S9 319.554-1/2008/4E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde des S.K., geb. 00.00.1985, StA. ARMENIEN, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.05.2008, FZ. 07 10.655-EAST Ost, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005, BGBL. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der Beschwerdeführer, ein armenischer Staatsangehöriger, reiste am 15.11.2007 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 16.11.2007 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er wurde hierzu am Tag der Antragstellung durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Grenzpolizeiinspektion Hainburg/Donau erstbefragt sowie am 13.12.2007 und am 10.01.2008 vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, im Beisein eines Rechtsberaters niederschriftlich einvernommen.
2. Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass der Beschwerdeführer am 22.09.2007 in der Slowakei einen Asylantrag gestellt hatte. Das Bundesasylamt richtete sodann am 21.11.2007 gestützt auf die Angaben des Eurodac-Systmes ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) an die zuständige slowakische Behörde, welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2, 2. Satz AsylG 2005 über die Führung von Konsultationen mit der SLOWAKEI erhielt der Beschwerdeführer am 23.11.2007. Mit Schreiben vom 05.12.2007 erklärte sich die SLOWAKEI gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers für zuständig.
3. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 02.05.2008, Zahl:
07 10.655-EAST Ost, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des nunmehrigen Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 die SLOWAKEI zuständig sei. Gleichzeitig wurde der nunmehrige Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die SLOWAKEI ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung in die SLOWAKEI gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei. Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zur SLOWAKEI, insbesondere zum slowakischen Asylwesen sowie zur medizinischen Versorgung. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass der nunmehrige Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er konkret Gefahr liefe, in der SLOWAKEI Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm durch die Überstellung eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte.
4. Gegen den genannten Bescheid richtet sich die fristgerecht auf dem Faxewege am 28.05.2008 eingebrachte Beschwerde, in welcher im Wesentlichen die Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptet wurde.
5. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 03.06.2008, Zahl: 319.554-1/2E-VIII/23/08, (dem Bundesasylamt am 09.06.2008 und dem Beschwerdeführer am 10.06.2008 zugestellt) wurde der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes II. gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Rechtlich ergibt sich Folgendes:
1. Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF. BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden. Im gegenständlichen Fall wurde der Asylantrag am 16.11.2007 gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 zur Anwendung gelangt.
2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.2.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z1 AsylG 2005 ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden. Aufgrund der im November 2007 erfolgten Asylantragstellung bezieht sich im Gegenstand § 5 AsylG 2005 auf die Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II), da gemäß Artikel 29 leg. cit. diese Verordnung auf Asylanträge anwendbar ist, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten - dies ist der 01.09.2003 - gestellt werden.
Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
Es ist daher zunächst zu überprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO zuständig ist oder die Zuständigkeit bei ihm selbst nach dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO (erste Asylantragstellung) liegt.
2.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die Zuständigkeit der SLOWAKEI gemäß Art.16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO bestand. Die Zuständigkeit wurde von der SLOWAKEI mit Schreiben vom 05.12.2007 ausdrücklich anerkannt. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung war somit gegeben.
Gemäß Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung des Antragstellers von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrages auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat.
Die Erhebung eines Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung für den Rechtsbehelf hemmt ex lege die mit der Zustimmung des ersuchten Mitgliedsstaates zu laufen beginnende 6-Monatsfrist des Art. 19 Abs. 3 Dublin II VO; diese beginnt wieder zu laufen, wenn die (negative) Entscheidung der Rechtsmittelinstanz ergangen ist und kann allenfalls neuerlich gehemmt werden, wenn die nationale Rechtsordnung einen weiteren Rechtsbehelf vorsieht, dem wieder aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K25 zu Art. 19).
Gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO (bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO) geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung des Asylwerbers nicht erfolgen konnte oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylwerber flüchtig ist.
Die Regelung stützt sich auf die Überlegung, dass der Mitgliedstaat, der die gemeinsamen Zielvorgaben zur Kontrolle der illegalen Zuwanderung nicht umsetzt (hier also: die Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedsstaat nicht zeitgemäß durchführt), gegenüber den Partnerländern die (negativen) Folgen tragen muss. Außerdem soll auch durch diese Bestimmung vermieden werden, dass eine Kategorie sogenannter refugees in orbit entsteht, deren Antrag monate- oder gar jahrelang in keinem Mitgliedstaat geprüft wird. Der Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der 6-Monatsfrist stellt keinen fingierten Selbsteintritt, sondern eine besondere Zuständigkeitsnorm dar, die letztlich lediglich vom Ablauf der Frist abhängig ist (Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K 30 zu Art. 19).
