E12 308.336-1/2008-8E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus STEININGER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Auberger über die Beschwerde des S.A., geb.00.00.1979, StA. Armenien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.11.2005, FZ. 06 12.164 -EAST- West, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde vom 12.12.2006 wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. VERFAHRENSGANG:
1. Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF) stellte am 12.11.2006 einen Asylantrag und wurde am 16. und 21.11.2006 niederschriftlich dazu einvernommen (AS 29 f und 59 f).
2. Mit Bescheid vom 29.11.2006, FZ 0612.164-EAST-WEST, persönlich übernommen am 29.11.2006, wies das Bundesasylamt - ohne weitere Verfahrensschritte - den Asylantrag gem. § 3 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde im Spruchpunkt II. dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 AsylG 2005 nicht zuerkannt und in weiterer Folge im Spruchpunkt III. die Ausweisung gem. § 10 AsylG 2005 verfügt.
3. Dagegen wurde am 12.12.2006 fristgerecht Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben.
4. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E12 zugeteilt.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Am 01. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF BGBl I. Nr. 4/2008 weiterzuführen.
Gemäß § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof BGBl I. Nr. 4/2008 idgF (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) sind, soweit sich aus dem Bundesverfassungsgesetz B- VG, BGBl Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl I. Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985- VwGG, BGBl Nr. 10 nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG BGBl Nr. 51 mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang auch das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBL Nr. 51 zur Anwendung gelangt.
Gemäß § 66 Abs. 4 hat die erkennende Behörde, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzten und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Im vorliegenden Fall ist daher das Asylgesetz 2005 anzuwenden.
2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der Asylgerichtshof; es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen) so der hier vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückzuweisen.
Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle, kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315, und 2000/20/0084 grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren, im allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat (nunmehr Asylgerichtshof) im besonderen getätigt. Dabei hat er im zuletzt genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:
"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gem. § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16.04.2002, 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Artikel 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem erstinstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse im Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen".
Im Erkenntnis vom 17.10.2006, 2005/20/0459, hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung / Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche, detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden und zwar aus folgenden Erwägungen:
Das Bundesasylamt hat sich in seiner Entscheidung nicht damit auseinandergesetzt, ob das Vorbringen des BF in sich schlüssig (auch im Bezug auf vorliegendes Ländermaterial) ist, oder ob allenfalls Widersprüche (Beispielsweise auch zum Vorbringen der Ehefrau) bestehen. Dazu sei beispielsweise erwähnt, dass der BF vorgebracht hat, sich mit seiner Frau, bei seiner Tante in Armenien von 1996 bis 1999 in der Wohnung versteckt zu haben (AS. 29), während er zum beruflichen Werdegang vorbrachte, dass er von 1989 bis 1999 als Tierzuchtgehilfe in D. in einem Familienbetrieb gearbeitet hat (AS 23). Ungereimtheiten finden sich auch zwischen den Angaben des BF und seiner Ehefrau. Während der BF vorbrachte, sein Bruder sei von einem Bruder seiner Frau getötet worden (AS. 35), erwähnte seine Ehefrau dies mit keinem Wort. Hinterfragenswürdig erscheint auch der Umstand, dass sich der BF sieben Jahre in Russland von den Brüdern seiner Frau versteckt hielt (AS. 35) und sich trotzdem seinen Lebensunterhalt als Hirte verdient hat (AS. 29). Die Ehefrau hat wiederum vorgebracht, dass sie die Kinder aus Angst vor ihren Brüdern keine Schule besuchen ließ (Verfahren E12 308.337-1, AS. 33). Der BF behauptete, dass er jahrelang vom Bruder seiner Frau mit dem Umbringen bedroht worden sei. Es wurde aber nie hinterfragt, wie er von diesen Drohungen überhaupt Kenntnis erlangt haben will, bzw. welchen Inhaltes diese Drohungen waren. Das Bundesasylamt hätte es nicht bei den einzelnen Fragen bzw. Antworten belassen dürfen. Die Mitwirkungspflicht der Partei besteht zwar grundsätzlich, ist aber nicht dazu angetan der Behörde ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu ersparen. Erst nach entsprechender Nachfrage zur "Individualisierung und Konkretisierung der Behauptungen" oder erforderlichenfalls ergänzenden Ermittlungen, hätte beurteilt werden können, ob die präsentierte Fluchtgeschichte als zu "blass, wenig detailreich und oberflächlich" zu qualifizieren ist. Wenngleich diese Schlussfolgerung im gegenständlichen Fall nicht auszuschließen ist, ist sie aber beim gegeben Ermittlungsstand in das Reich der Spekulationen gefallen.
Auch zum Vorbringen des BF, die Entführung seiner nunmehrigen Ehegattin sei durch den Tod seines Bruders gerächt worden, was möglicherweise als Blutrache qualifiziert werden könnte, wurden keine Feststellungen getroffen bzw. ist auch den im angefochtenen Bescheid zitierten Quellen diesbezüglich nichts zu entnehmen. Weiters wäre auch eine Abklärung des Gesundheitszustandes des jüngsten Kindes, insbesondere im Hinblick auf Artikel 3 EMRK erforderlich gewesen. Zumindest wäre bekannt zu geben gewesen, welche Angaben oder Unterlagen noch benötigt werden, um eine Rückkehrprognose im bezug auf den Gesundheitszustand des Kindes zu treffen und insofern die Mitwirkungspflicht der Partei auszulösen. Auch dies wurde unterlassen.
Aus den herangezogenen Quellen geht zum Teil auch nicht hervor, über welchen Zeitraum sie berichten bzw. wann sie erstellt wurden.
Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtssprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, 2003/20/03-89). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde - qualifiziert mangelhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit, mangelnde Aufklärung von Widersprüchen etc. - hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret, entscheidungsrelevanten Situation gewürdigt hat.
Aus Sicht des Asylgerichtshofes verstößt dass Procedere der Erstbehörde somit gegen die von § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten. Diese Bestimmung sieht nämlich vor, dass das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von amtswegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet, oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von amtswegen beizuschaffen. Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren bedacht zu nehmen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von amtswegen zu ermitteln und festzustellen, ist hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet. Es hätten jedenfalls Widersprüche aufgeklärt, Behauptungen hinterfragt und vollständige Länderinformationen, insbesondere auch in Hinblick auf Artikel 3 EMRK beigeschafft werden müssen.
4. Zusammenfassend ist daher der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit dem unter Punkt drei dargestellten Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen bzw. Befragungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen. Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten war von § 66 Abs. 3 AVG kein Gebrauch zu machen. Ergänzend sei dazu bemerkt, dass der Asylgerichtshof nicht verkennt, dass das gegenständliche Verfahren bereits seit Dezember 2006 bei der Berufungsbehörde anhängig war; aufgrund der Mangelhaftigkeit ist jedoch die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG gerechtfertigt.
5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern bzw. aufzuklären haben.