TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/18 C1 261350-0/2008

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Veröffentlicht am 18.08.2008
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Spruch

C1 261350-0/2008/22E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Fischer-Szilagyi als Einzelrichterin über die Beschwerde des B.A., geb. 00.00.1986, StA. Russische Föderation, vom 07.06.2005 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.05.2005, FZ. 03 31.103-BAT, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und B.A. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG wird festgestellt, dass B.A. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

 

Mit angefochtenem Bescheid wurde der Asylantrag des nunmehrigen Beschwerdeführers vom 11.10.2003 gemäß § 7 AsylG abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig erklärt. Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

 

In der Begründung wertete die Erstbehörde die Angaben des Asylwerbers als unglaubwürdig und führte Folgendes aus:

 

"Der Antragsteller war persönlich nicht glaubwürdig. So gab der Antragsteller bei der Stellung seines Asylantrages an, A.A. zu heißen und am 00.00.1986 geboren zu sein. In weiterer Folge verließ der Antragsteller Österreich und wurde am 21.07.2004 aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 434/2003 des Rates (Dublinverordnung) von Schweden nach Österreich überstellt, Im Zuge dieser Rückübernahme führte der Antragsteller nunmehr den Namen L.K., geb. am 00.00.1986. Schließlich erklärte der Antragsteller bei seiner Einvernahme, sein richtiger Name sei B.A. und er sei am 00.00.1986 geboren. Auf diesbezüglichen Vorhalt, warum er bei der Antragstellung einen anderen Namen angegeben habe, erklärte der Antragsteller lediglich, dies hätte ihm sein Bruder so geraten. ... Diese unterschiedlichen Identitätsangaben des Antragstellers sprachen schon für sich alleine verbunden mit den fluchtauslösenden Gründen für die Unglaubwürdigkeit des Antragstellers, zumal er bis zur Bescheiderlassung weder Dokumente, mit welchen er seine Identität nachweisen hätte können, noch andere Beweismittel vorlegte, mit denen er seine Identität hätte glaubhaft machen können. Deshalb war die erkennende Behörde nicht in der Lage, nur aufgrund des Vorbringens des Antragstellers, die Angaben zu seiner Person mit der für das Asylverfahren notwendigen Verlässlichkeit festzustellen.

 

Allgemein erwiesen sich aber auch die niederschriftlichen Ausführungen des Antragstellers zu seinen Flüchtgründen als wenig detailreich und schematisch erscheinend. So führte der Antragsteller lediglich vage an, er werde seit 2003 von den russischen Behörden gesucht. Dies habe er erfahren, da an jenem Tag sein Bruder festgenommen worden sein soll und sein Bruder nach dem Antragsteller gefragt worden sei. Der Grund seiner Suche sei, da er vom Bruder, welcher Arzt sei, Medikamente seit dem Jahr 2001 übernommen habe, welche er an tschetschenische Widerstandskämpfer weitergegeben habe,. Dazu führte der Antragsteller auch nur vage aus, ein Dorfbewohner habe den Russen berichtet, dass sein Bruder I. angeblich mit Kämpfern zusammenarbeite. Dies habe ihm der Vater eines Freundes erzählt, welcher das wiederum gehört haben soll, da man in Tschetschenien viel hört. So konnte der Antragsteller auch weder angeben, woher der Bruder diese Medikamente hatte, noch in welcher Fachrichtung sein Bruder als Arzt gearbeitet habe, noch genau, wann er das letzte Mal einen Transport durchgeführt habe. Der Antragsteller konnte schließlich auch nicht angeben, wie, wann und wo sein Bruder von seiner Anhaltung durch die russischen Behörden freigekommen sei. Der Antragsteller sprach lediglich vage davon, sein Bruder sei gegen FSB-Angehörige ausgetauscht worden. Dass das Vorbringen des Antragstellers nicht glaubwürdig ist, war schon alleine aufgrund dieser Angabe zu erkennen, da es nicht nachvollziehbar und plausibel erschien, dass der Antragsteller nichts über diese Anhaltung des Bruders bzw. dessen Freilassung vorbringen konnte, zumal doch beide gemeinsam ihr Heimatland verlassen haben sollen. Die Rechtfertigung des Antragstellers, sein Bruder habe sich bei der Flucht in derartig schlechten körperlichem Zustand befunden, dass ihn der Antragsteller nicht über nähere Details befragt habe, konnte die erkennende Behörde von der Glaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens nicht überzeugen."

