D1 315501-2/2008/3E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Stracker als Einzelrichter über die Beschwerde der mj. K.L., geb. 00.00.2007, StA. d. Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.07.2008, FZ. 08 05.937 EAST Ost, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 34 Abs. 4 AsylG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
1.1. Die minderjährige Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der russischen Föderation sowie Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, wurde am 00.00.2007 in Österreich geboren und stellte am 29.08.2007 durch ihren gesetzlichen Vertreter, erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Am 05.09.2007 erfolgte eine Mitteilung an die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs 3 Z 4 AsylG, wonach die Erstbehörde beabsichtige, den Antrag der Beschwerdeführerin zurückzuweisen. Weiters setzte die Behörde erster Instanz die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin in dieser Mitteilung davon in Kenntnis, dass seit 31.08.2007 Konsultationen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II-VO) mit Polen geführt werden und dadurch die 20-Tage-Frist des Zulassungsverfahrens gemäß § 28 Abs 2 AsylG nicht gelte.
1.3. Am 31.08.2007 wurde seitens der Dublin-Abteilung des Bundesasylamtes ein Aufnahmeersuchen an die Republik Polen abgefertigt. In seiner Antwort vom 03.09.2007 erklärte das zuständige Ministerium die Zuständigkeit auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates und außerdem die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz übernehmen zu wollen.
1.4. Am 12.09.2007 erfolgt - nach Inanspruchnahme der Rechtsberatung - die asylbehördliche Einvernahme der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, im Beisein eines Rechtsberaters.
1.5. Mit Bescheid vom 19.10.2007, Zl. 07 08.010-EAST Ost, wurde der Antrag von K.L. vom 29.08.2007 auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Absatz 1 Asylgesetz als unzulässig zurückgewiesen. Weiters wurde festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 1 Asylgesetz die Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Polen verfügt und gemäß § 10 Absatz 4 Asylgesetz die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Polen für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.).
1.6. Dieser Bescheid wurde am 19.10.2007 von der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin übernommen.
1.7. Gegen diesen Bescheid erstattete die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin durch ihre ausgewiesenen Rechtsvertreter mit Schriftsatz vom 26.10.2007 fristgerecht Berufung.
1.8. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates, vom 15.11.2007, Zahl: 315.501-1/2E-XVI/48/07, wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß §§ 5, 10 AsylG abgewiesen.
1.9. Gegen diesen Bescheid brachte die Beschwerdeführerin durch ihre gesetzliche Vertreterin und ihre Eltern Beschwerden beim Verfassungsgerichtshof sowie beim Verwaltungsgerichtshof ein.
1.10. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 06.03.2008, Zlen. B 2418, 2419/07-7, wurde die Behandlung der Beschwerden vom Verfassungsgerichtshof abgelehnt.
1.11. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 11.06.2008, Zlen. 2008/19/0554 bis 0556-5, wurde die Behandlung der Beschwerden auch vom Verwaltungsgerichtshof abgelehnt.
1.12. Am 09.07.2008 brachte die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz ein.
1.13. Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.07.2008 vor der Polizeiinspektion Traiskirchen gab die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin an, dass sie nunmehr neue Gründe haben würde, da sie ihr Ehemann im Februar 2008 verlassen habe. Er sei nach Polen abgeschoben worden und habe ihr am Telefon gesagt, dass er ihr die gemeinsame Tochter wegnehmen würde, wenn sie ebenfalls nach Polen abgeschoben werden würde. Auch habe ihr Ehemann gesagt, dass er die Tochter umbringen werde, wenn sie diese nicht freiwillig ihrem Mann übergeben würde. Aus diesem Grund könne sie nunmehr nicht mehr nach Polen zurück (AS 15).
1.14. Am 11.07.2008 erfolgte eine Mitteilung an die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs 3 Z 4 AsylG, wonach die Erstbehörde beabsichtige, den Antrag der Beschwerdeführerin zurückzuweisen (AS 23, 25).
1.15. Am 24.07.2008 erfolgte die asylbehördliche Einvernahme der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, im Beisein eines Rechtsberaters (AS 35-41). Bei dieser Einvernahme bestätigte die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin - nach Hinweis auf die Folgen wahrheitswidriger Angaben - ihre Angaben, die sie bereits am 09.07.2008 vor der Polizeiinspektion Traiskirchen gemacht hat und fügte ergänzend hinzu, dass sich ihr Mann nunmehr in Polen in D. befinden und in Polen auch viele Verwandte haben würde, die in Polen "Pobyt" oder Asyl erhalten hätten. Er würde das Kind nicht bei ihr lassen und würde sie bei einer Rückführung nach Polen ebenfalls nach D. überstellt werden. Er habe ihr gesagt, dass er das Kind lieber töten würde, als es bei ihr zu lassen, außerdem sei ihr Mann ein sehr gefährlicher Mann.
