D3 262870-6/2008/13E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Clemens Kuzminski als Einzelrichter über die Beschwerde des L. L., geb. 00.00.1977, StA. Ukraine, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.10.2006, FZ 05 09.104-BAI, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.05.2008 zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird stattgegeben und L. L. gemäß § 7 AsylG idF BGBI 101/2003 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass L. L. Kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Die Beschwerdeführerin, eine ukrainischer Staatsangehörige, gelangte am 21.06.2005 unter Umgehung der Grenzkontrollen, gemeinsam mit ihrem Gatten D. und den gemeinsamen minderjährigen Söhnen nach Österreich und stellte am 22.06.2005 einen Asylantrag.
Nach Rechtsbelehrung wurde die Asylwerberin durch das Bundesasylamt, am 28.06.2005, wie folgt befragt:
F: Wann und wie haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen?
A: Es war im September 2003. Nein. Nicht 2003. 2004 glaube ich. Voriges Jahr im September. 2004. Ich bin nach Ungarn mit einem ungarischen Visum gefahren. Mit dem Zug. Dann, in Bicske habe ich um Asyl gefragt. Mein Mann ist früher gefahren. Ich bin später nachgekommen. Eine Woche später hat mir meine Mutter illegal über die ukrainische Grenze meine Kinder nach Ungarn übergeben. Wir haben in Ungarn gewohnt. In Bicske. Ich habe dort eine Einvernahme gehabt. Ich habe den ersten negativen Bescheid erhalten. Wir haben dagegen berufen. Ich habe zwei negative Bescheide erhalten. Dann bin ich mit meinem Mann hierher gekommen.
F: Wo haben Sie in Ungarn einen Asylantrag gestellt?
A: Bicske.
F: Wann haben Sie in Ungarn einen Asylantrag gestellt?
A: September, als wir dort angekommen sind. Das genaue Datum weiß ich nicht mehr genau.
F: Wie wurde über diese Asylantragstellung in Ungarn
entschieden?
A: Es war negativ.
F: Wann wurde über diese Asylantragstellung in Ungarn
entschieden?
A: Ich weiß es nicht mehr. Es gibt Dokumente und da muss es darauf stehen. Circa vor 3 Wochen.
F: Wie lange waren Sie in Ungarn?
A: So ca. 10 Monate.
F: Wo waren Sie in Ungarn aufhältig?
A: Im Lager Bicske.
F: Haben Sie Ungarn freiwillig verlassen?
A: Ja. Wir sind zu Fuß gegangen, wir sind zu Fuß über die Grenze gegangen.
F: Wohin reisten Sie nach Ihrer Asylantragstellung in Ungarn?
A: Wir sind in Ungarn nach Sopron gegangen. Dort ist eine gemeinsame Grenze Ungarn - Österreich.
F: Reisten Sie direkt nach Österreich nach Ihrer
Asylantragstellung in Ungarn?
A: Ja.
F: Reisten Sie nach Ihrer Asylantragstellung in Ungarn in Ihren Herkunftsstaat zurück?
A: Nein.
F: Haben Sie im Bereich der EU, in Norwegen oder in Island Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht?
A: Nein.
F: Wo ist Ihr Reisepass/Auslandspass?
A: Er ist in Ungarn geblieben. Mein ukrainischer Pass ist in Ungarn geblieben.
F: Wo wurde Ihr Reiserpass/Auslandspass ausgestellt?
A: In Kiev.
F: Wann wurde Ihr Reisepass/Auslandspass ausgestellt?
A: Bevor ich weggefahren bin.
F: Hatten Sie Probleme bei der Ausstellung Ihres Reisepasses/Auslandspasses?
A: Ja. Ich habe sehr lange Zeit meinen Pass nicht erhalten. Sehr lange Zeit.
F: Besitzen Sie noch andere Dokumente, die Ihre Identität bestätigen?
A: Ich habe in Ungarn meinen Arbeitsausweis abgegeben. Und ich habe in Kiev Geburtsurkunde und Heiratsurkunde, aber ich weiß nicht wo.
Ich nehme zur Kenntnis, dass ich den Reisepass oder sonstige Dokumente im Falle der Wieder-, bzw. Neuerlangung unverzüglich dem Bundesasylamt vorzulegen habe.
F: Haben Sie jemals ein Visum für ein EU-Land beantragt?
A: Nein.
F: Sind Sie illegal nach Ungarn gereist?
A: Nach Ungarn bin ich legal gekommen.
F: Man kann aber nur legal nach Ungarn einreisen mit einem Visum.
A: Ja, richtig. Ich bin nach Ungarn mit einem ungarischen Visum gekommen.
F: Hatten Sie Probleme bei der Ausstellung des Visums?
A: Nein.
F: Wo haben Sie das Visum beantragt?
A: Ungarische Botschaft in Kiev.
F: Wann haben Sie das Visum beantragt?
A: Ich weiß es nicht mehr.
F: Was für ein Visum haben Sie erhalten?
A: Tourismusvisum glaube ich. C-Visum glaube ich.
F: Wurden Sie jemals vom Zoll oder der Grenzpolizei kontrolliert?
A: Ja. An der ukrainisch - ungarischen Grenze wurde ich kontrolliert. Und als wir illegal die ungarisch - österreichische Grenze überschritten haben, haben wir uns freiwillig bei der Polizei gemeldet.
F: Reisten Sie legal aus der Ukraine aus?
A: Ja.
F: Verfügen Sie über Barmittel?
A: Mein Mann hat etwas, ich habe nichts.
F: Sind Sie vorbestraft?
A: Ich bin weder in meinem Herkunftsstaat noch in einem anderen Land vorbestraft.
F: Haben Sie jemals vorher Ihren Herkunftsstaat verlassen?
A: Nein.
F: Warum haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen?
A: Persönliche Gründe und wegen der Gründe meines Mannes. Persönliche Gründe, weil für mich dort auch eine Gefahr war. Unser Leben war in Gefahr.
F: Was war das fluchtauslösende Ereignis?
A: Das Haus wurde angezündet. Und in das Fenster wurden brennende Flaschen geschmissen und das Haus wurde mit Benzin überschüttet.
