TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/19 B13 255631-0/2008

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Veröffentlicht am 19.08.2008
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Spruch

GZ: B13 255.631-0/2008/13E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Maga. Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde von I. C., geb. 00.00. 1983, StA: Türkei, vom 22. 11. 2004 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. 11. 2004, Zl 03 31.593-BAI, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 5. 5. 2008 und am 17. 6. 2008 , zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und I. C. gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idF BGBl. I Nr. 126/2002, Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass I. C. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Der Beschwerdeführer stellte am 30. 9. 2003 beim Bundesasylamt einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

 

Am 22. 9. 2004 wurde der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt einvernommen und zu seinen Fluchtgründen befragt. Dabei gab er an, dass sein Bruder seit 16 Jahren Mitglied der PKK sei und noch immer diesbezügliche Aktivitäten setze. Dieser Umstand sei den türkischen Behörden und der Bevölkerung bekannt gewesen. Die Mitgliedschaft seines Bruders zur PKK habe dazu geführt, dass der Beschwerdeführer insbesondere in der Schule ausgegrenzt worden sei. Diese Missachtungen hätten sich allerdings nicht nur die Person des Beschwerdeführers beschränkt, sondern es sei vielmehr die gesamt Familie davon betroffen gewesen. Ebenso sei diese Ausgrenzung nicht nur von privaten Personen ausgegangen, sondern es sei auch zu Belästigungen seitens der Polizei gekommen. Diese Belästigungen der Sicherheitskräfte seien ihm auch während seiner Studienzeit widerfahren. Nachdem die Polizei seine Herkunft herausgefunden habe, hätten sich diese Vorfälle anfänglich nur auf das Musikcafé bezogen, in welchem der Beschwerdeführer gearbeitet habe. In weiterer Folge sei er jedoch inhaftiert worden, weil man im Zuge einer Hausdurchsuchung in diesem Café eine Unterschriftenliste in kurdischer Sprache gefunden habe. Durch diesen Vorfall sei der Großteil der Kundschaft ausgeblieben, sodass der Beschwerdeführer wieder in sein Heimatdorf S. zurückgekehrt sei. Da sich an seiner Situation nichts geändert habe, habe er Kontakt zur PKK aufgenommen, um zu seinem Bruder in ein PKK-Camp nahe der irakischen Grenze zu gelangen. Dort sei der Beschwerdeführer politisch unterrichtet worden und habe auch am Kampfunterricht teilnehmen müssen. Nachdem er zu einem Kampfeinsatz mitgenommen worden sei, bei dem er jedoch seinen Bruder nicht gesehen habe, habe er sich zur Flucht aus dem Camp entschlossen. Danach sei er aus der Türkei geflüchtet.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. 11. 2004, Zl 03 31.593-BAI, wurde der Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I), die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 Absatz 1 AsylG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II) und der Beschwerdeführer gemäß § 8 Absatz 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III).

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 22. 11. 2004 Beschwerde.

 

Der unabhängige Bundesasylsenat führte am 5. 5. 2008 und am 17. 6. 2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesasylamt als weitere Partei des Verfahrens nicht teilgenommen hat. Der Beschwerdeführer gab ergänzend an, dass er auch exilpolitisch tätig sei. Weiters gehöre er der Musikgruppe "XY" an, die kurdische Musik spielen und bei Veranstaltungen kurdischer Vereine auftreten würde.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und gehört der kurdischen Volksgruppe an. Er stammt aus dem Bezirk H. in der Provinz S. in der Osttürkei. Dort absolvierte er das Gymnasium. Als der Beschwerdeführer die Aufnahmeprüfung für die Universität nicht bestanden hatte, besuchte er in M. eine privat betriebene Musikschule und betrieb zudem ein Kaffeehaus. Ein Bruder des Beschwerdeführers, M. C., hatte sich bereits vor Jahren der PKK angeschlossen. Dieser Umstand hatte dazu geführt, dass der Berufungswerber bereits als Schüler Belästigungen seitens der türkischen Sicherheitskräfte ausgesetzt war. Während seines Aufenthaltes in M. hatten türkische Sicherheitskräfte die kurdische Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers entdeckt. In weiterer Folge war der Beschwerdeführer Opfer von Repressalien der Behörden, die sich in oftmaligen kurzfristigen Schließungen des Kaffeehauses äußerten. Als die Sicherheitskräfte eine Unterschriftenliste im Kaffeehaus gefunden hatten, die eine Aufforderung zur Abhaltung kurdischsprachigen Unterrichtes zum Inhalt hatte, wurde der Beschwerdeführer für kurze Zeit verhaftet. Auf Grund dieses Vorfalles blieben die Besucher aus, sodass der Beschwerdeführer sein Kaffeehaus schließen musste. Danach kehrte er nach H. zurück. Dort nahm er Kontakt zu PKK-Anhängern auf, die ihn zu seinem Bruder in die Berge bringen sollten. Der Beschwerdeführer hielt sich zwei Monate lang in einem Lager nahe der Grenze zum Irak auf. Als er zu einem Kampfeinsatz mitgenommen werden sollte, flüchtete er über Urfa, Mersin und die Mongolei nach Österreich.

 

Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst in der Türkei nicht abgeleistet und gilt somit als fahnenflüchtig. Weiters ist der Beschwerdeführer exilpolitisch tätig, indem er die Rolle eines Funktionärs des Kurdischen Volkshauses innehat und verschiedene Folklore- und Musikgruppen im Kurdischen Volkshaus leitet. Zudem tritt er selbst als Musiker bei - von türkischen Behörden als PKK-Veranstaltungen bewerteten - Konzerten auf, in denen er in kurdischer Sprache Lieder vorträgt.

 

Zur Situation im Heimatland des Beschwerdeführers:

 

Einschränkung der Meinungsfreiheit

 

Die türkische Verfassung garantiert in Art. 26 die Freiheit der Meinungsäußerung. Durch mehrere Verfassungsänderungen und Änderungen des Strafrechts in den letzten Jahren wurde die Meinungsfreiheit gestärkt. Für die Meinungsfreiheit bestehen aber nach wie vor Gesetzesvorbehalte (siehe Art. 26, öffentliche Sicherheit und Ordnung, Einheit des Staates, Rechte anderer etc.). Aufgrund der neuen, zum 01.06.2005 in Kraft getretenen strafrechtlichen Bestimmungen zu Meinungsdelikten (u.a. Art. 216 und 301 tStGB n.F.) ergibt sich eine Strafbarkeit in einem ähnlichen Rahmen, wie sie bereits zuletzt im Rahmen des mehrfach reformierten, bis 30.5.2005 gültigen tStGB gegeben war. Die Entwicklung nach Inkrafttreten des neuen tStGB bleibt abzuwarten (vgl. auch zu Ziffer II 1 g). Von Pressevertretern und Nichtregierungsorganisationen werden die Änderung vor allem von Art. 216 (Volksverhetzung) und 301 (Erniedrigung des Türkentums) gefordert, was von der Regierung bislang abgelehnt wird. Sie möchte zunächst die einschlägige Rechtsprechung abwarten. Die Meinungsfreiheit in der Türkei endete aufgrund der früheren Gesetzeslage dort, wo Justiz und Sicherheitskräfte den Staat durch "Islamismus" oder "Separatismus" gefährdet sahen. Die einfachgesetzlichen Strafrechtsbestimmungen in Art. 159 a.F. ("Beleidigung des Türkentums"), Art. 169 a.F. ("Unterstützung einer verbotenen Vereinigung") und Art. 312 Abs. 2 tStGB ("Volksverhetzung") wurden von Gerichten und Staatsanwaltschaften großzügig zur

