TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/27 A2 307555-1/2008

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Veröffentlicht am 27.08.2008
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Spruch

A2 307.555-1/2008/6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. FILZWIESER als Einzelrichter über die Beschwerde der V.L., geb. 00.00.1958, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.11.2006, Zl. 05 18.323-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.11.2007 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 idF BGBl. 101/2003 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige aus Russland, wohnhaft in Dagestan, angehörig der tschetschenischen Volksgruppe, reiste ihren Angaben am 31.10.2005 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 31.10.2005 einen Asylantrag. Sie wurde hierauf am 14.11.2005 (Aktenseiten 11 bis 21 im Akt des BAA) und am 16.11.2005 (As. 41 bis 43 im Akt des BAA) in der Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes, sowie am 08.05.2006 (As. 79 bis 87 im Akt des BAA) in der Außenstelle Graz des Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen. Ihr damaliges Vorbringen wurde im nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes, vom 15.11.2006, Zl. 05 18.323-BAG, wiedergegeben, sodass der diesbezügliche Teil des Bescheides auch zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses erhoben wird.

 

2. Das Bundesasylamt hat den Asylantrag mit angefochtenem Bescheid vom 15.11.2006, Zl. 05 18.323-BAG, abgewiesen und unter einem festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig sei. Gleichzeitig wurde die Antragstellerin aus dem österreichischen Bundesgebiet in die russische Föderation ausgewiesen.

 

Das Bundesasylamt stützte sich auf Feststellungen zur Lage der Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens und kursorischer Feststellungen zu Dagestan.

 

Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt aus, die Antragsstellerin habe die Russische Föderation verlassen, um das Familienleben mit dem Gatten fortzuführen. Sie habe keine eigenen Gründe geltend gemacht. Das Fluchtvorbringen des Gatten sei als unglaubwürdig gewürdigt worden.

 

Zu Spruchpunkt II wurde im Wesentlichen angeführt, dass keine landesweite allgemeine extreme Gefährdungslage bestehe, in der jeder Antragsteller im Fall seiner Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde. Zu Spruchpunkt III wurde insbesondere dargelegt, dass kein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigt Fremden in Österreich vorliege (die Asylantrage der in Österreich aufhältigen Familienmitglieder seien zeitgleich abgewiesen worden).

 

3. Gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes, richtet sich die fristgerecht am 22.11.2006 beim Bundesasylamt eingebrachte Berufung (gilt nunmehr als Beschwerde), in welcher die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative unter Bezug auf die Gutachten von Dr. H. Dr. L. vom 24.11.2005 bzw. vom 24.04.2006 bestritten wird. Weiters wird betont, dass die Ausweisung in das Privatleben der Beschwerdeführerin eingreift.

 

4. Auf Grund dieser Beschwerde wurde eine mündliche Verhandlung am 28.11.2007 vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat anberaumt, an der der Ehemann der Beschwerdeführerin, die Beschwerdeführerin und ihr Sohn V.K. teilnahmen. Das Bundesasylamt hatte seine Nicht-Teilnahme entschuldigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde Beweis erhoben durch ergänzende Parteienvernehmung des Ehemannes (BW1), der Beschwerdeführerin (BW2) und ihres Sohnes (BW3) und Erörterung der in das Verfahren eingeführten Länderberichte.

 

Die Verhandlung nahm folgenden Verlauf:

 

"(...)

 

Die berufenden Parteien geben an, dass sie die Dolmetscherin gut verstehen; Einwände gegen ihre Person bestehen nicht.

 

Die Parteien erklären ihr Einverständnis zu der gemeinsamen Durchführung der Verhandlung in allen Verfahren.

 

Der VL bezeichnet den Gegenstand der Verhandlung und fasst den bisherigen Gang des Verfahrens zusammen.

 

Der VL gibt den Parteien Gelegenheit, sich zum Gegenstand der Verhandlung zu äußern. Keine Äußerung.

 

BW 2 und BW3 verlassen auf Aufforderung den Verhandlungssaal.

 

Die Beweisaufnahme wird eröffnet.

 

BW1 gibt nach Wahrheitserinnerung (unrichtige Angaben werden im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt) und Belehrung gem. § 49 iVm § 51 AVG sowie nach Belehrung über die Geltendmachung von Kosten als Beteiligter (§ 51a, d AVG) vernommen an:

 

VL: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage an der Verhandlung teilzunehmen?

 

BW1: Ja.

 

VL: Wie gut sind Ihre Deutschkenntnisse?

 

BW1: Ich kann es recht gut verstehen, und auch ein wenig Deutsch sprechen.

 

VL: Ist Ihre dem bisherigen Verfahren zugrundegelegte Identität richtig? Auf § 119 Abs 2 FPG wird hingewiesen.

 

BW1: Meine Angaben zur Identität sind richtig.

