TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/13 S2 400893-1/2008

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Veröffentlicht am 13.08.2008
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Spruch

S2 400.893-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer- Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde des S.A., geb. 00.00.1980 alias 00.00.1977, StA: Irak alias Marokko, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.07.2008, Zahl 08 01.604, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1 iVm 10 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. 1. Der Beschwerdeführer, zuletzt angegebene StA: Marokko, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 14.02.2008 bei der Erstaufnahmestelle Ost unter der Identität "S.A., StA.: Irak, 00.00..1980 geb." einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab er an, er sei Staatangehöriger des Irak, und habe in Basra gelebt, habe den Herkunftsstaat etwa Ende Oktober 2007 verlassen und sei - in näher dargestellter Weise - über die Türkei nach Frankreich gereist.

 

Die Erstbehörde richtete aufgrund dieser Angaben Informationsersuchen nach Art 21 Dublin II-VO an Deutschland (AS 25f), Italien (AS 31f) sowie Frankreich (AS 43) und teilte dies dem Beschwerdeführer am 21.02.2008 mit (AS 49), wobei in Deutschland bzw. Frankreich keine Informationen über den Beschwerdeführer vorlagen. Hingegen teilte Italien mit Schreiben vom 08.04.2008 mit, dass der Beschwerdeführer dort unter der Identität "B.H., 00.00.1977 geb." erkennungsdienstlich behandelt worden sei (AS 73 des "Dublin-Aktes").

 

Am 10.04.2008 leitete das Bundesasylamt ein auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO gestütztes Aufnahmeverfahren mit Italien ein (AS 53f), das diesbezügliche Aufnahmeersuchen blieb indes - jedenfalls bis 13.06.2008 (AS 93) - unbeantwortet.

 

Im Verlauf einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25.06.2008 (AS 107 ff) bestätigte der Beschwerdeführer zunächst die Angaben aus der Erstbefragung und machte ergänzend zusammengefasst folgende Angaben: Er sei von Mailand deshalb weiter nach Österreich gereist, weil ihm dort sein Geld gestohlen worden und er daher frustriert gewesen sei. Er habe daher nicht mehr in diesem Land bleiben wollen. Dort gebe es Rassismus. Zu konkreten ihn betreffenden Vorfällen befragt führte er aus, während der zwei Jahre, die er dort gewesen sei, habe er 16 Stunden (auf einem Campingplatz) gearbeitet und weniger verdient, als der Italiener, der dort nur sechs Stunden gearbeitet habe. Er habe in Italien "schwarz" gearbeitet und deshalb eine andere Identität angegeben, um nicht in den Irak abgeschoben zu werden. Er habe versucht, sich in Italien zu integrieren.

 

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II-VO"), Italien zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien zulässig sei.

 

Begründend wurde hervorgehoben, dass der Antragsteller keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er tatsächlich Gefahr liefe, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder ihm eine Verletzung der in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Der Asylwerber leide weder an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Krankheit, noch an einer psychischen Erkrankung. Der Bescheid enthält eine ausführliche Darstellung zur Lage in Italien, zum Asylverfahren sowie zur Versorgung von Asylwerbern.

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, die samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt am 07.08.2008 beim Asylgerichtshof einlangte. Darin wird nunmehr vorgebracht, der Beschwerdeführer sei in Wahrheit marokkanischer Staatsangehöriger und Christ, könne sein Christentum aber nicht leben. Er sei nicht der Arbeit willen, sondern deshalb nach Europa geflüchtet, um sich "vom Druck und Zwang" zu lösen, seine Eltern seien Moslems. Er habe geglaubt, in Italien zu leben sei die Lösung, doch habe er wieder moslemische Verbrecher getroffen, die seine Familie über seinen neuen Glauben in Kenntnis gesetzt hätten. Nachdem sein Vater drei Jahre lang keinen telefonischen Kontakt mit dem Beschwerdeführer mehr gewollt hätte, und ihn mit dem Abhacken der Hände gedroht habe, falls er nicht faste, sei er von Italien nach Österreich geflohen und habe sich daher veranlasst gesehen, seine Identität zu ändern.

 

Mit ergänzendem Schriftsatz vom 8.8.2008 übermittelte der Beschwerdeführer einen Kurzartikel von PRO ASYL, in dem auf die schlechte Behandlung von Flüchtlingen in Süditalien (Sizilien) hingewiesen wird (OZ 2).

