TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/13 S2 317116-2/2008

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Veröffentlicht am 13.08.2008
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Spruch

S2 317.116-2/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer- Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde des M.A., geb. 00.00.1989, StA: Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.07.2008, Zahl 08 05 675 EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1 iVm 10 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. 1. Der Beschwerdeführer, StA: der Russischen Föderation, stellte erstmals am 01.12.2007 nach illegaler Einreise in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit dem im Instanzenzug bestätigten Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.01.2008, Zahl 07 11 165 EAST-Ost, gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen und mit dem weiters die Zuständigkeit der Slowakei zur Antragsprüfung auf Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO festgestellt wurde. Nach Verfahrensabschluss wurde der Beschwerdeführer am 19.02.2008 in die Slowakei überstellt.

 

2. Der Beschwerdeführer gelangte nunmehr neuerlich unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 01.07.2008 bei der Erstaufnahmestelle Ost den hier verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

 

Hinsichtlich des Beschwerdeführers scheinen nunmehr mehrere EURODAC-Treffer auf, und zwar zwei am 06.11.2007 für die Slowakei, am 01.12.2007 für Österreich sowie am 19.03.2008 für Ungarn (AS 9).

 

Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.07.2008 gab der Beschwerdeführer an, er sei nach seiner Rücküberstellung durch österreichische Behörden in die Slowakei am 19.02.2008 nicht in das für ihn vorgesehene Lager in der Slowakei, sondern nach Ungarn und von dort nach Slowenien weitergereist, schließlich aber wieder nach Ungarn und von dort in die Slowakei rücküberstellt worden. Von dort sei er wieder nach Österreich eingereist.

 

In der Slowakei habe er eine tschetschenische Freundin kennen gelernt, ihr Vater sei aber gegen eine Heirat. Der Vater sei sehr religiös und könne nicht verstehen, dass er mit der Freundin - ohne noch verheiratet zu sein - schon zusammenlebe. Der Vater wolle den Beschwerdeführer umbringen.

 

In Tschetschenien werde er verfolgt, weil er der Bruder von drei von den Russen als Terroristen verdächtigten Personen sei.

 

Hinsichtlich seines Reiseweges aus dem Herkunftsstaat verwies er auf seine Angaben im ersten Asylverfahren (AIS: 07 11.165). Danach sei er am 02.11.2007 zunächst mit dem Zug, dann versteckt im LKW nach Bratislava gereist, wo er nach Aufgriff durch die Polizei einen Asylantrag stellte. Nach einem Aufenthalt von ca. einer Woche sei er mit dem Zug nach Wien und von dort mit dem Taxi weiter nach Traiskirchen gereist, wo er seinen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz stellte. Zu den Gründen, warum er nicht in die Slowakei

 

überstellt werden wolle, gab er an, er habe sich dort "nicht besonders wohl gefühlt", weiters habe das Land eine Grenze zur Ukraine und diese zu Russland (AS 15 des Aktes 07 11.165); er wolle nicht in die Slowakei, er wolle zum Cousin seines Vaters, der in Österreich lebe. Dessen Geburtsdatum wisse er nicht, auch nicht seine genaue Adresse, er habe diesen vor 10 Jahren das letzte Mal gesehen und bei ihm als Kleinkind ca. drei Jahre lang gewohnt (AS des Aktes 07 11.165).

 

Das Bundesasylamt richtete am 07.07.2008 ein Wiederaufnahmeersuchen an die Slowakei (AS 37f). Mit Schreiben vom 08.07.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und dass seit 07.07.2008 Konsultationen mit der Slowakei geführt würden (AS 49f). Mit Schreiben vom 18.07.2008, eingelangt am selben Tag, stimmte die Slowakei dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO ausdrücklich zu (AS 17 des "Dublin-Aktes").

 

Im Verlauf einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 24.07.2008 (AS 67 ff) bestätigte der Beschwerdeführer zunächst die Angaben aus der Erstbefragung und machte ergänzend zusammengefasst folgende Angaben: Seit seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz habe er neue Gründe, die gegen eine Überstellung in die Slowakei sprächen: Der Vater seiner Freundin sei psychisch gestört, er lebe seit langem in der Slowakei, er sei wütend, es sei gegen ihre Religion, wenn jemand eine außereheliche Beziehung führe, deswegen bedrohe er jetzt den Beschwerdeführer. Deswegen sei er nach Österreich gekommen, hier habe er Freunde und fühle sich sicher. Die Freundin lebe in der Slowakei, er wisse nicht, wieso sie nicht mitgekommen sei, es sei schwierig, hierher zu kommen.

 

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 16 (1) lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II-VO"), die Slowakei zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Slowakei zulässig sei.

 

Begründend wurde hervorgehoben, dass der Antragsteller keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er tatsächlich Gefahr liefe, in der Slowakei Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder ihm eine Verletzung der in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Der Asylwerber leide weder an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Krankheit, noch an einer psychischen Erkrankung. Der Bescheid enthält eine ausführliche Darstellung zur Lage in der Slowakei, zum Asylverfahren sowie zur Versorgung von Asylwerbern. Das Vorbringen der Bedrohung durch den Vater der Freundin wurde als in keinster Weise konkret oder nachvollziehbar beurteilt, zumal sich der Beschwerdeführer nach seinen eigenen Angaben über den Reiseweg und die Aufenthalte in Slowenien und Ungarn nur kurz in der Slowakei aufgehalten habe und somit mit der Freundin gar nicht zusammengewohnt haben könne.