 

VL: Wie lautet Ihre ethnische Volksgruppenzugehörigkeit?

 

BW1: Tschetschene. Meine Eltern waren beide Tschetschenen.

 

VL: Können Sie tschetschenisch?

 

BW1: Ja.

 

VL: Waren Ihre Aussagen im erstinstanzlichen Verfahren richtig und bleiben diese aufrecht?

 

BW1: Ja. Eigentlich gab es keine Probleme, es ist nur so, dass ich bei beiden Einvernahmen vor der Erstbehörde eher gefragt worden bin, warum ich nicht in Deutschland geblieben sei und wie ich nach Österreich gekommen bin und weniger nach den Gründen, wieso ich ausgereist bin.

 

VL: Haben Sie alle Beweismittel in Vorlage gebracht? Möchten Sie noch irgendwelche verfahrensrelevante Dokumente bzw. Beweismittel vorlegen? Es erscheint recht ungewöhnlich dass Sie überhaupt keine Dokumente haben!?

 

BW1: Meinen Auslandspass hat mir der Schlepper auf den Weg nach Deutschland abgenommen. Im deutschen Asylverfahren habe ich einen Rehabilitationsausweis vorgelegt, dieser ist jedoch bei den deutschen Behörden geblieben (meine Eltern wurden aus Tschetschenien deportiert und erhielt ich in diesem Zusammenhang ein derartiges Dokument). Mein Inlandspass und auch andere Dokumente wie Geburtsurkunden befinden sich noch zuhause und könnte versucht werden diese sich nachschicken zu lassen. Weder in Traiskirchen noch in Graz wurde aber derartiges von uns ausdrücklich verlangt. Einen Bescheid aus dem deutschen Asylverfahren kann ich nicht vorlegen, einen solchen habe ich gar nicht erhalten: ich habe in Düsseldorf ein Dokument unterschrieben, wonach ich mit der Rückkehr in die Russische Föderation einverstanden sei. Damals war auch glaublich ein Vertreter der russischen Botschaft anwesend. Dieser hat mir bei dieser Gelegenheit auf Russisch gesagt, dass ich eine solche Erklärung entweder freiwillig unterschreiben solle oder ich in Deutschland in Schubhaft käme und des Landes verwiesen würde. So habe ich das Dokument unterschrieben. Als dann meine Familie ebenso nach Europa kam, begab ich mich nach Österreich.

 

VL: Welche Verwandten leben derzeit unter welchen Bedingungen in Russland?

 

BW1: Es ist so, drei Brüder sind in H.. S. war vorher bei der Miliz und erhält daher jetzt eine Rente. T. ist schwer krank und erhält daher wahrscheinlich eine Invaliditätspension. I. ist der jüngste, was er derzeit macht, weiß ich nicht genau. H. hält sich seit 6 oder 7 Jahren - ungefähr seit ich auch weg bin - in der Ukraine auf, es kann sein, dass er im Raum Odessa ist, das weiß ich aber nicht genau. Er hatte noch ärgere Probleme wie ich, aber ähnlicher Natur. Auf Nachfrage warum ich diesen Sachverhalt nicht schon bei meiner Einvernahme in Traiskirchen angegeben habe, gebe ich an, dass ich - wie schon gesagt, nicht danach gefragt wurde. Meine Schwester hält sich auch noch in H. auf, sie ist verwitwet und erhält eine Witwenpension, sie lebt dort mit ihren drei Kindern.

 

Auf die Frage, ob meine drei noch in Dagestan lebenden Brüder dort Probleme haben gebe ich an: Sie wissen wahrscheinlich, wie die Lage dort jetzt ist. Zu meiner Zeit waren es Kontrollen der Miliz, die dazu verwendet wurden Geld zu machen. Jetzt sind es Antiterrormaßnahmen, die dazu verwendet werden. Da kann es dann sein, dass ein bestimmtes Familienmitglied oder einige ständig zur Kasse gebeten werden und andere vorerst nicht, das ist eine Situation einer punktuellen Willkür, von der aber jeder betroffen sein kann. Von der ganzen Verwandtschaft wird Geld gesammelt und lässt man einige in Ruhe, damit sie das Geld der Freilassung der anderen aufbringen können. Auf nochmalige Nachfrage, wie sich die konkrete Situation meiner noch in Dagestan verbliebenen Geschwister darstellt: Derzeit werden sie meinem Wissen nach nicht unmittelbar belangt. Vielleicht hängt der Umstand, dass ich und mein in der Ukraine lebender Bruder H. bedroht wurden, damit zusammen, dass wir als einziger der Geschwister Söhne haben, während die anderen nur Töchter haben. Manchmal telefoniere ich mit meinen Geschwistern in Dagestan, zwar selten, aber doch.

 

VL: Was würde geschehen, wenn Sie jetzt in Ihr Heimatland zurückkehren müssten?