F: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat Probleme mit Privatpersonen?
A: Nein.
F: Konnten Sie in Ihrem Herkunftsstaat Ihre Religion frei ausüben?
A: Ja.
F: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat je Probleme mit der Polizei, dem Militär oder den staatlichen Organen?
A: Nein.
F: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat wegen Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit Probleme?
A: Nein. Es gab noch einen Fall bei dem Brand, als unser Haus angezündet wurde, hat man die Hunde auf unsere Kinder losgelassen und ich wurde telefonisch bedroht. Bei diesem Brand wurde die Telefonleitung abgeschnitten. Wir konnten weder den Notruf noch die Feuerwehr anrufen. Mein Cousin hat in der Nähe gewohnt. In der Nähe war sein Haus und er hat eine 50%ige Hautverbrennung bekommen. Mein Mann hat Verbrennungen bekommen. Meine Kinder wurden verwundet. Ich und die Kinder sind aus den Fenstern geklettert.
F: Sind oder waren Sie jemals politisch tätig?
A: Nein. Ich wurde nicht in dieser Partei registriert, aber ich bin oft mit meinem Mann zu Demonstrationen und verschiedenen Veranstaltungen gegangen. Ich hatte aber nicht viel Zeit, ich musste mich um meine Kinder kümmern und arbeiten musste ich auch. Wir gingen mit den Kindern nach dem Brand zu einem Psychiater.
F: Sind die Kinder jetzt laut dem Psychiater, der Ihre Kinder behandelt hat, vollständig geheilt?
A: Ja.
F: Haben oder hatten Sie sonstige Probleme auf Grund eines Naheverhältnisses zu einer Organisation?
A: Nein. Nur mein Mann hat Probleme.
F: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat auf Grund Verfolgung durch Dritte Probleme?
A: Was bedeutet dritte Person?
F: Wurden Sie, außer dem bereits erwähnten, von anderen Personen bedroht?
A: Telefonisch werden wir ständig bedroht. Ein Mann ist gekommen und hat die Hunde losgelassen in unserm Hof. Es war ein Hund. Vorher hat man uns telefonisch bedroht und gefragt, wo mein Mann ist. Am nächsten Tag hat man den Hund losgelassen.
F: Bestehen gegen Sie aktuelle Fahndungsmaßnahmen wie Aufenthaltsermittlung, Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbriefe oder ähnliches?
A: Nein.
F: Was würde mit Ihnen passieren, wenn Sie jetzt in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?
A: Ich habe Angst, dass man mein Leben und das Leben meiner Kinder weiter bedroht.
F: Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei der Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen? Hätten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen?
A: Ja. Es gibt so etwas. Weil bei uns, bei der Polizei, verwendet man Foltermittel.
F: Werden Sie von der Polizei bedroht?
A: Ja, natürlich. Ich werde wahrscheinlich dann verschiedene Angaben bezüglich meines Mannes geben müssen.
F: Gibt es Beweismittel für Ihr Vorbringen, können Sie uns jemanden nennen, der uns Ihre Angaben bestätigen kann?
A: (AW überlegt.) Ungarn hat alle Dokumente. Dass ich mich zur Polizei gewandt habe, auch bezüglich dieses Brandes. Alles ist in Ungarn.
F: Wäre es für Sie möglich gewesen, in einem anderen Teil Ihres Herkunftsstaates Schutz vor Verfolgung zu erlangen?
A: Nein.
F: Haben Ihre Kinder eigene Asylgründe?
A: Sie sind mit uns ausgereist.
F: Möchten Sie noch etwas Asylrelevantes angeben oder etwas angeben, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe? Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot aufmerksam gemacht!
A: Meine Schwester und mein Mann wurden zusammengeschlagen. Sie sind von der Arbeit nach Hause gekommen und zwei Maskierte, eine Mann und eine Frau, haben die beiden zusammengeschlagen.
F: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben Ihren Herkunftsstaat zu verlassen, vollständig geschildert?
A: Nein. Ich hatte in der Arbeit Probleme, weil ich in der Arbeit Propaganda gemacht habe. Man hat mich gekündigt. Ein Monatslohn wurde nicht bezahlt. Ich wurde gezwungen, zu kündigen. Man hat gesagt, ich muss freiwillig kündigen, ansonsten würden sie einen Paragrafen finden, um mich zu entlassen und dann würde ich keine Arbeit mehr finden. Ich habe meine Arbeit gut gemacht. Ich musste in Krankenstand gehen, weil meine Kinder krank waren. Mein Chef hat gesagt, dass sie mich kündigen, weil ich nicht zur Arbeit gegangen bin. Irgendwelche Papiere mussten wir auch unterschreiben für Janukowitsch.
F: Haben Sie jetzt sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihren Herkunftsstaat zu verlassen, vollständig geschildert?
A: Es ist noch keine Wahl gewesen, aber wir mussten schon vorher unterschreiben. Ich weiß nicht genau, was das für Papiere waren, aber die Leute wurden gezwungen für Janukowitsch zu unterschreiben und mein Chef hat das zu mir gesagt.
F: Haben Sie jetzt alle Gründe geschildert?
A: Ja.
F: Wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt Ihre Probleme vollständig und so ausführlich wie Sie es wollten zu schildern?
A: Ja.
F: Haben Sie alles verstanden, was Sie gefragt wurden, sowohl von der Sprache als auch vom Verständnis her?
A: Ja.
V: Das Bundesasylamt gelangt vorläufig zur Ansicht, dass für die Prüfung Ihres in Österreich gestellten Asylantrages gemäß der Dublin II Verordnung der Europäischen Union Ungarn zuständig ist. Zu Einzelheiten der Dublin II Verordnung sind Sie bereits in dem Ihnen anlässlich der Fingerabdrucknahme
ausgefolgten Merkblatt informiert worden. Mit Zustimmung des Staates Ungarn wird Ihr Asylantrag in Österreich als unzulässig zurückgewiesen und Ihre sofort durchsetzbare Ausweisung in diesen Staat veranlasst.
F: Wollen Sie nun konkrete Gründe nennen, die dem entgegenstehen?
