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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §1297;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des Mag. G in Wien, vertreten durch Dr. Gerhard Deinhofer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ditscheinergasse 4, gegen den auf Grund des Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 10. Jänner 2000, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/1999-2769, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 24 Abs. 2 AlVG die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes vom 5. Oktober 1999 bis 31. Oktober 1999 widerrufen und gemäß § 25 Abs. 1 leg. cit. der unberechtigt empfangene Betrag von S 6.075,-- zurückgefordert. In der Begründung führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der in Betracht kommenden Gesetzesstellen und einer kurzen Darstellung des Verwaltungsgeschehens aus, der Beschwerdeführer habe am 3. September 1999 den Antrag auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gestellt. Gleichzeitig habe er bekannt gegeben, dass er ab 4. Oktober 1999 den Zivildienst antrete. In der Folge seien ihm die Leistungen für September und Oktober angewiesen worden. Gemäß § 16 Abs. 1 lit. h AlVG ruhe das Arbeitslosengeld während des Zivildienstes. Die Leistung sei daher ab 5. Oktober 1999 gemäß § 24 Abs. 2 AlVG zu widerrufen. Der Beschwerdeführer habe zwar den Beginn des Zivildienstes bekannt gegeben, die belangte Behörde gelange jedoch zur Ansicht, dass er hätte erkennen können, dass ihm die Leistung nicht gebühre. Dies vor allem deshalb, weil auch während des Zivildienstes Bezüge nach dem Zivildienstgesetz bezogen werden und der wesentliche Zweck der Arbeitslosenversicherung die Existenzsicherung des Versicherten bei Arbeitslosigkeit sei. Dies sei allgemein bekannt. Das zu Unrecht bezogene Arbeitslosengeld werde daher gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zurückgefordert.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten dadurch verletzt, dass die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes vom 5. Oktober bis 31. Oktober 1999 widerrufen und der empfangene Betrag von S 6.075,-
- von ihm zurückgefordert werde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Der Beschwerdeführer replizierte auf die Gegenschrift der belangten Behörde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wegfällt, ist es einzustellen; wenn sich eine für das Ausmaß des Arbeitslosengeldes maßgebende Voraussetzung ändert, ist es neu zu bemessen (§ 24 Abs. 1 AlVG).
Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt, die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.
Nach § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG ist bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.
Die belangte Behörde begründete den Widerruf der dem Beschwerdeführer mit Mitteilung vom 21. September 1999 ab 10. September 1999 zuerkannten Leistung vom 5. Oktober bis 31. Oktober 1999 damit, dass die Leistung während der Ableistung des Zivildienstes nicht gebühre. Damit hat die belangte Behörde jedoch lediglich zum Ausdruck gebracht, dass in diesem Zeitraum die Leistung sich als gesetzlich nicht begründet erweist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 31. Mai 2000, 96/08/0258, mit den Voraussetzungen für die Einstellung einer Leistung gemäß § 24 Abs. 1 AlVG einerseits und den Widerruf einer Leistung gemäß § 24 Abs. 2 AlVG andererseits befasst und ist dabei in Auseinandersetzung mit der Vorjudikatur in einer am Gesetzeswortlaut orientierten Auslegung zu dem Ergebnis gekommen, Leistungen seien auch für in der Vergangenheit liegende Zeiträume - und zwar unabhängig davon, ob die tatsächliche Auszahlung schon erfolgt sei - einzustellen und nicht zu widerrufen, wenn der Grund für die Einstellung oder den Widerruf nicht auf die Zuerkennung der Leistung zurückwirkt, sondern im nachträglichen Wegfall einer Leistungsvoraussetzung besteht. Die Einstellung der Leistung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum sei somit weder "begrifflich unmöglich" noch vom Unterbleiben einer tatsächlichen Auszahlung abhängig, wobei der Leistungsbezieher durch den Ausspruch einer Einstellung statt eines Widerrufes oder umgekehrt nicht in seinen Rechten verletzt werde. Damit wurde klargestellt, dass der inhaltliche und auch der zeitliche Bezugspunkt der Formulierungen des § 24 Abs. 1 und 2 AlVG "die Entscheidung über den Antrag" ist, d. h. § 24 Abs. 1 ist dahin zu ergänzen, dass es auf den "Wegfall" bzw. die "Änderung" nach der "Entscheidung" ankommt; waren hingegen die für den Anspruch oder die Bemessung maßgebenden Fakten schon vor der Entscheidung eingetreten, stellen sie sich aber erst nach ihr heraus, so liegt ein Anwendungsfall des § 24 Abs. 2 AlVG vor. Ausgehend von den unstrittigen Sachverhaltsannahmen stellt daher die Ableistung des Zivildienstes ab 5. Oktober 1991 nicht einen Widerrufsgrund der ab 10. September 1999 gewährten Leistung dar, sondern richtigerweise einen Einstellungsgrund. Durch dieses Vergreifen im Ausdruck durch die belangte Behörde wurde der Beschwerdeführer jedoch nicht in seinen Rechten verletzt.
