TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/14 A9 226501-0/2008

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Veröffentlicht am 14.08.2008
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Spruch

A9 226.501-0/2008/19E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde des C. A., geb. 1983, StA.:

Sierra Leone, vertreten durch RA Mag. N. R., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.01.2002, Zahl: 01 16.423-BAT, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und C. A. gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG) Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG wird festgestellt, dass C. A. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. 1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der am 17.07.2001 eingebrachte Asylantrag des bei Antragstellung noch minderjährigen Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.). Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer unter Zugrundelegung seines Fluchtvorbringens (Verfolgung durch RUF-Rebellen) eine inländische Fluchtalternative hätte, weil im Westen, Süden und Teilen des Ostens des Landes, jedenfalls aber in der Hauptstadt Freetown aufgrund der Ankunft von britischen Truppen und Kriegsschiffen sowie aufgrund der Präsenz von Regierungstruppen und UN-Soldaten die Lage sicher und die Staatsmacht soweit aufrecht sei, dass diese im Stande seien, Gefahren, die sich aus Übergriffen von Rebellen ergäben, wirksam zu begegnen.

 

Im Verfahren hatte der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes vorgebracht: Der Beschwerdeführer sei Temne-Angehöriger, er habe mit seiner Familie (beiden Eltern und seiner Schwester) in einem Haus in B. gelebt. Sein Vater sei von Beruf Polizist gewesen. 1999 sei eine große Gruppe bewaffneter Rebellen in das Haus der Familie in B. eingedrungen, hätten beide Elternteile des Beschwerdeführers erschossen und seine Schwester verschleppt. Dem Beschwerdeführer sei zwar rechtzeitig die Flucht durch ein Fenster gelungen, doch habe er wenig später nach seiner Rückkehr aus dem Versteck von seinen Nachbarn erfahren, dass es sich vermutlich um Rebellen des Foday Sankoh gehandelt habe und dass diese gedroht hätten, wieder zu kommen. Er habe die Leichen seiner Eltern aufgefunden und feststellen müssen, dass bei dem Überfall ihr Haus niedergebrannt worden sei.

 

Vor seiner Flucht ins Ausland sei er nach Freetown geflohen, wo er bis Jänner 2001 als Lehrling gearbeitet und gewohnt habe, dort sei er aber seines Lebens auch nicht sicher gewesen, da die Rebellen auch bis dorthin vordringen würden und er mangels Familie schutzlos sei.

 

2. Dagegen richtet sich die vorliegende, als rechtzeitig eingebracht anzusehende Beschwerde.

 

3. Mit Schriftsatz vom 05.08.2003 übermittelte der Beschwerdeführer einen ihm von einem aus B. stammenden, namentlich angeführten Freund zugeleiteten Brief, der - zusammengefasst - folgenden Inhalt hatte:

In der Zwischenzeit hätte sich herausgestellt, dass der Überfall auf sein Elternhaus im Dezember 1999 nicht von Seiten der Rebellen geführt worden sei, sondern es sich um einen direkten Angriff der ECOMOG-Truppen gehandelt habe, sein Vater sei nämlich verdächtigt worden, ein Koordinator der (RUF)-Rebellen zu sein. Auch der Beschwerdeführer selbst sei aufgrund seines Untertauchens in den Verdacht geraten, sich den Rebellen in Liberia angeschlossen zu haben, weswegen er nunmehr gesucht würde.

 

Als Beweis übermittelte der Freund einen Zeitungsartikel, der Dementsprechendes berichtet (OZ 1).

 

4. Nach Aufforderung der Berufungsinstanz an den Beschwerdeführer, die genauen Daten der Zeitung bekannt zu geben, ersuchte die Berufungsinstanz den in Freetown tätigen österreichischen Honorarkonsul Bieber um Nachforschung, ob der übermittelte Zeitungsartikel identisch ist, was mit do. Schreiben vom 3.März 2004 unrter Vorlage einer Originalausgabe der Zeitung bestätigt wurde.

 

5. Am 16. Mai 2007 langte bei der Berufungsinstanz die vom Beschwerdeführer beim Verwaltungsgerichtshof erhobene Säumnisbeschwerde ein (Zl. 2007/01/0307), wobei der Berufungsinstanz aufgetragen wurde, den versäumten Bescheid binnen drei Monaten zu erlassen und dem Verwaltungsgerichtshof eine Abschrift desselben samt Zustellnachweis vorzulegen (OZ 12). Diese Frist wurde bis 24.8.2008 verlängert (OZ 18).

 

6. Der Beschwerdeführer ist seit Dezember 2003 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und hat eine bis 2009 befristete Aufenthaltsberechtigung.

 

II. Der (zum damaligen Zeitpunkt noch zuständig gewesene) Unabhängige Bundesasylsenat führte am 15.06.2007 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer einvernommen wurde. Die Erstbehörde machte von ihrem Recht, an der Verhandlung teilzunehmen nicht Gebrauch. Der genaue Verhandlungsverlauf ist dem Verhandlungsprotokoll OZ 13 zu entnehmen.

