S2 400.919-1/2008/3E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde des K.M., geb. 00.00.1985, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.07.2008, Zahl: 08 00.169-BAG, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I.1. Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:
Der Beschwerdeführer brachte nach seiner illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 04.01.2008 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.
Da die EURODAC-Abfrage kein Ergebnis brachte und der Beschwerdeführer angab, nicht zu wissen, ob er über die Slowakei oder Polen eingereist sei, stellte die Erstbehörde im Zulassungsverfahren am 11.01.2008 jeweils Anfragen an diese beiden Staaten gemäß Art. 21 Dublin II-VO, die allerdings negativ beantwortet wurden (AS 37 und 41-Anfragen; AS 65 und 67 Antworten der Staaten). Obwohl der Beschwerdeführer bei seiner Erstbefragung ausdrücklich angegeben hatte, seine Frau befinde sich mit den beiden gemeinsamen Kindern im EU-Raum, und zwar in Polen oder der Slowakei, wurde über den Aufenthalt dieser Familienmitglieder keine Auskunft (mit)eingeholt.
Aufgrund der der Erstbehörde vorliegenden Ermittlungsergebnisse wurde das Verfahren des Beschwerdeführers zugelassen und ihm am 11.02.2008 eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 ausgestellt (AS 81).
Nach der danach erfolgten Einreise der Ehegattin und der beiden Kinder des Beschwerdeführers, die alle in Österreich am 21.02.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz stellten und die zuvor in Polen einen Asylantrag gestellt hatten, wurde (auch) betreffend den Beschwerdeführer ein Konsultationsverfahren eingeleitet, das nunmehr mit Zustimmung Polens auf Grundlage des Art 14 Dublin II-VO endete (AS 107).
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Polen gemäß Art. 14 lit. a Dublin II-VO zur Prüfung dieses Antrages zuständig sei, sowie II. der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die Beschwerdevorlage langte laut Eingangsstempel des Asylgerichtshofes am 08.08.2008 bei diesem Gerichtshof ein.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.
Nach § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 23 AsylGHG hat außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall der Asylgerichtshof, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) seine Anschauung an die Stelle jener des Bundesasylamtes zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
In den Art. 5ff Dublin-Verordnung werden die Kriterien aufgezählt, nach denen der zuständige Mitgliedstaat bestimmt wird.
Art. 14 Dublin II-VO lautet:
"Stellen mehrere Mitglieder einer Familie in demselben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Asylantrag, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können, und könnte die Anwendung der in dieser Verordnung genannten Kriterien ihre Trennung zur Folge haben, so gilt für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats Folgendes:
a) zuständig für die Prüfung der Asylanträge sämtlicher Familienmitglieder ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils der Familienmitglieder zuständig ist;
b) andernfalls obliegt die Prüfung dem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten Familienmitglied eingereichten Asylantrags zuständig ist."
Die Beurteilung der Rechtsfrage ergab, dass der Beschwerde stattzugeben ist:
Art. 14 Dublin II-VO sieht seinem klaren Wortlaut zufolge eine Zuständigkeitsregelung zur Vermeidung einer Familientrennung nur für den Fall vor, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können. Im Beschwerdefall allerdings war - wie sich aus der zusammenfassenden Darstellung des Verfahrensganges ergibt - das Verfahren des Beschwerdeführers bereits vor Asylantragstellung der nachgereisten Familienmitglieder zugelassen worden, weshalb ein Anwendungsfall des Art. 14 Dublin II-VO hier nicht (mehr) vorliegt.
(Allerdings hat die Erstbehörde von der Möglichkeit, noch im Rahmen des Zulassungsverfahrens - und damit rechtzeitig - die entsprechenden Informationen zum Aufenthalt der Familie des Beschwerdeführers bzw. zum aktuellen verfahrensrechtlichen Stand eines allfälligen Verfahrens der Betreffenden aus Polen einzuholen - trotz hiefür geeigneter Angaben des Beschwerdeführers und trotz ohnehin gestellter Anfrage gemäß Art. 21 Dublin II-VO - nicht Gebrauch gemacht.)
Da die gegenständliche Entscheidung des Bundesasylamtes außerhalb des Zulassungsverfahrens erging und somit § 41 Abs. 3 zweiter und dritter Satz AsylG 2005 nicht anwendbar sind, stützt sich das Erkenntnis auf die allgemeine Norm des § 66 Abs. 4 AVG, die dem Asylgerichtshof das Recht einräumt, den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Gemäß § 41 Abs. 7 AsylG 2005 konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben. Die öffentliche Verkündung des Erkenntnisses hatte gemäß § 41 Abs. 9 Z 2 AsylG 2005 zu entfallen.