A: Wie kann Ungarn für uns verantwortlich sein. Wir haben zwei negative Bescheide erhalten. Wir haben auch Anspruch hier erhoben. Unser Verfahren war trotzdem abgeschlossen. Wir sind nach Österreich gekommen, um Schutz zu bitten, weil Ungarn uns abgesagt hat.
Ihnen wird nun zur Kenntnis gebracht, dass Sie nach einer Frist von mindestens 24 Stunden im Zuge einer niederschriftlichen Befragung im Beisein eines Rechtsberaters die Möglichkeit haben, zu diesem Sachverhalt Stellung zu beziehen. Von diesem Termin werden Sie schriftlich in Kenntnis
gesetzt. Sollten Sie diesem Termin nicht nachkommen und die Betreuungsstelle verlassen, müssen Sie damit rechnen, dass das Verfahren eingestellt wird.
F: Möchten Sie noch etwas angeben?
A: Ist ein Rechtsberater dasselbe wie ein Rechtsanwalt? Sonst habe ich keine Fragen. Es gibt auch eine Videokassette, als unser Haus brannte.
Nach erfolgter Rückübersetzung:
F: Haben Sie den Dolmetscher während der gesamten Befragung einwandfrei verstanden?
A: Ja.
F: Hat Ihnen der Dolmetscher alles rückübersetzt was Sie gesagt haben?
A: Ja.
F: Möchten Sie eine Ablichtung der Niederschrift?
A: Ja.
Die AW ersucht um folgende Berichtigungen/Ergänzungen:
Mein ukrainischer Inlandspass ist in Ungarn geblieben. Mein Auslandspass wurde am Bahnhof in Ungarn zusammen mit meiner Tasche gestohlen. Später nach dem Brand hat man die Hunde auf die Kinder losgelassen, mein Mann war schon in Ungarn. Meine Kinder und ich wurden durch die gesplitterten und kaputten Fensterscheiben verwundet. Die Kinder hatten großen Schock und Angst, daher waren sei beim Psychiater. Meine Schwester und ihr Mann wurden mit mir und meinem Mann verwechselt. Ich habe dieses Papier in der Arbeit für Janukowitsch nicht unterschrieben. Diese Videokassette wurde von XY TV verfilmt. XY TV hat eine Sendung über unseren Brand aufgenommen. Wir haben von denen diese Kassette erhalten.
Eine weitere Einvernahme folgte am 01.07.2005, welche jedoch eine allfällige Zuständigkeit Ungarns für die Führung des Asylverfahrens zum Gegenstand hatte.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.07.2005, Zl. 05 09.104-EAST West, wurde der Asylantrag von L. L.a vom 22.06.2005 - ohne in die Sache einzutreten - gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen, gleichzeitig wurde festgestellt, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. d iVm Art 13 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Ungarn zuständig ist und weiters wurde gemäß § 5a Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AsylG die Asylwerberin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin (gemeinsam mit ihren Familienangehörigen) Berufung.
Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.09.2005, ZI 262.870/0-VIII/22/05, wurde gemäß § 32a Abs. 1 AsylG der Berufung stattgegeben, der Asylantrag zugelassen, der bekämpfte Bescheid behoben und der Antrag zur Durchführung eines materiellen Asylverfahrens an das Bundesasylamt zurückverwiesen, weil - im Sinne der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes - medizinisch belegbare Tatsachen im Sinne des § 24b AsylG vorliegen würden, die die Annahme rechtfertigen, dass der Sohn der Asylwerberin traumatisiert sein könnte und auf diesen Umstand im Familienverfahren Bedacht zu nehmen sei.
Mit Eingabe vom 08.03.2006 gab die Antragstellerin (und ihre Familienangehörigen) ihre Vertretung durch Rechtsanwalt Dr. Max KAPFERER bekannt.
Am 20.09.2006 wurde die Antragstellerin durch das Bundesasylamt,
Außenstelle Innsbruck, ergänzend wie folgt, einvernommen:
Anmerkung: Die Antragstellerin legt folgende Schriftstücke vor:
Kopie Ihres ukrainischen Inlandspasses.
Kopie von Bestätigung über Einleitung eines Strafverfahrens gegen Unbekannt.
Kopie über Einstellung eines Strafverfahrens gegen Unbekannt.
Untersuchungsbericht von Dr. H..
Schreiben des Landeskrankenhauses Vöcklabruck über Unfall des Sohnes
A..
Psychologischer Konsiliarbefund des Landeskrankenhauses Vöcklabruck für A..
Schreiben der Christian-Doppler-Klinik über Sohn A..
Kurznachricht der Landesnervenklinik Mauer über Sohn A..
Videokassette über Brand des Hauses und Interview mit der Antragstellerin.
Verfügung: Die Einvernahme wird an dieser Stelle unterbrochen, um die Videokassette anzuschauen. (09.20 Uhr)
Fortsetzung: 09.45 Uhr.
Anmerkung: Auf der Videokassette wird ein Interview mit der Antragstellerin gezeigt, wo Sie in russischer Sprache berichtet, dass sie in der Nacht von zwei Explosionen wach geworden ist. Sie sah aus dem Fenster und sah einen Brand im Hof. Sie weckte Ihren Mann und berichtete ihm über das Feuer. Sie sagt, dass zwei Steine durchs Fenster geflogen sind. Einer davon in die Küche. Sie berichtet darüber, dass sie die Kinder aus dem Fenster gezogen und zum Nachbarn gebracht haben.
Der Kommentator berichtet, dass der Brand im Hof und in einem Schuppen, wo Fahrzeuge geparkt waren, war. Die Feuerwehr war vor Ort, konnte aber nichts mehr retten. Es wären Gaskartuschen gefunden worden und dass es die Absicht der Täter gewesen wäre, die Leute nur zu erschrecken und auf keinen Fall die Personen umzubringen. Weiters, dass dies keine Möglichkeit zur Lösung von Konflikten wäre.
Im Bericht sind die Löscharbeiten durch Feuerwehrmänner zu sehen. Es werden verbrannte Fahrzeuge gezeigt. Außerdem zeigte man Gaskartuschen und eingeschlagene Fensterscheiben. Die Miliz ist bei Ermittlungen vor Ort zu sehen.
