Krasnodar.

 

F: Wann haben Sie Armenien verlassen?

 

A: Am 04.11.2006.

 

F: Wo haben Sie zuletzt in Ihrer Heimat gelebt?

 

A: In Jerewan.

 

F: Von wann bis wann haben Sie an dieser Adresse gelebt?

 

A: Ich lebte die letzten zwei Jahre dort.

 

F: Wo waren Sie polizeilich gemeldet?

 

A: In XY.

 

F: Wann haben Sie an dieser Adresse gelebt?

 

A: Von 1989 bis 1996.

 

F: Wo haben Sie ab 1996 gelebt?

 

A: Seit 1996 lebe ich an verschiedenen Adressen in Miete innerhalb Jerewans.

 

F: Wovon haben Sie in Ihrer Heimat gelebt?

 

A: Ich habe "schwarz" gearbeitet.

 

F: Haben Sie immer "schwarz" gearbeitet?

 

A: Früher war ich Hausfrau.

 

F: Wann ist Ihr Gatte verstorben?

 

A: 2000.

 

F: Haben Sie in Armenien noch Angehörige?

 

A: Mein Bruder ist noch dort.

 

F: Wie viele Kinder haben Sie insgesamt?

 

A: Zwei Söhne.

 

F: Was war der ausschlaggebende Grund für Ihre Ausreise im Jahre 2006?

 

A: Im Dezember 2005 erledigte ich meine Einkäufe am Markt neben dem Bahnhof. Dort traf ich auf meine ehemalige Nachbarin und dessen Sohn. Meine Schwiegertochter ist Aserbaidschanerin. Das war immer das Problem.

 

F: Welches Problem hatten Sie konkret?

 

A: Man diskriminierte mich. Ich wurde als Landesverräterin abgestempelt. Das war mein Problem.

 

F: Wann hat Ihr Sohn seine Frau kennen gelernt?

 

A: 1987.

 

F: Warum sind Sie erst 2006 aus Armenien ausgereist, sind Ihre Söhne doch bereits seit Jahren hier in Österreich?

 

A: Ich bin deshalb nicht mit ihnen ausgereist, weil mein Gatte damals im Gefängnis saß und ich mich um ihn kümmern musste. Im Jahre 2005 hatte ich diesen Streit mit meiner Nachbarin. Die Polizei wurde in diesen Streit involviert. Die Nachbarin bezichtigte mich des Landesverrates aufgrund meiner Schwiegertochter.

 

F: Wann ist Ihr Gatte konkret gestorben?

 

A: 2000.

 

F: Wann haben Ihre Söhne Armenien verlassen?

 

A: 1995 verließ S. Armenien und ging nach Krasnodar. 2000 reiste er nach Österreich weiter. Mein Sohn K. reiste 2001 aus.

 

F: Warum sind Sie dann nicht mit Ihrem Sohn K. im Jahre 2001 ausgereist?

 

A: Meine Söhne sind sehr oft von der Polizei mitgenommen und geschlagen worden. Sie wollten weg.

 

Obige Frage nochmals gestellt!

 

A: Ich musste meinen Mann pflegen. Ich dachte, dass man mir als Frau nichts antun würde.

 

F: Gab es vor Dezember 2005 Vorfälle die konkret Sie betroffen haben?

 

A: Ich bin bis Dezember 2005 öfters umgezogen, damit meine Nachbarn mich nicht sehen.

 

F: Warum sind Sie erst 2006 auf die Idee gekommen, auszureisen?

 

A: Nach dem Streit am Markt mit meiner Nachbarin gingen wir - wie bereits erwähnt - zum Polizeistützpunkt. Die Polizei fragte nach meiner Adresse. Zwei Monate später kamen drei Männer zu mir nach Hause. Sie fragten nach dem Aufenthaltsort meiner Kinder. Sie beschimpften und bespuckten mich. Im August 2006 kam man erneut und fragte erneut nach meinen Kindern. Ich sagte, dass ich nicht wüsste, wo sie sich aufhalten. Sie erwiderten, dass sie Informationen hätten, dass meine Söhne in Europa wären. Sie meinte auch, dass sie in engen Kontakt mit den staatlichen Behörden in Europa stehen.

 

F: Wurde nur nach Ihrer Adresse gefragt?

 

A: Sie fragten auch nach der Adresse meiner Nachbarin.

 

F: Welche Adresse haben Sie angegeben?

 

A: XY.

 

F: Wann konkret kamen diese drei Männer erstmalig zu Ihnen nach Hause?

 

A: Am 28. oder 29.12.2005. Dann kamen sie im August 2006 wieder.

 

V: Sie gaben doch gerade an, dass zwei Monate, nachdem Sie bei der Polizeistation im Dezember 2005 waren, drei Männer zu Ihnen gekommen sind, was sagen Sie dazu?

 

A: Dann habe ich mich geirrt. Dann habe ich etwas Falsches gesagt. Ich bin schon alt. Seit 1988 habe ich die Probleme wegen dem Volksgruppenkonflikt.

 

V: Warum haben Sie bei Ihrer Befragung im November 2006 von zwei Polizisten, die zu Ihnen nach Hause gekommen seien, gesprochen, wenn Sie heute von drei Männern sprechen?

