TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/14 S2 400951-1/2008

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Veröffentlicht am 14.08.2008
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Spruch

S2 400.951-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde der S.P., geb. 00.00.1974, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.07.2008, Zahl: 08 04.322-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. 1. Die Beschwerdeführerin brachte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 15.05.2008 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

 

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die Beschwerdeführerin am 27.09.2006 bzw. 26.06.2007 in Polen erkennungsdienstlich behandelt worden war bzw. einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte (AS 9).

 

Das Bundesasylamt richtete am 19.05.2008 ein Wiederaufnahmeersuchen an Polen (AS 27ff). Mit Schreiben vom 20.05.2008, eingelangt am 23.05.2008, stimmte Polen dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO ausdrücklich zu (AS 39).

 

Im Verlauf ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 30.06.2008 (AS 79f) führte die Beschwerdeführerin nach Vorhalt der Zustimmung Polens zur Rückübernahme aus, es gebe viele Gründe, warum sie nicht nach Polen könne.

 

Daraufhin schilderte sie einen Vorfall, bei dem es sich anscheinend um einen Polizeieinsatz im polnischen Lager der Beschwerdeführerin gehandelt hat. Die Beschwerdeführerin brachte unter anderem vor, gefesselt und mit Waffen bedroht worden zu sein, wobei ihr ihrem Vorbringen zufolge die Hand gebrochen worden sei. Auch sei sie von einem polnischen Journalisten zu diesen Vorfällen interviewt worden. Angesichts des ausgestrahlten Interviews habe ihr die stellvertretende Leiterin des Lagers in Polen geraten, nach Österreich zu fahren, weil es für sie in Polen ansonsten zu gefährlich wäre. Sollte die Polizei noch einmal kommen, würde sich die Situation noch verschlimmern. Seit diesem Übergriff seien die Kinder sehr ängstlich und würden in der Nacht ständig schreien.

 

In dieser Einvernahme wurde offenkundig auch eine CD vorgelegt, die - nach der Zusammenfassung des Einvernahmeleiters der Erstbehörde - am Straßenrand stehende untätige polnische Polizeieinheiten zeigen soll, wobei Ort und Zeit dieses Polizeieinsatzes nicht erkennbar seien.

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO zur Prüfung dieses Antrages zuständig ist, sowie II. die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. In dieser wird unter neuerlicher Anführung der Vorfälle in Polen ergänzend ausgeführt, dass aufgrund des später ausgestrahlten Interviews sich die Unterbringung und Sicherheitssituation der Familie merklich verschlechtert habe. Sie hätten Drohungen erhalten und Behörden und Lagerleitung seien der Familie feindselig gegenübergestanden. Es habe weder eine Entschuldigung noch eine Aufklärung über die Vorgangsweise der Polizei gegeben, vielmehr sei starker Druck auf die Familie ausgeübt worden. Des Weiteren bringt die Beschwerdeführerin vor, in Tschetschenien vergewaltigt worden zu sein, was sie bei der Befragung vor der Erstbehörde ausführen hätte wollen, dies jedoch nur unter Beiziehung einer weiblichen Referentin. Diese Umstände seien deshalb für das Dublin-Verfahren relevant, weil sie deshalb an einer post-traumatischen Belastungsstörung leide und bei Abschiebung nach Polen die Gefahr einer Retraumatisierung bestünde. Als Beleg dafür wurden ein Arztbericht vom 10.07.2008 und ein ambulanter Befund vom Thermenklinikum Baden angeführt. Aufgrund dieser Umstände wäre - so die Beschwerde - eine Verbringung der Beschwerdeführerin nach Polen ein schwerwiegender Eingriff in Artikel 3 EMRK.

 

3. Die Beschwerdevorlage langte laut Eingangsstempel des Asylgerichtshofes am 11.08.2008 bei diesem Gerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Die Beschwerdeführer reiste - in Begleitung ihrer Familie - aus Russland kommend illegal nach Polen ein und stellte dort erstmals einen Asylantrag. Nach Ablehnung desselben reiste sie in das österreichische Bundesgebiet weiter und stellte am 15.05.2008 bei der Erstaufnahmestelle Ost den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Mit 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag im Mai 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG idF BGBI. I Nr. 100/2005 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.2.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.

 

In Art. 16 sieht die Dublin II-VO in den hier relevanten Bestimmungen Folgendes vor:

 

"Art. 16 (1) Der Mitgliedstaat der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:

 

(...)

 

e) einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen.

 

(...)