 

Hiegegen wurde das Rechtsmittel der Berufung eingebracht und der Bescheid in seinem gesamten Umfang angefochten.

 

In der mündlichen Berufungsverhandlung am 24.5.2007, zu welcher auch die Erstbehörde einen Vertreter entsandte, wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen einvernommen und die Länderberichte verlesen und erörtert.

 

Im Verfahren legte der Beschwerdeführer den Bescheid des deutschen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22.9.2004, mit welchem die Anträge des Bruders des Beschwerdeführers, B.I., und dessen Familie auf Anerkennung als Asylberechtigte abgelehnt und festgestellt wurde, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes hinsichtlich der Russischen Föderation vorlägen.

 

Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen, hat in A. sowie zuletzt in D. gelebt.

 

Zwischen den Jahren 2001 und 2003 hat der Beschwerdeführer Medikamente an tschetschenische Rebellen geliefert, die sich in den Bergen zurückgezogen hatten. Drei der Brüder des Beschwerdeführers kämpften dort mit den Rebellen. Der vierte Bruder des Beschwerdeführers, B.I., hatte, da er Arzt war, Zugang zu Medikamenten, welche er dem Beschwerdeführer übergab. Diese Medikamente wurden vom Beschwerdeführer in die Berge verbracht, wo er sie in der Nähe des Dorfes B. auf einem Pfad bei einem Baum versteckte. Dieses Dorf war etwa 10km vom Heimatdorf des Beschwerdeführers entfernt. Von dort wurden die Medikamente abgeholt, was der Beschwerdeführer bei seinem nächsten Besuch bei dem Versteck kontrollierte. Der Beschwerdeführer war hierbei nachts unterwegs und wusste außer dem Beschwerdeführer und seinem Bruder zunächst niemand davon.

 

Im September 2003 wurde der Bruder des Beschwerdeführers, B.I., von Angehörigen des FSB im Haus der Eltern festgenommen, während sich der Beschwerdeführer im Nachbarhaus befand. Während seiner Anhaltung wurde dem Bruder des Beschwerdeführers vorgeworfen, die Rebellen mit Medikamenten zu beliefern, er wurde misshandelt und nach dem Verbleib des Beschwerdeführers befragt. Der Beschwerdeführer hielt sich ab diesem Zeitpunkt im Dorf D. auf. Von dort wurde er von seinem Bruder, nachdem dieser gegen Angehörige des FSB ausgetauscht worden war, abgeholt und verließen beide gemeinsam mit der Familie des Bruders Tschetschenien.

 

Auch nach der Ausreise der Brüder wurden die Eltern mehrmals von den Behörden aufgesucht und nach dem Aufenthaltsort ihrer beiden Söhne gefragt. Die Eltern des Beschwerdeführers leben inzwischen nicht mehr in ihrem Heimatort. Ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers ist im Jahr 2007 verstorben. Der Aufenthalt der beiden anderen Brüder des Beschwerdeführers ist nicht bekannt.

 

Der Beschwerdeführer hat sein Heimatland im September 2003 verlassen, ist in Österreich illegal eingereist und hat am 11.10.2003 gegenständlichen Asylantrag gestellt.