 

A: Es waren Polizisten. Zwei waren Polizisten. Ich lüge nicht.

 

F: Wie viele Personen sind nun zu Ihnen gekommen?

 

A: Zwei Polizisten, die Ausweise zeigten. Der Dritte zeigte keinen Ausweis.

 

F: Aus welchem Grund wollten die Polizisten den Aufenthaltsort Ihrer Kinder wissen?

 

A: Weil wir Landesverräter sind.

 

F: Ihre Kinder sind seit Jahren von Armenien weg, warum sollten diese Polizisten 2005 Interesse an Ihren Kindern zeigen?

 

A: 1988 begann der Konflikt.

 

Obige Frage nochmals gestellt!

 

A: Sie interessieren sich für meine Söhne, weil meine Schwiegertochter eine Aserbaidschanerin ist. Sie sagten, dass sie meine Söhne finden und umbringen werden, weil sie Landesverräter seien.

 

F: Wussten Sie immer, wo sich Ihre Söhne aufhalten?

 

A: Ich hatte durch eine Bekannte von meinem Sohn ständig Kontakt mit ihnen. Ich wusste immer, wo sich meine Söhne aufhalten. Ich habe es aber niemandem erzählt.

 

F: Wann gab es dann nochmals den nächsten Vorfall?

 

A: Im August 2006.

 

F: Was ist passiert?

 

A: Es kamen drei Leute. Es waren aber nicht die gleichen.

 

F: Haben sich diese Leute ausgewiesen?

 

A: Zwei wiesen sich aus, der Dritte nicht.

 

F: Haben Sie diese Leute ins Haus gelassen?

 

A: Ja. Sie fragten wieder nach meinen Söhnen. Dann wurde ich geschlagen, bespuckt und man goss Wasser über mich. Sie meinten, dass sie meine Söhne bald töten werden. Auch, sagten sie, dass sie mich dann darüber informieren werden. Sie meinten, dass auch ich sterben würde.

 

V: Warum haben Sie bei Ihrer Einvernahme im November 2006 angegeben, dass drei Polizisten im Juli 2006 zu Ihnen nach Hause gekommen sind?

 

A: Es kann sein, dass sie im Juli gekommen sind.

 

F: Ab wann wusste die Polizei, dass Ihre Söhne außerhalb Armeniens sind?

 

A: Die Polizei erhielt die Information von hier aus.

 

F: Seit wann sucht die Polizei nach Ihren Söhnen?

 

A: Seit 1988.

 

F: Warum hat die Polizei Sie dann nicht viel früher aufgesucht?

 

A: Ich zog ständig um. Wenn dieser Streit nicht gewesen wäre, hätten sie mich gar nicht gefunden.

 

F: Wo hat Ihr Sohn, der 2001 ausgereist ist, zuletzt gelebt?

 

A: In Miete an verschiedenen Adressen. Ich weiß nicht, wo er zuletzt gelebt hat. Wir haben an verschiedenen Adressen gelebt.

 

V: Warum haben Sie bei Ihrer Einvernahme im November 2006 nichts davon erwähnt, geschlagen worden zu sein?

 

A: Ich habe es erzählt. Ich habe bei der letzten Einvernahme angegeben, beschimpft und bespuckt worden zu sein.

 

V: Sie haben aber nicht angegeben, geschlagen worden zu sein, was sagen Sie dazu?

 

A: Ich habe es gesagt.

 

F: Was geschah nach dem Vorfall im Juli bzw. August 2006?

 

A: Ich habe die Mietwohnung verlassen und alles verkauft.

 

F: Wann haben Sie die Mietwohnung verlassen?

 

A: Ende des Monats August. Am nächsten Tag, nach dem Vorfall, als die Polizisten hier waren, verließ ich die Wohnung.

 

F: Wo haben Sie dann ab August gelebt?

 

A: Bei einem Bekannten.

 

F: Warum haben Sie dies zu Beginn er Einvernahme nicht erwähnt?

 

A: Ich wurde nicht danach gefragt.

 

F: Sie wurden konkret nach Ihrer letzten Wohnadresse gefragt, was sagen Sie dazu?

 

A: Ich habe meine Adresse genannt.

 

F: Was alles haben Sie verkauft?

 

A: Vier Diamantenringe, Schmuck.

 

F: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr in Ihre Heimat?

 

A: Ich habe Angst vor diesen Leuten.

 

F: Haben Sie sich jemals an irgendjemanden wegen dieser Personen gewandt?

 

A: Ich habe mich an niemanden gewandt.

 

F: Besitzen Sie eine Sterbeurkunde Ihres Mannes?

 

A: Ich habe hier keine.

 

F: Möchten Sie noch irgendetwas der Niederschrift hinzufügen?

 

A: Meine Kinder sind hier. Ich habe dort keine Möglichkeit zu leben, ich habe dort Angst.

 

F: Haben Sie alles vorgebracht, was Sie vorbringen wollten?

 

A: Ja.

 

Ihnen werden nun Feststellungen hinsichtlich Polizei/Justiz, Korruption, Mischehen und Rechtsschutz in Armenien vorgelesen. Sie haben im Anschluss die Möglichkeit diesen Feststellungen etwas hinzuzufügen.