Anmerkung: Videokassette wird nach Einsichtnahme zurückgegeben.
F: Wie geht es Ihnen? Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, die Vernehmung in Ihrem Asylverfahren zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durchzuführen?
A: Ja, ich bin dazu in der Lage. Ich habe derzeit keine physischen oder psychischen Probleme. Sonst habe ich Herzprobleme.
F: Wie ist die Verständigung mit der hier anwesenden Dolmetscherin?
A: Mit der Dolmetscherin kann ich mich einwandfrei verständigen. Sprachliche Probleme oder Verständigungsschwierigkeiten liegen keine vor.
F: Gibt es für Sie gegen die hier anwesende Dolmetscherin irgendwelche Einwände?
A: Nein, ich habe keine Einwände.
Vermerk: Der Vertreter der ASt. RA Dr. KAPFERER ist bei der Einvernahme nicht anwesend.
Feststellung: Sie wurden bereits am 28.06. und am 01.07.2005 in St. Georgen zu Ihrem Asylantrag einvernommen. Können Sie sich an Ihre damaligen Angaben erinnern?
A: Im Großen und Ganzen ja.
F: Waren Ihre damals gemachten Angaben vollständig und entsprechen diese der Wahrheit?
A: Ja. Ich habe beim zweiten Interview noch Korrekturen und Ergänzungen vorgenommen.
ERGÄNZENDE EINVERNAHME
Ich bin in Kiew geboren und dort bei meinen Eltern aufgewachsen. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich ca. 19 Jahre alt war. Mein Vater ist Kühlanlagenmonteur bei einer privaten Firma. Meine Mutter ist selbständig und handelt mit Kosmetika. Ich habe 1996 beim Standesamt in Kiew meinen Mann geheiratet. Ich habe zusammen mit ihm zwei Söhne. Zuletzt arbeitete ich von 2002 bis ca. Juni 2004 im Ministerium in Kiew. Nach dem Brand unseres Hauses wohnten wir bei einem Freund in K.. Dann kehrten wir nach Kiew in unser Haus zurück. Nach der Ausreise meines Gatten zog ich zu meiner Mutter, wo ich bis zur Ausreise wohnte.
Angaben zum Fluchtweg:
F: Wann haben Sie sich entschlossen die Heimat zu verlassen?
A: Nachdem ich ca. im Mai 2004 gekündigt wurde, habe ich mich endgültig entschlossen die Heimat zu verlassen.
F: Können Sie sich an Ihre Angaben zum Reiseweg, die Sie in St. Georgen gemacht haben, erinnern?
A: Ja.
F: Sind diese vollständig und entsprechen diese der Wahrheit?
A: Ja.
F: Haben Sie zum Reiseweg noch etwas zu sagen?
A: Nein.
F: Mit welchem Dokument sind Sie gereist?
A: Ich reiste mit meinem eigenen unverfälschten Reisepass zusammen mit meinen Söhnen nach Ungarn ein. Ich reiste legal nach Ungarn ein, weil ich ein Visum für Ungarn hatte. In Ungarn stellten wir einen Asylantrag, der aber abgelehnt wurde.
F: Haben Sie in einem anderen Land schon einmal einen Asylantrag gestellt?
A: Ja, in Ungarn.
F: Haben Sie zu Hause noch Personaldokumente?
A: Nein. Mein Reisepass wurde mir in Ungarn gestohlen. Mein Inlandspass befindet sich bei den ungarischen Behörden.
F: Warum sind Sie ausgerechnet nach Österreich gereist?
A: Weil es das Nachbarland von Ungarn war und wir es zu Fuß leicht erreichen konnten.
Angaben zum Fluchtgrund:
F: Sind Sie in Ihrer Heimat oder in einem anderen Land vorbestraft?
A: Nein, weder noch.
F: Werden Sie in der Heimat von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht?
A: Nein.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals von der Polizei angehalten, festgenommen oder verhaftet?
A: Nein.
F: Hatten Sie in Ihrer Heimat Probleme mit den Behörden?
A: Nein.
F: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?
A: Nein.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Rasse verfolgt?
A: Nein.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Religion verfolgt?
A: Nein.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt?
A: Nein.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt?
A: Nein.
F: Was war der konkrete Grund, warum Sie die Heimat verlassen haben? Erzählen Sie bitte über die Sie persönlich betreffenden Ereignisse in möglichst chronologischer Reihenfolge.
A: Alles hat damit angefangen, dass mein Mann im Dezember 2002 Mitarbeiter der Firma XY geworden ist. Die Firma war damit beauftragt eine Werbekampagne für die Partei "Unsere Ukraine" für die kommenden Präsidentschaftswahlen zu machen. Sie sollten für JUSCHTSCHENKO Werbung machen. Die Geldgeber der Firma waren der Bürgermeister von Kiew, OMELTSCHENKO und andere Parteifunktionäre.
2003 hörte ich eine Explosion im Hof vor unserem Fenster. Dann hörte ich, wie das Küchenfenster zerbrach. Ich sah aus dem Fenster und sah, wie der Schuppen vor unserem Haus brannte. Außerdem sah ich, wie drei Männer, die ich nicht erkennen konnte, Flaschen auf den Schuppen warfen. Zwei liefen weg und einer blieb noch. Ich weckte meinen Mann und sagte ihm, dass er brennt. Mein Mann rannte aus dem Haus und wollte dem Mann nachlaufen, konnte ihn aber nicht erwischen. Wir wollten die Feuerwehr rufen, aber die Telefonleitung war durchgeschnitten. Ich zog meine beiden Kinder aus dem Küchenfenster und brachte sie zur meiner Nachbarin. Unser Haus und das Nachbarhaus fingen Feuer. Mein Cousin wollte noch seine Fahrzeuge aus der brennenden Garage zu retten. Dabei erlitt er 50 %-ige Hautverbrennungen. Dann kam die Feuerwehr und versuchte zu retten, was noch zu retten war. Unser Schuppen brannte total ab. Unser Haus wurde stark beschädigt. Die Garage meines Cousins brannte vollkommen ab und sein Haus wurde durch den Brand auch beschädigt. Es kamen dann auch die Miliz und ein Brandexperte der Feuerwehr. Die Miliz und der Brandexperte führten Ermittlungen durch. Der Brandexperte stellte fest, dass es sich um Brandstiftung handelte. Die Miliz nahm alles ordnungsgemäß auf. Es wurde mit mir, meinem Mann und meiner Schwester ein Protokoll aufgenommen. Dann wurden von der Miliz Ermittlungen durchgeführt und eine Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Wir bekamen dann eine Verständigung, dass das Verfahren eingestellt wird, weil die Täter nicht ausgemittelt werden konnten.