 

Beschränkung der Meinungsfreiheit herangezogen, bis zu seiner Abschaffung Mitte 2003 auch Art. 8 Antiterrorgesetz ("separatistische Propaganda"). Diese Gesetze wurden bereits in den letzten Jahren deutlich zugunsten des Bürgers modifiziert, so dass die Zahl der entsprechenden Anklagen und vor allem Verurteilungen bereits von 2003 bis 2005 kontinuierlich zurückging. Meinungsäußerungen, die nur Kritik beinhalten und die nicht beleidigend oder zersetzend gemeint sind, wurden nicht mehr bestraft. Nach einer vom türkischen EU-Generalsekretariat vorgelegten Statistik kam es bei Strafverfahren nach Art. 159 a.F. (Art. 301 n.F.) in dem Zeitraum Januar bis September 2004 in 9,3 % der Fälle zu einer Verurteilung zu einer Haftstrafe, im Zeitraum Januar bis September 2005 in 11,6 % der Fälle bei sinkenden Fallzahlen. Dagegen stieg die Verurteilungsquote zu Haftstrafen nach Art. 7 des Anti-Terror-Gesetzes (ATG) in den genannten 9-Monatszeiträumen von 8,6 % auf 18,2 % bei leicht sinkenden Fallzahlen. In diesen Zahlen sind z.T. Verfahren nach Art. 216, 301 und 305 StGB gegen Schriftsteller, Journalisten, Verleger, Übersetzer und Menschenrechtsverteidiger enthalten, die vor allem von einer Gruppe nationalistischer Anwälte angestrengt wurden. Die weit überwiegende Zahl dieser Verfahren wurde eingestellt, endete in Freisprüchen oder dauert noch an. Von Januar 2004 bis Juni 2005 haben die Gerichte in mindestens 224 Urteilen, die mit Freispruch endeten, auf Artikel 10 der EMRK verwiesen und der YargÕtay hat mit mehreren Urteilen die Meinungsfreiheit gestärkt.

 

Der Verdacht staatlicher Repression begründete sich meist auf vermeintliche oder tatsächliche Aktionen, die als Unterstützung des kurdischen (PKK) Terrorismus, des Separatismus oder islamistischen Terrorismus gewertet wurden. Aufgrund der jüngsten Erkenntnisse im Kontext der Reformen werden Meinungsäußerungen, die im Rahmen der EMRK zulässig sind, in der Türkei nicht mehr in bestandskräftiger Weise kriminalisiert. Jedoch: im 2.Halbjahr 2005 und Anfang 2006 wurde in einigen prominenten Fällen Anklage nach Art. 301 n.F wegen "Beleidigung des Türkentums" erhoben (u.a. Orhan Pamuk, Baskin Oran). Die Verfahren wurden eingestellt, dauern noch an bzw. die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Mit der Bestätigung der auf Bewährung ausgesetzten Haftstrafe gegen Hrant Dink am 11.07.2006 durch

 

den Yargitay ist es erstmalig zu einer rechtskräftigen Verurteilung nach Art. 301 StGB gekommen. Die türkische Regierung hat dem Druck, die kritisierten Vorschriften des neuen tStGB erneut, und zwar im Sinne einer deutlichen Ausweitung der Meinungsfreiheit, zu ändern oder aufzuheben, bisher nicht nachgegeben, weil sie die Entwicklung der Rechtsprechung abwarten wollte. Mit jenem höchstinstanzlichen Urteil wird der Druck zunehmen, den umstrittenen Art. 301 StGB zu ändern. Mit dem Wiedererstarken des PKK-Terrorismus wurde seit Mitte 2005 der Ruf nach einschneidenderen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung lauter. Am 29.06.2006 hat das Parlament zahlreiche Verschärfungen im Anti-Terror-Gesetz verabschiedet (das Gesetz ist am 18.7.2006 in Kraft getreten). Die von Menschenrechts-Organisationen und den Medien stark kritisierten Änderungen sehen u.a. eine Rückkehr des abgeschafften Art. 8 Anti-Terror-Gesetz ("separatistische Propaganda"), eine sehr offen formulierte Terror-Definition, eine Ausweitung von Straftatbeständen, die Schwächung der Rechte von Verhafteten und eine Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitskräfte vor. Das Anti-Terror-Gesetz in seiner veränderten Form droht die Meinungsfreiheit weiter zu beschneiden und ermöglicht für viele Handlungen, die nicht in Zusammenhang mit Gewaltakten stehen, die Verurteilung als Beteiligung an Terrordelikten. Das veränderte Anti-Terrorgesetz, wird allgemein als Konzession an die türkischen Sicherheitskräfte angesehen.

 

Allein aufgrund ihrer Abstammung sind und waren türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit nie staatlichen Repressionen unterworfen. Auch über erhöhte Strafzumessung in Strafverfahren ist nichts bekannt. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden). Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus. Innenminister Aksu z.B. ist kurdischer Abstammung. Er hat Reden auf kurdisch gehalten, allerdings nicht bei offiziellen Anlässen. Die Tatsache, dass "Separatismus" und "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande" kurdischstämmigen Türken weit öfter als anderen Türken vorgeworfen wurden, liegt daran, dass Verbindungen mit und Unterstützung der Terrororganisation PKK sich nahezu ausschließlich aus kurdischstämmigen Kreisen rekrutierte. Türkische Regierungen versprechen seit langem, die wirtschaftliche und soziale Lage des in weiten Teilen noch semifeudal strukturierten und wenig entwickelten Südostens zu verbessern. Nach offiziellen Angaben sind bis Juni 2005 ca. 125.500 Personen von insgesamt etwa 355.800 Vertriebenen in die angestammten Dörfer zurückgekehrt. Menschenrechtsorganisationen, z. B. Human Rights Watch, schätzt die Zahl der Vertriebenen auf bis zu zwei Millionen und geht von geringeren Rückkehrerzahlen als die Regierung aus. An einem wirklichen Rückkehrer-Konzept fehlt es nach wie vor. Ohne eine staatliche Anschubfinanzierung wird den meisten der in die Städte geflüchteten Menschen eine Rückkehr in die Dörfer nicht möglich sein. Oft fehlt es auch am Willen, in die in beruflicher und privater Hinsicht meist perspektivlosen Dörfer des Südostens zurückzukehren. Ein erster symbolbeladener Besuch des Ministerpräsidenten Erdogan in Diyarbakir am 12.08.2005 führte zu der Hoffnung, dass die Regierung das "Kurdenproblem" nunmehr als solches wahrnimmt (Erdogan: "Es gibt ein kurdisches Problem. Dies ist auch mein Problem."). Viele türkische Bürger kurdischer Abstammung sind bzw. waren Anhänger oder Mitglieder der die Interessen von Kurden vertretenden Parteien DTP, DEHAP (bis zu ihrer Selbstauflösung) bzw. HADEP (bis zu ihrem Verbot). Dem Auswärtigen Amt wurden zahlreiche Anfragen zu Mitgliedschaften von Asylbewerbern in der HADEP vorgelegt, auch zu Mitgliedschaften, die schon viele Jahre zurückliegen. Abgesehen davon, dass solche Mitgliedschaften in der HADEP nicht mehr in zuverlässiger Weise überprüft werden können, ist kein Fall bekannt geworden, in dem die einfache Mitgliedschaft in der HADEP oder in der DEHAP - ohne besondere, z.B. strafrechtlich relevante Verdachtsmomente - zu Repressalien gegen die Betreffenden geführt hätte. Es ist jedoch bekannt, dass viele, nicht nur einfache ehemalige DEHAP- oder nun DTPMitglieder mehr oder weniger offen mit der PKK und besonders mit Abdullah Öcalan sympathisieren.

