S10 318.490-1/2008/6E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde der B. L., geb. 1989, StA. Russische Föderation, vertreten durch GENNER Michael, Asyl in Not, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.03.2008, Zahl: 08 01.815 - EAST OST, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
1. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:
Die Beschwerdeführerin (in der Folge BF) ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehört der tschetschenischen Volksgruppe an. Sie stellte am 20.02.2008 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Zuge der niederschriftlichen Befragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes des PI Traiskirchen - EAST am selben Tag gab die BF an, ihren Heimatort am 13.02.2008 gemeinsam mit ihrem Gatten, S. U., und ihrer Tochter, S. T., mittels Bus nach Weißrussland verlassen zu haben. In Polen wären sie kontrolliert und ihnen die Pässe abgenommen worden. Sie hätten sich dann selbständig zum Lager Dembak begeben, wo sie einen Asylantrag gestellt hätten und die Fingerabdrücke abgenommen worden wären.
Ähnlich, wenngleich nicht übereinstimmend, ist die Aussage des Gatten der BF in seiner Einvernahme am 12.03.2008, wonach sie von Brest mit dem Zug nach Polen gefahren seien, wo sie in Terespol von der Polizei kontrolliert und nach Dembak gebracht worden seien und wo man ihnen die Fingerabdrücke abgenommen habe.
Dann hätte laut BF ihr Gatte einen Mann getroffen, der ihn schon in Tschetschenien bedroht hätte und nun wieder bedroht habe, worauf er noch am selben Tag das Lager verlassen habe und nach Österreich reisen wollte. Die BF sei mit ihrer Tochter noch eine Nacht im Lager geblieben und hätte sich dann in Richtung Österreich begeben. Als sie vor dem Lager geweint habe, hätte ihr ein Mann seine Hilfe angeboten, und wäre sie dann auf einem LKW mitgefahren, den sie am 20.02.2008 wieder verlassen habe. Sie vermutete, dass ihr Gatte ebenfalls in Österreich sei. Zum Fluchtgrund befragt gab sie an, dass ihr Mann mit Kadirov-Leuten Probleme gehabt hätte, er sei auch festgenommen worden. Nach seinem Freikauf hätten sie das Land verlassen.
Neben der niederschriftlichen Befragung vor der PI Traiskirchen EAST OST am 20.02.2008, bei der der Fluchtweg erörtert wurde, hatte die BF eine weitere Einvernahme im Beisein eines Rechtsberaters am 07.03.2008, bei der sie Folgendes vorbrachte:
Die BF gab an, dass ihre Angaben auch für ihr Kind gelten würden. Sie hätte Polen getrennt von ihrem Gatten verlassen, da dieser gesagt habe, es wäre leichter alleine Polen zu verlassen. Zu den Gründen befragt, die einer Rücküberstellung nach Polen entgegenstünden, erklärte die BF, sie sei auch angerufen und bedroht worden. Nachdem ihr Gatte Polen verlassen hatte, wäre sie mit dem Umbringen bedroht worden. Es handle sich um Kadirov-Leute, die ihren Mann misshandelt hätten. Die Polizei habe sie nicht informiert, es hätte nichts genützt, alle würden das sagen.
Von ihrer Seite gäbe es keine Verwandten in Österreich, die Schwägerin und den Schwager kenne sie lediglich aus einem Video, sie hätten Tschetschenien noch vor ihrer Hochzeit verlassen.
Befragt, woher diese Personen die Telefonnummer der BF gehabt hätten, verwies die BF darauf, dass andere Tschetschenen das Handy einige Male ausgeborgt hätten.
Am 25.02.2008 wurde der BF mitgeteilt, dass Konsultationen mit Polen geführt würden, wobei sich die polnischen Behörden am selben Tag (Erklärung eingelangt am 28.02.2008) gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates (in der Folge Dublin II VO) zur Führung des gegenständlichen Asylverfahrens für zuständig erklärt haben.
Im erstinstanzlichen Bescheid wurde festgestellt, dass die BF in Österreich keine Familienangehörigen hätte, ebenso befinde sich auch ihr Ehemann nicht auf österreichischem Bundesgebiet. Zwischenzeitig stellte auch der Gatte der BF am 11.03.2008 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Zuge einer ärztlichen Untersuchung des Gatten der BF am 02.07.2008 durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. D. stellte dieser in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 03.07.2008 fest, dass einer Überstellung nach Polen keine schwere psychische Störung entgegenstünde, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würde.