 

III. Der Unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

Es wird folgender Sachverhalt festgestellt:

 

Der zum Antragszeitpunkt noch minderjährig gewesene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Sierra Leone, gehört der Volksgruppe der Temne an und lebte bis Ende 1999 mit seinen Eltern und seiner Schwester in seinem Elternhaus in B., Bombali-Distrikt. Sein Vater war von Beruf Polizist. 12.1999 drangen Bewaffnete in das Elternhaus ein, die - wie sich später herausstellte - Angehörige der Regierungstruppen waren. Der Vater des Beschwerdeführers stand unter Verdacht, mit den RUF-Rebellen zu kooperieren. Bei diesem Angriff wurden beide Eltern des Beschwerdeführers erschossen und das Haus niedergebrannt. Die Uniformierten drohten, wieder zu kommen. Der Schwester des Beschwerdeführers gelang die Flucht, diese lebt - wie der Beschwerdeführer ebenfalls erst später herausfinden konnte - seither in Gambia.

 

Der Beschwerdeführer begab sich zunächst nach Freetown, wo er vorübergehend Unterkunft und Verpflegung erhielt, floh aber im Jänner 2001 schließlich wegen der latenten Bürgerkriegsgefahr und dem Umstand, im Falle von neuerlichen Rebellenübergriffen ohne Familieangehörige schutzlos zu sein, ins Ausland.

 

07.2003 erschien in der Zeitung ein Artikel, demzufolge der Beschwerdeführer - wie auch sein von den ECOMOG-Truppen getöteter - Vater der Kollaboration mit den Rebellen verdächtigt und von der Regierung gesucht würde. Der Artikel enthält ein Foto des Beschwerdeführers sowie genauere Daten über seine Herkunft und seinen unmittelbaren Familienkreis.

 

Die Politische und Menschenrechtssituation Ende 1999/Anfang 2000 war besonders im Norden und Nordwesten des Landes (insbesondere auch im Bombali-Distrikt) äußerst prekär, weite Teile waren von bewaffneten - von deren Führung unkontrolliert agierenden - Rebellen beherrscht bzw. wurde der Einsatz der ECOMOG-Truppen verstärkt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Sierra Leone-Horror und Hoffnung", März 2000). Noch 2001 ist davon auszugehen, dass (ua) ehemalige RUF-Kämpfer einer asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt waren, und zwar waren sie einerseits von Seiten der RUF in den von RUF-Kommandos kontrollierten Gebieten und andererseits - in den von der Regierung kontrollierten Gebieten - von Stammes- und Zivilmilizen, dem sierraleonischen Militär, der sierraleonischen Polizei und der Zivilbevölkerung, schweren Menschenrechtsverletzungen wie willkürlicher Verhaftung und Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sowie einer eigentlichen Lynchjustiz ausgeliefert (Position der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH vom 21.5.2001, "Asylsuchende aus Sierra Leone").

 

Nach Beendigung des zehnjährigen Bürgerkrieges kehrt Sierra Leone nunmehr zwar langsam zu friedlichen und geordneten politischen Verhältnissen zurück, auch die allgemeine Lage sowie die Menschenrechtssituation verbessern sich nach und nach; in der Zwischenzeit konnte sogar das UNHCR-Rückkehrprogramm nach der - ohne größere Zwischenfälle abgelaufenen - Rückkehr von über 270.000 sierraleonische Flüchtlingen, die in ihrer Herkunftsregion Zuflucht gesucht hatten, im Dezember 2004 abgeschlossen werden (Bericht der UNHCR-Vertretung Österreich vom 27.1.2006).

 

Die Justiz weist allerdings in der Praxis nach wie vor gravierende Mängel auf, Personalmangel zieht oftmals eine lange Verfahrensdauer nach sich, zT besteht Korruption und viele Fälle werden von nicht ausreichend ausgebildeten Polizeibeamten bearbeitet. Die Haftbedingungen sind schlecht (Bericht des U.S. Departement of State vom 06.03.2007, Sierra Leone, Country Reports on Human Rights Practices).

 

2. Die Feststellungen zur persönlichen Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers gründen sich auf die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen in der Berufungsverhandlung (noch) vor dem unabhängigen Bundesasylsenat, in der er einen persönlich ausgesprochen integren und aufrichtigen Eindruck erweckte. Kennzeichnend war in dieser Verhandlung, dass er die dargestellte Fluchtgeschichte offenkundig aus seiner persönlichen Erinnerung abrief und die Aufklärung der vorgehaltenen Widersprüche plausibel und offenkundig spontan erfolgte. Vor allem bei Vorhalt des geänderten Bedrohungsszenarios (vor der Erstbehörde: von Rebellen, vor der Berufungsinstanz: von Regierungstruppen), welche Vorbringensänderung für sich allein betrachtet ein starkes Indiz für die Unglaubwürdigkeit der Fluchtgeschichte darstellen könnte, konnte er so glaubwürdig seine eigene Überraschung über die tatsächlich anders einzuschätzende persönliche Situation darstellen, dass kein Zweifel an seiner Ehrlichkeit entstand. Ausgehend von der Schilderung seiner Flucht aus dem Haus in B. anlässlich des Überfalles Ende 1999, die ohne persönliche Kontaktnahme mit den bewaffneten Angreifern erfolgte, und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer die näheren Umstände der Geschehnisse nur vom Hörensagen erfuhr, scheint es auch nicht unplausibel, dass spätere Informationen über das Geschehene eine andere Beurteilung des Bedrohungsbildes ergaben. Der im Berufungsverfahren abgegebenen Darstellung des Beschwerdeführers wurde daher gefolgt.