 

Da das Ziel des Beschwerdeführers und seines Bruders Norwegen war, reisten beide von Österreich weiter nach Deutschland. Von dort reiste der Beschwerdeführer alleine weiter nach Norwegen, wo er seinen Bruder treffen wollte. In Norwegen verblieb der Beschwerdeführer sieben Monate. Da der Bruder des Beschwerdeführers dort jedoch nicht eintraf, reiste der Beschwerdeführer weiter nach Schweden, von wo er am 17.8.2004 nach Österreich rücküberstellt wurde.

 

Der Beschwerdeführer verfügt über keine Verwandten in Österreich. Der Bruder des Beschwerdeführers, B.I., lebt in Deutschland.

 

Einsicht wurde genommen in den Bescheid des deutschen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22.09.2004, betreffend den Bruder des Beschwerdeführers und dessen Familie.

 

Festgehalten wird weiters, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirksgerichtes Ebreichsdorf vom 00.00.2007, wegen § 83 StGB zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu EUR 2,-, im Falle der Uneinbringlichkeit 15 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt wurde.

 

Diese Feststellungen gründen sich auf die Aussagen des Beschwerdeführers sowie die vorgelegten Dokumente.

 

Der Beschwerdeführer hat im Wesentlichen im erstinstanzlichen Verfahren sowie im Berufungsverfahren gleichlautende Angaben gemacht. Auch vermittelte er in der Berufungsverhandlung durch sein Auftreten und die Spontaneität seiner Antworten einen glaubwürdigen Eindruck, das Erzählte tatsächlich erlebt zu haben. Die Rechtfertigung des Beschwerdeführers, er habe auf Anraten seines Bruders zu seiner Identität unterschiedliche Angaben gemacht, ist vor den Hintergrund, dass beide nach Norwegen weiterreisen und dort ihre Asylanträge behandelt wissen wollten, glaubwürdig. Dass der Beschwerdeführer dem Rat seines Bruders sowie anderer in Norwegen anwesender Tschetschenen folgte, erscheint nicht zuletzt mit Rücksicht auf das jugendlichen Alters des Beschwerdeführers, der zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig war, als nachvollziehbar. Auch dass der Beschwerdeführer zu den konkreten Umständen der Verhaftung und Entlassung seines Bruders keine genauen Angaben machen konnte, ist im Hinblick auf die Tatsache, dass der Beschwerdeführer weder bei der Festnahme noch bei der Entlassung anwesend war, und seine Informationen nur vom "Hörensagen" kannte, nicht jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen. Dagegen machte der Beschwerdeführer sowohl in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt als auch in seiner Berufung sowie in der mündlichen Berufungsverhandlung übereinstimmende Angaben zu seiner Rolle als Lieferant von Medikamenten an die Rebellen, die sich in den Bergen versteckt hielten. Aufgrund der großen Altersdifferenz zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Brüdern kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer über deren genaue Tätigkeiten für die Rebellen im Detail Bescheid wissen musste.

 

Die Aussagen des Beschwerdeführers entsprechen auch den Angaben, die sein Bruder B.I. im Rahmen dessen Asylverfahren vor dem deutschen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gemacht hat. Auch das deutsche Bundesamt wertete die Aussagen des B.I. als glaubwürdig und stellte fest, dass dieser einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Er dürfe daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in die Russische Föderation abgeschoben werden.

 

Im Gesamtzusammenhang betrachtet ist sohin ein stimmiges und nachvollziehbares Bild seiner Bedrohung entstanden und kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit von einer Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers ausgegangen werden.