 

F: Möchten Sie den Feststellungen etwas hinzugefügt haben?

 

A: Ja. Ich wurde sowohl seitens der Behörden und der Gesellschaft wegen der Abstammung meiner Schwiegertochter diskriminiert. Zum Rechtsstaat möchte ich sagen, dass es die Menschenrechte in Armenien nicht gibt. Wo immer ich mich auch hinwandte, wurde ich als Landesverräterin dargestellt, auch als ich mich an die Behörden wandte. Das Geld, das nach Armenien fließt, dass versickert und kommt nicht an. Mehr möchte ich nicht sagen.

 

F: Wovon leben Sie in Österreich?

 

A: Ich erhalte die staatliche Unterstützung.

 

F: Welche Beziehungen binden Sie an Österreich?

 

A: Meine Kinder.

 

F: Leben Sie mit Ihren Kindern in Österreich zusammen?

 

A: Nein, ich lebe in einem Zimmer.

 

F: Sind Sie soweit gesund?

 

A: Eine 60jährige Frau ist nie gesund.

 

F: Sind Sie in Österreich in ärztlicher Behandlung?

 

A: Nein.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.01.2007, Zahl, 06 11.997-BAT, wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 08.11.2006 gemäß § 3 Asylgesetz abgewiesen und unter Spruchteil II. der Status einer subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und unter Spruchteil III. die Asylwerberin nach Armenien ausgewiesen.

 

In der Begründung des Bescheides wurden die bereits vollinhaltlich wiedergegebenen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt dargestellt, sowie anschließend Länderfeststellungen zur Lage in Armenien getroffen und die Quellen hierfür angegeben.

 

Beweiswürdigend wurde in der Folge ausgeführt, dass das Vorbringen der Asylwerberin nicht glaubwürdig gewesen sei. Zunächst sei zu bemerken, dass es angesichts der problemlosen legalen Ausreise der Antragsstellerin nicht glaubwürdig sei, dass diese "zum Schluss" durch die armenischen Behörden verfolgt worden sei. Überdies sei die behauptete Verfolgung durch die Polizei wegen ihrer Söhne, die Armenien schon vor mehreren Jahren verlassen hätten, nicht plausibel. Auch sei es nicht nachvollziehbar, warum die Asylwerberin nach dem ersten Vorfall noch bis August 2006 abgewartet habe, um auszureisen. Nach Ansicht des Bundesasylamtes sei die Betroffene ausgereist, um ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern, nicht jedoch weil sie im Sinne der GFK verfolgt worden sei. Schließlich verwies das Bundesasylamt auf mehrere Widersprüche in die sich die Antragsstellerin verwickelt habe. So habe sie am 14.11.2006 angegeben, dass zwei Polizisten zu ihr nach Hause gekommen seien, am 21.12.2006 habe sie jedoch von drei Männern gesprochen. Nach Vorhalt habe sie zur Erklärung lediglich ausgeführt, dass sich der dritte Mann nicht habe ausweisen können, was vom Bundesasylamt als Schutzbehauptung qualifiziert wurde. Dies deshalb da sie in ihrer ersten Befragung hinsichtlich des Vorfalls im August 2006 von drei Polizisten sprach, in der zweiten Einvernahme jedoch von drei Personen, von denen sich einer nicht ausgewiesen hätte, gesprochen habe.

 

Rechtlich begründend wurde zu Spruchteil I. ausgeführt, dass es der Antragsstellerin mit ihrem Vorbringen nicht gelungen sei, eine Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft zu machen, sodass die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten nicht möglich sei.

 

Zu Spruchteil II. wurde nach Darlegung der bezughabenden Rechtslage und Rechtssprechung ausgeführt, dass im Falle der Berufungswerberin weder von der Glaubhaftmachung der Fluchtgründe gesprochen werden können, noch Hinweise für das Bestehen "außergewöhnlicher Umstände" bestehen würden, sodass im Fall einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe erkennbar sei.

 

Zu Spruchteil III wurde nach Darlegung der bezughabenden Rechtslage und Rechtssprechung ausgeführt, dass die Asylwerberin sich in staatlicher Grundversorgung befinde und ihre beiden Söhne in Österreich ebenfalls als Asylwerber aufhältig seien. Da keine sonstigen Bindungen an Österreich erkennbar seien und somit auch kein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden vorliegen würde, sei die Ausweisung zu verfügen gewesen.

 

Gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes erhob die Antragsstellerin, vertreten durch Mag. Michael Weiss, Volkshilfe Österreich, fristgerecht Berufung. Nachdem textbausteinartig dem Bundesasylamt ein mangelndes Ermittlungsverfahren vorgeworfen wurde, führte der Berufungswerbervertreter aus, dass das Bundesasylamt unzureichende Länderfestsstellungen getroffen habe. Zum Nachweis der schlechten Situation der aserischen Minderheit wurde aus dem UNHCR Herkunftsländer-Workshop vom 14.12.1999 sowie aus einem Gutachten der SFH-Länderanalyse vom September 2003 zitiert. In der Berufung wurde sodann ausgeführt, dass auf Grund der vorliegenden Länderdokumentation nachvollziehbar sei, dass die Berufungswerberin wegen ihrer aserischen Schwiegertochter verfolgt werde und ihr daher wegen ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie Asyl zu gewähren sei. Zudem sei das Recht auf Parteiengehör verletzt worden, da der Berufungswerberin die angeblichen Widersprüche nicht vorgehalten worden seien. Zu diesen sei zu bemerken, dass ihr die Organisation der Flucht aus Armenien aus praktischen Gründen nicht schneller möglich gewesen sei, doch habe sie die ganze Zeit über in Armenien unter starker Furcht vor Verfolgung gelitten. Zu dem angeblichen Widerspruch hinsichtlich der Anzahl der Polizisten führte die Berufungswerberin aus, dass dieser schon in ihrer zweiten Einvernahme am 00.00.2006 aufgeklärt worden sei, zumal sie damals angegeben habe, dass zwei Polizisten erschienen seien. Sodann wurde die mangelnde Beweiswürdigung des Bundesasylamtes gerügt, da nicht, wie vom VwGH gefordert, das gesamte Vorbringen gewürdigt worden sei. Hätte die Behörde die von der Berufungswerberin getätigten Angaben und die bereits zitierten Länderberichte berücksichtigt, hätte sie zum Schluss kommen müssen, dass der Antragsstellerin Asyl zuerkennen gewesen wäre. Schließlich wurde auch noch ein textbausteinartiges Vorbringen zum Refoulement und zur Ausweisung erstattet.

 

Der Unabhängige Bundesasylsenat beraumte für den 07.04.2008 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung an, zu der sich das Bundesasylamt entschuldigen ließ. Die Berufungswerberin erschien zu der Berufungsverhandlung, die mit jener ihres Sohns verbunden wurden, in Begleitung ihres nunmehrigen Vertreters Johannes Kunz, Volkshilfe Österreich. In der Verhandlung wurde eine Dolmetscherin für die armenische Sprache beigezogen. Der Berufungswerbervertreter legte eine Sterbeurkunde des Ehemannes in russischer Sprache, sowie eine Bestätigung des armenischen Justizministeriums über seine Verurteilung und sein Ableben vor.

 

In der Folge führte die Berufungswerberin über Befragen durch den Verhandlungsleiter folgendes aus:

 

VL: Welcher Volksgruppe und Religion gehören Sie an?

 

BW2: Ich bin eine Armenierin und Christin, gehöre der armenisch-aptesthloschen Kirche an.

 

VL: Wo sind Sie geboren?

 

BW2: In Jerewan.

 

VL: Wo haben Sie im Laufe Ihres Lebens gewohnt?

 

BW2: Immer in Jerewan. 60 Jahre lang habe ich in Jerewan gelebt.

 

VL: Welche schulische oder sonstige Ausbildung haben Sie erhalten?

 

BW2: 10 Jahre Grundschule habe ich und sonst nichts weiter.

 

VL: Wovon haben Sie im Laufe Ihres Lebens gelebt?

 

BW2: Bis zu meiner Heirat habe ich gearbeitet. Nachdem ich geheiratet habe, sorgte mein Mann für mich. Ich war Hausfrau. Nach dem Tod meines Mannes habe ich "schwarz" arbeiten müssen. Bereits 1996 hatte ich keine Wohnung mehr und ich musste hier und dort leben.

 

VL: Was war Ihr Mann von Beruf?

 

BW2: Er war Bankdirektor, der Bank.

 

VL: Hatten Sie vor Ihrer Ausreise wirtschaftliche Probleme in Armenien?

 

BW2: Ja, ich hatte wirtschaftliche Probleme. Es ging mir so schlecht, dass ich, um auszureisen, meinen Schmuck verkaufen musste, um "denen" zu entkommen.

 

VL: Laut den Nachforschungen der länderkundlichen Sachverständigen des Verfahrens Ihres Sohnes S. S., waren Sie die Ehefrau des A. S., was sagen Sie dazu?

 

BW2: Ich bin die Ehefrau des A. G. und nicht des A. S.. Wenn ich die Ehefrau des A. S. gewesen wäre, hätte ich ein schönes Leben gehabt.

 

VL: Was wissen Sie von den Vorgängen mit den Zusammenhängen der Bank?

 

BW2: Ich habe nichts Näheres über diese Bank gewusst. Ich wusste nur, dass mein Mann Direktor war und dass S. S. der Stellvertreter war. Ich war Hausfrau und sie haben mir nichts davon erzählt.

 

VL: Hatten Sie wegen der Vorgänge mit der Bank in Armenien Probleme?

 

BW2: Ende Dezember 2005 ging ich auf den Markt, um für den Silvesterabend einzukaufen. Ich traf ehemalige Nachbarn, die über uns Bescheid wussten. Bevor sie mich gesehen hätte, bemerkt hätte, wäre ich sofort vom Markt weggegangen, aber ich wurde leider von ihnen zufällig erkannt. Es war eine Mutter mit ihrem Sohn. Sie haben mich angeschrieen und auch körperlich angegriffen. Sie schrieen, dass ich eine "türkische Schwiegertochter" habe. Alle Leute am Markt versammelten sich um uns. Sie haben nämlich von damals noch gewusst, weil sie meine ehemaligen Nachbarn waren, dass meine Schwiegertochter aus Aserbaidschan stammt.

