TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/21 E12 318913-1/2008

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Veröffentlicht am 21.08.2008
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Spruch

E12 318.913-1/2008-7E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus STEININGER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Auberger über die Beschwerde des K.M., geb.00.00.1985, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.04.2008, FZ. 08 02.503-EAST-West, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde vom 17.04.2008 wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. VERFAHRENSGANG:

 

1. Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt sich aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF) stellte am 14.03.2008 einen Asylantrag und wurde am 18.03.2008 (AS. 29 f) und am 27.03.2008 (AS. 111 f) niederschriftlich zu seinem Asylantrag einvernommen.

 

2. Mit Bescheid vom 02.04.2008, FZ 08 02.503-EAST-West, (AS. 127ff) wies das Bundesasylamt - ohne weitere im Akt ersichtliche Verfahrensschritte - den Antrag auf internationalen Schutz gem. § 3 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.) Gemäß § 8 AsylG wurde dem BF auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und in Spruchpunkt III. die Ausweisung gem. § 10 AsylG verfügt.

 

3. Dagegen wurde am 17.04.2008 fristgerecht Berufung (Beschwerde) erhoben.

 

4. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes per 01.07.2008, wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E12 zugewiesen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Am 01. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF BGBl I. Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 des Bundesgesetztes über den Asylgerichtshof BGBl I. Nr. 4/2008 idgF (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) sind, soweit sich aus dem Bundesverfassungsgesetz

 

B-VG, BGBl Nr. 1/1930 und dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl I. Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985-VwGG, BGBl Nr. 10 nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang auch das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBL Nr. 51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die erkennende Behörde, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof waren die einschlägigen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 BGBI I. Nr. 100 idgF (im folgenden: AsylG 2005) anzuwenden

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der Asylgerichtshof; es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen) so der hier vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverwiesen.

 

Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle, kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315 und 2000/20/0084 grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat (nunmehr Asylgerichtshof) im besonderen getätigt. Dabei wurde im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gem. § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16.04.2002, Zahl: 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Artikel 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, "auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse im Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen".

 

Im Erkenntnis vom 17.10.2006, (Zahl: 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung / Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche, detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies aus folgenden Erwägungen unterlassen worden:

 

Der gegenständliche erstinstanzliche Bescheid enthält zunächst bereits zum Entscheidungszeitpunkt veralterte Länderfeststellungen zur Türkei. Weiters sind die Feststellungen auch im Hinblick auf Ehrenmorde an Männern sowie die Mafia in der Türkei lückenhaft. Diese Umstände müssen in ihrer Gesamtheit bei einer Spezialbehörde als maßgeblicher Mangel angesehen werden. Eine bloße Aufeinanderreihung teils veralterter Informationen ohne jede systematische Bewertung oder wissenschaftliche Aufarbeitung genügt nicht. Jedenfalls werden Feststellungen zum Vorhanden bzw. Nichtvorhandensein einer türkischen Mafia sowie zu Ehrenmorden an Männern unter diesbezüglicher Schutzfähigkeit des türkischen Staates aufzunehmen sein.

 

Aus dem gesamten Verfahrensakt ergibt sich, dass das Procedere der Erstbehörde gegen die vom § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten verstoßen hat. Diese für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche Bestimmung sieht nämlich vor, dass die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrenes von Amtswegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwenig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amtswegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde den maßgeblichen Sachverhalt von amtswegen zu ermitteln und festzustellen ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet.

 

So wurde z.B. auch unterlassen zu hinterfragen, wie der BF darauf kommt, dass er von der Mafia verfolgt würde, woher er wisse, dass die Mafia von seinen Schwiegereltern beauftragt worden sei, wie die Mafia seinen Aufenthaltsort in Österreich bzw. den Aufenthalt der Schwester seiner nunmehrigen Lebensgefährtin festgestellt hätte, in welcher Form diese von der eigenen Familie bedroht würde etc.. Es ist im gegenständlichen Verwaltungsakt auch nicht nachvollziehbar, inwieweit die Lebensgefährtin durch ihre Eltern bedroht wurde (Polizeianzeige, Gerichtsakt odgl.) bzw. inwiefern die Behauptung über die Namensänderung der Lebensgefährtin (diesbezüglich müsste ein entsprechender Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde existieren) tatsächlich durchgeführt wurde. Überdies wird im angefochtenen Bescheid (AS. 167) davon gesprochen, dass aufgrund des Briefes von A.F. Nachforschungen (offenbar bei der PI Bregenz) angestellt wurden. Diesbezüglich finden sich jedoch keinerlei Nachweise wie z.B. Aktenvermerk, Aktenkopien, Kopien der Anzeige etc. im Verfahrensakt. Außerdem lässt der angefochtene Bescheid eine detaillierte Begründung vermissen, warum davon ausgegangen wird, dass dem BF im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat keine Gefahr im Sinne des Artikels 3 EMRK droht. Dazu wurden nur sehr allgemeine Feststellungen getroffen und auf die Judikatur der Höchstgerichte verwiesen.

 

Es hätte jedenfalls im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG auch einer Konfrontation der Partei mit dem - wie oben aufgezeigt-, amtswegig zu ermittelten Sachverhalt und den diesbezüglichen Beweismitteln bedurft. Einer Partei ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahmen in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und unter ausdrücklicher Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, 95/08/0002), was nicht geschehen ist. Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, 94/08/0269). Gemäß der Rechtssprechung des VwGH (z.B. VwGH 27.02.2003, 2000/80/0040), ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Vorraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten die Berufungsbehörde das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, 2003/07/0062).

 

Durch die oben dargestellte mangelhafte Bescheidbegründung ist dieses Erfordernis aber mit Sicherheit nicht erfüllt.

 

4. Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrundeliegenden Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspreche. Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit dem unter Punkt 3 dargestellten schweren Mängel behaftet. Sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen, sohin verbietet sich unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen des VwGH und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs. 3 AVG.

 

5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern haben.

Schlagworte
Kassation
Zuletzt aktualisiert am
14.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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