1.16. Mit Bescheid vom 29.07.2008, Zl. 08 05.937 EAST Ost, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 09.07.2008 vom Bundesasylamt gemäß § 68 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Absatz 1 Asylgesetz 2005 nach Polen ausgewiesen (Spruchpunkt II.).
1.17. Dieser Bescheid wurde der Vertreterin der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin mittels RSa am 01.08.2008 zugestellt und gleichzeitig der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.08.2008 eigenhändig ausgefolgt.
1.18. Gegen diesen Bescheid brachte die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin mit dem am 11.08.2008 zur Post gegebenen Schriftsatz vom 07.08.2008, sowie mit dem durch die Vertreterin der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin mittels Telefax am 13.08.2008 übermittelten Schriftsatz vom 12.08.2008 fristgerecht eine Beschwerde ein.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz nimmt der Asylgerichtshof mit 01.07.2008 seine Tätigkeit auf. Das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, tritt mit 01.07.2008 außer Kraft.
2. Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
§ 61 Abs. 3 Z. 1 AsylG sieht eine Einzelrichterentscheidung im Fall einer zurückweisenden Entscheidung wegen a.) Drittstaatsicherheit gemäß § 4 AsylG, b.) Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 AsylG, c.) entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, sowie gemäß Z. 2 bei einer mit diesen Entscheidungen verbundenen Ausweisung vor.
3. Gemäß § 23 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, sofern sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungs- verfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
4. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß den Absätzen 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
5. Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG gilt der Antrag des Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Berufung erhoben, gilt diese gemäß § 36 Abs. 3 AsylG auch als Berufung gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.
6. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat. Die minderjährige Berufungswerberin und ihre Mutter sind Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG; die betreffenden Verfahren stellen sich daher als Familienverfahren (im Inland) gemäß § 34 AsylG dar.
7. Nach § 34 Abs. 4 AsylG sollen die Verfahren der Familienmitglieder "unter einem" geführt werden und es soll allen Familiemitgliedern jene Rechtsposition zukommen, die ein Familienmitglied für sich optimal erreicht (VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/20/0281, unter Verweis auf Putzer/Rohrböck, Leitfaden Asylrecht [2007], Rz 522 und 536). Aus der Wendung in § 34 Abs. 4 zweiter Satz AsylG, Familienverfahren seien "unter einem" zu führen, ist nach Ansicht des Asylgerichtshofes auch abzuleiten, dass diese - jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation - von der gleichen Behörde zu führen sind. Demgemäß gehen die Materialien zum AsylG 2005 davon aus, dass Ziel der Bestimmungen des § 34 AsylG sei, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen. Wenn einem Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, solle "dieser allen anderen Familienmitgliedern - im Falle von offenen Verfahren zur gleichen Zeit von der gleichen Behörde - zuerkannt werden" (Erläut. zur RV, 952 BlgNR XXII. GP; vgl. zu § 10 Abs. 5 AsylG 1997 - bezogen auf die Frage der Zulassung - auch VwGH 18.10.2005, Zl. 2005/01/0402; siehe weiters VwGH 20.04.2006, Zlen. 2005/01/0556 bis 0560).
8. Hinzu kommt, dass einer Berufung gegen die (mit der Antragszurückweisung verbundene) Ausweisung gemäß § 36 Abs. 1 zweiter Satz AsylG eine aufschiebende Wirkung nur dann zukommt, wenn sie vom Asylgerichtshof zuerkannt wird. Wird diese nicht zuerkannt, ist die verfügte Ausweisung durchsetzbar und nach Maßgabe des § 36 Abs. 4 zweiter Satz AsylG auch durchführbar; wird die aufschiebende Wirkung hingegen zuerkannt, so hat der Asylgerichtshof über die Beschwerde gemäß § 37 Abs. 3 AsylG "binnen zwei Wochen" zu entscheiden, dies obwohl das gegenständliche Verfahren - dessen Verfahrensgegenstand im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung im Grunde des § 68 AVG bzw. der damit verbundenen Ausweisung ist - nur dann im Sinne einer Antragszurückweisung entschieden werden dürfte, wenn alle Anträge der Familienmitglieder - somit auch derjenige der Mutter, deren Antragszurückweisung wegen entschiedener Sache mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.08.2008, GZ. D1 315500-2/2008/4E, ersatzlos behoben und deren Verfahren somit wieder in die erste Instanz zurückgeführt wurde - zurückzuweisen wären. Für den Asylgerichtshof liegt auf der Hand, dass dies für eine parallele Führung der Verfahren in der jeweiligen Instanz spricht.
9. Aufgrund der Behebung des die Mutter der Beschwerdeführerin betreffenden (zurückweisenden) Bescheides war daher schon aus diesem Grund spruchgemäß der Beschwerde stattzugeben und der erstinstanzliche Bescheid zu beheben.