TE AsylGH Bescheid 2008/08/25 C6 220046-0/2008

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Veröffentlicht am 25.08.2008
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Spruch

C6 220.046-0/2008/15E

 

M.M.

 

geb. 00.00.1945, StA.: Afghanistan;

 

Schriftliche Ausfertigung des öffentlich verkündeten Bescheides

 

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG

 

DES VOM UNABHÄNGIGEN BUNDESASYLSENAT IN DER MÜNDLICHEN VERHANDLUNG

AM 21.7.2004 VERKÜNDETEN BESCHEIDS

 

SPRUCH

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Mag. Judith PUTZER gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 38 Abs.1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF, entschieden:

 

Der Berufung von M.M. vom 28.11.2000 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.11.2000, Zahl: 00 13.712-BAE, wird stattgegeben und M.M. gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg.cit. wird festgestellt, dass M.M. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang

 

Am 5.10.2000 stellte Herr M.M. in Österreich einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.11.2000, Zahl: 00 13.712-BAE, § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Unter Spruchpunkt II dieses Bescheides wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Begründend wurde ausgeführt, dass es dem Berufungswerber nicht gelungen sei, eine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung aus den im Artikel 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe glaubhaft zu machen.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Berufung.

 

Die Berufungsbehörde erhob Beweis durch die Einsichtnahme in folgende Dokumente:

 

UNHCR-Stellungnahme zur Frage der Flüchtlingseigenschaft afghanischer Asylsuchender vom Juli 2003

 

Gutachten von Dr. M.D. für das Verwaltungsgericht Wiesbaden, Köln 07.11.2003

 

Bericht ai Afghanistan: "First execution since Taliban" vom 26.4.2004

 

Bericht des Auswärtigen Amtes in Berlin über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im islamischen Übergangsstaat Afghanistan, Stand März 2004

 

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan, Update über die Entwicklungen bis Februar 2004

 

ÖSTERREICHISCHES ROTES KREUZ/ACCORD, Reisebericht Afghanistan, 13. - 24. Juli 2003 vom September 2003

 

Gutachten des Sachverständigen Dr. S.R. vom 21.7.2004 für den unabhängigen Bundesasylsenat

 

und die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 8.7.2004 und am 21.7.2004. An der Berufungsverhandlung nahm das Bundesasylamt nicht teil. Das Bundesasylamt hatte die Abweisung der Berufung beantragt.

 

II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

1.1. Zum Berufungswerber:

 

Der Berufungswerber ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist in Kabul geboren. Nach dem Besuch der Grundschule und der Allgemeinbildenden höheren Schule studierte der Berufungswerber an der Universität in Kabul. Der Berufungswerber war Mitglied der Volksdemokratischen Partei und für mehrere Ministerien tätig. Nach Erstarken der Volksdemokratischen Partei arbeitete der Berufungswerber im Handelministerium. Danach begann er beim Staatssicherheitsdienst; und übte dort diverse Tätigkeiten aus. Da sich die Partei spaltete, quittierte der Berufungswerber 1366 [1987/1988] den Dienst; danach war er im Transportwesen tätig. Nach Verlassen der Heimat arbeitete der Berufungswerber vier Jahre in Moskau.

 

Der Berufungswerber gehörte ursprünglich der Religionsgemeinschaft der Sunniten an. Bereits als er noch in Afghanistan lebte, kam er mit der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Kontakt. Im Alter von 22 Jahren lernte er einen deutschen Staatsbürger kennen; dieser lud ihn zum Bibelstudium ein. 1971 nahm der Berufungswerber in Frankfurt/Main an Versammlungen der Zeugen Jehovas teil. Nachdem das kommunistische Regime an die Macht gekommen war, war es dem Berufungswerber nicht mehr möglich, das Bibelstudium zu forcieren. Seit der Berufungswerber in Österreich ist, hat er sich wieder der Glaubensrichtung der Zeugen Jehovas zugewandt. Die Taufe des Berufungswerbers fand 2003 in Anwesenheit von 500 bis 600 Personen statt. Die Konversion des Berufungswerbers zu den Zeugen Jehovas ist vielen afghanischen Staatsanghörigen in Österreich bekannt geworden.