 

Zur Russischen Föderation wird Folgendes ausgeführt:

 

Im Jahr 2006 kam es in Russland zu einer Reihe von, auch schwerwiegenden, Menschenrechtsproblemen, die auch staatliche (Sicherheits-)organe betrafen. Die demokratische Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Volk wurde weiter schwächer. Medien- und Meinungsfreiheit wurden in einigen Bereichen beschränkt. An positiven Entwicklungen waren Reformen der Strafgerichtsbarkeit und die verstärkte staatliche Verfolgung von rassischen und ethnischen Diskriminierungen zu verzeichnen (USDOS)

 

In Tschetschenien kam es weiterhin zu einigen straflosen Menschenrechtsverletzungen durch russische Organe und tschetschenische Regierungskräfte, wobei sich die allgemeine Sicherheitslage insbesondere in Städten und anderen Talregionen stabilisiert hat (USDOS, SFH, NZZ 1). Staatliche Sicherheitsaufgaben wurden zunehmend an die "pro-russischen" Kräfte um den nunmehrigen Präsidenten Ramzan Kadyrov übergeben, die mit zum Teil rechtswidrigen Methoden gegen (vermeintliche) Gegner vorgehen, es gibt daher weiterhin Entführungen und Morde durch diese Kräfte. Die Zahl der Morde und Verschleppungen ist nach Zählung der Menschenrechtsorganisation "Memorial" zwar wesentlich zurückgegangen, es besteht jedoch eine Dunkelziffer, da unter Kadyrov ein Klima der Angst herrscht und auch häufig ungeklärt bleibt, wie viele Verbrechen aus welchen Motiven auf das Konto von Kadyrov gehen. Die "Kadyrovzi" sind nun eine mehrere Tausend Mann starke Truppe, die zum großen Teil aus ehemaligen Widerstandskämpfern besteht. Rebellen wurden von Kadyrov mit Geld oder durch Entführung von Angehörigen zum Überlaufen gebracht. Offene Kämpfe gibt es derzeit weniger. "Tschetschenische Rebellen", obwohl stark geschwächt, begingen weiterhin einige (schwere) Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, die auch zivile Opfer forderten. Eine Zusammenarbeit zwischen russischen und den "pro-russischen Kadyrov-Kräften" kann jedenfalls zurzeit nicht ausgeschlossen werden (CES1, SFH, USDOS, AA, APA, NZZ 1).

 

Seit einigen Jahren fließt viel Geld aus Russland nach Tschetschenien, für Waisen, für zerstörte Häuser, wobei jedoch 60 bis 70 Prozent des Geldes in korrupten Kanälen verschwinden. Es kann dennoch von einem nunmehr rasanten ökonomischen Aufschwung (Eröffnung von Geschäften und Lokalen), sowie insgesamt einer zaghaften Normalisierung und Stabilisierung gesprochen werden, wobei die wirtschaftliche und soziale Lage aber weiterhin, wie im gesamten Nordkaukasus, verglichen mit anderen Regionen Russlands, schlecht ist. Lokale Menschenrechtsorganisationen haben begonnen sich zu etablieren, erste Ansätze zur Entwicklung einer Zivilgesellschaft sind zu beobachten. Es gibt auch staatliche Institutionen zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen, diese sind aber vielfach noch zu schwach ausgeprägt. Der Wiederaufbau wird auch durch von Kadyrov verlangte "freiwilligen Spenden" aller Staatsbediensteten finanziert (CES 1, NZZ 1, IWP, SFH). Großflächige humanitäre Hilfsoperationen wurden in der 2. Jahreshälfte 2006 in der Region durchgeführt, es wurden auch konkrete Projekte zur Stärkung der Gesundheit junger Menschen und des lokalen Gesundheitswesens durchgeführt; ein umfassender koordinierter Arbeitsplan der (internationalen) Hilfsorganisationen für das Jahr 2007 im Nord-Kaukasus bei verbessertem Zugang insbesondere nach Tschetschenien ist erarbeitet worden, eine graduelle Verbesserung der Lage in 2007 wird erwartet (IWP).

 

Die meisten Binnenvertriebenen Tschetschenen sind nach Tschetschenien zurückgekehrt, einige leben aber weiterhin in Nachbarrepubliken und anderen Teilen Russlands (z.B. 200.000 in Moskau, 50.000 in der Wolgaregion, 40.000 in Inguschetien/Dagestan). Die tschetschenische Volksgruppe ist insgesamt in vielen Teilen der Russischen Föderation vertreten. Es existieren dort vielfach auch Netzwerke der Tschetschenen, beziehungsweise Hilfsorganisationen, die sich für ihre Rechte einsetzen (ACCORD, IWP, CES 2).