 

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Einschränkungen beim Gebrauch der kurdischen Sprache(n)

 

Kurdisch als Umgangssprache und in Buchveröffentlichungen sowie Printmedien ist keinen Restriktionen ausgesetzt. Der Gebrauch des Kurdischen, d.h. der beiden in der Türkei vorwiegend gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmanci und Zaza im "öffentlichen Raum", ist noch eingeschränkt, im Schriftverkehr mit Behörden nicht erlaubt. Das Reformpaket vom 03.08.2002 hatte bereits das Verbot von Rundfunk- und Fernsehsendungen auf Kurdisch aufgehoben (der Gebrauch im Radio wurde damals schon toleriert). Sendungen in kurdischer und in anderen "Sprachen und Dialekten, die in der Türkei üblicherweise gesprochen werden" - so der Wortlaut - sind damit zugelassen; ihre Zulassung steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass sie nicht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Verfassung stehen und nicht gegen "die unteilbare Einheit des Staates mit seinem Land und seiner Nation" gerichtet sein dürfen. Nach einem sehr schwierigen Implementierungsprozess mit einigen Rückschlägen werden seit Juni 2004 - also 22 Monate nach Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungen - im staatlichen Fernsehen TRT in der Sendung "Kültürel Zenginligimiz" ("Unser kultureller Reichtum") wöchentlich je eine halbe Stunde in Bosnisch, Arabisch und Tscherkessisch sowie in Kurmanci und Zaza ausgestrahlt. Es sind jedoch nur Nachrichten, Musik und Kulturprogramme gestattet, türkische Untertitel bzw. Übersetzungen auf Türkisch sind Pflicht. Bis vor kurzem durften nur überregionale Sender Programme in diesen Sprachen ausstrahlen (TV:

bis 45 Minuten täglich und vier Stunden wöchentlich, Radio: bis eine Stunde täglich und fünf Stunden wöchentlich). Attraktiver für die kurdische Bevölkerung im Südosten sind die von Sendern aus Europa und Nordirak ausgestrahlten Sendungen in kurdischen Sprachen. Die Rundfunk- und Fernseh-Aufsichtsbehörde RTÜK hat am 07.03.2006 auch privaten regionalen Sendern erlaubt, innerhalb der o.a. Grenzen ihre Sendungen in kurdischen Sprachen auszustrahlen. Seit dem 23.03.2006 strahlen Gün TV und Söz TV aus DiyarbakÕr sowie Medya FM Radio kurdischsprachige Programme aus. Das Reformpaket vom 03.08.2002 erlaubte mit der Änderung des Gesetzes über den Fremdsprachenunterricht, dass in privaten Lehreinrichtungen Kurse in den oben genannten "Sprachen und Dialekten" abgehalten werden. Nach erheblichen Implementierungsschwierigkeiten wurden seit April 2004 Kurdischkurse an privaten Lehrinstituten in vielen türkischen Großstädten angeboten. Da die Nachfrage jedoch hinter den Erwartungen zurück blieb, wurden alle Kurse aus wirtschaftlichen Gründen wieder geschlossen. Kurdischunterricht und Unterricht in kurdischer Sprache an Schulen sind nach wie vor verboten. Nach dem Parteiengesetz sind öffentliche Reden von Politikern in einer anderen als der türkischen Sprache noch immer verboten. Die Vergabe kurdischer Vornamen unterlag bis 2003 Restriktionen. Behördlicherseits wurde die Vergabe kurdischer Vornamen früher als politische Einflussnahme der PKK gedeutet. Das Reformpaket vom 19.06.2003 änderte das Personenstandsgesetz dahingehend, dass nur noch Vornamen verboten sind, die gegen die "Moral und öffentliche Ordnung" verstoßen; Verbote wegen Verstoßes gegen "nationale Kultur, Traditionen und Gebräuche" sind nicht mehr vorgesehen. In der Praxis ist damit die Vergabe von kurdischen, aber auch anderen, ausländischen Vornamen erlaubt. Ein Runderlass des türkischen Innenministeriums weist darauf hin, dass die nur im Kurdischen, nicht jedoch im offiziellen türkischen Alphabet vorhandenen Buchstaben w, x und q bei der Namensvergabe nicht zulässig sind und ins Türkische transkribiert werden müssen. Als Folge sind auch Gerichtsverfahren zu dieser Problematik anhängig. Dem traditionellen kurdischen Newrozfest (Neujahr am 21. März), das die kulturelle Identität der Kurden jedes Jahr symbolhaft besonders sichtbar macht, standen die türkischen Sicherheitskräfte jahrelang besonders misstrauisch gegenüber. Die letzten drei Newrozfeste verliefen in einer entspannten Atmosphäre der Toleranz auch unter Beteiligung offizieller Stellen, ganz im Gegensatz zu Newrozfesten in einigen der Vorjahre, bei denen es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und Festnahmen kam. Ministerpräsident Erdogan bezeichnete das Newrozfest in einer Erklärung als wichtigen Faktor, der "den Zusammenhalt der Nation stärke" (allerdings kam es 2006 unmittelbar nach dem Newrozfest zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, s. dazu den folgenden Abschnitt).