Bezüglich der Rückforderung der Leistung im genannten Zeitraum ist zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ausschließlich strittig, ob die belangte Behörde zu Recht die Erfüllung des dritten Rückforderungstatbestandes des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG angenommen hat, ob also der Beschwerdeführer hätte erkennen müssen, dass ihm das Arbeitslosengeld während seines Zivildienstes nicht gebührte.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 20. Oktober 1998, 98/08/0161, und vom 13. April 1999, 97/08/0154) ist der dritte Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG schon nach dem isolierten Wortlaut der Wendung "wenn er erkennen musste, dass ..." nicht erst dann erfüllt, wenn der Leistungsempfänger die Ungebührlichkeit der Leistung an sich oder ihrer Höhe nach erkannt hat; das Gesetz stellt vielmehr auf das bloße Erkennen-Müssen ab und statuiert dadurch eine (freilich zunächst nicht näher bestimmte) Diligenzpflicht. Aus der Gegenüberstellung mit den zwei anderen in § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG genannten Rückforderungstatbeständen (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen) wird jedoch deutlich, dass für die Anwendung des dritten Rückforderungstatbestandes eine gegenüber den beiden anderen Tatbeständen abgeschwächte Verschuldensform, nämlich Fahrlässigkeit, genügt. Fahrlässige Unkenntnis davon, dass die Geldleistung nicht oder nicht in der konkreten Höhe gebührte, setzt voraus, dass die Ungebühr bei Gebrauch der (im Sinne des § 1297 ABGB zu vermutenden) gewöhnlichen Fähigkeiten erkennbar gewesen ist. Ob dies zutrifft, ist im Einzelfall zu beurteilen, wobei jedoch der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit weder überspannt noch überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen. Insbesondere ist im gegebenen Zusammenhang die (allgemeine) Vermutung von der Gesetzeskenntnis (§ 2 ABGB) nicht ohne weiteres heranzuziehen, weil dies der im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gekommenen Absicht des Gesetzgebers, nicht schon die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung allein auch für die Rückforderung genügen zu lassen, zuwiderliefe.
Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze hat die belangte Behörde das Vorliegen des dritten Rückforderungstatbestandes des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG im Ergebnis zu Recht bejaht.
Der Beschwerdeführer führt zunächst gegen die Auffassung der belangten Behörde ins Treffen, die Behörde selbst habe die gesetzliche Unbegründetheit des Leistungsbezuges erst zwei Monate nach Zuerkennung des Arbeitslosengeldes erkannt, obwohl sie über besondere Rechtskenntnisse verfügt und ihr die ausdrückliche Mitteilung über den Antrittstermin zur Ableistung des ordentlichen Zivildienstes bekannt gewesen sei. Dies deute wohl darauf hin, dass der Behörde selbst, trotz der ihr zumutbaren Sorgfalt, die gesetzliche Unbegründetheit des Leistungsbezuges schwer erkennbar gewesen sei. Wenn nun aber bereits der Behörde trotz ihrer besonderen Rechtskenntnis und ihres Wissens die Unbegründetheit erst nachträglich erkennbar gewesen sei, so scheine es wohl schwer nachvollziehbar, warum er dies hätte erkennen müssen, es sei denn, es würden an ihn weit höhere Sorgfaltsanforderungen gestellt als an die Behörde.
Dem ist zu entgegnen, dass es nicht auf die Verhältnisse seitens der Behörde ankommt, sondern dass zu prüfen ist, ob dem Leistungsbezieher der Umstand, dass er den Überbezug tatsächlich nicht erkannt habe, nach seinen diesbezüglichen Lebens- und Rechtsverhältnissen vorwerfbar ist.
Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, dass nach dem AlVG neben dem Arbeitslosengeld Einkünfte aus geringfügiger Beschäftigung zulässig seien. Die monatliche Geldleistung nach dem Zivildienstgesetz liege aber weit unter dieser Geringfügigkeitsgrenze, sodass wegen ihrer Höhe nicht erkennbar sein musste, dass die Leistung des Arbeitslosengeldes nicht gebühre. Die Pauschalvergütung nach dem Zivildienstgesetz bezwecke zudem die Abgeltung der dem Zivildiener durch die Leistung des Dienstes entstehenden Kosten. Der Zweck dieser Leistung sei somit ein völlig anderer als jener der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Es bedürfe daher besonderer Rechtskenntnisse und Fähigkeiten, um erkennen zu können, welche Arten von geringfügigen Leistungen neben dem Bezug von Arbeitslosengeld zulässig seien und welche nicht. Diese Kenntnis habe der Beschwerdeführer bis zum Zeitpunkt der bescheidmäßigen Rückforderung des empfangenen Arbeitslosengeldes jedoch nicht gehabt. Er sei vorher auch nicht über den gesetzlichen Ruhenstatbestand des § 16 Abs. 1 lit. h leg. cit. informiert worden. Die Leistungen nach dem Zivildienstgesetz seien nicht ausschlaggebend dafür gewesen, dass der genannte Ruhenstatbestand normiert worden sei.
Dem Beschwerdeführer ist zuzugestehen, dass nicht bereits die Geldleistung nach dem Zivildienstgesetz an sich oder auch nur deren Höhe für das Ruhen des Leistungsanspruches während des Zivildienstes ausschlaggebend ist. Die Zeit, während der der Arbeitslose den Zivildienst ableistet, ist den Ruhensgründen zuzuordnen, in denen der Arbeitslose richtigerweise mangels Vermittelbarkeit gar keinen Anspruch hätte (vgl. Dirschmied, AlVG, MKK, 3. Auflage, AlVG § 16, Anm. 2). Aus diesem Grunde ist auch die Auffassung der belangten Behörde im Ergebnis nicht zu beanstanden. Denn auch der Beschwerdeführer musste schon bei Gebrauch seiner gewöhnlichen und spezifisch juristischen Fähigkeiten und Kenntnisse erkennen, dass er während der Ableistung des Zivildienstes dem österreichischen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht und ihm daher keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gebühren. Die Ableistung des Zivildienstes nimmt den Beschwerdeführer nämlich in zeitlicher Hinsicht soweit in Anspruch, dass daneben eine Ausübung einer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angebotenen Tätigkeit ausscheidet. Auch aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer den Antritt des Zivildienstes der Behörde gemeldet hat, ergibt sich, dass ihm die Relevanz desselben bewusst war.
Aus diesen Gründen war die Beschwerde daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 3. April 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000080016.X00Im RIS seit
18.10.2001