 

Ob eine Ansiedlung in anderen Teilen der Russischen Föderation möglich ist, ist bei Fehlen staatlicher Verfolgung im Einzelfall zu prüfen, dabei spielen angesichts von möglichen Schwierigkeiten bei der Registrierung ein Netzwerk von Verwandten und Bekannten und die Möglichkeit der Kontaktierung von NGO's eine Rolle. Nichtregistrierte Tschetschenen können allenfalls in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands überleben, wobei wiederum Faktoren wie Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse relevant sein können. Für arbeitsfähige Menschen hat sich die Möglichkeit der Teilnahme am Arbeitsmarkt in anderen Teilen Russlands jedoch erhöht. Das Risiko zum Opfer von Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen zu werden, ist im Regelfall höher als bei ethnischen Russen. Die Schwere solcher Risken ist im Einzelfall zu prüfen. Die Registrierung ist in Südrussland leichter, die Sicherheitslage in den benachbarten Kaukasusrepubliken, insbesondere Inguschetien, ist aber kritisch und muss im Einzelfall geprüft werden. Direkte staatliche Repression nur in Folge einer Asylantragstellung konnte bei Tschetschenen bisher nicht nachgewiesen werden (AA, ACCORD, CES 2, USDOS, UKHO, ÖB 1, NZZ 2).

 

Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und eine medizinische Grundversorgung sind in Russland, einschließlich der Kaukasus-Region im allgemeinen gegeben, die Bevölkerung Tschetscheniens lebt trotz erster Erfolge von entsprechenden Förderungs- und Unterstützungsmaßnahmen und einer grundsätzlich positiven Tendenz schwierig und kann dies in einzelnen Fällen unzumutbar sein (AA, IWP).

 

Gefälschte Dokumente oder unwahre Zeitungsmeldungen, mit denen staatliche Repressionsmaßnahmen dokumentiert werden sollen, werden regelmäßig bei Asylsuchenden aus der Russischen Föderation im allgemeinen und der Kaukasusregion im besonderen festgestellt. Von staatlichen Behörden ausgestellte Dokumente sind nicht selten mit unrichtigem Inhalt ausgestellt oder gefälscht;

Personenstandsurkunden und andere Dokumente (z.B. Haftbefehle) können gekauft werden. Häufig werden falsche Namen und Adressen in Asylverfahren angegeben. Aussagekräftig sind insbesondere echte Inlandspässe (AA).

 

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es durch Bestechung möglich ist, echte Auslandspässe zu erhalten und russische Kontrollen, z.B. beim Verlassen der Kaukasus-Region zu passieren, obwohl eine Suche durch föderale russische Organe erfolgt. Bei der Ausreise nach Weißrussland gibt es in der Regel keine Kontrollen (ÖB 2).

 

(Quellen: UK Home Office, Operational Guidance Note, Russian Federation, 14.11.2006, UKHO; Dt. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien vom 17.03.2007; US State Department, Russia, Country Reports on Human Rights Practices 2006 vom 06.03.2007, USDOS; Centre for Eastern Studies, Chechnya, between a Caucasian "Jihad" and "hidden" separatism (Macej Falkovski), Jänner 2007, CES 1; NZZ, "Beschwerliche Rückkehr zur Normalität in Grozny", 06.01.2007, NZZ 1; NZZ: "Russland ist mittlerweile das zweitgrößte Immigrationsland der Welt", 03.02.2007, NZZ 2; APA, " Kadyrov als neuer tschetschenischer Präsident vereidigt", 05.04.2007, APA;