Ca. ein bis zwei Monate nach dem Brand wurden meine Schwester und Ihr Mann auf offener Straße in der Nähe unseres Hauses von unbekannten Personen zusammengeschlagen. Sie zeigten den Vorfall bei der Miliz an. Alles wurde ordnungsgemäß aufgenommen und sie wurden niederschriftlich zum Vorfall befragt. Dann wurde ein Strafverfahren gegen unbekannte Täter eröffnet. Die Täter konnten aber nicht ausgemittelt werden und das Verfahren wurde eingestellt.
Vermutlich im März 2004 hörte mein Mann dann auf für die Firma zu arbeiten, weil er von unbekannten Personen aufgefordert worden war, Geld der Firma auf ein Konto zu überweisen und telefonisch bedroht wurde. Sofort danach flüchtete er nach Ungarn. Ihm wurde vorgeworfen, dass er Steuern hinterzogen hätte. Das stimmt aber nicht.
Drei Tage nachdem mein Mann nach Ungarn geflüchtet war, kam die Miliz zu uns. Sie wollten mit meinem Mann sprechen. Ich sagte, dass er nicht zu Hause wäre und dass ich nicht wüsste, wo er sei. Sie sagten, dass ich ihm ausrichten solle, dass er zu ihnen auf die Dienststelle kommen soll. Dann fuhren sie weg.
Ich wurde dann drei oder vier Mal von unbekannten Personen angerufen, die sich nach dem Aufenthaltsort meines Mannes erkundigt haben.
Zwei Wochen nachdem die Miliz bei mir war, kamen zwei Männer in Zivilkleidung zu meiner Großmutter und wiesen sich als Zivilbeamte der Miliz aus. Sie erkundigten sich nach dem Aufenthaltsort meines Gatten. Sie hinterließen ihre Visitenkarten und sagten, dass sich mein Mann bei ihnen melden soll, wenn er nach Hause kommt.
Ca. im Mai 2004 kam ein Mann in unseren Garten, der einen Hund dabei hatte. Meine Kinder waren im Garten beim Spielen. Der Mann ließ den Hund von der Leine und der Hund begann meine Kinder anzufallen. Er biss A. in den Fuß. Ich lief in den Garten und versuchte den Hund zu vertreiben. Außerdem schrie ich den unbekannten Mann in Zivilkleidung an, dass er seinen Hund zurückrufen soll. Er stand nur da, lächelte und wartete. Ich schaffte es den Hund zu vertreiben und brachte die Kinder ins Haus. Ich rief sofort die Miliz an und erstattete Anzeige übe den Vorfall. Bis die Miliz kam, war der Mann verschwunden. Der Dienststellenkommandant sagte, dass er keine weitere Anzeige mehr aufnehmen wird, weil schon zwei Strafverfahren gegen Unbekannte anhängig wären. Er schickte seine Beamten weg und er ging auch. Er hat auch noch gesagt, dass er genug von uns und unseren Problemen hätte, weil wir dauernd auf der Dienststelle wären. Er würde keine weitere Anzeige mehr aufnehmen.
Vermutlich im Juni 2004 wurde ich dann bei meiner Arbeitsstelle gekündigt. Es war die Zeit vor den Präsidentschaftswahlen. Mein Vorgesetzter kam zu mir. Er sammelte Stimmen für JANUKOVITSCH und ich sollte ein Papier für JANUKOVITSCH unterschreiben. Er sagte, dass ich dann nicht mehr zur Wahl gehen müsste. Wobei es sich bei dem Papier genau gehandelt hat, weiß ich nicht. Ich habe unterschrieben, dass ich für JUSCHTSCHENKO bin und forderte die anderen Mitarbeiter auf, dass sie sich nicht unter Druck setzen lassen sollen und für den unterschreiben sollen, für den sie sind. Mein Vorgesetzter sagte dann, dass ich die Disziplin in der Abteilung untergraben würde und dass er mich deshalb entlassen müsste. Er sagte, dass er einen Grund finden würde, um mich zu kündigen, wenn ich nicht selbst kündigen würde. Daraufhin habe ich dann gekündigt. Ich beantragte dann meinen Auslandsreisepass, den ich auch bekam und bereitete unsere Ausreise nach Ungarn vor. Während dieser Zeit begannen meine Herzprobleme. Ich war sehr nervös und besorgt. Meine Kinder, besonders A., waren verstört und ich machte mir Sorgen um sie. Anfang September 2004 bekam ich meinen Reisepass. Ich wurde bei der Ausreise aus der Ukraine und bei der Einreise nach Ungarn von den Grenzbeamten kontrolliert. Das ist alles.
F: Haben Sie zum Fluchtgrund sonst noch etwas zu sagen?
A: Nein, ich habe alles gesagt.
F: Haben Sie sich über das Verhalten Ihres Vorgesetzten bei dessen Vorgesetzten oder dem Leiter Ihrer Abteilung im Ministerium beschwert?
A: Ich habe mich beim Kurator im Ministerium schriftlich beschwert. Dieser erklärte mir, dass ich meinem Vorgesetzten gehorchen müsse und er mir nicht helfen könnte.
F: Haben Sie sich über das Verhalten des Dienststellenkommandanten bei dessen Vorgesetzten oder bei der Staatsanwaltschaft beschwert?
A: Nein.
F: Warum nicht?
A: Weil der Kommandant gesagt hat, dass wir keinen weiteren Staub aufwirbeln sollten, das uns sonst wirklich noch etwas passieren könnte. Ich hatte deswegen Angst und habe von einer Beschwerde abgesehen.
F: Haben Sie sich in Ihrer Heimat wegen Ihrer Herzprobleme behandeln lassen?
