TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/26 B3 247431-0/2008

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Veröffentlicht am 26.08.2008
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Spruch

B3 247431-0/2008/11E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Karin WINTER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Q.H., geboren am 00.00.1982, kosovarischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. Februar 2004, Zl. 03 08.939 - BAE, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21. Februar 2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und Q.H. gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BG BGBl. I Nr. 126/2002, Asyl (AsylG) gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass Q.H. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

1.1. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 18. März 2003 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erklärte gemäß § 8 AsylG seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach Serbien und Montenegro, Provinz Kosovo" für zulässig (Spruchpunkt II.). Das Bundesasylamt beurteilte das Vorbringen des Beschwerdeführers als glaubwürdig, verneinte jedoch dessen Asylrelevanz und dass beim Beschwerdeführer subsidiäre Schutzgründe vorliegen könnten.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in Folge so bezeichnete) Berufung. Am 21. Februar 2008 führte die Rechtsmittelbehörde in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In dieser wurden der Beschwerdeführer und seine Cousine Q.V. einvernommen. Weiters wurden die Anfragebeantwortung des österreichischen Verbindungsbeamten vom 7. November 2007 (Beilage A zur Verhandlungsschrift [VS]), der Bericht des (dt.) Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom Oktober 2007 "Serbien/Kosovo - Ethnische Minderheiten im Kosovo" (Beilage B zur VS), der Bericht des (dt.) Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien (Kosovo) vom 15. Februar 2007, Stand: Jänner 2007 (Beilage C zur VS) und die UNHCR-Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo vom Juni 2006 (Beilage D zur VS) verlesen und erörtert.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zur hier relevanten Situation im Kosovo:

 

Seit der Veröffentlichung des UNHCR-Positionspapiers vom März 2005 hat sich die Sicherheitslage im Kosovo schrittweise verbessert. Die Anzahl der Minderheitenangehörigen, die für die Provisorischen Selbstverwaltungsorgane im Kosovo (PISG) und für das Kosovo Protection Corps (KPC) arbeiten, ist gestiegen; die Freizügigkeit hat sich grundsätzlich verbessert; eine Reihe von wichtigen Maßnahmen wurde unternommen, um den Eigentumsschutz zu stärken; zur Überwachung des Zugangs von Minderheiten zu öffentlichen Einrichtungen wurde eine Inter-Ministerielle Kommission eingerichtet.

 

Die UN-Verwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) berichtete im Mai 2006, dass die Kriminalitätsstatistik im ersten Quartal dieses Jahres für Delikte, bei denen ein ethnischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden konnte, merklich gesunken sei. Trotz dieser Verbesserungen bleibt die Sicherheitssituation - wenn auch stabil - fragil und in gewisser Weise unvorhersehbar. Während die Anzahl der an die Öffentlichkeit gebrachten schweren ethnisch-motivierten Verbrechen insgesamt zurückgegangen ist, sind serbische Volkszugehörige weiterhin von einer beachtlichen Zahl von Zwischenfällen betroffen.

 

Angehörige ethnischer Minderheiten sind auch weiterhin Opfer von ethnisch motivierten sicherheitsrelevanten Zwischenfällen geringerer Intensität wie z.B. tätlichen und verbalen Angriffen und Drohungen, Brandstiftungen, Steinwürfen, Einschüchterungen, Belästigungen, Plünderungen, aber auch von schwereren Übergriffen, wie z.B. Schießereien und Ermordungen. Viele dieser Zwischenfälle werden nicht zur Anzeige gebracht, da die Opfer Vergeltungsmaßnahmen durch die aus der Mehrheitsgemeinschaft stammenden Täter befürchten. Zwischenfälle gegen Angehörige der albanischen Mehrheit wurden in der Nähe der Hauptbrücke von Mitrovica berichtet, wo es im Rahmen von Ausweiskontrollen durch serbische so genannte Brückenbeobachter u. a. zu Einschüchterungen und physischen Tätlichkeiten kam. Angehörige der Volksgruppe der Roma zögern, der kosovarischen Polizei (KPS) oder der serbischen Polizei (SUP), die im nördlichen Teil des Kosovo tätig ist, solche Zwischenfälle anzuzeigen. Der Grund dafür liegt möglicherweise in ihrer sozial und wirtschaftlich schwachen Stellung und dem Mangel an Vertrauen in die Fähigkeit oder den Willen der dortigen Behörden, sie vor Vergeltungsmaßnahmen zu schützen. Hinzu kommt, dass Roma nur selten das Gerichtssystem in Anspruch nehmen, z.B. weil sie in entlegenen Gebieten leben.