 

4. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, die samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt am 07.08.2008 beim Asylgerichtshof einlangte. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dem Leben des Beschwerdeführers drohe in der Slowakei eine hundertprozentige Gefahr, weil er mit der Frau, welche er "entführt" habe, keine religiöse Ehe habe. Der Vater der Frau habe geschworen, dass er jedes Hindernis überwinden würde, um dem Leben des Beschwerdeführers ein Ende zu setzen. "Schon bald hat er seine Brüder aus Belgien geholt, um nach mir zu suchen".

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der Beschwerdeführer reiste aus Russland kommend illegal in die Slowakei ein und stellte am 06.11.2007 dort erstmals einen Asylantrag. Er wartete das Verfahren jedoch nicht ab, sondern reiste sogleich illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, von wo er nach erstmaliger Durchführung eines Dublinverfahrens am 19.02.2008 in die Slowakei überstellt wurde.

 

Ohne die Mitgliedstaaten zwischenzeitlich zu verlassen und ohne das Asylverfahren in der Slowakei abzuwarten, begab sich der Beschwerdeführer - nach Aufenthalten in Slowenien und Ungarn - neuerlich unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 01.07.2008 bei der Erstaufnahmestelle Ost den hier verfahrensgegenständlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Ein ihn betreffendes Asylverfahren ist in der Slowakei anhängig.

 

2. Die Feststellungen zum Reiseweg des Beschwerdeführers, zu seiner Asylantragstellung in der Slowakei und seinen persönlichen Verhältnissen ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers iZm der damit im Einklang stehenden Aktenlage.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Mit 01.01.2006 ist das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge idgF anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz im Juli 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 zur Anwendung gelangt.

 

3.2. Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

a) Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.

 

In Art. 16 sieht die Dublin II-VO in den hier relevanten Bestimmungen Folgendes vor:

 

"Art. 16 (1) Der Mitgliedstaat der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:

 

(...)

 

c) einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen.

 

(...)

 

(3) Die Verpflichtungen nach Absatz 1 erlöschen, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, der Drittstaatsangehörige ist im Besitz eines vom Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels."

 

Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, wonach der Beschwerdeführer zunächst in der Slowakei einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt sowie sich vor Abschluss dieses Verfahrens (neuerlich) nach Österreich begeben, das er seither nicht verlassen hat, und er auch keine "Familienangehörigen" (iSd Art 7 iVm Art 2 lit i Dublin II-VO) in Österreich hat, kommt nach der Rangfolge der Kriterien der Dublin II-VO deren Art 16 Abs. 1 lit. c (iVm Art 13) als zuständigkeitsbegründende Norm in Betracht. Die Slowakei hat auch auf Grundlage dieser Bestimmung seine Zuständigkeit bejaht und sich zur Übernahme des Beschwerdeführers und Behandlung seines Antrages bereit erklärt.

 

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist im übrigen im Verfahren nicht bestritten worden.

 

b) Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II-VO).

 

Des Weiteren hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile"- Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen. Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären. Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

aa) Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK: Es leben keine nahen Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Österreich, zu denen er ein enges familiäres Verhältnis hätte. Zu dem im Erstverfahren genannten Onkel (Cousin des Vaters) des (volljährigen) Beschwerdeführers besteht nach eigenen Angaben seit 10 Jahren kein Kontakt mehr und es wurde auch kein außergewöhnliches Naheverhältnis behauptet. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11). Dies wurde auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet.

 

bb) Mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK: Der Beschwerdeführer behauptet eine Gefährdung durch private Rache des Vaters einer Freundin. Dem ist zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer jegliche nähere Konkretisierung dieser Behauptung schuldig blieb, so hat er nicht einmal den Namen des angeblichen Bedrohers, dessen aktuellen Aufenthalt oder die näheren Umstände der angeblichen Bedrohung näher dargelegt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwiefern ihn der Bedroher in einem durch Zugangskontrollen gesicherten Lager für Asylwerber in der Slowakei überhaupt antreffen sollte. Dazu kommt, dass die Beweiswürdigung der Erstbehörde, wonach eine eheähnliche Beziehung des Beschwerdeführers in der Slowakei schon wegen dessen extrem kurzen Aufenthaltes dort unwahrscheinlich sei, schlüssig ist. Eine diese Behauptung konkretisierende Ausführung (etwa gemeinsamer Wohnort bzw. Namen der Freundin) wurde aber auch in der Beschwerde nicht gemacht, sodass weder die Asylbehörde noch der Asylgerichtshof in die Lage versetzt wurden, zielgerichtete weitere Ermittlungen zur behaupteten Bedrohung vorzunehmen. Eine konkrete Bedrohung in der Slowakei wurde daher nicht galubhaft gemacht.

 

Zusammengefasst stellt daher eine strikte Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs und die damit verbundene Überstellung des Beschwerdeführers in die Slowakei keinesfalls ein "real risk" einer Verletzung des Art. 3 EMRK oder des Art. 8 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO dar.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. war daher abzuweisen.

 

3.3. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers in die Slowakei (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Zu diesem Spruchpunkt sind im Beschwerdefall keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich, zumal weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch der Beschwerdeführer in Österreich über nahe Verwandte verfügt. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG zu sehen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Schlagworte
Ausweisung, familiäre Situation, Glaubhaftmachung, Intensität, real risk
Zuletzt aktualisiert am
14.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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