A: Ja. Ich wurde in ein Krankenhaus in Kiew gebracht und wurde dort stationär aufgenommen. Ich war eine Woche im Krankenhaus und wurde dort gründlich untersucht. Bei mir wurde ein Blutdruckabfall, Atemnot und unregelmäßiger Puls festgestellt. Es bestand die Gefahr, dass ich die Zunge verschlucke. Ich wurde medikamentös behandelt. Die Medikamente halfen mir. Ich wurde aus dem Krankenhaus entlassen und bekam Medikamente verschrieben, die ich im Bedarfsfall einnahm. Das habe ich gemacht und das hat mir sehr geholfen.
F: Waren Sie in Ungarn wegen Ihrer Probleme in Behandlung?
A: Ja. Ich hatte zwar meine eigenen Medikamente aus der Ukraine dabei. Ich bekam dort aber andere Medikamente, weil meine Medikamente den Ärzten nicht bekannt waren. Ich habe dann die ungarischen Medikamente genommen, die mir auch geholfen haben.
F: Waren oder sind Sie in Österreich in Behandlung?
A: Ich wurde von Dr. H. untersucht. Er sagte, dass etwas mit der Herzklappe nicht in Ordnung sei. Ich bekam von ihm Medikamente, die mir helfen. Jetzt bin ich bei Dr. B. in Z.. Auch seine Medikamente helfen mir.
F: Waren Sie jemals in psychiatrischer Behandlung?
A: Ja. Ich wurde von einer Fachärztin für Psychiatrie untersucht. Sie stellte fest, dass meine Probleme nicht psychisch sind, sondern mit meiner Herzkrankheit zusammenhängen. Deshalb wurde ich zu Dr. H. überwiesen.
F: Haben Sie einen Ihrer Söhne in der Heimat von einem Psychiater untersuchen lassen?
A: Ja. Ich war mit A. bei einem Psychiater in Kiew. Der stellte fest, dass mein Sohn A. unter Angstzuständen leidet. Er bekam Antidepressiva verschrieben. Er hat die Medikamente genommen und sie haben ihm geholfen. In Ungarn bekam er dann ungarische Medikamente verschrieben, weil sie die ukrainischen nicht kannten. Er nahm dann die ungarischen Medikamente, die ihm auch halfen.
F: Stand oder steht Ihr Sohn A. in Österreich in psychiatrischer Behandlung?
A: Ja. Er wurde im Krankenhaus in Vöcklabruck untersucht. Von dort wurde er in die Christian Dopplerklinik nach Salzburg überwiesen. Das ist eine Spezialklinik. Der behandelnde Arzt sagte, dass er eine Spieltherapie benötigt. Er bekam auch Medikamente verschrieben, die er einnimmt und die ihm helfen.
F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten?
A: Ich habe Angst, dass ich und meine Familie von den Anhängern von JANUKOVITSCH umgebracht werden könnten.
F: Warum sollten Sie von den Anhängern von JANUKOVITSCH umgebracht werden?
A: Weil er jetzt Premierminister ist und mein Mann auf der Seite von JUSCHTSCHENKO war.
F: Wurden Sie oder Ihr Gatte jemals persönlich von Anhängern von JANUKOVITSCH aufgesucht, bedroht oder hatten sie mit diesen persönlichen Kontakt?
A: Ich persönlich wurde nicht bedroht und hatte auch niemals Kontakt zu ihnen. Ob mein Mann persönlichen Kontakt hatte und von diesen bedroht wurde, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass die Drohungen in Zusammenhang mit den politischen Tätigkeiten meines Mannes standen. Aus diesem Grund vermuten wir, dass es sich bei den Anrufern etc. um Leute von JANUKOVITSCH gehandelt hat. Beweise dafür haben wir aber keine.
F: Warum sind Sie nicht in eine andere Stadt oder in einen anderen Landesteil gezogen?
A: Weil an jedem anderen Ort genauso schutzlos gewesen wären, wie zu Hause.
F: Wie können Sie das behaupten? Die Miliz ist nach Ihren Anzeigeerstattungen immer gekommen und hat sowohl beim Brand als auch bei der Körperverletzung Ihrer Schwester die Ermittlungen aufgenommen und ein Verfahren eingeleitet.
A: Die Miliz ist zwar gekommen, aber es wurden keine Täter ausgeforscht.
F: Haben Ihre beiden Söhne außer dem Vorfall mit Hund noch andere eigene Fluchtgründe?
A: Nein.
F: Haben Sie jemals an einer Demonstration teilgenommen?
A: Ja, ich war vermutlich im Winter 2004 mit meinem Mann bei einer Demonstration gegen KUTSCHMA.
F: Warum haben Sei das nicht erzählt?
A: Weil es nicht wichtig ist und nichts weiter passiert ist. Es war einfach eine Demonstration wie viele andere auch.
F: Sind Sie seit Ihrer Einreise nach Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen?
A: Nein.
F: Wovon leben Sie in Österreich?
A: Wir bekommen Sozialunterstützung von Österreich.
F: Haben Sie irgendwelche nahen Bindungen zu Österreich?
A: Nein.
F: Haben Sie nahe Verwandte oder Familienangehörige in Österreich?
A: Nein, nur meine Familie.
F: Die Befragung wird hiermit beendet. Wollen Sie sonst noch etwas vorbringen, was Ihnen von Bedeutung erscheint?
A: Nein, ich habe alles gesagt.
F: In Ihrem Akt liegen noch ungarische Asylausweise von Ihnen und Ihren Kindern ein. Was soll mit diesem passieren? Sollen Sie im Akt verbleiben oder wollen Sie sie ausgehändigt bekommen?
A: Ich will, dass die Asylkarten im Akt bleiben.