 

(3) Die Verpflichtungen nach Absatz 1 erlöschen, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, der Drittstaatsangehörige ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels.

 

(4) Die Verpflichtungen nach Absatz 1 Buchstaben d) und e) erlöschen auch, wenn der für die Prüfung des Antrags zuständige Mitgliedstaat nach der Rücknahme oder der Ablehnung des Antrags die notwendigen Vorkehrungen getroffen und tatsächlich umgesetzt hat, damit der Drittstaatsangehörige in sein Herkunftsland oder in ein anderes Land, in das er sich rechtmäßig begeben kann, zurückkehrt."

 

Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, wonach die Beschwerdeführerin zunächst in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und dieser abgelehnt wurde, sie sich dann nach Österreich begeben hat, und sie - außer den mitgereisten Familienmitgliedern - auch keine "Familienangehörigen" (iSd Art 7 iVm Art 2 lit i Dublin II-VO) in Österreich hat, kommt nach der Rangfolge der Kriterien der Dublin II-VO deren Art 16 Abs. 1 lit. e (iVm Art 13) als zuständigkeitsbegründende Norm in Betracht. Polen hat auch auf Grundlage dieser Bestimmung seine Zuständigkeit bejaht und sich zur Übernahme der Beschwerdeführerin bereit erklärt.

 

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist im übrigen im Verfahren nicht bestritten worden.

 

b) Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II-VO).

 

Des Weiteren hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile"- Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen. Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Im Beschwerdefall hat die Beschwerdeführerin nun - unter dem Blickwinkel einer Verletzung in ihren durch Art. 3 EMRK garantierten Rechten für den Fall ihrer Rücküberstellung nach Polen - vorgebracht, sie sei in Polen Opfer eines Polizeiübergriffs geworden, aufgrund des daraufhin gegebenen Interviews sei die Familie unter starken Druck geraten und es sei ihr nahe gelegt worden, Polen zu verlassen, weil es für sie dort zu "gefährlich" wäre. Sie macht damit ein konkretes gegen sie persönlich gerichtetes Risiko für den Fall einer Rücküberstellung nach Polen geltend. Tatsächlich ist im Beschwerdefall offen geblieben, ob das Vorbringen der Beschwerdeführerin den Tatsachen entspricht. Zu klären wäre, ob und aus welchem Grund tatsächlich ein Polizeieinsatz statt gefunden hat, ob sich dieser konkret gegen die Beschwerdeführerin bzw. ihre Familie gerichtet hat, ob ein tatsächlich gegebenes Interview insofern nachteilige Folgen für die Beschwerdeführerin bzw. ihre Familie haben könnte, als sie nunmehr aus zu klärenden Gründen für den Fall der Rückkehr mit einer - aus Sicht des Art. 3 EMRK relevanten - Gefahr zu rechnen hätte. In diesem Zusammenhang ist auch zu klären, wie das Asylverfahren der Beschwerdeführerin in Polen geendet hat, sie etwa eine "Duldung" erhalten hat, und gegebenenfalls überhaupt ein Erfordernis bestünde, dass sie für den Fall der Überstellung in einem - mit möglichem Retraumatisierungspotential behafteten - Asyllager untergebracht würde.

 

Sollte sich der Polizeieinsatz auf die Beschwerdeführerin, bei dem sie gegebenenfalls sogar verletzt wurde (sie hat den Bruch des linken Handgelenks behauptet), als den Tatsachen entsprechend erweisen, so könnte sich auch die Frage einer allfälligen früheren Vergewaltigung in Tschetschenien im Zusammenhalt mit einer Rückverbringung in ein Lager, bei dem bereits wiederum Polizeieinsätze mit starker Eingriffsintensität stattgefunden haben - in einem anderen Licht darstellen, als es bei einem bisher nicht von Übergriffen betroffenen Asylwerber der Fall wäre.

 

Diesfalls wäre die Einvernahme der Beschwerdeführerin durch einen Organwalter weiblichen Geschlechts unter Beiziehung eines weiblichen Dolmetschers angezeigt und gegebenenfalls die Untersuchungen der Beschwerdeführerin zur gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren durch eine Ärztin vorzunehmen.

 

Gemäß § 41 Abs. 3 erster Satz AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamts im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist gemäß § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Angesichts der oben dargestellten Umstände erweist sich der vorliegende Sachverhalt im Hinblick auf eine mögliche Verletzung der Beschwerdeführerin in ihren durch Art. 3 EMRK geschützten Rechten im Falle einer Überstellung nach Polen als so mangelhaft, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Aus diesem Grund war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
14.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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