 

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PKK

 

Die Kurdenfrage ist eng verflochten mit dem jahrzehntelangen Kampf der türkischen Staatsgewalt gegen die von Abdullah Öcalan gegründete sog. "Kurdische Arbeiterpartei" (PKK) und ihre terroristischen Aktionen. Das in Deutschland und der EU bestehende Verbot der Terrororganisation PKK erstreckte sich auch auf die Nachfolgeorganisationen unter anderem Namen (s.u.). Die türkische Regierung hatte lange Zeit die Kurdenfrage nur einseitig als Kampf gegen Terrorismus und Separatismus der PKK betrachtet, ohne daneben die kulturelle Dimension zu sehen. Die 1984 von der PKK begonnenen und bis 1999 andauernden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den türkischen Sicherheitskräften im Südosten der Türkei haben fast 35.000 Menschenleben unter PKK-Kämpfern, türkischen Sicherheitskräften und der Zivilbevölkerung gefordert. Seitdem hat sich die Lage beruhigt. Die Stärke der PKK wird aktuell auf noch 5.000-5.500 Kämpfer geschätzt, davon ca. zwei Drittel im Nordirak. Türkische Erwartungen, die USA würden im Nordirak gegen die PKK vorgehen, haben sich bisher nicht erfüllt. Die PKK verkündete jedoch zum 01.06.2004 die Beendigung des von ihr ausgerufenen "Waffenstillstands". Seitdem kam es im Südosten nach offiziellen Angaben wieder vermehrt zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen türkischem Militär und PKK-Terroristen, die seit Mai 2005 weiter eskaliert sind. Nach türkischen Angaben kamen in den letzten drei Jahren 359 PKK-Terroristen, 203 türkische Soldaten, 21 Polizisten und 22 Dorfschützer zu Tode. Einen weiteren negativen Wendepunkt für das sich über die letzten Jahre langsam verbessernde Verhältnis zwischen kurdischstämmiger Bevölkerung und türkischem Zentralstaat bildete ein von Gendarmerieangehörigen begangener Anschlag auf das Buchgeschäft eines ehemaligen PKK-Mitglieds in einer Kleinstadt im Südosten der Türkei (Semdinli) im November 2005. Danach war ein weiterer deutlicher Anstieg der Spannungen in der Region zu verzeichnen. Aufgrund schwerer Vorwürfe gegen den designierten Generalstabschef leitete der Staatsanwalt Ermittlungen ein. Dies hatte zur Folge, dass gegen den Staatsanwalt ein Disziplinarverfahren wegen Überschreitung seiner Kompetenzen eröffnet wurde. Diese Begleitumstände im Fall Semdinli lösten erneut eine Kontroverse um die Rolle der Armee aus und dürften das in der Region vorhandene generelle Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen weiter verstärkt haben. Ein vorläufiger Höhepunkt der jüngsten Spannungen wurde nach den - wie schon in den vergangenen Jahren - friedlich verlaufenen Newroz-Feierlichkeiten erreicht, als es zwischen dem 28. und 31.03.2006 in Diyarbakr und im Südosten zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen oft mehreren Tausend meist jugendlichen Demonstranten aus dem Umfeld der PKK sowie türkischen Sicherheitskräften kam. Auslöser der Unruhen war die Beerdigung von vier in einem Gefecht mit türkischen Sicherheitskräften getöteten PKK-Terroristen. Die Ausschreitungen haben in der gesamten Türkei mindestens 15 Todesopfer, darunter mindestens drei Kinder unter 10 Jahren, sowie mehr als 350 Verletzte - hierunter knapp 200 Sicherheitskräfte - gefordert. Erstmals seit langer Zeit hat die PKK 2005 und 2006 auch wieder Bombenattentate gegen touristische Ziele verübt, so z.B. am 16.07.2005 in Kusadasi (bei Izmir) mit fünf Todesopfern, zuletzt am 02.04.2006 in Istanbul. Von 2002 bis 2004 hatte sich die Terrororganisation PKK mehrfach umbenannt (KADEK/KHK/KONGRA-GEL), ohne dass dies an ihrem Charakter als Terrororganisation etwas änderte. Mittlerweile ist sie zu ihrer alten Bezeichnung PKK zurückgekehrt. (Für die von ihr selbst als politisch bezeichnete Betätigung im Ausland hat sie jedoch die Bezeichnung KONGRA-GEL beibehalten). Ihr Anführer, der zu lebenslanger Haft verurteilte Abdullah Öcalan, befindet sich seit 1999 im Gefängnis auf der Insel Imrali im Marmara-Meer. Es wird vermutet, dass er aus der Haft über seine Rechtsanwälte weiterhin die PKK lenkt. Im Zusammenhang mit dem neuen Strafvollzugsgesetz war beabsichtigt, Möglichkeiten der Steuerung der PKK durch Öcalan durch Einschränkungen im Verkehr mit seinen Rechtsanwälten zu unterbinden. Kurdischen Quellen zufolge soll sich die PKK in letzter Zeit wieder verstärkt der Anwerbung "junger Kämpfer" widmen. Am 19. August 2005 verkündete die PKK einen auf einen Monat befristeten Waffenstillstand. Die PKK bezeichnet ihre terroristischen Aktionen als "Freiheitskampf". Sie befindet sich nach Einschätzung aller Beobachter vor einer Spaltung. Während ein Flügel, darunter die Führungskader in Mitteleuropa, die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes gegen den türkischen Staat propagiert und dies auch umsetzt, will ein anderer Teil die gewaltsamen Auseinandersetzungen beenden, der Idee eines eigenen kurdischen Staates abschwören und in einen Dialog mit der türkischen Regierung eintreten, um über diesen Weg eine erweiterte Amnestie anzustreben. Zwischen diesen beiden Extremen innerhalb der PKK dürfte es weitere Interessengruppen geben. Die überwiegende Mehrheit der kurdischstämmigen Bevölkerung tritt für ein friedliches Miteinander ein. Sie hat kein Interesse an einer Wiederaufnahme bzw. Fortsetzung des bewaffneten Kampfes. Die Wirkung des "Gesetzes zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft" vom 06.08.2003 ist mittlerweile bis auf einige wenige rechtliche Konstellationen ausgelaufen. Es eröffnete z.B. Mitgliedern und Unterstützern terroristischer Organisationen, die nicht an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligt waren und sich freiwillig stellen, Straffreiheit. Anträge auf Strafminderung sind noch möglich, nicht jedoch Anträge auf völlige Straffreiheit. Ausdrücklich ausgeschlossen vom Gesetz sind vor allem Führungskader der Organisationen, die gemäß Legaldefinition gegenüber allen Mitgliedern auf nationaler Ebene weisungsbefugt sind oder waren. Offiziellen Angaben (Stand: Ende 2004) zufolge hatten sich nur 352 PKK-Angehörige, die nicht bereits eine Haftstrafe verbüßten, gestellt. Hinzu kommen 1726 Personen, die wegen Delikten in Verbindung mit PKK-Aktivitäten inhaftiert sind. Mit Ausnahme der Inhaftierten haben wichtige PKK-Mitglieder angeblich nur ganz vereinzelt Anträge gestellt. Die Regierung erklärt den zahlenmäßigen Misserfolg mit dem großen Druck und der Kontrolle innerhalb der PKK, die ein Ausscheren aus der Gruppe unmöglich machten. Glaubwürdigen Presseberichten zufolge hat es Fälle gegeben, in denen wiedereingliederungsbereite PKK-Angehörige auf Anordnung von PKK-Führungskadern hingerichtet wurden. Das führende DEHAP-Mitglied Fidan wurde im Juli 2005 allem Anschein nach von der PKK ermordet, nachdem er sich öffentlich von ihr distanziert hatte. Das Wiedereingliederungsgesetz war seinem Wortlaut nach nicht auf PKK-Straftäter beschränkt. Deshalb haben auch zahlreiche Anhänger anderer Organisationen (u.a. Hizbullah, DHKP-C, die sog. "Sivas-Attentäter" und sogar einige an den Anschlägen in Istanbul vom 15./20.11.2003 Beteiligte) Anträge gestellt. Ingesamt gingen bis Anfang März 2004 4100 Anträge ein, die meisten davon von bereits verurteilten Straftätern. Vor allem der Ausschluss von Führungskadern wurde von Teilen der Öffentlichkeit, insbesondere aber von der DEHAP und der PKK selbst kritisiert und dafür verantwortlich gemacht, dass die mit dem Gesetz verbundenen Erwartungen - dazu gehörte auch die Herauslösung von PKK-Angehörigen aus ihrem Rückzugsgebiet im Nordirak - nicht erfüllt wurden. Die DEHAP forderte nach wie vor eine Generalamnestie, auch für A. Öcalan und die Führungskader. Im Juni 2004 wurde ein Gesetz über die Entschädigung von Opfern terroristischer Gewalttaten und der Terrorbekämpfung verabschiedet. Art. 221 Abs. 2 n.F. tStGB (in Kraft seit 01.06.2005) fasst die Reuebestimmungen neu (s. Anlage S. 49). Aufgrund der neu gefassten Reuebestimmungen wurden im Jahre 2005 67 Mitglieder der PKK frei gelassen, sowie in der Regel ihre Strafakten geschlossen. Der Notstand ("OHAL") bzw. zuvor "Ausnahmezustand" galt im Südosten der Türkei ununterbrochen ab 1979. Er wurde bereits zum 30.11.2002 in den letzten beiden Provinzen Diyarbakir und Sirnak endgültig beendet.