Erklärung: Ihnen wird die mit Ihnen aufgenommene Niederschrift von der Dolmetscherin rückübersetzt. Sie können im Anschluss daran Korrekturen oder Ergänzungen machen oder Rückfragen stellen, wenn Ihnen etwas nicht klar und verständlich erscheint. Mit Ihrer Unterschrift bestätigten Sie, dass Ihre Angaben hier inhaltlich richtig und vollständig wiedergegeben wurden. Sie werden abschließend darauf aufmerksam gemacht, dass Sie verpflichtet sind, jede Änderung Ihrer Adresse dem Bundesasylamt unverzüglich mitzuteilen. Sollte keine Abgabestelle bekannt sein, wird der Bescheid hier im Amt durch Hinterlegung im Akt zugestellt. Die Hinterlegung der Entscheidung wird an der Amtstafel vor dem Eingang zu diesem Amt öffentlich kundgemacht. Sie werden ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass für diesen Fall die Hinterlegung als rechtmäßige Zustellung des Bescheides gilt und dass ab diesem Tag auch die Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt. Im Falle einer Vertretung wird der Bescheid Ihrem Vertreter übermittelt. Ist Ihnen das verständlich?
A: Ja.
F: Möchten Sie zum bisherigen Vorbringen noch etwas sagen, was Ihnen wichtig ist und das Sie bisher nicht gesagt haben?
A: Ich habe bereits alles vorgebracht, ich habe sonst nichts mehr zu sagen.
F: Hatten Sie während dieser Befragung irgendwelche Probleme?
A: Am Anfang war ich nervös. Dann habe ich mich selbst beruhigt und hatte keine Probleme.
F: Haben Sie alles verstanden bzw. konnten Sie der Vernehmung ohne Probleme folgen?
A: Ja, ich habe alles verstanden und konnte der Vernehmung ohne Probleme folgen.
F: Haben Sie die Dolmetscherin einwandfrei verstehen können?
A: Ja, ich konnte die Dolmetscherin sehr gut verstehen und habe alles verstanden.
F: Wollen Sie abschließend etwas sagen?
A: Ich hoffe, dass Sie (gemeint den Einvernehmenden) meinen Asylantrag objektiv prüfen und beurteilen werden. Ich danke Ihnen und der Dolmetscherin für die Geduld bei der Einvernahme.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.10.2006, ZI 05 09.105-BAI, wurde unter Spruchteil I. der Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen und unter Spruchteil II. die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in die Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ausgesprochen und unter Spruchteil III. die Antragstellerin aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß § 8 Abs. 2 AsylG in die Ukraine ausgewiesen.
In der Begründung des Bescheides wurden sämtliche - hinsichtlich der Fluchtgründe - bereits vollinhaltlich wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und auch festgehalten, dass die Beschwerdeführerin zahlreiche Beweismittel, insbesondere einen ukrainischen Inlandsreisepass, eine Videokassette mit einem Interview der Antragstellerin hinsichtlich des Brands, eine Mitteilung über Eröffnung eines Strafverfahrens gegen Unbekannte wegen Brandstiftung etc., vorgelegt hat. In der Folge wurden Sachverhaltsfeststellungen zur Ukraine getroffen und die Quellen hiefür angeführt.
Beweiswürdigend wurde in der Folge festgestellt, dass der Antragsstellerin hinsichtlich des Brandes ihres Haus und der Suche nach ihrem Gatten durch Beamten wegen des Verdachts auf Steuerschulden geglaubt wurde, ebenso dass sie aus disziplinären Gründen wegen der Verweigerung einer Unterschrift für Janukovitsch entlassen worden sei.
Nicht glaubhaft sei jedoch, dass die Polizei die letzte Anzeige hinsichtlich des Hundebisses nicht entgegen genommen habe, zumal aus den vorgelegten Beweismitteln eindeutig hervorgehe, dass die Anzeige über die Brandstiftung als auch die Körperverletzung an ihrer Schwester und deren Gatten aufgenommen und bearbeitet wurden und es daher absolut unplausibel sei, dass die letzte Anzeige nicht entgegen genommen werden sollte. Die Rückkehrbefürchtungen hätten den vom Gesetz geforderten Glaubhaftigkeitsanspruch nicht gerecht werden können. Letztlich deute der Umstand, dass sie in der Ukraine hinsichtlich ihrer Herzbeschwerden erfolgreich behandelt worden sei, darauf hin, dass die Antragstellerin an keiner schweren Krankheit leide. Vielmehr sei bei der fachärztlichen Untersuchung festgestellt worden, dass die gesundheitlichen Probleme der Asylwerberin in Zusammenhang mit ihrer Herzkrankheit, nicht jedoch mit einer psychischen Krankheit, stehen würden. Die Antragstellerin habe versucht, mit allen erdenklichen Mitteln ihre Geschichte zu unterstützen und auszuschmücken und ihre Asylbegründung "optimiert". Sie hätte jedoch bereits in Ungarn Schutz vor Verfolgung finden können.
Rechtlich begründend wurde zunächst festgehalten, dass es sich im vorliegenden Fall um ein Familienverfahren nach § 10 AsylG handle.
Zu Spruchteil I. wurde nach Darlegung der Bezug habenden Rechtslage und Judikatur insbesondere ausgeführt, dass den Länderfeststellungen nach die staatlichen Behörden in der Ukraine wohl in der Lage als auch willens seien, Staatsbürgern Schutz vor Verfolgung durch Privatpersonen zu gewähren. Unabhängig von der Glaubwürdigkeit sei zu der Anzeige über den Hundebiss zu bemerken, dass isolierte Einzelhandlungen durch Behördenorgane dem Herkunftsstaat nur dann zurechenbar seien, wenn dieser keine Maßnahmen ergreife bzw in der Lage sei diese hinanzuhalten. Sollte es tatsächlich zu dem geschilderten Vorfall gekommen sein, würde dieser ein schwerwiegendes strafrechtliches Delikt darstellen, welches für die Ukraine nicht vorhersehbar und daher ex ante auch nicht verhinderbar sei. Es sei auch nicht behauptet worden, noch im Einklang mit den Länderfeststellungen feststellbar gewesen, dass ihr eine asylrelevante Verfolgung im gesamten Heimatstaat drohe. Pro futuro sei jedenfalls davon auszugehen, dass die ukrainischen Behörden schutzwillig und schutzfähig seien.
Selbst wenn man von einer politisch motivierten Entlassung der Antragstellerin ausgehen wollte, würde dies noch keine Verfolgung iSd GFK bedeuten, zumal die Asylwerberin nicht dargelegt habe, dass es sich dabei um eine staatlich gelenkte bzw. geduldete Maßnahme gehandelt habe.