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der Beschwerdeführer reiste in die EU illegal über Italien ein und wurde dort am 14.01.2008 erkennungsdienstlich behandelt. Von dort reiste er illegal in das österreichische Bundesgebiet weiter, wo er am 14.02.2008 den gegenständlichen. Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten im österreichischen Bundesgebiet.

 

Das auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO gestützte Aufnahmeersuchen Österreichs an Italien vom 10.04.2008 blieb unbeantwortet.

 

2. Die Feststellungen zum Reiseweg des Beschwerdeführers und seinen persönlichen Verhältnissen ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers iZm der Information Italiens vom 08.04.2008, die illegale Einreise in die EU im Wege Italiens wurde vom Beschwerdeführer nicht bestritten.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Mit 01.01.2006 ist das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge idgF anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz im Februar 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 zur Anwendung gelangt.

 

3.2. Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

a) Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.

 

Art. 10 Abs. 1 Dublin II-Verordnung lautet: "Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."

 

Art. 18 lautet (sofern entscheidungswesentlich):

 

"(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde.

 

......

 

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen."

 

Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, wonach der Beschwerdeführer aus einem Drittstaat kommend illegal die Grenze Italiens überschritten hat, wo er am 14.01.2008 erkennungsdienstlich behandelt wurde, er von dort weiter nach Österreich gereist ist, und er auch keine "Familienangehörigen" (iSd Art 7 iVm Art 2 lit i Dublin II-VO) in Österreich hat, kommt nach der Rangfolge der Kriterien der Dublin II-VO deren Art 10 Abs. 1 als zuständigkeitsbegründende Norm in Betracht. Durch die Nichtbeantwortung des entsprechenden Aufnahmeersuchens durch Italien ist auch davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wurde.

 

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist im übrigen im Verfahren nicht bestritten worden.

 

b) Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II-VO).

 

Des Weiteren hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile"- Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen. Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären. Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

aa) Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK: Es leben keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Österreich. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11). Dies wurde auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet.

 

14.01.2008 erkennungsdienstlich behandelt

 

bb) Mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK: Der Beschwerdeführer behauptete in seiner Einvernahme lediglich, er sei aus Italien weggegangen, weil es dort Rassismus gebe, er mehr arbeiten habe müssen und weniger bezahlt bekommen hätte als ein Italiener in vergleichbarer Stellung und weiters, dass er bestohlen worden sei, was ihn frustriert habe. In seiner Beschwerde führt er nunmehr erstmals aus, sein Vater bedrohe ihn wegen seiner Konversion zum Christentum.

 

Zu ersteren Argumenten ist auszuführen, dass den angeführten Umständen schon die erforderliche Eingriffsintensität fehlt, um als Gefährdung iSd Art 3 EMRK qualifiziert werden zu können. Dem letzterem Vorbringen ist zu entgegnen, dass es - abgesehen davon, dass es sich um eine unzulässige Neuerung im Verfahren vor dem Asylgerichtshof handelt (§ 40 AsylG) - nicht nachvollziehbar eine konkrete Gefährdung des Beschwerdeführers aufzeigt, gibt er doch an, sein Vater habe drei Jahre lang den telefonischen Kontakt verweigert. Dies spricht keinesfalls für eine konkrete Bedrohung durch den Vater, vielmehr ist - bei Zutreffen des Vorbringens - erkennbar, dass der Vater mit dem Beschwerdeführer gar nichts mehr zu tun haben will.

 

Auch der Hinweis darauf, dass Flüchtlinge in Sizilien nicht gut behandelt werden, reicht in dieser Allgemeinheit nicht aus, ein "real risk" des Beschwerdeführers für den Fall seiner Überstellung nach Italien aufzuzeigen.

 

Zusammengefasst stellt daher eine strikte Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs und die damit verbundene Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien keinesfalls ein "real risk" einer Verletzung des Art. 3 EMRK oder des Art. 8 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO dar.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. war daher abzuweisen.

 

3.3. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers nach Italien (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Zu diesem Spruchpunkt sind im Beschwerdefall keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich, zumal weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch der Beschwerdeführer in Österreich über Verwandte verfügt. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG zu sehen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Schlagworte
Ausweisung, Neuerungsverbot, real risk
Zuletzt aktualisiert am
14.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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