S9 400.758-1/2008/4E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde des S.H., geboren am 00.00.1990, StA. SOMALIA, gesetzlich vertreten durch Frau Mag. Andrea ÖLSBÖCK, Rechtsberaterin in 2514 Traiskirchen, Otto Glöckel Str. 24, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.07.2008, FZ. 08 00.973-EAST Ost, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005, BGBL. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der minderjährige Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, reiste am 18.01.2008 illegal über UNGARN kommend in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 26.01.2008 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er wurde hierzu am Tag der Antragstellung durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt sowie am 20.02.2008 und am 16.06.2008 vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, im Beisein seiner gesetzlichen Vertreterin (Rechtsberaterin) niederschriftlich einvernommen.
2. Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass der Beschwerdeführer am 12.11.2007 in Ungarn erkennungsdienstlich behandelt worden war. Nach Vorhalt des Eurodac-Treffers bei der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer zu seiner Reiseroute Folgendes an: "Am 00.00.2007 flog ich von Mogadischu nach Dubai. In Dubai stieg ich dann in das nächste Flugzeug weiter nach Moskau. In Moskau war ich dann vier Tage. Dann fuhr ich mit dem Taxi von Moskau in die Ukraine nach Vinnycia. Von dort ging ich dann zu Fuß in Richtung Ungarn. Ich war drei Tage unterwegs. Ich wurde kurz nach der Grenze von der ungarischen Polizei festgenommen. Das war am 12.11.2007. Es wurden mir die Fingerabdrücke abgenommen, aber ich stellte keinen Asylantrag. Am nächsten Tag wurde ich von der Polizei nach Budapest gebracht und ausgelassen. Ich lernte dann in Budapest einen Afrikaner kennen, welcher mich zu seiner Wohnung brachte. Ich blieb bei dem Afrikaner dann bis zum 16.11.2007. Ich fuhr dann mit dem Zug nach Györ. Dort stieg ich dann um und fuhr mit dem Zug direkt nach Wien-Westbahnhof. Während der Zugfahrt wurde ich von der Polizei kurz vor der Ankunft in Wien aufgegriffen. Ich wurde in ein Gefängnis gebracht und wieder nach Ungarn zurückgeschickt."
Er sei dann glaublich am 20.01.2008 wieder mit dem Zug nach Österreich gereist und habe abwechselnd am West- und am Südbahnhof geschlafen.
3. Am 20. Februar 2008 gab der Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme bei der Erstaufnahmestelle Ost nun an, dass er in Ungarn einen Asylantrag gestellt hätte. Auf den Vorhalt, dass die Behörde vorläufig zur Ansicht gelangt sei, dass zur Prüfung des Antrages gemäß der Dublin II-VO Ungarn zuständig sei, meinte der Beschwerdeführer, dass er in Ungarn ein sehr schweres Leben gehabt hätte. Er hätte eine schlechte Betreuung und die Angst gehabt, sein Leben zu verlieren, indem er langsam durchdrehe.
Am selbem Tag wurde dem Beschwerdeführer und seiner gesetzlichen Vertreterin eine Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 ausgehändigt, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, und dass deshalb Konsultationen mit Ungarn geführt werden würden.
4. Das Bundesasylamt richtete sodann am 26.02.2008 - gestützt auf die Angaben des Beschwerdeführers und des Eurodac-Systems - ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) an die zuständige ungarische Behörde, welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 über die Führung von Konsultationen mit UNGARN erhielt der Beschwerdeführer am 26.02.2008. Mit Schreiben vom 29.02.2008 (eingelangt am 03.03.2008) erklärte sich UNGARN gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers für zuständig. Darin wurde ausdrücklich festgestellt, dass der Beschwerdeführer am 12.11.2008 einen Asylantrag in UNGARN eingebracht hätte.