Bei seiner Einvernahme am 09.07.2008 in der Erstaufnahmestelle Ost brachte der Gatte der BF im Wesentlichen Folgendes vor:
Im österreichischen Bundesgebiet habe er eine Schwester und einen Bruder, beide seien anerkannte Flüchtlinge, in Bregenz wohnhaft und seit ungefähr sechs Jahren in Österreich aufhältig. Im Heimatland hätte er ca. einmal in der Woche telefonischen Kontakt mit den Geschwistern gehabt. Beide wären verheiratet und hätten Kinder.
Der Gatte der BF lebe in Lebensgemeinschaft mit der BF und ihrer Tochter. Zur beabsichtigten Überstellung nach Polen sagte er, dass er, wenn er alleine wäre, nach Polen fahren könne. Wegen seiner Familie aber hätte er Angst, dass ihnen in Polen etwas passiere. Die BF habe dort Drohanrufe bekommen, man wisse, wo sie sich aufhalten würden. Auch habe er in Polen jemanden gesehen, der im Heimatland bei der Behörde gearbeitet hätte. Er wisse es nicht, nehme aber an, dass diese Anrufe auch von der Behörde gekommen seien. Befragt, ob er in Polen jemals persönlich bedroht worden sei, verneinte der Gatte der BF dies und meinte, er habe den Mann in Polen nur gesehen und sei geflüchtet, persönlichen Kontakt mit ihm habe er nicht gehabt. Er sei zwei Tage in Polen gewesen, habe sich dort nicht sicher gefühlt und habe das dortige Asylverfahren nicht abgewartet, da er diesen Mann gesehen und zu seinen Geschwistern nach Österreich gewollt hätte.
Das Bundesasylamt hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 07.03.2008, Zahl: 08 01.815 - EAST OST, den Antrag der BF auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 (in der Folge AsylG) als unzulässig zurückgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO Polen zuständig ist. Gleichzeitig wurde die BF gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung zulässig ist.
In der Begründung des bekämpften Bescheides wurden unter anderem folgende Erwägungen getroffen:
Bezüglich der Bedrohungssituation in Polen wurden die Aussagen der BF und ihres Gatten zu den Drohanrufen gegenübergestellt und dabei Widersprüche festgestellt. Während der Gatte der BF auf Nachfrage angab, lediglich die BF hätte diese Anrufe erhalten (zunächst hatte der Gatte der BF bei seiner Einvernahme angegeben, er selbst hätte die Anrufe erhalten), habe die BF bei ihrer Einvernahme erklärt, auch ihr Gatte wäre bedroht worden.
Die beim Gatten der BF am 02.07.2008 durchgeführte ärztliche Untersuchung habe ergeben, dass dieser weder an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Krankheit noch an einer psychischen Störung leide bzw. dass es bei einer Überstellung auch nicht zu einem aufgrund einer solchen Krankheit oder Störung lebensbedrohlichen Zustand käme. In Polen wären ausreichende Behandlungsmöglichkeiten vorhanden und die medizinische Versorgung sei gewährleistet.
Zu den vom Gatten der BF angegebenen Geschwistern wurde im angefochtenen Bescheid des Gatten der BF angeführt, dass diese - seinen Aussagen zufolge - bereits sechs Jahre in Österreich aufhältig wären, deren genaue Wohnadresse diesem unbekannt sei und während dieser Zeit lediglich einmal in der Woche ein telefonischer Kontakt stattgefunden habe. Ebenso wurde ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis verneint.
Bezüglich der BF, ihres Gatten und der Tochter wurde ein schützenswertes Familienleben in Österreich im Sinne des Art. 8 EMRK bejaht. Da diese Familienmitglieder aber im selben Umfang wie die BF von den gegenständlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen seien, stelle die Ausweisung keinen Eingriff in das Familienleben dar.
1.2. In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerde wurden die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, die Durchführung eines inhaltlichen Asylverfahrens und die Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung beantragt. Im Wesentlichen wurde das Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren wiederholt, wobei zur Bedrohung durch die Kadirov-Leute die Befürchtung geäußert wurde, bei einer allfälligen Überstellung nach Polen den Umtrieben dieser Leute ausgeliefert und ohne männlichen Schutz zu sein, wodurch unter Umständen die BF auch Opfer von Sippenhaft werden könnte.