 

Exilpolitische Aktivitäten:

 

Nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Es ist davon auszugehen, dass sich eine mögliche strafrechtliche Verfolgung durch den türkischen Staat insbesondere auf Personen bezieht, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden.

 

Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie die Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nach türkischem Recht nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen gemäß der gültigen Fassung des türkischen Strafgesetzbuches gewertet werden können. Mit der Liberalisierung des türkischen Strafrechts ist auch die Verfolgung strafrechtlich relevanten Verhaltens von türkischen Staatsangehörigen im Ausland zurückgegangen. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts haben die türkischen Strafverfolgungsbehörden in der Regel nur ein Interesse an der Verfolgung im Ausland begangener Gewalttaten bzw. ihrer konkreten Unterstützung. Dazu gehört auch die Mitgliedschaft in der PKK.

 

Artikel 314 Abs a und b tStGB regelt die Mitgliedschaft bei einer illegalen Organisation. Gibt es Hinweise auf exilpolitische Tätigkeiten, gilt der Aktivist, auch wenn die im Ausland stattgefundenen Veranstaltungen genehmigt waren, als Mitglied einer terroristischen Organisation. Finden solche Veranstaltungen im Ausland statt, erhöht sich der Strafrahmen nach dem Anti-Terrorgesetz um ein Drittel des vorgesehenen Strafausmaßes.

 

Wehrdienst und Militärgerichtsbarkeit

 

Militärgerichtsbarkeit als eigener Gerichtszweig sowie die Existenz und Ausformung der Autonomie der türkischen Streitkräfte, wie sie in der Verfassung verankert ist, rufen die berechtigte Beurteilung verschiedener Beobachter als "Staat im Staat" hervor. So werden alle Belange des Militärs der zivilen Gerichtsbarkeit entzogen und der Militärgerichtsbarkeit zugeordnet. Sie betreffen in erster Linie Angehörige des Militärs und ihre Straftaten in Ausübung ihres Dienstes gegen ihre Vorgesetzten. Unter diese Gerichtsbarkeit fallen auch Zivilpersonen, die ihrer Wehrpflicht nicht nachkommen oder gegen militärische Einrichtungen vorgehen. Grundlage des Militärstrafrechts ist materiellrechtlich das Militär-StGB und prozessrechtlich die Militär-StPO.

 

Militärgerichte bestehen aus zwei Militärrichtern und einem Offizier, der mindestens Hauptmannsrang hat. Im Gegensatz zu dem Militäroffizier, haben die Richter juristische Ausbildung genossen. Ihre Ernennung erfolgt durch die Militärbehörde, im Zusammenspiel mit dem Verteidigungsminister und dem Hohen Militärrat. Die Unabhängigkeit dieser Richter wird wegen ihrer Förderung durch die Zustimmung des jeweiligen Kommandanten weitgehend begrenzt betrachtet aber auch, weil sie disziplinarisch den örtlichen Kommandeuren unterstehen. Dies ist auch ein entscheidender Grund für die Abhängigkeit dieser Gerichte, weil dieselben Vorgesetzten als Partei in den Gerichtsprozessen vertreten sind.

 

Die Behandlung der Wehrpflichtigen während des Militärdienstes ist alles andere als menschenwürdig. Dazu kommt die bewaffnete Auseinandersetzung mit der PKK im Osten des Landes, weswegen sich viele Menschen dem Militärdienst entziehen wollen oder in ihrer Dienstzeit desertieren. Obwohl die PKK seit 1. Okt. 2006 einen einseitigen Waffenstillstand verkündet hat dauern die militärischen Operationen gegen diese weiter an. Dabei kamen seit 1. Oktober 2006 10 türkische Soldaten und 18 PKK-Kämpfer ums Leben. Erniedrigende Behandlung oder Prügel beim türkischen Militär wird von Spitzenpolitikern auch zugegeben. Dabei kommt es auch zu unerklärlichen Todesfällen.

 

Das Militärdienstgesetz mit der Nummer 1111 vom 21.6.1927 verpflichtet alle männlichen Staatsbürger zum Militärdienst. Dabei kennt das Gesetz keinen Ersatzdienst wegen Gewissens- und Glaubensgründen. Für einen Ausschluss aus der Wehrpflicht gelten nur medizinische Gründe. Lehrer, Ärzte und Beamte können ihren Militärdienst in ihrem Beruf absolvieren, wenn die Bedingungen politisch vorhanden sind. Studenten können ihren Militärdienst aufschieben. Nur in besonderen Fällen können Personen von ihrem Militärdienst befreit werden, so z B die nächst älteren Brüder von, im Kampf gegen die PKK, gefallenen Soldaten.