 

1.2. Zur Situation in Afghanistan:

 

1.2.1. Politische Lage:

 

Afghanistan befindet sich mit seinen über 20 Millionen Einwohnern in einem langwierigen Wiederaufbauprozess. Grundvoraussetzung für die weitere Entwicklung ist die Gewährleistung von Sicherheit im gesamten Land. In weiten Teilen des Landes herrscht aber nach wie vor kein Friede.

 

Am 26. Januar 2004 trat in Afghanistan eine neue Verfassung in

Kraft. Sie wurde im Rahmen einer Verfassungsgebenden Großen

Ratsversammlung ("Constitutional Loya Jirga") in Kabul

verabschiedet. ... Die Verfassung enthält einen umfassenden

Menschenrechtskatalog. ... Viele Grundrechte stehen allerdings unter

Gesetzesvorbehalt. ... Art 3 der Verfassung enthält einen

Islamvorbehalt, wonach Gesetze nicht "dem Glauben und den Bestimmungen" des Islam zuwiderlaufen dürfen. Auf die Scharia wird hingegen nicht ausdrücklich Bezug genommen. Die Verfassung sieht allerdings in Art 130 für den Fall, dass keine andere Norm gesetzlich anwendbar ist, die Anwendung der Scharia in den Grenzen der Verfassung vor. Afghanistan ist eine islamische Republik. Staatsreligion ist der Islam (Art 2). Allerdings räumt dieser Artikel auch das Recht zur Ausübung anderer Religionen innerhalb der Grenzen der einfachgesetzlichen Bestimmungen ein.

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Seite 6f)

 

1.2.2. Zur Situation der Christen und Konvertiten in Afghanistan wird festgestellt:

 

Seit Ende des Jahres 2002 ist es zu einem Erstarken der fundamentalistischen Kräfte gekommen, die inzwischen den Regierungsapparat, die Polizei und die Justiz beherrschen. Überall im Land, auch in der Hauptstadt, wird nach der Sharia Recht gesprochen, nach der Angehörige "götzenanbetender" Religionen gegen den Islam und damit de facto gegen die Staatsdoktrin Afghanistans verstoßen (Gutachten von Dr. M.D. für das Verwaltungsgericht Wiesbaden, Köln 07.11.2003).

 

Gemäß Art. 2 der neuen Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan ist die Religion der Islamischen Republik Afghanistan die heilige Religion des Islam. Die Anhänger anderer Religionen sind gemäß der neuen Verfassung frei, ihrem Glauben zu folgen und ihre religiösen Zeremonien im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auszuüben. Kein Gesetz darf dem Glauben und den Bestimmungen der heiligen Religion des Islam widersprechen.

 

Die afghanische Gesellschaft ist gegenüber religiösen Minderheiten jedoch nicht tolerant. Sikhs haben Reintegrationsprobleme, werden wirtschaftlich diskriminiert, beschimpft und an öffentlichen Orten angegriffen. In Einzelfällen werden Ismailis diskriminiert und unterliegen der Willkür von Kommandanten. Die sehr kleine christliche Minderheit Afghanistans agiert und praktiziert nur im Geheimen. Die Sharia stellt Konvertierung unter Strafe. Strafverfolgung bei Konvertierung stellte zuletzt auch die offizielle Position des afghanischen Staats dar. (Afghanistan, Update über die Entwicklungen bis Februar 2004, der SFH vom 01.03.2004)

 

Zur tatsächlichen Situation von Konvertiten in Afghanistan ist kaum etwas bekannt, da diese ihr Bekenntnis meist geheim halten. Bisher ist laut UNAMA lediglich der Fall eines Kommandanten bekannt geworden, der sich, wie auch seine Frau, offen zum Christentum bekennt. Er wurde laut UNAMA und Amnesty International von seiner eigenen Familie und Vertretern der konservativen Geistlichkeit offen bedroht. Die Situation von Konvertiten hängt letztlich davon ab, wo und unter welchen Umständen diese in Afghanistan leben. Laut der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission sind Repressionen gegen Konvertiten in städtischen Gebieten wegen der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften. Eine ungehinderte offene Ausübung ihrer Religion ist für Konvertiten in Afghanistan jedoch kaum möglich. Bis auf eine christliche Kirche auf dem Gelände der italienischen Botschaft in Kabul sind keine christlichen Gemeinden in Afghanistan bekannt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Islamischen Übergangsstaat Afghanistan).