In der ebenfalls fristgerecht eingebrachten Beschwerde des Gatten der BF wird unter anderem Folgendes ausgeführt:
In der Begründung wurden Ausführungen zur Judikatur des EGMR, zum Asylverfahren und zur medizinischen Situation in Polen sowie zu familiären Bindungen des Gatten der BF in Österreich - wenn auch allgemein gehalten - getroffen. Der Erstbehörde wurde Mangelhaftigkeit des Verfahrens insbesondere durch oberflächliche Befragung des Gatten der BF vorgehalten, wie auch dass die in Österreich lebenden Geschwister gar nicht befragt worden seien. Die Ermittlungen zur Feststellung des Sachverhaltes seien nur oberflächlich durchgeführt worden.
Der Beschwerde wurde ein psychotherapeutischer Kurzbericht von Herrn E. K., Psychotherapeut, vom 04.05.2008 beigelegt, in welchem beim Gatten der BF ein posttraumatisches Stress-Syndrom und eine Retraumatisierungsgefährdung angenommen werden.
1.3. Die Beschwerde langte am 25.03.2008 beim Asylgerichtshof ein.
1.4. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 31.03.2008, GZ: 318.490-1/2Z-VIII/23/08, wurde der Berufung der BF aufschiebende Wirkung - wie auch ihrer Tochter, und wie auch der Beschwerde ihres Ehegatten seitens des Asylgerichtshofes mit Beschluss vom 14.08.2008 - zuerkannt.
2. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Rechtlich ergibt sich Folgendes:
2.1 Mit dem Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, mit dem unter anderem das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) erlassen und das Asylgesetz 2005 sowie das Bundesverfassungsgesetz (B-VG) geändert worden sind, ist der Asylgerichtshof eingerichtet worden.
Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.
Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG gilt der Antrag des Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.
Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Berufung erhoben, gilt diese gemäß § 36 Abs. 3 AsylG auch als Berufung gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.
Aus der Wendung in § 34 Abs. 4 zweiter Satz AsylG, Familienverfahren seien "unter einem" zu führen, ist abzuleiten, dass diese - jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation - von derselben Behörde zu führen sind. Demgemäß gehen die Materialien zum AsylG 2005 davon aus, dass Ziel der Bestimmungen des § 34 AsylG sei, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne ihnen ein Verfahren im Einzelfall zu verwehren. Wenn einem Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, solle "dieser allen anderen Familienmitgliedern - im Falle von offenen Verfahren zur gleichen Zeit von der gleichen Behörde - zuerkannt werden" (Erläuterungen zur RV, 952 BlgNR XXII. GP; vgl. zu § 10 Abs. 5 AsylG 1997 - bezogen auf die Frage der Zulassung - auch VwGH 18.10.2005, Zl. 2005/01/0402).
Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
Gemäß Art. 14 lit. a Dublin II VO ist für den Fall, dass mehrere Mitglieder einer Familie in demselben Mitgliedstaat gleichzeitig einen Asylantrag stellen, für die Prüfung der Asylanträge sämtlicher Familienmitglieder der Mitgliedstaat zuständig, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils der Familienmitglieder zuständig ist.
2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und 15 Dublin II VO bzw. dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.
2.1.1.1. Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Polens gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO besteht, da die BF am 18.02.2008 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und weiters eine Zustimmung vom 25.02.2008, eingelangt am 28.02.2008, zur Wiederaufnahme der BF durch die polnischen Behörden vorliegt. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.
Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, dass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl. auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006,
Zl. 2005/20/0444).
2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher - wie auch in der Beschwerde geltend gemacht - noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.
Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.
Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl. 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0449).
Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen worden ist (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13 zu Art. 19 Dublin II VO).
Weiters hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:
Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.
Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.
Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung von einem in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen. Diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebotes (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K8-K13 zu Art. 19).
Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).
Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der EU als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten, wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.
2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK
Im konkreten Fall sind auch der Ehegatte der BF, S. U. sowie ihre Tochter S. T. in Österreich aufhältig, deren Anträge auf internationalen Schutz ebenfalls - wie auch jener der BF - zurückgewiesen werden.
Zum angegebenen besonderen Naheverhältnis des Gatten der BF zu seinen in Österreich lebenden Verwandten (Bruder und Schwester) hat dieser bei seiner Einvernahme am 09.07.2008 in der Erstaufnahmestelle Ost unter anderem Folgendes ausgesagt:
"...
F: Welchen Kontakt hatten Sie zu Ihrem Bruder und Ihrer Schwester, als Sie noch im Heimatland waren?
A: Wir hatten ca. einmal in der Woche telefonischen Kontakt.