 

Dienstpflichtige Personen müssen sich bei ihrem Einrücktermin freiwillig zwei Musterungen unterziehen. Das Entziehen von den Musterungen wird vom Gesetz verboten. Es besteht kein Unterschied, ob der Betroffene sich der ersten oder zweiten Musterung entzieht:

er wird zum Deserteur. Er wird im GBTS (Genelbilgi Toplama Sistemi. Allgemeines Informationssammlungssystem) registriert und im ganzen Land gesucht. Wird die Person von der Polizei oder dem Militär festgenommen, wird sein Vergehen als ein Indiz für seine politische Gesinnung betrachtet.

 

Für Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen und daher als Deserteur gelten kommt als erstes die strafrechtliche Sanktion im Wehrdienstgesetz in Betracht. Für den Nichtantritt zu den Musterungen oder die Nichteintragung in das Musterungsregister gibt es verschiedene Geldstrafen. (Art. 83 ff. WG). Eine bedeutende Relevanz bekommt die Wehrdienstverweigerung im Militär StGB. Art.63 Militär StGB : "Wer in Frieden ohne annehmbare Entschuldigung der Musterung fernbleibt, sich dem Dienst entzieht, versteckt oder desertiert, wird, wenn er nach Abmarsch der ersten Gruppe seiner zu musternden oder einzuziehenden Altersgenossen oder Kameraden oder im Falle der Einberufung aus der Reserve nach dem Abmarsch der übrigen Altersgenossen aus Mannschaften und Unteroffizieren innerhalb von sieben Tagen freiwillig antritt, mit bis zu einem Monat, und wenn ergriffen wird, mit bis zu drei Monaten; wenn er nach sieben Tagen innerhalb von drei Monaten freiwillig antritt, mit drei Monaten bis zu einem Jahr, wenn er ergriffen wird, mit vier Monaten, bis zu anderthalb Jahren; wenn er nach drei Monaten freiwillig antritt , mit vier Monaten bis zu zwei Jahren, wenn er ergriffen wird, mit sechs Monaten bis zu drei Jahren Zuchthaus bestraft."

 

Die Wahrscheinlichkeit, dass der Festgenommene während der Festnahme oder seiner Haft einer unmenschlichen Behandlung, Erniedrigung oder Folter unterworfen werden wird, ist höchst wahrscheinlich. Obwohl Berichte aus dem Militärbereich sehr schwer an die Öffentlichkeit drängen können, kommt es in letzter Zeit öfters zu Meldungen, dass Gefangene misshandelt oder gefoltert wurden.

 

Die Behandlung der Wehrpflichtigen ist auch nach der Verurteilung, im Gefängnis alles andere als menschenwürdig. Wehrdienstverweigerer werden lebensgefährlich bedroht und gefoltert. Seit September 2006 ist der Öffentlichkeit bekannt, dass die Militärdienstpflichtigen bei einschlägigen Vorkommnissen zwischen Türken und Kurden als Verdächtige angesehen werden. Zum Beispiel wurde der Wehrpflichtige Polat Ebubekir nach einem PKK Überfall beschuldigt, der PKK Informationen weiter gegeben zu haben. Die Anschuldigung hatte ethnische und örtliche Hintergründe. Wie von seinem Vater der Presse mitgeteilt wurde, wurde er durch Folter gezwungen Geständnisse zu unterschreiben.

 

Wehrpflichtige, die im Osten des Landes gegen die PKK eingesetzt werden, werden gezwungen, sich an Misshandlungen zu beteiligen. Wehrpflichtige bei der Gendarmerie nehmen zusätzlich an kriminell-politischen Verhören teil, welche Misshandlungen und Folter der Verhörten umfassen. Verweigerung der Befehle ist nur unter Lebensgefahr möglich.

 

Bedeutend ist auch der Unterschied zwischen Wehrdienstverweigerung und Kriegdienstverweigerung. Seit 1984 herrscht im Osten der Türkei eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den türkischen Militärs und der PKK. Die Türkei lehnt es mit allem Nachdruck ab, dies als Krieg zu definieren, damit das Kriegsvölkerrecht nicht in Betracht kommt. Demnach müssten:

 

a) Personen, die nicht länger an Kampfhandlungen teilnehmen (Verwundete, Kriegsgefangene usw.), müssen respektiert, geschützt und menschlich behandelt werden. Ihnen muss angemessene Betreuung ohne Diskriminierung gewährleistet werden.

 

b) Kriegsgefangene und andere Personen mit eingeschränkter Freiheit (zum Beispiel Internierte) müssen menschlich behandelt werden. Sie müssen vor jeglicher Gewalteinwirkung geschützt werden, insbesondere vor Folter. Bei einem Gerichtsverfahren müssen sie in den Genuss der fundamentalen Rechtsgarantien eines juristisch geregelten Prozesses kommen.

 

c) Das Recht der Kriegsparteien, Methoden und Mittel der Kriegsführung in einem bewaffneten Konflikt zu bestimmen, ist nicht ohne Schranken. Es dürfen keine unnötigen Verletzungen oder unnötiges Leiden zugefügt werden.

 

d) Um die Zivilbevölkerung zu verschonen, müssen bewaffnete Kräfte jederzeit zwischen Zivilbevölkerung bzw. zivilen Objekten auf der einen Seite und militärischen Zielen auf der anderen Seite unterscheiden. Weder die Zivilbevölkerung als solche, noch individuelle Zivilisten oder zivile Objekte dürfen das Ziel militärischer Angriffe sein.

 

Die PKK Kämpfer werden offiziell als bewaffnete Bande definiert und sind trotzdem nach dem Militärstrafrecht "Feinde". Inoffiziell werden alle Personen, die nicht öffentlich und praktisch an der Seite der türkischen Streitkräfte gegen die PKK vorgehen, in diese Auffassung gedrängt. Hier hat das, nicht veröffentliche, "Nationale Sicherheitsdokument" Gültigkeit und dies wird als eigentliche Verfassung der Türkei bewertet. Demnach sind alle Sippen, Organisationen, Parteien, Verbände, Gewerkschaften usw. Feinde der Republik und sollten als solche bekämpft werden.

 

Im Rahmen dieser Tatsache geht das türkische Militär mit allen Mitteln gegen zivile Personen oder Personenkreise auf härteste vor. Dörfer werden verbrannt, Bauern evakuiert, Besitz zerstört, Personen entführt, vergewaltigt, ohne gerichtliche Urteile exekutiert usw. PKK Kämpfer, die während den Auseinandersetzungen gefasst werden, werden exekutiert. Der Wehrpflichtige muss bei diesen Handlungen der Befehlskette gehorchen und Befehle ausführen. Damit wird er gedrängt wider dem internationalen Humanrecht und gegen Angehörige seines eigenen Volkes vorzugehen.

