TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/21 E12 308337-1/2008

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Veröffentlicht am 21.08.2008
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Spruch

E12 308.337-1/2008-7E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus STEININGER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Auberger über die Beschwerde der S.L., geb. 00.00.1982, StA. Armenien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.11.2006, FZ. 06 12.165 -EAST- West, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde vom 12.12.2006 wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. VERFAHRENSGANG:

 

1. Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Die Beschwerdeführerin (nachfolgend: BF) stellte am 12.11.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 16. und 21.11.2006 niederschriftlich zu ihrem Antrag einvernommen (AS 23 f und 53 f).

 

2. Mit Bescheid vom 29.11.2006, FZ 06 12.165-EAST-WEST, persönlich übernommen am 29.11.2006, wies das Bundesasylamt - ohne weitere Verfahrensschritte - den Asylantrag gem. § 3 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde im Spruchpunkt II. der BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 AsylG 2005 nicht zuerkannt und in weiterer Folge im Spruchpunkt III. die Ausweisung gem. § 10 AsylG 2005 verfügt.

 

3. Dagegen wurde am 12.12.2006 fristgerecht Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben.

 

4. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E12 zugeteilt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Am 01. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF BGBl I. Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof BGBl I. Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) sind, soweit sich aus dem Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl I. Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, VwGG, BGBl Nr. 10 nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG BGBl Nr. 51 mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang auch das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBL Nr. 51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 hat die erkennende Behörde sofern die Beschwerde nicht al unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzten und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Im vorliegenden Fall ist daher das Asylgesetz 2005 anzuwenden.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der Asylgerichtshof; es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen) so der hier vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückzuweisen.

 

Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle, kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315, und 2000/20/0084 grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 ACG im Asylverfahren, im allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat (nunmehr Asylgerichtshof) im besonderen getätigt. Dabei hat er im zuletzt genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gem. § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16.04.2002, 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Artikel 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem erstinstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, "auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse im Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen".

 

Im Erkenntnis vom 17.10.2006, 2005/20/0459, hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung / Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche, detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden und zwar aus folgenden Erwägungen:

 

Das Verfahren des Bundesasylamtes erweist sich insofern als mangelhaft, als es die Behörde praktisch zur Gänze unterlassen hat, sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auseinanderzusetzen bzw. auch in Relation zum Vorbringen des Ehemannes zu setzen.

 

Das Bundesasylamt hat sich nicht damit auseinandergesetzt, ob das Vorbingen der Beschwerdeführerin in sich schlüssig ist, oder ob allenfalls Widersprüche zum Vorbringen des Ehemannes in seinen Einvernahmen - die bereits im Bescheid ihres Ehemannes ZI. E12 308.336-1/2008 demonstrativ aufgezählt wurden - bestehen. Das Bundesasylamt hat auch übersehen, dass die Beschwerdeführerin explizit auf die Frage, ob sie im Falle ihrer Rückkehr die Todesstrafe, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung befürchte, vorbrachte, "Ich habe Angst vor meinen Brüdern, vor dem Staat nicht" (AS 33) In der rechtlichen Beurteilung ging die Erstbehörde auf dieses Vorbringen überhaupt nicht ein.

 

Nach Ansicht des Asylgerichtshofes wird sich das Bundesasylamt folglich beweiswürdigend mit den konkreten Angaben der Beschwerdeführerin und den Widersprüchen zum Vorbringen ihres Ehemannes auseinanderzusetzen haben und es wird klar darzulegen sein, von welchem Sachverhalt auf Grund welcher Erwägungen ausgegeangen wird und wird dieser festgestellte Sachverhalt sodann im Anschluss der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen sein

 

Das Bundesasylamt hat es im erstinstanzlichen Verfahren zur Gänze unterlassen, der Beschwerdeführerin das Parteiengehör zu gewähren. Weder wurde der Beschwerdeführerin jener Sachverhalt vorgehalten, von welchem das Bundesasylamt hinsichtlich der allgemeinen Lage in Armenien ausgeht, noch wurden der Beschwerdeführerin die Quellen vorgehalten, woraus das Bundesasylamt seine Feststellungen bezieht. Das Bundesasylamt wird diesbezüglich konkrete Berichte und Stellungnahmen staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen heranzuziehen und zu zitieren, sowie der Beschwerdeführerin zur Stellungsnahme vorzulegen haben.

 

In verschiedenen Erkenntnissen geht der VwGH davon aus, dass die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Beschwerde in diesem konkreten Fall als saniert anzusehen ist (vgl. VwGH vom 11.09.2003, 99/07/0062; VwGH vom 27.02.2003, 2000/18/0040; VwGH vom 26.02.2002, 98/21/0299). Soweit im erstinstanzlichen Asylverfahren das Parteiengehör verletzt wurde, wird angeführt, dass in diesem Fall die Beschwerdeführerin die Gelegenheit hat, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen und es der Beschwerdeführerin aufgrund der durch die Verletzung des Parteiengehörs hervorgerufenen Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens im Beschwerdeverfahren weiters frei steht, zulässigerweise einen neuen Sachverhalt vorzubringen bzw. neue Bescheinigungsmittel vorlegen. Hierdurch mag zwar gegenüber der Beschwerdeführerin die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Beschwerde als saniert anzusehen sein, dies ändert aber nichts daran, dass dieser Umstand in weiterer Folge die Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung und somit die Rechtsfolge des § 66 (2) AVG auslösen kann.

 

Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde hat diese jedenfalls eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret, entscheidungsrelevanten Situation gewürdigt hat.

 

Aus Sicht des Asylgerichtshofes verstößt dass Procedere der Erstbehörde somit gegen die von § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten. Diese Bestimmung sieht nämlich vor, dass das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von amtswegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet, oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von amtswegen beizuschaffen. Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren bedacht zu nehmen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von amtswegen zu ermitteln und festzustellen ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet. Es hätten jedenfalls Widersprüche aufgeklärt, Behauptungen hinterfragt und vollständige Länderinformationen, insbesondere auch in Hinblick auf Artikel 3 EMRK beigeschafft werden müssen.

 

4. Zusammenfassend ist daher der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit dem unter Punkt drei dargestellten Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen bzw. Befragungen welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen. Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten war von § 66 Abs. 3 AVG kein Gebrauch zu machen. Ergänzend sei dazu bemerkt, dass der Asylgerichtshof nicht verkennt, dass das gegenständliche Verfahren bereits seit Dezember 2006 bei der Berufungsbehörde anhängig war; aufgrund der Mangelhaftigkeit ist jedoch die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG gerechtfertigt.

 

5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern bzw. aufzuklären haben.

Schlagworte
Kassation
Zuletzt aktualisiert am
14.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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