F: Leben Ihr Bruder und Ihre Schwester allein in Bregenz?
A: Sie sind beide verheiratet und haben Kinder.
..."
Nachdem im konkreten Fall nach der Angabe des Gatten der BF seine beiden Geschwister - wie auch dieser selbst - bereits ihre eigenen Familien gegründet haben, der Kontakt im Herkunftsstaat sich auf telefonische Gespräche einmal pro Woche beschränkt hat und die Geschwister - nach Aussagen des Gatten der BF - bereits seit etwa sechs Jahren mit ihren Familien in Österreich leben, diesem auch die näheren Adressen unbekannt waren, kann von einem intensiven familienähnlichen Naheverhältnis nicht gesprochen werden. Weder das in der Beschwerde des Gatten der BF angeführte Zusammenleben noch die Abhängigkeit psychischer Natur konnten festgestellt werden. Eine Abhängigkeit finanzieller Natur wurde in der Beschwerde nicht angeführt. In Übereinstimmung mit der Beurteilung der Erstbehörde ist daher nicht vom Vorliegen eines Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK auszugehen.
Die in der Beschwerdeschrift des Gatten der BF enthaltenen Ausführungen über die Bewertung von Sachverhalten, in denen der Kontakt eines Asylwerbers zu seinen Angehörigen nur durch die Flucht unterbrochen worden ist, gehen angesichts des vorliegenden Sachverhaltes daher ins Leere, ebenso der Einwand, die Erstbehörde habe im vorliegenden Fall keine Ermittlungen im Hinblick auf die Intensität der Familienbindungen durchgeführt. Im Lichte der Angaben des Ehemannes der BF konnte eine gesonderte Befragung der Geschwister unterbleiben.
Aber auch im Fall der Annahme, dass der Ehemann der BF gemeinsam mit seiner Familie in Hinkunft eventuell bei der Familie seines Bruders oder seiner Schwester oder in deren Nähe wohnen wollte, so würde ein erst in Österreich (nach Asylantragstellung) gegründeter gemeinsamer Haushalt kein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründen.
Gemeinsam mit der BF werden auch der Ehegatte der BF, S. U. sowie ihre Tochter S. T. mit heutiger Entscheidung des Asylgerichtshofes ebenfalls ausgewiesen.
Bei einer Überstellung nach Polen würde die BF daher nicht in dem durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt werden.
Aber auch im Fall eines Eingriffs in das Grundrecht ergäbe eine Interessenabwägung nach den Gesichtspunkten des Art. 8 Abs. 2 EMRK, insbesondere der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- und Asylwesens (vgl. VwGH 98.09.2000, 2000/19/0043), dass dieser im vorliegenden Fall verhältnismäßig wäre. Die BF reiste erst Mitte Februar 2008 in das Bundesgebiet ein und ihr Aufenthalt in Österreich stützte sich von Anfang an nur auf den vorliegenden Asylantrag. Zu einem möglichen Eingriff in das Recht auf Privatleben ist auf das Erkenntnis des VwGH vom 26.6.2007, Zl. 2007/01/0479-7 zu verweisen, wonach ein dreijähriger Aufenthalt während des laufenden Asylverfahrens jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte. Umstände, die auf eine besondere Integration in Österreich hinweisen würden, kamen im Verfahren nicht hervor.
2.1.2.2. Polnisches Asylverfahren, mögliche Verletzung des Art. 3
EMRK
Bei seiner Einvernahme am 09.07.2008 in der Erstaufnahmestelle Ost hat der Gatte der BF befragt zur Situation in Polen weiters Folgendes ausgesagt:
"...
V: Sie haben am 20.03.2008 eine Verfahrensanordnung des Bundesasylamtes gem. § 29/3/4 AsylG 2005 übernommen, in welcher Ihnen mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt ist, Ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da Konsultationen mit Polen geführt werden. Mit Schreiben vom 20.05.2008 stimmten die polnischen Behörden einer Übernahme Ihrer Person zu. Sie haben nunmehr Gelegenheit, zur geplanten Vorgehensweise des Bundesasylamtes Stellung zu nehmen. Wollen Sie diesbezüglich etwas angeben?