5. Auf der Grundlage einer am 29.02.2008 bei der Erstaufnahmestelle Ost durchgeführten Untersuchung des Beschwerdeführers, fertigte Frau Dr. I.H., Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, eine gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren an, welche dem Bundesasylamt am 04.03.2008 zuging. Sie stellte darin fest, dass aus aktueller Sicht folgende belastungsabhängige krankheitswertige psychische vorliege: "Differntialdiagnostisch liegt entweder eine schwerere Anpassungsstörung, Depression und Angst gemischt, vor, F.43.22, oder aber eher noch eine PTSD, F.43.1., auch mit V.a. dissoziative Phänomene bzw. Depersonalisation und Derealisation. Basierend auf Verhaltensbeobachtung, Exploration, psychopathologischer Status hervorgerufen durch Vorkommnisse in der Heimat, Tod des Bruders, allgemein unsichere und von Gewalt geprägte Atmosphäre in der Heimat. Dazu könnte noch die Reise durch Russland, Ukraine etc. das ihre zur Verschlechterung der Befindlichkeit und zur Angst beigetragen haben."
Schließlich stellte die Ärztin fest: "Ich würde eine medikamentöse Therapie empfehlen, nach einigen Wochen (realistischerweise frühestens in 8 Wochen) eine erneute Vorstellung raten. Aus Erfahrung kann jedoch gesagt werden, dass eine Besserung erst bei aufenthaltsrechtlicher Sicherheit UND fortlaufender Therapie angenommen werden kann."
Die weiteren Fragen des Bundesasylamtes betreffend die Auswirkungen einer allfälligen Überstellung in einen anderen Mitgliedsstaat wurden in im gegenständlichen Gutachten nicht beantwortet.
6. Am 06.05.2008 wurde der Beschwerdeführer neuerlich von Frau Dr. H. untersucht. Der am 09.05.2008 dem Bundesasylamt übermittelten gutachtlichen Stellungnahme ist zu entnehmen, dass einer Überstellung nach UNGARN keine schwere psychische Störung entgegenstehe, die bei der Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würde. Abschließend ist dem Gutachten unter "sonstige Bemerkungen" Folgendes zu entnehmen: "Der Aw wirkt deutlich gebessert, die Stimmung ist heute anfangs euthym bis sorgenvoll, subdepressiv, in weiterer Folge bei Antizipation der Überstellung nach Ungarn sehr traurig, verzweifelt. Keine aktuellen Suizidgedanken, keine Einengung zum Zeitpunkt des Gespräches. Keine typischen Intrusionen zu explorieren. Heute keine Ich-Störungen (keine Derealisations- oder Depersonalisationserlebnisse) zu explorieren. Keine Hinweise auf Vernachlässigung der eigenen Interessen, wobei sich der junge AW in behüteter Umgebung befindet und sozial gut eingebunden scheint. Deutliche Besserung durch gute Betreuung und soziale Stabilität, wobei gesagt werden muss, dass diese Stabilität bei Überstellung verloren gehen wird und damit die Besserung zunichte gemacht werden wird. F.43.22, Angst und depressive Reaktion, in deutlicher Remission."
7. Am 16.06.2008 wurde dem Beschwerdeführer unter Anwesenheit seiner gesetzlichen Vertreterin bei der Erstaufnahmestelle Ost das Parteiengehör eingeräumt und darüber eine Niederschrift angefertigt.
8. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 14.07.2008, Zahl:
08 00.973-EAST Ost, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 UNGARN zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach UNGARN ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach UNGARN gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei. Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu UNGARN, insbesondere zum ungarischen Asylwesen sowie zur medizinischen Versorgung. Beweiswürdigend hielt die Behörde im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er konkret Gefahr liefe, in UNGARN Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm durch die Überstellung eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte. Auf Grund der beiden gutachtlichen Stellungnahmen im Zulassungsverfahren stehe fest, dass der nunmehrige Beschwerdeführer an einer belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung leide, jedoch stünden einer Überstellung nach UNGARN keine schweren psychischen Störungen entgegen, die bei der Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden.
9. Gegen den genannten Bescheid erhob der Beschwerdeführer vertreten durch seine gesetzliche Vertreterin fristgerecht am 28.07.2008 Beschwerde, in welcher im Wesentlichen die inhaltliche Rechtswidrigkeit und Verfahrensfehler behauptet wurden. Das Bundesasylamt habe den Grundsatz der Offizialmaxime verletzt, weil die Ermittlungen betreffend die Situation minderjähriger bzw. traumatisierter Asylwerber in UNGARN mangelhaft seien. Das ungarische System biete keine Lösungen für traumatisierte Flüchtlinge bzw. Asylwerber an. Im Falle einer Überstellung nach UNGARN sei die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK gegeben, da der Beschwerdeführer minderjährig und psychisch krank sei.
10. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 07.08.2008, GZ: S9 400.758-1/2008/2Z, wurde der Beschwerde des Beschwerdeführers gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Rechtlich ergibt sich Folgendes:
1. Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.
Im gegenständlichen Fall wurde der Asylantrag im Jänner 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 zur Anwendung gelangt.
1.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.2.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z1 AsylG 2005 ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden. Aufgrund der 2008 erfolgten Asylantragstellung bezieht sich im Gegenstand § 5 AsylG 2005 auf die Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II-VO), da gemäß Artikel 29 leg. cit. diese Verordnung auf Asylanträge anwendbar ist, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten - dies ist der 01.09.2003 - gestellt werden.
Die Dublin II-VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
Es ist daher zunächst zu überprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II-VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO zuständig ist oder die Zuständigkeit bei ihm selbst nach dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO (erste Asylantragstellung) liegt.
1.2. Geht man nun im vorliegenden Fall wie das Bundesasylamt davon aus, dass der Beschwerdeführer in UNGARN am 12.11.2008 einen Asylantrag gestellt hat, besteht eine Zuständigkeit Ungarns nach Art 6, zweiter Satz der Dublin II VO ("Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, zuständig."). Dafür spricht der Umstand, dass sowohl UNGARN als auch letztendlich der Beschwerdeführer ausdrücklich angaben, dass in UNGARN ein Asylantrag gestellt wurde.
1.3. Etwas widersprüchlich erscheint in diesem Zusammenhang jedoch die Eurodac-ID, unter der der gegenständliche Eurodac-Treffer erfolgte. Gemäß Art. 2 Abs. 3, 3. Satz der Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des Rates vom 28.02.2002 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 über die Einrichtung von "Eurodac" für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens werden Daten von Asylbewerbern mit "1", von Personen nach Art. 8 der Eurodac-Verordnung mit "2" und von Personen nach Art. 11 der Eurodac-Verordnung mit "3" gekennzeichnet.
Im gegenständlichen Verfahren wurden die Daten des Beschwerdeführers mit "2" gekennzeichnet, was gemäß Art. 8 Eurodac-Verordnung lediglich bedeutet, dass dem Beschwerdeführer in UNGARN die Fingerabdrücke abgenommen wurden. Hieraus wäre daher nicht von vornherein zu schließen, dass der Beschwerdeführer in UNGARN einen Asylantrag gestellt hat. Dies würde auch mit der ursprünglichen Aussage des Beschwerdeführers zusammenpassen, wonach ihm in UNGARN lediglich die Fingerabdrücke abgenommen worden seien, er jedoch keinen Asylantrag gestellt habe.
Würde man aber zum Ergebnis kommen, dass der Beschwerdeführer in UNGARN lediglich erkennungsdienstlich behandelt wurde, dort aber keinen Asylantrag gestellt hat, wäre nach Art 6 Dublin II-VO ÖSTERREICH für die inhaltliche Prüfung des Asylantrages zuständig. Eine Zuständigkeit UNGARNS nach Art. 10 Dublin II-VO käme in diesem Fall wegen der in Art 5 Dublin II-VO normierten Rangfolge der Zuständigkeitskriterien nicht in Betracht.
1.4. Es wird im weiteren Verfahren durch eine entsprechende Nachfrage bei den zuständigen ungarischen Behörden leicht überprüfbar sein, ob der Beschwerdeführer in UNGARN tatsächlich einen Asylantrag gestellt hat oder lediglich erkennungsdienstlich behandelt wurde.
2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher - entsprechend den Ausführungen in der Beschwerde - zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK ausnahmsweise zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.
2.1 Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.
Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in bezog auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0449).
Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005,
Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II-VO, K13. zu Art 19 Dublin II-VO).
Weiters hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:
Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.
Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.
Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen. Diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II-VO, K8-K13. zu Art. 19).
Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).
Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.
