D1 239541-0/2008/15E
ERKENNTNIS
(schriftliche Ausfertigung)
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Stracker als Einzelrichter über die Beschwerde des K.R., geb. 00.00.1969, StA. Bosnien und Herzegowina, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.07.2003, FZ. 02 39.754-BAI, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.04.2004 und am 01.08.2008 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und K.R. gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass K.R. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang:
Der (nunmehrige) Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina und Angehöriger der bosnischen Volksgruppe, reiste am 10.12.2002 in das Bundesgebiet ein und begehrte am 17.12.2002 die Gewährung von Asyl.
Am 30.06.2003 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer durch das Bundesasylamt zu seinem Fluchtweg und seinen Fluchtgründen niederschriftlich befragt.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 01.07.2003, FZ. 02 39.754-BAI, den Asylantrag des Berufungswerbers gem. § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und stellte zugleich fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina gem. § 8 leg. cit. zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Dagegen wurde mit dem am 17.07.2002 eingebrachten Schriftsatz Berufung erhoben.
Der Unabhängige Bundesasylsenat führte am 19.04.2004 eine öffentlich-mündliche Verhandlung in Gegenwart eines Dolmetschers für die bosnische Sprache und eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Länderkunde, Prof. M.H., durch, in welcher der nunmehrige Beschwerdeführer nochmals befragt wurde.
Mit Bescheid vom 27.04.2004, Zl. 239.541/0-VI/17/03, wies der Unabhängige Bundesasylsenat die Berufung vom 17.07.2002 gem. §§ 7 und 8 AsylG 1997 ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 28.01.2005, Zl. 2004/01/0341-6, den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 27.04.2004 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
Am 01.08.2008 fand vor dem Asylgerichtshof neuerlich eine öffentlich-mündliche Verhandlung mit dem nunmehrigen Beschwerdeführer statt, in welcher dieser unter anderem Herrn Mag. Volkan KAYA vom Verein "Asyl in Not" mit seiner rechtsfreundlichen Vertretung beauftragte und nach deren Ende sogleich das gegenständliche Erkenntnis mit dem oben angeführten Spruch öffentlich verkündet wurde.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Nachstehender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:
Der Beschwerdeführer trägt den Namen K.R., wurde am 00.00.1969 geboren, ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina und Angehöriger der bosnischen Volksgruppe.
Der Hauptgrund für seine Flucht besteht darin, dass der Beschwerdeführer ehemaliges Mitglied der bosnischen Armee ist und als solches seinen ehemaligen Kommandanten bei der kroatischen Gegenseite als Kriegsverbrecher namhaft gemacht hat. In der Folge ist er von diesem bedroht worden.
In Anbetracht dieses Sachverhalts kann im Zusammenhalt mit den unten angeführten Länderfeststellungen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer noch immer von seinem ehemaligen Kommandanten gesucht wird.
1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:
Rechtsstaatliche Entwicklung:
Die Grundstrukturen eines demokratischen Rechtsstaates (Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz, Pressefreiheit, etc.) sind vorhanden, die Gesetze entsprechen weitgehend europäischem Standard und die demokratischen Institutionen sind stabil und handlungsfähig. Durch die antagonistische Politik der nationalistischen und gemäßigten Parteien ist die Funktionsfähigkeit von zahlreichen Parlamenten und Regierungen in Kantonen auf der Entitäten- und der gesamtstaatlichen Ebene aber eingeschränkt. Korruption, geringe finanzielle Mittel und fehlende Kooperationsbereitschaft zwischen den Behörden der Entitäten schränken deren Leistungsfähigkeit, insbesondere die der Justiz ein. [...] Im Hinblick auf die sichere Rückkehr von Flüchtlingen und das Diskriminierungsverbot auf der Grundlage nationaler Zugehörigkeit herrschen noch Defizite, insbesondere in der Serbischen Republik. Bis heute verhindern vor allem die politischen Vertreter der Republika Srpska die Rückkehr von Flüchtlingen in ihre Heimatorte. Weiterhin haben sich die Justizbehörden Bosniens auf praktisch allen Ebenen unwillig gezeigt, Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen aufzuklären. Die Serbische Republik ist weiterhin nur eingeschränkt zu einer Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag bereit. Immerhin ist es durch die Aufdeckung von Kriegsverbrechen durch das internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu zahlreichen Rücktritten auf verantwortlichen Positionen gekommen. Zahlreiche heimische NGO's und internationale Menschrechtsorganisationen können unbehindert seitens der öffentlichen Stellen ihrer Arbeit nachgehen. Sämtliche Menschenrechtsfälle seit 2004 werden beim Verfassungsgerichtshof behandelt. Eine aus fünf Richtern bestehende Menschenrechtskommission wurde ernannt, um die Rückstände dieser Kammer aufzuarbeiten und einer Entscheidung zuzuführen. Allerdings unterstützen die politischen Entscheidungsträger den Schutz der Menschenrechte nur formell. Ihr praktisches politisches Verhalten zeigt, dass sie die Menschenrechte nicht als universelle demokratische Werte verinnerlicht haben. [...]