Zu den angeblichen Verletzungen von Verwandten, die auf der Straße zusammengeschlagen wurden bzw. beim Brand verletzt worden seien, müsse festgestellt werden, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgestellt habe, dass in einem Verfahren nur solche Umstände Berücksichtigung finden könnten, die die Person des Asylwerbers unmittelbar betreffen.
Zu Spruchteil II wurde - jedenfalls nach Darlegung der Bezug habenden Rechtslage und Judikatur - festgehalten, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation im Sinne des § 57 Abs. 2 FrG bereits unter Spruchteil I. geprüft und verneint worden sei und die Antragstellerin überdies nicht glaubhaft darstellen habe können, dass ihr bei einem Verbleib in der Ukraine die Lebensgrundlage entzogen wäre und ihr somit ein weiterer Verbleib unzumutbar wäre. Des Weiteren sei darauf zu verweisen, dass nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Erkrankung eines Fremden eine besondere Schwere erreichen müsse (wie etwa Aids im letzten Stadium), um eine Außerlandesschaffung als Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen. Das Bundesasylamt vertrete daher die Auffassung, dass sich für die Antragstellerin gegenwärtig kein Abschiebungshindernis in die Ukraine ergebe, weil auch eine landesweite allgemeine extreme Gefährdungslage, in der jeder Asylwerber im Falle seiner Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde, nicht gegeben sei.
Auch zu Spruchteil III. wurde die Bezug habende Rechtslage und Judikatur festgehalten und in der Folge ausgeführt, dass kein Familienbezug (Kernfamilie) zu einem dauernd aufenthaltsberechtigen Fremden in Österreich vorliege und die Ausweisung daher keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle und ihre unmittelbaren Familienangehörigen ebenso wie sie Asylwerber seien. Zur Beendigung des rechtswidrigen Aufenthaltes der Antragstellerin sei somit mit der Maßnahme der Ausweisung vorzugehen, zumal auch keine Ausreisewidrigkeit vorliege.
Gegen diesen Bescheid erhob die Asylwerberin (gemeinsam mit ihren Familienangehörigen), vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Martin DELLASEGA und Dr. Max KAPFERER Berufung. In dieser wurde zunächst unter dem Punkt "Mangelhaftigkeit des Verfahrens" kritisiert, dass das Bundesasylamt fast dem gesamten Vorbringen der Beschwerdeführerin die Glaubwürdigkeit zuspreche, jedoch gerade nicht den letzten paar Prozent, die zur Asylgewährung geführt hätten. Die Beschwerdeführer hätten in insgesamt acht Einvernahmen ihre Fluchtgründe dargelegt, diese hätte die Behörde lediglich zB durch einen Vertrauensanwalt überprüfen müssen oder ein individuelles Ländergutachten einholen sollen. Hätte sie derartige Beweise aufgenommen, wäre sie ohne Zweifel zu einem für die Berufungswerberin günstigeren Ergebnis gelangt. Außerdem habe das Bundesasylamt gar nicht ermittelt, ob die staatlichen ukrainischen Behörden in der Lage wären, die Beschwerdeführerin zu schützen und ob diese nicht bei einer Rückkehr in eine unzumutbare Notlage geraten würde.
Die (damalige) Berufungsbehörde, der Unabhängige Bundesasylsenat, beraumte eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung für den 23.05.2008 an, welche mit jener des Gatten und der beiden Kinder der Beschwerdeführerin im Familienverfahren verbunden wurden. Die Beschwerdeführerin gab über Befragen durch den Verhandlungsleiter (ihr Vertreter erschien nicht zur Verhandlung) Folgendes an:
VL: Welcher Volksgruppe und Religion gehören Sie an?
BW2: Ukrainerin, Christin und orthodox.
VL: Wo sind Sie geboren?
BW2: Ukraine/Kiew.
VL: Wo lebten Sie im Laufe Ihres Lebens?
BW2: In Kiew. Vor meiner Ausreise lebte ich immer in Kiew. Wir haben einige Zeit nach dem Brand in K. gelebt. Für uns war es zu gefährlich in Kiew.
VL: Welche schulische oder sonstige Ausbildung erhielten Sie?
BW2: Ich schloss die Grundschule ab. Ich besuchte dann 2 Jahre lang ein Technikum. Ich schloss daran ein Universitätsstudium an. Ich studierte Handel und Wirtschaft. Das Studium schloss ich ab.
VL: Welche berufliche Tätigkeit übten Sie aus von wann bis wann?
BW2: Ich habe im Wirtschaftsbereich gearbeitet und zwar im Ministerium. Vor dem Ministerium arbeitete ich auch als Buchhalterin in einer Firma.
VL: Hatten Sie bei Ihrer letzten beruflichen Tätigkeit im Ministerium Probleme?
BW2: Ja.
VL: Welche konkret?
BW2: Damals agitierte man uns, für Janukowitsch zu stimmen. Der Leiter gab uns auch die entsprechenden Papiere, die wir unterschreiben sollten. Es ging um die Präsidenten-Wahlen. Er zwang uns, das zu unterschreiben, ich sagte, dass das nicht richtig ist. Damals machte er mir Probleme. Er sagte, dass ich auf eigenen Wunsch kündigen kann, wenn ich damit nicht einverstanden bin. Er sagte, dass er mein Vorgesetzter ist und ich das zu tun habe, was er von mir verlangt.
VL: Kündigten Sie dann auf eigenen Wunsch?
BW2: Ja. Die Bedingungen, die dann geschaffen wurden, waren nicht aushaltbar.
VL: Wann war das?
BW2: Ich kann das nicht mehr genau sagen. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wann das war.
VL: Haben Sie sich selbst politisch betätigt in der Ukraine?
BW2: Ich persönlich nicht, aber mein Mann. Damit hat sich mein Mann beschäftigt.
VL: Hatten Sie wegen der politischen Betätigung Ihres Mannes selbst mit Behördenorganen in der Ukraine Probleme?
BW2: Ja. Unser Leben war in Gefahr. Unsere Familie wurde verfolgt.