Im gegenständlichen Verfahren führte das Bundesasylamt vom 21.11.2007 bis 05.12.2007 Konsultationen mit der SLOWAKEI gemäß der Dublin II-Verordnung und teilte dies dem Beschwerdeführer innerhalb der 20-Tages-Frist des § 28 Abs. 2, 2. Satz AsylG 2005 mit. Das Bundesasylamt stützte seine Entscheidung auf die Zustimmung der SLOWAKEI zur Übernahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 16 Abs.1 lit. c Dublin II-VO, welche am 05.12.2007 erfolgte. Die 6-Monatsfrist begann daher gemäß Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO mit der Zustimmung der SLOWAKEI am 05.12.2007, zu laufen.
Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 03.06.2008, Zahl: 319.553-1/2E-VIII/23/08, wurde der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 aufschiebende Wirkung zuerkannt. Dieser Bescheid wurde dem Bundesasylamt auf dem Faxwege am 09.06.2008 und dem Beschwerdeführer am 10.06.2008 durch Hinterlegung beim Postamt zugestellt.
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass ein Bescheid nur dann für eine Partei rechtliche Wirkung entfaltet, wenn er ihr gegenüber in förmlicher Weise bekanntgegeben ("erlassen") wird. Hinsichtlich der Form der Erlassung verweist § 62 Abs. 1 AVG auf die Verwaltungsvorschriften, diese sind somit in erster Linie maßgeblich dafür, wie Bescheide zu erlassen sind. Im AsylG 2005 findet sich keine spezielle Norm, die die Erlassung eines Bescheides regeln würde, weshalb für den gegenständlichen Fall § 62 Abs. 1 AVG relevant ist. Gemäß § 62 Abs. 1 AVG können Bescheide schriftlich oder mündlich erlassen werden. Die schriftliche Erlassung erfolgt derart, dass die Behörde eine schriftliche Ausfertigung des Bescheides herstellt. Diese schriftliche Ausfertigung ist den Parteien durch Zustellung - nach dem ZustG oder allfälligen Sondervorschriften - zu übermitteln (vgl. Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht4, S. 210f).
Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass der Bescheid, mit welchem aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, am 09.06.2008 durch Zustellung an das Bundesasylamt erlassen wurde. Die 6-Monatsfrist war jedoch bereits am 05.06.2008 abgelaufen. Demnach wurde die aufschiebende Wirkung erst nach Ablauf der 6-Monatsfrist rechtswirksam erteilt. Da die Hemmung einer bereits abgelaufenen Frist nicht möglich ist, konnte auch im gegenständlichen Fall durch die die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung keine Hemmung der 6-Monatsfrist gemäß Art. 19 Abs. 3 Dublin II VO eintreten.
Die Zuständigkeit zur (inhaltlichen) Prüfung des gegenständlichen Asylantrages ist daher gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin II VO am 06.06.2008 auf ÖSTERREICH übergegangen, weil die Überstellung des Beschwerdeführers nicht innerhalb der 6-monatigen Überstellungsfrist durchgeführt und diese Frist weder gehemmt noch verlängert wurde.
2.2. Da nach den Bestimmungen der Dublin II-Verordnung nunmehr ÖSTERREICH zur Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers zuständig ist, war Spruchteil I. des gegenständlichen Bescheides gemäß § 5 Abs. 1 iVm. § 41 Abs. 3 AsylG 2005 ersatzlos zu beheben.
2.3. Zu Spruchteil II. des o.a. Bescheides:
2.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn erstens dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder zweitens diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 leg. cit. verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.
2.3.2. Der gegenständlichen Beschwerde gegen die zurückweisende Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren war stattzugeben, weil im Entscheidungszeitpunkt des Beschwerdeverfahrens die Voraussetzungen für die Zurückweisung des Antrages nach § 5 Abs. 1 AsylG 2005 nicht mehr gegeben waren, weswegen gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 auch Spruchteil II. des o. a. Bescheides ersatzlos zu beheben war.
Gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 2005 gilt ein Ausweisungsverfahren als eingeleitet, wenn im Zulassungsverfahren eine Bekanntgabe nach § 29 Abs. 3 Z 4 oder 5 AsylG 2005 erfolgt und das Verfahren vor dem Asylgerichtshof einzustellen (§ 24 Abs. 2) war und die Entscheidung des Bundesasylamtes in diesem Verfahren mit einer Ausweisung (§ 10) verbunden war. Gemäß § 27 Abs. 4 erster Satz AsylG 2005 ist ein gemäß Abs. 1 Z 1 eingeleitetes Ausweisungsverfahren einzustellen, wenn das Verfahren zugelassen wird. Gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 ist der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz vom 28.12.2007 zuzulassen.
2.4. Da der hier maßgebliche Sachverhalt durch die Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde eindeutig geklärt war, konnte die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung unterbleiben. Dem bleibt hinzuzufügen, dass der Asylgerichtshof gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide im Zulassungsverfahren grundsätzlich ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.