 

Gegenwärtig besteht ein Beschluss des türkischen Parlaments, welcher das türkische Militär bevollmächtigt, in der kurdischen Region im Irak einzumarschieren bzw. militärische Operationen im irakischen Gebiet durchzuführen. Davor gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen der PKK und türkischen Sicherheitskräften, wobei dutzende türkische Soldaten, auch mit ethnisch kurdischem Hintergrund, umgekommen sind. Einige Soldaten haben sich während der Kampfhandlungen der PKK ergeben, die ihrerseits wiederum die sich Ergebenden den türkischen Behörden übergab. Dies wurde von Seiten der türkischen Regierung und Behörde sehr skeptisch aufgenommen, und die Unzufriedenheit wurde durch den Verteidigungsminister dadurch zum Ausdruck gebracht, dass dieser öffentlich angab, sie hätten während dieser Auseinandersetzung besser sterben sollen. Hinterher wurden die Soldaten vor einem Militärgericht angeklagt, stehen aber gegenwärtig auf freien Fuß. Debattiert wurde in der Presse, dass einer von den Soldaten, der sich ergeben hatte, vor seinem Wehrdienst oppositionell aufgefallen sei. Auch sein Vater wäre als Oppositioneller bekannt. In der oppositionellen Presse wurde bekannt gemacht, dass Wehrpflichtige gegenwärtig einer internen Ermittlung unterzogen werden und gefragt wird, ob der Wehrpflichtige oder jemand in seiner Familie jemals oppositionell-politisch tätig gewesen ist. Die Einsetzung solcher Personen, die kämpfen müssen, wurde bei der letzten Militäroperation im Irak in Kurdistan auf eine sehr brutale Art durchgeführt und von der Presse unter dem Titel "Er kämpft gegen seinen Bruder in den Bergen" in die Öffentlichkeit gebracht.

 

Rückkehrfragen:

 

Türkische Staatsbürger haben generell das Recht in die Türkei einzureisen. Rückgekehrte oder abgeschobene Personen werden auf dem Flughafen von Istanbul routinemäßig über ihren Aufenthalt im Ausland befragt. Wenn dabei Verdachtsmomente hinsichtlich einer oppositionellen, politischen Tätigkeit aufkommen, erfolgt eine Überstellung in Polizeigewahrsam zu weiteren Verhören. Ein solcher Verdacht ist insbesondere dann gegeben, wenn ein Rückkehrer entweder kein gültiges, reguläres Personaldokument mit sich führt oder Dokumente mit sich führt die auf ein Asylverfahren im Ausland hinweisen. Ebenso wird der Verdacht erregt, wenn eine Abschiebung in Begleitung von Sicherheitskräften erfolgt. Sollte der Verdacht auf eine vermeintliche oder tatsächliche Unterstützung einer verbotenen Organisation bereits in der Türkei bekannt geworden sein und somit entsprechende Hinweise im Fahndungscomputer an den Grenzstationen oder bei der örtlichen Gendarmerie existieren, dann erfolgt ebenfalls eine Überstellung zu weiteren Verhören. Im Zuge dieser Verhöre kann es mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Anwendung von Folter und Misshandlungen kommen. Laut Amnesty International und dem Schweizerischem Flüchtlingshilfswerk verfügt der türkische Geheimdienst, aber auch Sicherheitskräfte, über detaillierte Registrierungen bezüglich politischer oppositioneller Aktivitäten.

 

Wenn jemand illegal aus der Türkei ausreist, wird er bei einer Rückführung oder Abschiebung am Grenzübergang angehalten und seine Daten werden kontrolliert. Es droht ihm ein Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Passgesetz.

 

Das vom Sachverständigen erstattete Gutachten führte zu folgenden Feststellungen:

 

Sippenhaft ist im türkischen Strafrecht nicht vorgesehen. In der Praxis werden dennoch Personen, insbesondere Familienangehörige von Untergrundorganisationen, immer wieder angehalten, festgenommen, befragt und gefoltert. Damit versuchen die türkischen Behörden einerseits auf die Kämpfer Druck auszuüben, um sie von weiteren Aktivitäten abzuhalten, andererseits mögliche Kontakte von Mitgliedern von Untergrundorganisationen zu ihren engsten Familienmitgliedern zum einen festzustellen und zum anderen zu unterbinden. Es ist auch vorgekommen, dass Sicherheitskräfte nach einer bewaffneten Auseinandersetzung aus Rache Angehörige von PKK-Kämpfern angegriffen haben. Aus dieser Tatsache heraus ist nicht auszuschließen, dass auch der Beschwerdeführer einer solchen Behandlung unterworfen wurde.

 

Der Beschwerdeführer ist gegenwärtig wehrdienstpflichtig und müsste sich freiwillig der türkischen Wehrdienstdirektion stellen und seinen Dienst antreten. Gegen Personen, die dem nicht Folge leisten, droht laut Artikel 63 des türkischen Militärstrafrechts mehrere Jahre Haft. Bei einer entsprechenden Ermittlung und dem Gerichtsprozess wird die Tatsache, dass nahe Familienmitglieder zu PKK-Kämpfern zählen, zu der Annahme führen, dass der Beschwerdeführer aus ethnischen und politischen Gründen seinen Wehrdienst nicht angetreten hat. Daher ist eine Ungleichbehandlung nicht auszuschließen. Weiters ist anzuführen, dass in militärischen Strafanstalten die verurteilten Wehrdienstverweigerer häufig misshandelt werden, mitunter sind auch einige Personen gestorben. Nach der Entlassung aus der Haftstrafe muss der Wehrdienstverweigerer seinen Wehrdienst vollständig ableisten.

 

Der Beschwerdeführer hat sich nach seinen eigenen Angaben zufolge einige Monate bei PKK-Kämpfern aufgehalten. Dieser Umstand ist auch in Österreich bekannt, sodass nicht auszuschließen ist, dass die türkische Auslandsvertretung auch darüber Kenntnis besitzt. Damit läuft der Beschwerdeführer Gefahr als PKK-Kämpfer bewertet und dementsprechend angeklagt und verurteilt zu werden. Während der Ermittlungen werden solche Personen gefoltert. Sie haben überdies keine Chance ein gerechtes Urteil zu erwarten.

 

Der Beschwerdeführer tritt als Musiker bei verschiedenen - von der türkischen Behörde als PKK-Veranstaltung bewerteten - Konzerten auf und singt in kurdischer Sprache. Weiters ist er als Leiter verschiedener Folklore- und Musikgruppen in seiner Funktion des genannten Vereins tätig. Der genannte Verein wurde in Österreich legal gegründet und führt seine Aktivitäten im Rahmen des österreichischen Vereinsgesetzes durch. In den Augen der türkischen Behörde wird er aber als eine PKK-Organisation angesehen. Personen, die exponiert auftreten und dadurch der türkischen Behörde mit hoher Wahrscheinlichkeit auffallen können, werden als Mitglieder einer terroristischen Organisation eingestuft. Diese Personen haben nach dem türkischen Strafgesetzbuch eine mehrjährige Haftstrafe zu erwarten.