 

Die Durchsetzung der Strafverfolgung wird von vielen Beobachtern als unzureichend bewertet, wenn es um strafrechtliche Handlungen mit ethnischem Hintergrund geht. Das Unvermögen, die Täter vieler - bekannt gewordener - schwerer Straftaten einer gerechten Strafe zuzuführen, trägt zu einem Klima der Straflosigkeit bei, das durch die ethnisch ungleiche Zusammensetzung der örtlichen Strafverfolgungsbehörden noch verschärft wird.

 

...

 

Vor dem Hintergrund der derzeit fragilen Sicherheitssituation im Kosovo und der nach wie vor vorherrschenden Einschränkungen grundlegender Menschenrechte der Kosovo-Serben, Roma und Kosovo-Albaner in einer Minderheitensituation bekräftigt UNHCR seine Auffassung, dass für Angehörige dieser Volksgruppen nach wie vor ein Verfolgungsrisiko besteht und diese Minderheiten in ihren jeweiligen Zufluchtsstaaten als Flüchtlinge im Sinne von Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 und des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge betrachtet werden sollten. Für den Fall, dass ein Staat nach nationaler Gesetzeslage keinen Flüchtlingsstatus gewähren kann, aber die Person nicht vom internationalen Schutz ausgeschlossen ist, sollte komplementärer Schutz gewährt werden. Die

 

Rückkehr von Angehörigen dieser Personengruppen sollte ausschließlich auf einer strikt freiwilligen Grundlage erfolgen. Personen, die den Wunsch äußern, freiwillig zurückzukehren, sollten dies aus freiem Willen und in voller Kenntnis der gegenwärtigen Situation im Kosovo tun können.

 

...

 

In der gegenwärtig komplexen Situation im Kosovo können auch Personen, die nicht einer der oben ausdrücklich genannten Personengruppen angehören, eine begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der Konventionsgründe haben. Diese Personen können aus Volksgruppen stammen, die nicht als besonders schutzbedürftig bezeichnet wurden oder anderen schutzbedürftigen Personengruppen angehören. Nicht abschließende Beispiele dafür sind:

 

Personen in gemischt-ethnischen Ehen oder von gemischt-ethnischer Abstammung/Herkunft;

 

Personen, die der Zusammenarbeit mit dem serbischen Regime nach 1990 verdächtigt werden;

 

Opfer von Menschenhandel.

 

Quelle: UNHCR-Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo vom Juni 2006 (Beilage D zur VS, S. 3ff und 9)

 

1.2. Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

 