 

"Unislamisches Verhalten" kann derzeit in Afghanistan zu einer Gefährdung führen. So gibt es Verhaftungen auf Grund von Blasphemievorwürfen. Die Fundamentalisten sind sehr stark und gewinnen auch an Stärke, dies betrifft insbesondere die Mitglieder der Nordallianz in der Regierung. Es gibt in Afghanistan eine sehr kleine christliche Minderheit. Manche Afghanen sind zum Christentum übergetreten, dies u. a. deswegen, weil dies auch als eine Möglichkeit erkannt wurde, im Westen Asyl zu erhalten. Afghanische Christen wollen als solche nicht erkannt werden und praktizieren ihre Religion nur im Geheimen. Weder Missionierungen noch das Praktizieren des Glaubens in der Öffentlichkeit sind möglich, selbst das sichtbare Tragen eines Kreuzes (als Anhänger an einer Kette) würde zu Übergriffen führen. Hier ist nicht so sehr die offizielle Politik der Regierung ausschlaggebend, sondern es würde eher zu Übergriffen seitens Privatpersonen kommen. Afghanen, die aus Überzeugung zum Christentum übertreten, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Problemen konfrontiert. Die Sharia stellt Konvertierung unter Strafe und die Strafverfolgung von Konvertiten ist derzeit die offizielle Position des Staates. Die Gesellschaft ist religiösen Minderheiten, insbesondere aber Konvertiten gegenüber, nicht tolerant. (ÖSTERREICHISCHES ROTES KREUZ/ACCORD, Reisebericht Afghanistan, 13. - 24. Juli 2003 von September 2003).

 

Eine Gefahr der Verfolgung besteht weiterhin für Afghanen, die verdächtigt oder beschuldigt werden, vom Islam zum christlichen oder jüdischen Glauben konvertiert zu sein. Die Konversion gilt in ganz Afghanistan als Vergehen, das mit dem Tod bestraft werden kann. (UNHCR-Stellungnahme zur Frage der Flüchtlingseigenschaft afghanischer Asylsuchender vom Juli 2003)

 

1.3. Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan hätte der Berufungswerber keine Möglichkeit, seinen Glauben sanktionsfrei auszuüben. Es ist darüber hinaus nicht auszuschließen, dass sein Übertritt zu den Zeugen Jehova bei einer Rückkehr nach Afghanistan bekannt würde. In diesem Fall drohen dem Berufungswerber nach Scharia Verhaftung und schwere Strafen bis zum Todesurteil bzw die gesellschaftliche Ächtung und Ausgrenzung.

 

2. Die obigen Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Person des Berufungswerbers ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Akt, der Berufung und den Angaben des Berufungswerbers in der mündlichen Verhandlung; weiters den Angaben des Zeugen N.H., der selbst Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehova ist; die (Negativ-)Feststellung, dass es sich beim Übertritt des Berufungswebers zum Glauben der Zeugen Jehovas um, keine Scheinkonversion handelt, beruht auf den Ausführungen des Berufungswerbers und der Darstellung des Zeugen, der in längerem persönlichen Kontakt zum Berufungswerber steht. Beweisergebnisse dahingehend, dass im vorliegenden Fall eine Scheinkonversion vorliegen, sind nicht hergekommen.

 

2.2. Die Feststellungen zur aktuellen Situation in Afghanistan beruhen auf den jeweils angeführten Quellen. Die beigeschafften Dokumente, die von - teilweise vor Ort agierenden - Personen und Organisationen hoher Reputation stammen, enthalten substantiierte Darstellungen der Situation und ergeben in ihren Aussagen ein übereinstimmendes nachvollziehbares Gesamtbild.