Inter-Agency Transitional Workplan for the Northern Caucasus, 2007, IWP; Auskunft des Vertrauensanwaltes der ÖB Moskau vom 16.11.2006, Fragen 8-11. ÖB1; Auskunft der ÖB Moskau vom 20.07.2006, ÖB 2;

Centre for Eastern Studies, Demographic Situation in Russia (Leszek Szerepka), Juli 2006, CES 2; ACCORD, Auskunft vom 13.09.2005 zur Situation von Tschetschenen außerhalb des Nordkaukasus, ACCORD;

Schweizer Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus, Klaus Ammann, Jänner 2007, SFH; Dagestan: BFM, Russland, Dagestan-Ein zweites Tschetschenien, Teil 1 und 2, April 2006, BFM; Inguschetien: BBC News, Regions and Territories, Ingushetia, 21.01.2007, BBC.)

 

Rechtlich ist auszuführen:

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951, BGBl. Nr. 55/1955, i.V.m. Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.01.1967, BGBl. Nr. 78/1974, ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und sich nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Zentraler Aspekt der in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist.

 

Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 6.10.1999. Zl.99/01/0279, mwN).

 

Der Beschwerdeführer hat tschetschenische Rebellen durch den Transport von Medikamenten in die Berge, wo sich diese versteckt hielten, unterstützt, weshalb ein Bruder des Beschwerdeführers verhaftet wurde. Der Beschwerdeführer selbst entging der Verhaftung, weil er zum fraglichen Zeitpunkt nicht im Heimathaus anwesend war. Drei weitere Brüder des Beschwerdeführers kämpften zu diesem Zeitpunkt für die Rebellen. Der Beschwerdeführer geriet zumindest durch den gezielten Versuch seiner Verhaftung und die Befragung seines Bruders nach seinem Aufenthaltsort in das Blickfeld der russischen Behörden. Für die Frage der Asylrelevanz kommt es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht darauf an, ob gegen eine Person mit "zielgerichteter Verfolgungsabsicht" in Bezug auf die Person vorgegangen wurde, sondern entscheidend ist vielmehr, ob der Beschwerdeführer in Tschetschenien weiterhin mit Verfolgungshandlungen der bereits erlittenen Art mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu rechnen gehabt hätte bzw. diesen noch immer ausgesetzt sein könnte (vgl. VwGH 25.10.2005, Zl. 2002/20/0328). Davon ist aber im Fall des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der obigen Feststellungen auszugehen. Der Beschwerdeführer wird wie sein Bruder von den russischen Behörden gezielt wegen der Zusammenarbeit mit den tschetschenischen Kämpfern gesucht. Er gehört somit zu einem Personenkreis, der von anti-separatistischen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung besonders betroffen ist (vgl. zu einer ähnlichen Situation VwGH 16.06.1999, 98/01/0339). Aus diesem Grund ist auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückführung besondere Aufmerksamkeit seitens der russischen Behörden gewidmet würde. Weiters ist - auch unter Bezugsnahme auf aktuelle Länderdokumentationen - nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Beschwerdeführer außerhalb Tschetscheniens keinerlei asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt wäre oder dagegen effektiven behördlichen Schutz zu erwarten hätte. Schon weil sich die Hoheitsgewalt der russischen Regierung auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt, steht dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Schutzalternative zur Verfügung. Wie aus den o.a. Feststellungen hervorgeht, wäre es ihm überdies wegen der gegenüber Tschetschenen praktizierten Restriktionen beim Erwerb von Zuzugsgenehmigungen praktisch unmöglich, sich außerhalb Tschetscheniens niederzulassen und sich eine Existenzgrundlage zu schaffen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Das Verfahren war gemäß der Bestimmung des § 75 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005, des § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 und der Bestimmung des § 23 Asylgerichtshofgesetz, BGBl I Nr. 4/2008, zu führen.

Schlagworte
gesamte Staatsgebiet, Kollaboration, Lebensgrundlage, strafrechtliche Verurteilung, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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