 

Diese Feststellungen resultieren aus den Einvernahmen des Beschwerdeführers beim Bundesasylamt sowie anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung beim unabhängigen Bundesasylsenat, den Ausführungen des Sachverständigen für die politische Situation in der Türkei und aus folgenden Quellen:

 

Bericht des Council of Europe; Report to the Turkish government on the visit to Turkey carried out by the European committee for the prevention of Torture an

 

inhuman or degrading treatment of punishment (CPT) from 7 to 14 December

 

2005;

 

Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe zur aktuellen Situation - Mai 2006 vom 29. 5. 2006;

 

Bericht des Home Office über die Türkei - Oktober 2005;

 

Bericht des Home Office über die Türkei vom 11. 7. 2006;

 

Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei (Stand: Juni 2006);

 

Bericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Erkenntnisse - Türkei 2006;

 

Bericht der International Helsinki Federation for human rights in the OSCE region: Europe, Central Asia and North America, Report 2006 (Events 2005);

 

Bericht des Bureau of Democracy, Human rights, and labor from March 8 2006, Country reports on human rights practices - 2005 Turkey;

 

Gutachten des Sachverständigen, Mag. A., für die politische Lage in der Türkei

 

Die von dem Beschwerdeführer sowohl im erstinstanzlichen als auch im zweitinstanzlichen Verfahren dokumentierten Geschehnisse haben sich nach Gesamtbetrachtung der Geschehnisse, als auch auf Grund der herangezogenen Materialien, dem Gutachten des Sachverständigen und einem Bestätigungsschreiben des kurdischen Volkshauses durchaus in Einklang bringen lassen und stellen sich als in sich schlüssig und glaubwürdig dar und entsprechen der Situation in dem Herkunftsstaat des Beschwerdeführers.

 

Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer aus einer gegenüber dem türkischen Staat oppositionell gesinnten Familie stammt, wie seine familiäre Beziehung zu einem PKK-Kämpfer und die gegen ihn gerichteten Beleidigungen und Anhaltungen darlegen.

 

Die exilpolitischen Aktivitäten des Beschwerdeführers in Österreich stellen in den Augen der türkischen Behörden weiterhin eine in Österreich gegenüber der Türkei ausgeübte staatsfeindliche Haltung dar, die bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers in die Türkei zu Repressalien führen können. Dies würde im Falle einer Abschiebung des Beschwerdeführers zu den in den Feststellungen ausgeführten weiteren vertieften Ermittlungen der türkischen Behörden führen, wobei auch Daten der türkischen Auslandsvertretung herangezogen werden.

 

Weiters ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Flucht aus der Türkei und der damit verbundenen Nichtableistung seines Militärdiensts vom türkischen Staat als fahnenflüchtig angesehen wird, sodass er aus diesem Grund speziellen Verhören ausgesetzt sein wird, wobei auch Folterungen nicht auszuschließen sind. Diesbezüglich ist auf die getroffenen Sachverhaltsfeststellungen zu verweisen, wonach der Beschwerdeführer eine Anklage nach dem MilStGB und eine menschenunwürdige Behandlung während seines Militärdienstes zu erwarten hätte. Daher ist auf Grund der genannten Gründe - unter Zugrundelegung der Sachverhaltsfeststellungen - eine Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer als maßgeblich wahrscheinlich zu erachten.

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Gemäß § 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), BGBl. I 4/2008, tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBI. I Nr. 100/2005, sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl I Nr 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 126/2002 geführt.

 

Da gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBI I Nr 101/2003 auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen ist, war gegenständlich auch über die Berufung gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I Nr 76/1997 idF BGBI I Nr 126/2002 abzusprechen.

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.

 

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich infolge von vor dem 01. Jänner 1951 eingetretenen Ereignissen aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG zugrundeliegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH E vom 19.04.2001, Zl. 99/20/0273).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH E vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Im gegenständlichen Fall ist bei der Beurteilung der Frage einer gegebenen begründeten Furcht vor Verfolgung darauf abzustellen, dass es sich beim Beschwerdeführer um eine dem türkischen Staat gegenüber als illoyal zu betrachtende Person handelt. Dies geht einerseits aus seinem familiären Hintergrund hervor, wonach der Beschwerdeführer in einer familiären Beziehung zu einem PKK-Kämpfer steht. Andererseits setzt der Beschwerdeführer diese missliebige Gesinnung durch seine exilpolitische Betätigung in Österreich fort. Dadurch ist der Beschwerdeführer in das Blickfeld der türkischen Behörden geraten. Den eingeführten Berichten zufolge sind Personen, die bereits in das Verfolgungsinteresse des türkischen Staates geraten sind sowie ihre politischen Aktivitäten in Österreich fortsetzen, bei einer Rückkehr in die Türkei wiederum gefährdet, Opfer solcher Repressalien zu werden. Dies trifft beim Beschwerdeführer wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten in besonderer Weise zu, wonach ihm vorgeworfen werden wird, insbesondere durch seine Aktivitäten im Ausland den Interessen der Türkei geschadet zu haben.

 

Weiters hat der Beschwerdeführer seinen Militärdienst nicht abgeleistet, wonach er eine Anklage nach dem MilStGB und eine menschenunwürdige Behandlung während seines Militärdienstes zu erwarten hätte. Es ist daher für den unabhängigen Bundesasylsenat auf Grund der vorgelegten Unterlagen, den Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren sowie den Ausführungen des dem Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen klar gestellt, dass beim Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Heimatstaat eine Verfolgungsgefahr in der Türkei wahrscheinlich ist.

 

Zu einer möglichen inländischen Fluchtalternative ist festzuhalten, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (vgl. VwGH vom 8. 10. 1980, Slg Nr 10.255/A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatlandes offen, in denen er frei vor Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht.

 

Bei einer Rückführung bzw. Abschiebung werden bei der Feststellung der Personalien Daten eingeholt und neu bewertet. Im konkreten Fall kann also nicht angenommen werden, dass sich der Beschwerdeführer der dargestellten Bedrohung durch Ausweichen in einen anderen Teil seines Herkunftsstaates entziehen kann; die Gebiets- und Hoheitsgewalt der türkischen Regierung erstreckt sich auf das gesamte türkische Staatsgebiet und der Beschwerdeführer wird landesweit wegen der Verweigerung seines Militärdienstes gesucht. Es wäre dem Beschwerdeführer nicht möglich, sich dauerhaft verborgen zu halten und sich der Suche zu entziehen.

 

Im Lichte dessen ist eine inländische Fluchtalternative auf Grund der obigen Ausführungen ausgeschlossen.

 

Aus all diesem Gesagten ist festzuhalten, dass bei Gesamtbetrachtung der geschehenen Vorfälle im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers Verfolgungsmaßnahmen durch die Behörden und mögliche Vergeltungsmaßnahmen durchaus nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden können.

 

Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Schlagworte
Diskriminierung, exilpolitische Aktivität, gesamte Staatsgebiet, Militärdienst, politische Gesinnung, Verfolgungsgefahr, Volksgruppenzugehörigkeit, Widerstandskämpfer
Zuletzt aktualisiert am
10.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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