 

2.3. Die Feststellungen unter 1.3. ergeben sich aus den Feststellungen zu 1.1. und 1.2. sowie den Ausführungen des der mündlichen Verhandlung beigezogenen Sachverständigen: "Grundsätzlich in der islamischen Gesellschaft zählt jemand, der zu nichtislamischen Religionen übertritt zu den Apostaten bzw. Abtrünnigen bzw. Mortads. Wir kennen aus der neuen Geschichte, dass eine "Beleidigung des Islam bzw. des Propheten" dazu geführt hat, dass der Salman Rushdie von Imam Khomeini mit einer Fatwa zum Tode verurteilt wurde. Dies ist ein Ausdruck dafür, dass die Muslime keine Möglichkeit haben, außerhalb des Rahmens des Islams sich zu bewegen, geschweige denn vom Islam zu einer anderen Konkurrenzreligion überzutreten. Im Falle eines Übertrittes zum Christentum oder zum Judentum ist diese übergetretene Person sogar vom Tode bedroht, weil deren Ausschluss, Ausspottung, Verprügelung bis hin zum Tod möglich ist. Hierzu möchte ich auf mein Gutachten vom 10.02.2004 zur Zahl 211.857 verweisen.

 

[Anmerkung: Das Gutachten wird zum Akt genommen.]

 

Nach meinen Recherchen und Beobachtungen in Afghanistan wird eine Person allein deshalb verfolgt oder von der Gesellschaft ausgeschlossen, wenn sie behauptet, ich bin Christ, wenn sie aber versucht, die Leute zu bekehren und wenn sie dies bei gesundem Verstand tut, wird sie tatsächlich mit den im Gutachten vom 10.02.2004 genannten Strafen, höchstwahrscheinlich, konfrontiert sein. Diese Strafen ergeben sich großteils aus der Sharia, zum Teil aus der Tradition. In der heutigen Zeit, seitdem Sturz des Taliban - Regimes reichen Behauptungen von anderen Personen, dass jemand Christ geworden sei, nicht aus, dass jemand auch offiziell verfolgt wird. Diese Person muss in der Öffentlichkeit bekannt geworden sein und sie muss auch getauft sein. In diesem Falle besteht die Gefahr, dass auch die Staatsanwaltschaft und der Oberste Richter auf Verlangen von bestimmte Fundamentalisten diese Person zur Verantwortung zieht. In Afghanistan gilt auch heute die Sharia. In diesem Sinn liegt sogar ein Straftatbestand nach afghanischem Recht vor. Von dieser Person, die zum Christentum übergetreten ist, kann niemand erfahren und es kann ihr auch nichts geschehen, wenn sie zurückkehrt, solange sie sich nicht deklariert. Im Falle des BW stelle ich eine Öffentlichkeit fest, die er in der afghanischen Gemeinschaft in Wien über seinen Übertritt zum Christentum/Zeugen Jehovas informiert hat und bei ihnen, wie heute authentisch über die Prinzipien seiner neuen Religion berichtet und sie von der Wahrheit seiner neuen Religion zu überzeugen versucht hat. Ein großer Teil der Namen der Afghanen, die er auf diesem Zettel aufgeschrieben hat, kenne ich. Ich habe in der Ausdrucksweise des BW feststellen können, dass der BW sich gründlich mit seiner neuen Religion beschäftigt und diese auch verinnerlicht hat. Er hat die Begriffe Ghossl Tamid spontan wiedergegeben (die Taufe). Dieser Taufe hat er sich in Anwesenheit von 500 bis 600 Personen unterzogen. Es besteht auch die Gefahr, wenn der BW später davon Abstand zu nehmen versucht, von irgendjemandem dieser Leute erkannt zu werden."

 

Für die Berufungsbehörde ergibt sich daraus, dass für den Berufungswerber keine Möglichkeit besteht, in Afghanistan die christliche Religion auszuüben; jedes Bekanntwerden seines Glaubenübertrittes würde mit schwersten staatlichen und gesellschaftlichen Sanktionen betraft werden. Der Berufungswerber müsste daher im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan seinen Glaubenswechsel geheim halten, um diese Sanktionen hintan zuhalten.