A: Wenn ich alleine wäre, könnte ich nach Polen fahren. Aber weil ich mit meiner Frau und meinem Kind hier bin, habe ich Angst, dass ihnen in Polen etwas passiert. Ich habe in Polen jemanden gesehen, der in meinem Heimatland bei der Behörde gearbeitet hat. Ich bekam Drohanrufe von Tschetschenien, in denen mir gesagt wurde, dass man wisse, wo ich sei. Nachgefragt gebe ich an, dass nicht ich sondern meine Frau die Anrufe bekam. Ich weiß nicht, wer diese Anrufe tätigte, aber wahrscheinlich war es jemand von der Behörde.
F: Wurden Sie in Polen jemals persönlich bedroht?
A: Nein. Nachgefragt gebe ich an, dass ich diesen Mann in Polen nur gesehen habe und daraufhin geflüchtet bin. Persönlichen Kontakt zu ihm hatte ich keinen.
F: Haben Sie persönliche Gründe, die gegen eine Ausweisung nach Polen sprechen?
A: Es wäre das gleiche wie zurück nach Tschetschenien zu fahren.
F: Wieso wäre das das Gleiche?
A: Ich fühle mich in Polen nicht sicher.
...
F: Wieso haben Sie nicht den Ausgang Ihres Verfahrens in Polen abgewartet?
A: Weil ich diesen Mann gesehen habe. Außerdem wollte ich nach Österreich zu meinen Geschwistern.
..."
Aus diesen Auszügen aus der Niederschrift zur Einvernahme ist ersichtlich, dass die befragenden Organe versucht haben, mittels verschiedener Fragen sowie Bemühungen um Konkretisierung durch Nachfragen mehr über den Aufenthalt des Gatten der BF und seiner Familie in Polen zu erfahren. Der Behauptung in der Beschwerde des Gatten der BF, die Befragung hinsichtlich des Vorfalles in Polen (ein Mann, der im Heimatland der BF bei einer Behörde gearbeitet habe) sei oberflächlich erfolgt, kann daher nicht beigetreten werden.
Nach Aussagen des Gatten der BF bei seiner Einvernahme haben in Polen ihm gegenüber keine konkreten Drohungen stattgefunden, auch hätte es mit dem genannten Mann keinen persönlichen Kontakt gegeben. So kann auch nicht festgestellt werden, ob dieser Mann tatsächlich jener war, der dem Gatten der BF bekannt ist sowie in welcher Funktion sich dieser Mann im Lager befunden hat.
Handy?
Vorbringen zu den Fluchtgründen bleiben dem materiellen Verfahren vorbehalten. Für die konkrete Entscheidung sind lediglich die Aussagen über den Aufenthalt der BF und ihrer Familie in Polen relevant. Dazu wurden lediglich Drohanrufe gegenüber der BF angegeben, eine konkrete Bedrohung gegen den Gatten der BF hat - seinen Aussagen zufolge - nicht stattgefunden.
Auch gab die BF im Gegensatz zu ihrem Ehegatten, der ausdrücklich aussagte, keinen Kontakt zur bedrohenden Person gehabt zu haben an, dieser wäre bedroht worden.
Weiters hat die BF im Zuge ihrer Einvernahme am 07.03.2008 zu den Drohanrufen befragt angegeben, andere Tschetschenen hätten sich einige Male ihr Handy ausgeborgt und telefoniert. Folgt man diesen Angaben, so wäre es augenscheinlich auch gar nicht gesichert, wer tatsächlich Adressat der Drohanrufe gewesen wäre.
Diese unterschiedlichen Aussagen - wie auch jene über die gemeinsame Reise der Familie, wonach laut Ehegatte des BF die Familie die Heimat mittels LKW verlassen habe, während demgegenüber die BF als Reisemittel einen Bus angab - sind nach Ansicht des Asylgerichtshofes nicht allein unterschiedlichen individuellen Sichtweisen zuzuschreiben und beeinträchtigen insgesamt die Glaubwürdigkeit der Angaben der BF und ihres Ehegatten.
Selbst wenn der Gatte der BF die Person, von der er sich bedroht fühlte, tatsächlich erkannt hat, hätte er diesfalls den Schutz der polnischen Behörden in Anspruch nehmen können. Polen ist ein Staat mit rechtsstaatlichen Einrichtungen und Mitglied der EU. Die BF hat im Falle eventueller Übergriffe gegen ihre Person bzw. ihre Familie die Möglichkeit, sich an die polnischen Behörden zu wenden und diese um Schutz zu ersuchen. Ein solcher Schutz kann zwar nicht lückenlos bestehen, doch kann ein lückenloser Schutz vor privater Verfolgung naturgemäß nicht gewährleistet werden, weshalb dem Fehlen eines solchen auch keine Asylrelevanz zukommt (VwGH04.05.2000, 99/20/0177).