Der Beschwerdeführer wurde am 00.00.1982 in G. (Kosovo) geboren. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und ist ein kosovarischer Staatsbürger. Sein Vater ist albanischer Volksgruppenzugehörigkeit, seine Mutter gehört der Volksgruppe der Roma an. Im Jahre 1996 zog er als Minderjähriger zur Familie seiner Cousine Q.V., die väterlicherseits albanischer Abstammung und mütterlicherseits serbischer Abstammung ist und wurde von seiner eigenen Familie verstoßen. Ihr Vater stand im Dienste der serbischen Polizei. Ihm wurde von der albanischen Bevölkerung unterstellt, für Massaker an Albaner verantwortlich gewesen zu sein. Deswegen kam es immer wieder zu Übergriffen auf den Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen. 1997 wurde der Beschwerdeführer von vier Personen albanischer Volksgruppenzugehörigkeit entführt. Sie verlangten von ihm, seine Tante wegen ihrer serbischen Herkunft zu ermorden und ihnen die Waffen seines Onkels, die dieser als Polizist besaß, auszuhändigen. Da sich der Beschwerdeführer weigerte, wurde er massiv geschlagen und schließlich mit dem Kopf gegen eine heiße Herdplatte gedrückt, wovon er noch immer sichtbare Narben trägt. Weder sein Onkel bzw. die Sicherheitsbehörden noch die UNMIK konnten die Täter ausforschen. Am 11. Dezember 1998 wurde sein Onkel auf Grund seiner Tätigkeit für die serbische Polizei von Angehörigen der UCK erschossen. Im Juni 2001 wurde seine Cousine auf dem Weg zur Arbeit - sie arbeitete seit 1999 als Küchenhilfe für die KFOR - von zwei Männern wegen ihrer serbischen Abstammung beschimpft und in weiterer Folge in ein Auto gezerrt. Dort versuchten sie, die Cousine des Beschwerdeführers zu vergewaltigen, ließen jedoch von ihr ab, als KFOR-Soldaten vorbeifuhren. Da es immer wieder zu Übergriffen kam, flüchteten am 10. November 2002 (zunächst) die Tante und der jüngere Cousin des Beschwerdeführers aus dem Kosovo nach Österreich, wo sie jeweils einen Asylantrag stellten. Als am 22. Dezember 2002 der ältere Cousin des Beschwerdeführers zu Hause überfallen, geschlagen und ausgeraubt wurde, flüchtete der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem älteren Cousin und seiner Cousine in Begleitung der UNMIK nach Prizren, wo sie ihre Flucht aus dem Kosovo vorbereiteten. Am 14. März 2003 flüchteten sie schließlich aus dem Kosovo.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Situation im Kosovo stützen sich auf die zitierte Quelle, die in der Verhandlung erörtert wurde. Angesichts der Seriosität dieser Quelle und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen die Verfahrensparteien nicht entgegengetreten sind, besteht für den Asylgerichtshof kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Überdies stimmen sie mit den Inhalten der anderen, in der Verhandlung erörterten Berichte überein.

 

2.2.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinem glaubwürdigen Vorbringen und seinem vorgelegten Personalausweis (AS 7ff). Da er als "habitual resident" im Zivilregister eingetragen ist, ist er gemäß Art. 28 des kosovarischen Staatsbürgerschaftsgesetzes Staatsbürger der Republik Kosovo (vgl. dazu etwa das Papier des dt. Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom Mai 2008, Kosovo Länderreport, Band 1, 17f).

 

2.2.2. Die Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers basieren auf folgenden Überlegungen: Bei Einbeziehung des persönlichen Eindrucks, der im Rahmen der Verhandlung gewonnnen werden konnte, ist den Angaben des Beschwerdeführers und seiner Cousine zu den Geschehnissen im Kosovo Glaubwürdigkeit zuzubilligen. Die diesbezüglichen Ausführungen im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren erweisen sich als detailreich, frei von Widersprüchen und stellen sich - vor dem Hintergrund kosovarischer Verhältnisse - auch als plausibel dar. Zusätzlich werden sie durch die Ermittlungsergebnisse des österreichischen Verbindungsbeamten (Beilage A zur VS), die Sterbeurkunde des Onkels des Beschwerdeführers (AS 45 zur Zl. 03 08.940), die Bestätigung des Untersuchungsrichters des Bezirksgerichtes Prishtina über den Überfall vom 22. Dezember 2002 auf den älteren Cousin des Beschwerdeführers (AS 53 zur Zl. 03 08.940) sowie durch die vorgelegten Fotos, Zeitungsartikel und Todesanzeigen zu den Vorfällen (OZ 3 zur GZ B3 247638) untermauert.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieses Gericht gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

3.2.1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

3.2.2. Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.