 

3. Rechtlich folgt:

 

3.1. Mit 1.7.2008 wurde der Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art 129c ff B-VG.

 

Gemäß Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG wird mit 1.7.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Gemäß Z 4 leg cit sind am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Da die ausfertigende Richterin des Asylgerichtshofes dieselbe Person wie das für das Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zuständige Senatsmitglied ist, ergeben sich auch aus dem Grundsatz der richterlichen Unmittelbarkeit keine Bedenken. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit oa Spruch am 7.4.2008 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.

 

3.2. Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl I Nr 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 126/2002 geführt.

 

Da gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBI I Nr 101/2003 auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen ist, war gegenständlich auch über die Berufung gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I Nr 76/1997 idF BGBI I Nr 126/2002 abzusprechen.

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.

 

Gem § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Der verwiesene Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention lautet: Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck "Flüchtling" auf jede Person Anwendung, die ... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; ...

 

3.3. Zur Dartuung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt wurden; eine solche ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn Verfolgungshandlungen im Lichte der speziellen Situation des Flüchtlings unter Berücksichtigung der Gesamtsituation im Verfolgerstaat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu befürchten wären (VwGH v. 26. 2. 1997 Zl: 95/01/0454). Nicht erforderlich ist, dass bereits tatsächlich Verfolgungshandlungen gegen den oder die Betroffene stattgefunden haben, da die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - sich nicht auf vergangene Ereignisse bezieht (vgl VwGH 10.9.1997, 96/21/0424), sondern eine Prognose erfordert (Vgl auch VwGH 5.11.1992, 92/01/792).

 

3.4. Die Furcht des Berufungswerbers vor Verfolgung im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan ist begründet:

 

3.4.1. Nach der Rspr des VwGH kommt es im Fall der Konversion darauf an, ob die betreffende Person im Fall einer Rückkehr in das Heimatland in der Lage ist, die von ihr gewählte Religion frei auszuüben. Bei einer im Ausland erfolgten Konversion ist darauf abzustellen, ob die Konversion "nur zum Schein erfolgt" ist. Wenn die Konversion aus "innerem Entschluss" erfolgt ist, kommt es darauf an, ob die betreffende Person bei "weiterer Ausübung ihres behaupteten inneren Entschlusses, nach dem Glauben der Zeugen Jehovas zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl VwGH 24.10.2001/99/20/0550; 19.12.2001, 2000/20/0369; 17.10.2002, 2000/20/0102)..

 

Im Fall des Berufungswerbers ist davon auszugehen, dass der erfolgte Glaubenswechsel aus einem inneren Entschluss erfolgt ist; für das Vorliegen einer Scheinkonversion gibt es keinen Anhaltspunkt. Dem Berufungswerber drohen im Fall der Ausübung der Lehren der Zeugen Jehovas schwere Sanktionen in seinem Heimatstaat, die sowohl von staatlicher Seite (Sanktionen gem Scharia) als auch von privater Seite (völlige gesellschaftliche Ächtung) ausgehen (vgl die Feststellungen unter 1.2.2. und 1.3.). Es ist weiters nicht auszuschließen, dass der Berufungswerber - selbst wenn er dies in Kauf nehmen würde - den Umstand seines Glaubenswechsels nicht dauerhaft geheim halten könnte, da dieser bereits einer Vielzahl von afghanischen Staatstangehörigen in Österreich bekannt geworden ist.

 

3.4.2. Der in seiner Intensität asylrelevante Eingriff in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Im Fall des Berufungswerbers steht die Verfolgungsgefahr in einem Konnex zu seinem Glaubenswechsel und daher zum Konventionsgrund der "Religion".

 

3.4.3. Das Bestehen einer inländischen Schutzalternative in anderen Gebieten Afghanistans ist im Fall des Berufungswerber zu verneinen, weil die vom Berufungsweber geltend gemachte Furcht vor Verfolgung im gesamten afghanischen Staatgebiet besteht.

 

3.5. Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich der Berufungswerber aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb Afghanistans aufhält und auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

4. Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Schlagworte
gesamte Staatsgebiet, Konversion, Nachfluchtgründe, Religion, strafrechtliche Verfolgung, Straftatbestand
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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