2.1.2.3 Zur medizinischen Versorgung in Polen:
Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und in diesem Fall das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.
In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, B 2400/07) und die dort wiedergegebene aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK zu verweisen. Zusammenfassend führt der VfGH aus, dass sich aus den Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96).
Die jüngste Rechtsprechung des EGMR (N. v. UK, 27.05.2008, Appl. 26.565/05) und Literaturmeinungen (Premissl, migraLex 2/2008, 54ff., Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die RL 2003/9/EG vom 27.1.2003 (die sogenannte Aufnahme-RL) umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.
Den Feststellungen der Erstbehörde zur medizinischen Versorgung in Polen wurde in der Beschwerdeschrift nicht in substantiierter Art und Weise entgegengetreten. Konkret konnten weder die BF noch ihr Gatte akut existenzbedrohende Krankheitszustände belegen und sind diese auch nicht aus der Aktenlage ersichtlich.
Der Asylgerichtshof tritt den diesbezüglichen Feststellungen der Behörde bei, verkennt dabei aber nicht, dass es in der medizinischen Versorgung in Polen (wie in vielen anderen Staaten) Verbesserungsbedarf gibt. Ein außergewöhnlicher komplexer Krankheitszustand, der möglicherweise im Einzelfall eine andere Beurteilung angezeigt erscheinen ließe (vgl. die Entscheidung des UBAS vom 09.07.2007, Zl. 308.595-3/2E-XV/53/07), liegt hier jedoch nicht vor.
2.1.2.4 Zur konkreten gesundheitlichen Situation des Gatten der BF:
Der Gatte der BF hat sowohl bei seiner Erstbefragung am 12.03.2008 (keinerlei Beschwerden; Er könne der Einvernahme ohne Probleme folgen.), als auch bei der niederschriftlichen Einvernahme am 09.07.2008 ("Ich fühle mich gut und bin in der Lage, der Einvernahme zu folgen.") als auch sonst bis zum Ende des Verfahrens in 1. Instanz die nunmehr in der Beschwerdeschrift des Ehemannes der BF angegebenen Beschwerden (starke Kopfschmerzen, permanente Alpträume und Schlaflosigkeit) nicht erwähnt. Erst in dem nunmehr mit der Beschwerde vorgelegten psychotherapeutischen Befundbericht von E. K., Psychotherapeut, der schon am 04.05.2008 erstellt worden ist und erst anlässlich der Beschwerde vorgelegt worden ist, werden diese Beschwerden thematisiert. Auch bei der ärztlichen Untersuchung am 02.07.2008 hat der Gatte der BF diese Beschwerden nicht erwähnt, was der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens nicht förderlich erscheint.
Die gutachtliche Stellungnahme von Dr. P. D. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) über die Untersuchung des Gatten der BF vom 02.07.2008 erscheint schlüssig und glaubwürdig. Die angewandten Methoden werden detailliert dargelegt, der medizinische Gutachter verfügt aufgrund seiner zahlreichen Erfahrungen mit gegenständlichen Fragestellungen über umfangreiche Vergleichswerte. Im Ergebnis sind daher die im vorgelegten psychotherapeutischen Befundbericht vom 04.05.2008 enthaltenen Ausführungen nicht geeignet, dieses Untersuchungsergebnis in Frage zu stellen. Weitere Beweisaufnahmen zu dieser Fragestellung waren daher nicht erforderlich.
2.1.2.5 Im gegenständlichen Fall kann daher nicht gesagt werden, dass die BF ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihr oder ihrer Familie auf Grund der persönlichen Situation ausnahmsweise durch eine Rückverbringung nach Polen entgegen der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde (sog. "real risk").
Der Gatte der BF beschränkte sich im Wesentlichen darauf vorzubringen, dass er in Polen eine Person aus seinem Herkunftsstaat gesehen habe, welche für die Behörden tätig gewesen sei, worauf er, ohne mit der Person näheren Kontakt gehabt zu haben, geflüchtet sei. Die Widerlegung der in § 5 Abs. 3 AsylG normierten Rechtsvermutung ist dem Gatten der BF damit nicht gelungen.
Im Ergebnis stellt daher eine Überstellung der BF und ihrer Familie nach Polen weder eine Verletzung des Art. 3 EMRK noch des Art. 8 EMRK dar und besteht somit auch kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO.
2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.
2.2. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren ebenfalls zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.
2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.