 

Bis Ende 1993 zur standesamtlichen Eheschließung meines Sohnes hat niemand gewusst, dass sie Aserbaidschanerin ist. Man hat ihnen eine Frist gesetzt, dass meine Schwiegertochter den Familiennamen meines Sohnes annimmt. Anfang 1994 kam die Polizei zu uns nach Hause. Sie haben sowohl mich, als auch meine Schwiegertochter sehr stark geschlagen, beinahe wären wir gestorben, der Grund dafür war, dass sie eine Aserbaidschanerin ist. Drei Mal wurde unsere Wohnung von der Polizei gestürmt, die Fensterscheiben wurden zerschlagen und alles kaputt gemacht. Ich erzähle über diese Vorfälle, um Ihnen erklären zu können, warum meine damaligen Nachbarn wieder erkannt haben und wie sie über diese ganze Sache gewusst haben.

 

Jetzt erzähle ich Ihnen meine Geschichte. Bei diesem Vorfall am Markt ging es dann so weiter, dass die dort anwesenden Personen auch angefangen haben, mich mit Tomaten und anderen Gegenständen zu bewerfen, dann kam die Polizei. Die Polizei nahm meine Nachbarin, ihren Sohn und mich mit und brachte uns zum Wachzimmer beim Bahnhof.

 

VL: Was ist auf diesem Wachzimmer dann geschehen?

 

BW2: Sie haben eine Niederschrift aufgenommen. Sie haben auch meine Adresse aufgenommen. Ich habe zu dieser Zeit in einer Mietwohnung gewohnt. Danach ließ man mich wieder frei.

 

Im Februar 2006 kamen zwei Polizisten zu mir nach Hause und fragen nach dem Aufenthaltsort meiner Söhne. Ich sagte ihnen, dass ich es nicht wüsste. Sie haben mich geschlagen und ich blutete aus dem Mund. Ich habe aber den Aufenthaltsort meiner Söhnen nicht verraten, danach mussten sie weggehen.

 

Im August 2006 kamen dieses Mal drei Personen, davon waren es zwei Polisten und eine Person in ziviler Kleidung. Zu dieser Zeit trank ich einen Kaffee mit einer meiner Freundinnen. In Traiskirchen hat man mir bei der Einvernahme nicht die Gelegenheit über alles zu sprechen. Sie haben mich auch nach dem Aufenthaltsort meiner Söhne befragt. An diesem Tag erzählten sie mir, dass sie ganz genau wüssten, dass sich meine Söhne in Österreich aufhalten würden und dass sie gegen den Staat Armenien eine Beschwerde eingebracht hätten. Sie haben auch an diesem Tag behauptet, dass meine Söhne mit dem gesamten Geld geflüchtet wären und sich über Armenien beschwert haben. Sie haben mir an diesem Tag mit dem Umbringen gedroht und sie sagten mir auch, dass sie mich ins Gefängnis stecken würden, wenn ich ihnen nicht sage, wo sich meine Söhne befinden. Bislang wurden solche, wie deine Söhne ermordet und niemand hat den Täter ausfindig machen können, dasselbe würde auch mit deinen Söhnen passieren, sagten sie zu mir. Sie haben mir meine Kleidung zerrissen. Meine Freundin wollte mir helfen, man hat sie auch zur Seite gestoßen. Sie ist dann auf das Sofa gefallen und mich haben sie an die Wand geschleudert. Das Intervenieren meiner Freundin half dann zum Schluss und sie gingen weg und ließen uns in Ruhe. Am ganzen Tag habe ich meinen ganzen Schmuck zusammen gepackt und bin in die Stadt E. geflüchtet. Dort habe ich meinen Schmuck verkauft und ich konnte mir ein Ticktet für den 00.00.2006 kaufen um nach Krasnodar zu fliegen.

 

VL: Standen diese Probleme mit der Polizei in Armenien im Zusammenhang mit der Bank?

 

BW2: Sie sagten mir, bei einem ihrer Besuche, dass sie unsere Dokumente überprüft hätten und dass sie draufgekommen sind, dass meine Söhne mit dem Geld nach Österreich geflüchtet sind. Daraus schließe ich, dass sie die Vorfälle in Verbindung mit der Bank wieder ins Rollen gebracht haben. An diesem Tag gaben sie auch zu, dass sie von den österreichischen Behörden erfahren haben, dass sich meine Söhne in Österreich befinden.

 

VL: Sind Sie mit Ihrem echten und unverfälschten Reisepass ausgereist?

 

BW2: Nein. Aus Armenien bin ich mit meinem eigenen, unverfälschten Reisepass ausgereist und dann habe ich am 04.11.2006 den Reisepass meinem Schlepper gegeben.

 

VL: Was machen Sie hier in Österreich?

 

BW2: Ich bin 60 Jahre alt, was soll ich machen. Ich kenne die Sprache nicht, ich kenne mich in Wien nicht aus. Für mich ist es das Wichtigste, das ich mein Leben gerettet habe.

 

VL: Leben Sie mit einem Ihrer beiden Söhne zusammen?