 

Die Feststellungen zur allgemeinen und menschenrechtlichen Entwicklung in Sierra Leone im Lauf der vergangenen Jahre ergeben sich aus den jeweils zitierten Quellen, die bei der Erstbehörde als Spezialbehörde für Asylangelegenheiten als bekannt vorauszusetzen sind.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 erster und zweiter Satz Asylgesetz 2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Asylverfahren nach dem Asylgesetz 1997 (AsylG) zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr.101/2003 sind Verfahren über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 126/2002 zu führen.

 

Nach Abs. 3 dieser Bestimmung sind die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 auch auf Verfahren gemäß Abs. 1 anzuwenden.

 

Da der im Berufungsfall zu beurteilende Asylantrag vor dem 30. April 2004 gestellt wurde, wird das gegenständliche Berufungsverfahren nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 126/2002 geführt.

 

3.2. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht, und keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zugrunde liegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sei, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 21.09.2000, 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, 99/01/0334). Nach der jüngeren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (beginnend mit VwGH 15.5.2003, 2001/01/0499; darauf Bezug nehmend z.B. VwGH 29.6.2004, 2003/01/0372) ist der Asylwerber im Entscheidungszeitpunkt Flüchtling im Sinne der GFK, wenn er die Flüchtlingseigenschaft - in der Regel mit dem Verlassen des Herkunftsstaates (vgl. Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law I (1966), 157 und 341) - erworben hat und kein Beendigungstatbestand erfüllt ist.

 

Angesichts des festgestellten Sachverhaltes ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Flucht (Jänner 2001) - ungeachtet seiner persönlichen Einschätzung über die tatsächliche Bedrohung - einer asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt war: Zu dieser Zeit waren ehemalige RUF-Kämpfer (bzw. wie hier: solche, die dafür gehalten wurden) in den von der Regierung kontrollierten Gebieten verfolgt, sie waren von Stammes- und Zivilmilizen, dem sierraleonischen Militär, der sierraleonischen Polizei und der Zivilbevölkerung, schweren Menschenrechtsverletzungen wie willkürlicher Verhaftung und Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sowie einer eigentlichen Lynchjustiz ausgeliefert. Der Beschwerdeführer ist durch seinen Vater, der von staatlichen Organen der Kollaboration mit den Rebellen verdächtigt und erschossen wurde, und sein eigenes Untertauchen, das ihn offenbar auch (bzw. zusätzlich) einem gleichartigen Verdacht ausgesetzt hat, ebenfalls in das Blickfeld der Behörden geraten, wurde zumindest damals aus diesem Grund von den Behörden gesucht und lief Gefahr, - wie auch sein Vater - Opfer einer solchen schweren Menschenrechtsverletzung zu werden. Dabei handelt es sich zweifellos um direkte staatliche Maßnahmen von erheblicher Intensität, die gegen den Beschwerdeführer aufgrund einer ihm unterstellten (oppositionellen) politischen Gesinnung gesetzt würden. Eine ebensolche Gefahr bestand für ihn auch in den noch von der RUF kontrollierten Gebieten. Seit dem Zeitpunkt, zu dem der Beschwerdeführer sein Heimatland verlassen hat, hat sich - ungeachtet der positiven Friedensentwicklungen in Sierra Leone - indes in Bezug auf seinen konkreten Fluchtgrund keine nachhaltige Änderung ergeben, zumal er angesichts der nach wie vor bestehenden Missstände in der Gerichtsbarkeit nicht damit rechnen kann, in angemessener Zeit ein faires Verfahren zum Beweis seiner Unschuld führen zu können.

 

Da der Asylwerber somit mit dem Verlassen des Herkunftsstaates die Flüchtlingseigenschaft erworben hat und im Entscheidungszeitpunkt (noch) kein Beendigungstatbestand erfüllt ist, ist er Flüchtling im Sinne der GFK.

 

Da sich im Verfahren überdies keine Hinweise auf Asylausschlussgründe ergeben haben, war spruchgemäß Asyl zu gewähren. Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

IV. Gegen dieses Erkenntnis ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig. Es ergeht der Hinweis, dass gegen dieses Erkenntnis innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden kann. Diese muss von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Bei Einbringung einer solchen Beschwerde ist eine Gebühr von EUR 220 zu entrichten.

Schlagworte
Familienverband, Intensität, Kollaboration, politische Gesinnung, Rechtsschutzstandard, Sicherheitslage, Verfolgungsgefahr
Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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