2.2. Im vorliegenden Fall war die Rechtsfrage zu klären, ob allenfalls aufgrund einer bestehenden belastungsabhängigen krankheitswerten psychischen Störung, die Überstellung des Beschwerdeführers nach UNGARN aufgrund der besonderen Umstände einen ungerechtfertigten Eingriff in seine Grundrechte, insbesondere die reale Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte mit sich brächte. Für die Klärung einer solchen Rechtsfrage ist ausschließlich die erkennende Behörde zuständig, die sich dabei auf fachärztliche Gutachten zu stützen hat.
2.3. Im vorliegenden Fall stützte das Bundesasylamt seine diesbezügliche Entscheidung auf die beiden oben ausführlich dargestellten gutachtlichen Stellungnahmen von Dr. H. vom 04.03.2008 und 09.05.2008. Bei der ersten Untersuchung stellte die Ärztin fest, dass eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege. Nach der zweiten Untersuchung stellte sie dagegen fest, dass der Überstellung des Beschwerdeführers nach Ungarn keine schwere psychische Störung entgegenstehen würde, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würde. Diese Feststellung steht jedoch im Widerspruch zu ihren abschließenden Ausführungen, wonach die deutliche Besserung auf die gute Betreuung und soziale Stabilität zurückzuführen sei, wobei gesagt werden müsse, "dass diese Stabilität bei der Überstellung verloren gehen wird und damit die Besserung zunichte gemacht werden wird".
Das Bundesasylamt ist in seiner Beweiswürdigung nicht auf diesen Widerspruch eingegangen, sondern hat lediglich festgestellt, dass auf der Grundlage der beiden Gutachten im Falle einer Überstellung nach UNGARN nicht die Gefahr einer unzumutbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes bestehe. Eben dieser Schluss ist aber nach Auffassung des Asylgerichtshofes aus den vorhandenen Gutachten aufgrund der bestehenden Widersprüche nicht schlüssig ableitbar.
2.4. Im fortzusetzenden Verfahren werden (sofern eine neuerliche Erlassung einer Unzuständigkeitsentscheidung nach § 5 AsylG möglich und beabsichtigt ist) in diesem Zusammenhang weitere Ermittlungen zu tätigen sein; insbesondere erscheint eine weitere ärztliche Begutachtung zur Verfassung einer ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme notwendig. Dabei wäre ausführlich zu klären, welche konkrete Verschlechterung des psychischen Zustandes des Beschwerdeführers im Falle seiner Überstellung nach UNGARN von der untersuchenden Ärztin befürchtet wird. Nur so wird die Behörde in der Lage sein, schlüssige und verbindliche Feststellungen zum tatsächlichen aktuellen psychischen Zustand des Beschwerdeführers und - damit im Zusammenhang - zu seiner aktuellen Überstellungsfähigkeit zu treffen. Zu beachten ist dabei jedenfalls, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt und aufgrund der damit verbundenen erhöhten Vulnerabilität ein besonders strenger Prüfungsmaßstab anzulegen ist. Es wird darauf hingewiesen, dass neue Beweismittel dem Beschwerdeführer im Wege des Parteingehörs zur Kenntnis zu bringen sind.
3. Als maßgebliche Determinante für die Anwendbarkeit des § 41 Abs. 3 AsylG in diesem Zusammenhang ist die Judikatur zum § 66 Abs. 2 AVG heranzuziehen, wobei allerdings kein Ermessen des Asylgerichtshofes besteht.
Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315 und 21.11.2002, 2000/20/0084; ferner VwGH 21.09.2004, Zl. 2001/01/0348). Eine kassatorische Entscheidung darf vom Asylgerichtshof nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt, wie dargestellt, keine ordnungsgemäß begründete Entscheidung (vgl. Art. 19 Abs. 2 1. Satz Dublin II VO und Art. 20 Abs. 1 lit. e 2. Satz Dublin II VO) erlassen. Der Asylgerichtshof war auf Basis der Ergebnisse des Verfahrens des Bundesasylamtes praktisch nicht in der Lage, innerhalb der zur Verfügung stehenden kurzen Entscheidungsfristen (§ 37 Abs. 3 AsylG) eine inhaltliche Entscheidung zu treffen. Der angefochtene Bescheid konnte daher unter dem Gesichtspunkt des § 41 Abs. 3 AsylG keinen Bestand mehr haben.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden. Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG entfallen.