 

BW2: Ich bewohne ein eigenes Zimmer, in einem Asylwerberheim der Volkshilfe, wo auch mein Sohn S. S. wohnt. Sie können sich nicht vorstellen, was uns allen in Armenien passiert ist. Ich wollte meinen Sohn, G. K. verheiraten, ihm die Gründung eines eigenen Haushaltes ermöglichen. Man hat mir alles weggenommen, meine Wohnung, das Geld, alles. Seitdem habe ich fast auf der Straße gelebt.

 

VL: Haben Sie aktuelle gesundheitliche Probleme?

 

BW2: Seitdem ich die Ladung von Ihnen bekommen habe, kann ich weder Essen noch Schlafen, ich habe sehr viel abgenommen, weil ich gedacht habe, dass unser ganzes Schicksal in Ihren Händen liegen würde.

 

VL: Sind Sie auf die Hilfe eines Ihrer Söhne angewiesen?

 

BW2: Wenn mir meine Söhne nicht helfen würden, wie können sie sich vorstellen, dass ich überhaupt leben kann.

 

VL: Was würde mit Ihnen geschehen, wenn Sie nach Armenien zurückkehren müssten?

 

BW2: Ich bitte Sie, dass Sie den Namen dieses Landes nicht in den Mund nehmen und dass Sie Mitgefühl haben für uns. Sie würden meine Söhne und mich dort schlachten. Ich brauche ein wenig Platz, um mit meinen Söhnen und meiner Schwiegertochter in Frieden leben zu können, bis ich sterbe.

 

VL: Gibt es noch etwas, was Ihnen für die Begründung Ihres Asylantrages für Wichtig erscheint und Sie bis jetzt noch nicht gesagt haben?

 

BW2: Meine Freundin, die an diesem Tag bei diesem Vorfall dabei war, hat mir schriftlich bestätigt, was sie an diesem Tag alles gesehen und erlebt hat. Heute habe ich dieses Schreiben nicht mir, aber ich kann es Ihnen vorlegen.

 

VL an BWV: Haben Sie Fragen?

 

BWV: Nein, ich habe keine Fragen.

 

In der Folge wurde sodann der Sohn der Berufungswerberin, S. S., als Zeuge zu dem seiner Meinung nach dem Grund der Ablehnung seiner Beschwerde gegenüber dem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 07.10.2004, Zl. 221.687/0-VIII/22/01 durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshof vom 21.03.2007 befragt.

 

Am Schluss der Verhandlung hielt der Verhandlungsleiter gemäß § 45 Abs. 3 AVG den Parteien folgende Dokumente vor und räumte eine Frist von vier Wochen zu einer Abgabe einer Stellungnahme ein.

 

Gutachten der länderkundlichen SV des Dr. T. S. vom 10.11.2005

 

Anfragebeantwortung von ACCORD des BAA vom 19.04.2006

 

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Armenien des deutschen auswärtigen Amtes vom 20.03.2007

 

Bericht zur Fact Finding Mission des BAA und des UBAS vom 01.11.2007, Teil 1 Armenien.

 

Sodann wurde den Verfahrensparteien aufgetragen innerhalb der gleichen Frist, den an die Berufungswerberin gerichteten Brief einer Freundin über die Vorgänge im Zusammenhang mit einem Besuch der Polizei, sowie allfällige Befunde über psychische oder sonstige Erkrankungen vorzulegen. Auch dem Zeugen wurde in dieser Frist die Möglichkeit gegeben eine schriftliche Darstellung seiner Sichtweise vorzulegen.

 

Am 16.04.2008 langte eine Stellungsnahme des Zeugen zu dem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats zur GZ 221.687/0-VIII/22/01 ein. Darin führte er aus, dass der in dem gegenständlichen Bescheid auf Seite 25 festgestellt worden sei, dass A. G. 1986 zu 12 Jahren Haft verurteilt worden sei. Tatsächlich sei dieser jedoch erst 1996 verurteilt worden, was sich aus der in der Verhandlung vorgelegten Sterbeurkunde ergebe. Des Weiteren sei auf Seite 25 der Name des Stiefsohns des damaligen Berufungswerbers als A. L. G. festgestellt worden sei, obwohl der volle Name A. W. G. laute. Des Weiteren habe die Behörde die Namen A. S., dem früheren Präsidenten der Bank, welcher im Juli 2000 im Gefängnis verstorben sei, mit dem Namen A. G., dem Stiefvater des damaligen Berufungswerbers und Nachfolgers von A. S. als Präsident der Bank, welcher im August 2000 im Gefängnis verstorben sei, vermischt. Diese Verwechslung beruhe, so die Stellungsnahme weiter, vermutlich auf den Aussagen des B. A., welcher offensichtlich die Personen G. und S. vertauscht habe. Angemerkt wurde, dass B. A. an der Liquidation der Bank beteiligt gewesen sei und dadurch bereichter worden sei, sodass er vermutlich kein Interesse an der Aufklärung der damaligen Ereignisse gehabt habe. Nachdem er durch die österreichischen Behörden beauftragt worden sei, sei die Berufungswerberin, die Mutter des Zeugen, schwer bedroht worden und sei gezwungen gewesen das Land zu verlassen.