Justiz:
Laut Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zu Bosnien und Herzegowina vom 8. November 2006 ist das Justizwesen ineffizient und es mangelt an Sicherheit des Rechtsstaates und Rechtsstaatlichkeit. [...] Die Unabhängigkeit der Justiz in Bosnien und Herzegowina ist in den Rechtsvorschriften verankert und wird im Allgemeinen respektiert. Das Gerichtssystem in Bosnien und Herzegowina ist aber schwach und überlastet. [...] Mangelhaft sind sowohl teilweise die Qualifikation der Richter als auch die finanzielle Ausstattung der Gerichte. Weit verbreitet ist zudem auch Korruption. Obwohl einige Korruptionsfälle zur Amtsenthebung durch den Hohen Repräsentanten führten, fehlen einheimische Institutionen, um Amtsmissbrauch zu ahnden. Auch die meisten Kriegsverbrechen blieben bis heute ohne Aufklärung und ohne Sanktion. [...]
Sicherheitsbehörden:
[...] Es wird berichtet, dass die Methoden der Polizei mitunter von Härte und Willkür gekennzeichnet seien, insbesondere gegenüber Minderheiten. Auch würden ethnisch und religiös motivierte Taten von der Polizei häufig nicht mit dem nötigen Nachdruck verfolgt. Der Unwille lokaler Polizeistellen, ethnisch motivierte Vorkommnisse aufzuklären und zu verfolgen, behindere in vielen Gebieten weiterhin die Sicherheitslage und das Sicherheitsgefühl von Minderheitenangehörigen und Rückkehrern. [...]
Kriminalität:
Die schwierige Wirtschaftslage hat zwar zu einer Zunahme der Kleinkriminalität (Autodiebstähle und Einbrüche) geführt, ansonsten gilt Bosnien aber als sicheres Land. Allerdings stellen organisierte Kriminalität (vor allem illegaler Waffenhandel, Drogen- und Menschenschmuggel) sowie Korruption weiterhin Hindernisse auf dem Weg zu mehr Stabilität in Bosnien und Herzegowina dar. Nach vertraulichen Einschätzungen der europäischen Polizei in Bosnien (EUPM) hat die organisierte Kriminalität die Politik unterwandert. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein hochrangiger Politiker wegen Bestechlichkeit angeklagt wird. Ohne den Druck der europäischen Polizei würden viele Fälle nicht verfolgt. In seltener Einigkeit verhindern die Volksgruppen bisher eine Reform der Sicherheitskräfte. [...]
2. Beweiswürdigung:
Diese Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ergeben sich insbesondere aus dem "Länderreport, Band 1 (Allgemeines, Politische Entwicklung, Rechtslage, Sicherheit" zu Bosnien und Herzegowina des Informationszentrums Asyl und Migration des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Stand: April 2007).
Darüber hinaus hat eine Internetrecherche ergeben, dass der Verfolger des Beschwerdeführers derzeit offensichtlich im Herkunftsstaat eine politische Funktion bekleidet.
Aufgrund der den aktuellen Länderberichten zu entnehmenden Informationen in Zusammenhalt mit dem VwGH-Erkenntnis vom 28.01.2005, Zl. 2004/01/0341-6 sowie dem in der öffentlich-mündlichen Verhandlung vom 01.08.2008 vom Beschwerdeführer hinterlassenen äußerst glaubwürdigen Eindruck war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Jedenfalls kann unter dem Blickwinkel obiger Länderfeststellungen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohungsszenario ausgeschlossen werden.
3. Rechtlich folgt:
Gemäß § 61 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge: AsylG) entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über
Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und
Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 (in der Folge: AsylG 1997) zu Ende zu führen, wobei die Übergangsbestimmung des § 44 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 i.d.F. BGBl. I Nr.101/2003 gilt. Danach werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30.04.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 i.d.F. des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 126/2002 geführt. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung sind die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a i. d.F. BGBl. I Nr. 101/2003 auch auf Verfahren gemäß Abs. 1 anzuwenden. Gemäß der Übergangsbestimmung des § 44 Abs. 2 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 i.d.F. BGBl. I Nr. 101/2003, werden Asylanträge, die ab dem 01.05.2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der jeweils geltenden Fassung geführt.
Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.
Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling i.S.d. AsylG 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "begründete Furcht vor Verfolgung".
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl. VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0370). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht, (z.B. VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0262).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein (VwGH 26.06.1996, Zl. 96/20/0414), was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss (VwGH 05.06.1996, ZI. 95/20/0194). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (vgl. zur der Asylentscheidung immanenten Prognose jüngst VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet.
Im vorliegenden Fall ist es dem Beschwerdeführer gelungen, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen, weshalb dem Asylantrag stattzugeben war.
Überdies haben sich keine Hinweise auf das Vorliegen von Asylausschluss- oder -aberkennungsgründen ergeben.