 

3.3.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

3.3.2. Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag vor dem 1. Mai 2004 gestellt; das Verfahren war am 31. Dezember 2005 anhängig; das Verfahren ist daher nach dem AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

3.4.1. Gemäß § 23 AsylG ist auf Verfahren nach dem AsylG, soweit nicht anderes bestimmt ist, das AVG anzuwenden (vgl. auch Art. II Abs. 2 lit. D Z 43 a EGVG). Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Rechtsmittelinstanz, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

3.4.2. Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.2.2000, 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.6.1994, 94/19/0183; 18.2.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, 98/01/0352). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

 

3.4.3. Angesichts des festgestellten Sachverhalts besteht für den Beschwerdeführer eine objektiv nachvollziehbare Verfolgungsgefahr:

 

Der Beschwerdeführer war zahlreichen Übergriffen bis hin zu schwersten Verbrennungen ausgesetzt. Ursachen dafür waren einerseits die Verwandtschaft zu seinem Onkel, der als Kollaborateur mit den Serben angesehen und auch in Zusammenhang mit Massakern an Albanern gebracht wurde, andererseits seine Angehörigeneigenschaft zur serbischen Tante. Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer aufgrund der Zugehörigkeit seiner Mutter zur Volksgruppe der Roma gemischt-ethnischer Herkunft. Er fällt damit in (zumindest) zwei der vom UNHCR ausdrücklich als schutzwürdig angesehenen Gruppen (zur Indizwirkung entsprechender Empfehlungen internationaler Organisationen vgl. VwGH 20.4.2006, 2005/01/0556; 24.8.2004, 2003/01/0463; 16.7.2003, 2003/01/0059). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Kosovo erneut Repressalien von asylrelevanter Intensität seitens der albanischen Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt sein wird, die durch die nunmehrige internationale Ordnungsmacht im Kosovo - trotz grundsätzlicher Schutzwilligkeit - nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verhindert werden könnten. Dass derartige Eingriffe nicht direkt von staatlicher sondern von dritter Seite drohen, ist dabei nicht von Bedeutung, da es für einen Verfolgten keinen Unterschied macht, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 14.5.2002, 2001/01/0140). Weiters steht dem Beschwerdeführer keine zumutbare Ausweichmöglichkeit innerhalb der Republik Kosovo zur Verfügung, weil er weder über ein ausreichendes familiäres Netz noch über eine Existenzgrundlage verfügt.

 

Eine Verweisung des Beschwerdeführers in den (allfälligen) zweiten Herkunftsstaat Serbien ist schon deshalb auszuschließen, weil der Beschwerdeführer dort über keine familiären bzw. sonstigen Anknüpfungspunkte verfügt und aufgrund seiner Abstammung von der Volksgruppe der Roma Anfeindungen und Diskriminierung zu befürchten hätte.

 

3.4.4. Zusammenfassend ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, wegen seiner gemischt-ethnischen Abstammung bzw. wegen seiner Angehörigeneigenschaft zu seinem Onkel und zu seiner Tante (vgl. zum Konventionsgrund "soziale Gruppe" bei Verfolgungsgefahr als Familienmitglied etwa VwGH 24.6.2004, 2002/20/0165, 0166; 17.9.2003, 2000/20/0137; 14.1.2003, 2001/01/0508, jeweils mwN) verfolgt zu werden, außerhalb seines Herkunftsstaates aufhält und dass auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Schlagworte
Diskriminierung, Eingriff in sexuelle Selbstbestimmung, ethnische Verfolgung, Folter, gesamte Staatsgebiet, Kollaboration, Lebensgrundlage, Schutzunfähigkeit, soziale Gruppe, soziale Verhältnisse, Volksgruppenzugehörigkeit, Zurechenbarkeit
Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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