 

Mit Schreiben vom 29.04.2008 legte der Berufungswerbervertreter einen von Frau M. P. verfassten Brief vor. Darin schilderte M. P., eine Freundin der Berufungswerberin, dass sie bei dem Vorfall im Sommer 2006 gerade bei der Berufungswerberin auf Besuch gewesen sei. Dabei seien drei Personen, die sich als Polizisten ausgewiesen hätten, zu der Berufungswerberin gekommen und hätten diese nach dem Aufenthaltsort von S. M. und seiner Frau befragt. Da die Berufungswerberin nicht auf die Fragen geantwortet habe, hätten sie die Männer in der Folge gestoßen. Die Antragsstellerin sei dann sehr verzweifelt und hilflos gewesen und habe das Bewusstsein verloren. M. P. sei jedoch nicht erlaubt worden ihrer Freundin, der Berufungswerberin, zu helfen. Die Männer hätten sodann ihre Personalien aufgenommen und hätten ihr mitgeteilt, dass sie bereits wissen würden, dass sich der Sohn der Berufungswerberin und dessen Gattin in Österreich aufhalten würden. Sodann hätten sie die Berufungswerberin mit dem Tod bedroht. Nachdem die Berufungswerberin weggefahren sei, hätte M. P. sodann einen Hirnschlag erhalten, von welchem sie sich bis heute nicht vollständig erholt habe.

 

Gleichzeitig wurde ein Schreiben von Dr. med. R. A., Facharzt für Psychatrie und Neurologie, vom 21.04.2008 vorgelegt. Diesem ist zu entnehmen, dass die Berufungswerberin an einer depressiven Episode mit somatischem Syndrom, posttraumatischer Belastungsreaktion, Schlafstörungen, Cephalea, Merk- und Konzentrationsstörungen und rezidiv. Lumbalgien leide und mit Citalopram (20mg) und Mitrel (30mg) behandelt werde.

 

Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter wie folgt festgestellt und erwogen:

 

Zur Person der Asylwerberin wird folgendes festgestellt:

 

Sie ist armenische Staatsbürgerin und gehört der armenischen Volksgruppe und der armenisch-apostolischen Kirche an. Sie wurde 1947 in Jerewan geboren, wo sie auch bis zu ihrer Ausreise lebte. Die Berufungswerberin besuchte für 10 Jahre die Grundschule. Nach ihrer Heirat war sie nicht mehr berufstätig bis ihr Gatte, A. G., 2000 verstorben ist. Danach arbeitete sie illegal.

 

Ihr Gatte war der Direktor der Bank. Er wurde wegen Veruntreuung zu 12 Jahren Haft verurteilt und verstarb am 00.00.2000 in Haft.

 

Ihr Sohn S. S. reiste bereits im Juni 1995 mit seiner Gattin G. A. aus Armenien aus, hielt sich sodann in Russland auf, bis er am 12.12.2000 nach Österreich gelangte und hier Asyl beantragte. Deren Asylanträge wurden mit Bescheid vom 07.10.2004, GZ 221.687/0-VIII/22/01, respektive mit Bescheid vom 19.10.2004, GZ 221.684/0-VIII/22/01, negativ beschieden. Eine VwGH Beschwerde dagegen blieb erfolglos.

 

Ihr Sohn K. G. reiste Anfang 2001 (März oder April) aus Armenien aus. Über sein Asylverfahren wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11.08.2008, ZI D3 235606-0/2008/23E, wie folgt entschieden:

 

I. Die Beschwerde wird gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl 126/2002 hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen.

 

II. Gemäß § 8 AsylG 1997 idF BGBl 126/2002 wird festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von G. K. nach Armenien nicht zulässig ist.

 

III. Gemäß § 8 iVm 15 Abs 3 AsylG idF BGBl 126/2002 wird G. K. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 07.08.2009 erteilt.

 

Eine gegen die Berufungswerberin gerichtete Verfolgung auf Grund der behaupteten aserischen Abstammung ihrer Schwiegertochter konnte nicht festgestellt werden. Ebenso wenig konnte eine Verfolgung der Berufungswerberin auf Grund ihrer Söhne festgestellt werden.

 

Die Berufungswerberin leidet unter einer depressiven Episode mit somatischem Syndrom, posttraumatischer Belastungsreaktion, Schlafstörungen, Cephalea, Merk- und Konzentrationsstörungen und rezidiv. Lumbalgien. Sie wird derzeit medikamentös mit Citalopram (20mg) und Mitrel (30mg) behandelt.

 

Zur Situation in Armenien wird zusätzlich zu den Feststellungen des verwaltungsbehördlichen Aktes folgendes festgestellt:

 

Armenien ist die flächenmäßig kleinste Republik der früheren UdSSR. Mit 96 % Armeniern ist es ein ethnisch sehr homogener Staat. Es erlangte die staatliche Unabhängigkeit, die nach einem Referendum am 2. September 1991 proklamiert worden war, mit dem Zerfall der Sowjetunion Ende 1991.

 

Armenien ist eine alte christliche Kulturnation mit eigener Nationalkirche. Während kurzer Perioden im Mittelalter erlangten die Armenier Eigenstaatlichkeit. Von großer Bedeutung im nationalen Bewusstsein ist die Erinnerung an den Völkermord zwischen 1915 - 1918, bei dem bis zu 1,5 Mio Armenier im osmanischen Reich umkamen.

 

Armenien ist Mitglied der GUS. Zu Russland, das als Gegengewicht zur Türkei und dem Iran gesehen wird, besteht eine besondere Affinität.

 

Die Verfassung der Republik Armenien (1995) garantiert in Artikel 15 die Rechtsgleichheit aller Bürger ungeachtet ihrer "nationalen Abstammung, Rasse, Geschlechts, Sprache, Glaubens, politischen oder anderen Überzeugung, sozialen Herkunft, Vermögens oder anderen Status.

 

Weder der armenische Gesetzgeber, noch die armenische Regierung diskriminieren Angehörige ethnischer Minderheiten in kollektiver oder individueller Weise. Diese fühlen sich jedoch in einer zu 97 Prozent monoethnischen Gesellschaft oft von der armenischen Minderheit überwältigt.

 

Mit 5,3 Prozent bzw. 161.000 Angehörigen (nach Eigenangaben sogar bis zu 250.000), bildeten die Aseris vor ihrer fast vollständigen Massenflucht 1988/1989 die größte ethnische Minderheit Armeniens. Seither ist das aserbaidschanisch-armenische Verhältnis sowohl auf zwischenstaatlicher, wie auch gesellschaftlicher Ebene durch die wechselseitige Vertreibung der Minoritäten stark belastet.

 

Im Herbst 1988 setzte der Massenexodus der aserbaidschanischen Minderheit aus Armenien ein. Heute gibt es kaum noch Aserbaidschaner in Armenien. Die wenigen im Land verbliebenen sind meist mit Armenier/Innen verheiratet bzw. entstammen binationalen Ehen. Als ethnische Gemeinschaft ist die aserische Minderheit nicht organisiert, aber die meisten ihrer Angehörigen sind ziemlich assimiliert und werden von ihren Nachbarn und ihrer lokalen Gemeinschaft akzeptiert. Im Unterschied zum eigentlichen Armenien, wo nur wenige Aseris geblieben sind, leben in Berg-Karabach eine ganze Menge Aseris sowie binationale Ehepaare. Es gibt keinerlei Hinweise für eine Verfolgung von Angehörigen der aserischen Volksgruppe bzw. binationaler Ehen durch staatliche Organe in Armenien, weder auf nationaler, noch regionaler oder lokaler Ebene. Es liegen auch keine aktuellen Berichte für derartige Verfolgungen nach Beendigung der Kampfhandlungen in und um Berg-Karabach (Mai 1994) vor.

 

Die soziale Lage allein stehender Frauen in Armenien hat sich infolge der Wirtschafts- und Sozialkrise erheblich erschwert, es besteht ein allgemeiner Mangel an institutionalisierter Unterstützung für allein stehende Frauen. Die Mehrheit alleinstehender Mütter ist arbeitslos. Die Verelendung betrifft Frauen stärker als Männer. Durch die traditionellen Familienbande werden Versorgungsschwierigkeiten weitgehend überwunden, wenn auch ein Teil der Bevölkerung, insbesondere Frauen, finanziell nicht in der Lage ist, seine Versorgung mit dem zum Leben notwendigen Gütern sicherzustellen.

 

In Armenien sind grundsätzlich alle gängigen Erkrankungen behandelbar. Ausgenommen hiervon sind schwierigere Transplantationen und auch Operationen nach einer Dialysebehandlung sind teils nicht möglich. Für psychologische Krankheiten wie PTSD gibt es in Yerevan ein eigenes Krankenhaus, welches mit Unterstützung des Roten Kreuzes errichtet wurde.

 

Die Krankenhäuser in Yerevan selbst sind vielfach mit modernsten medizinischen Geräten ausgestattet. Es besteht jedoch ein teils erhebliche Gefälle zwischen den Krankenanstalten in Yerevan und jenen in anderen Provinzen des Landes. Problematisch ist jedoch die Verfügbarkeit von Medikamenten, da nicht immer die gleichen Medikamente vorhanden sind. Zumindest gegen entsprechende Bezahlung sind gängige Medikamente jedoch in staatlichen oder privaten Apotheken erhältlich.

 

Es gibt in Armenien kein funktionierendes staatliches Krankenversicherungssystem. Notfälle werden jedoch kostenlos versorgt, wobei für Nachbehandlungen auch hier teilweise Kosten vom Patienten selbst zu tragen sind. Nach Berichten des Auswärtigen Amtes gibt es auch über Notfälle hinaus eine kostenlose medizinische Behandlung, doch sind die Anspruchsgrundlagen in der Bevölkerung häufig unbekannt. Die entsprechenden Vorschriften werden de facto unter Verschluss gehalten. Auf Grund der Unterfinanzierung von Krankenhäusern, werden in der Praxis von Patienten auch zusätzliche Zahlungen verlangt, gleichwohl dies ungesetzlich ist.

 

Überhaupt müssen Kosten für ärztliche Konsultationen in Krankenhäusern, sowie die dafür erforderlichen Medikamente vom Patienten selbst getragen werden. Es gibt einige NGOs, die spezielle Programme für eine kostenlose Gesundheitsversorgung von Bedürftigen anbieten. Medikamentenkosten können auch teilweise vom Staat refundiert werden. Dies ist jedoch ein höchst bürokratischer und langwieriger Prozess.

 

Nur sehr wenige Personen nutze

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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