 

BW1: Was mich betrifft, wurde mein älterer Sohn A. ja bereits verhaftet und könnte das jederzeit wieder geschehen. Wenn ich nach Hause käme, würde sich das ja sofort herumsprechen. Der Umstand, dass ich mehr als 5 Jahre im Ausland war würde zu der Annahme verleiten, dass ich Geld hätte und wäre ich so wieder eine leichte Beute für Erpressungen. Das betrifft nicht nur die Behörden sondern auch lokale Kriminelle, die Geld von mir erpressen könnten; Schutz von den Behörden gibt es da nicht. Weiters ist die Lage in H. auch so gefährlich. Es gibt Terroranschläge und Schießereien auf der Straße. Wie gesagt, der jüngste Sohn hat meinem Wissen nach Probleme mit den Behörden, weil er in einer Schlägerei mit Angehörigen der Miliz war. Es gibt sicher eine Akte über den Vorfall und das würden diese natürlich ausnutzen, wenn wir wieder zu Hause sind und es als Vorwand gegen uns verwenden.

 

Ich sehe auch dauernd in den Nachrichten, dass in Dagestan etwas passiert, es gibt Terroranschläge und dann die behördlichen Antwortmaßnahmen darauf.

 

VL: Wie stehen Sie zu den Handlungen der tschetschenischen Rebellen, die auch in Dagestan tätig sind, insbesondere zu deren auch gewaltsamen Vorgehensweisen?

 

BW1: Wir Tschetschenen in Dagestan, insbesondere in H. sind eine "eigene Geschichte". Es handelt sich zumeist um repatriierte Familien, die oder deren Vorfahren ursprünglich auch Tschetschenien deportiert worden waren und sich dann dort angesiedelt haben. Das sind grundsätzlich friedfertige Leute. Was die Tschetschenen aus Tschetschenien selbst betrifft, von denen einige Terrorakte machen, einerseits muss man ihnen helfen, weil sie dasselbe Volk sind wie wir. Man muss sie eben beherbergen, aber es ist natürlich schwierig, wenn der Gast im Haus Gewalttaten begeht. Wir kümmern uns aber ohnehin um die Tschetschenen die als Flüchtlinge nach Dagestan kommen, das ist auch die Mehrheit. Die Behörden werfen uns aber das vor, weil sie meinen, wir würden Terroristen helfen. Die meisten haben auch familiäre Bindungen nach Tschetschenien. Die Behörden tun so, als würden wir alle terroristischen Organisationen unterstützen.

 

VL: Haben Sie auch familiäre Beziehungen zu Tschetschenien?

 

BW1: Wir haben entfernte Verwandtschaft u.a. nach Grosny, es besteht aber kein Kontakt mehr zu ihnen.

 

VL: Sie haben vorher gesagt, dass Sie im Falle einer Rückkehr Probleme bzw. Erpressungen einerseits durch Behörden und andererseits durch lokale kriminelle Akteure befürchten. Können Sie die Verfolger, vor denen Sie diesbezügliche Befürchtungen näher beschreiben, also z.B. Namen angeben.

 

BW: Das ist schwer zu sagen. Es gibt in unserer Gegend einfach keinen gesetzlichen Schutz. Es sind schon die verschiedenen staatlichen Sonderheiten schwer zu überblicken. Über die verschiedenen kriminellen Gruppierungen gibt es noch weniger Überblick. Sie wollen Geld von der Bevölkerung erpressen, bzw. präsentieren sie den Behörden die "richtigen Opfer".

 

VL: Wie würden Ihre Nachbarn reagieren, wenn Sie wieder zurückgehen würden, in Ihre sozialen Umgebung in H.?

 

BW1: Früher habe ich meine Nachbarn in H. gut gekannt, sie waren alle in meinem Alter und hatte ich ihre Handlungen gut einschätzen könnten. Wie die Lage jetzt ist, kann ich dagegen nicht mehr genau sagen, viele sind nicht mehr da. Die Jüngeren kenne ich nicht, und kann ich nicht einschätzen, wie sie sich unter der gegebenen Situation entwickelt haben und jetzt handeln würden.

 

VL: Wissen Sie, warum Sie in Deutschland keine positive Entscheidung erhalten haben?! Sie haben dort wahrscheinlich mit Ausnahme der letzten Geschehnisse um A. ähnliche Angaben gemacht, wie heute!?

 

BW1: In Deutschland ist es für mich als damals allein stehender Antragsteller eigenartig gewesen, einzelne Antragsteller ohne Familie in Deutschland werden dort anders behandelt; wenn ich es richtig verstanden habe, hat man mir auch seitens der Behörden gesagt, ich solle mit meiner Frau kommen oder in Deutschland heiraten, dann bekäme ich auch einen positiven Bescheid.

 

VL: Wo befindet sich derzeit Ihr Sohn A.?

 

BW1: Er ist mit uns in Österreich.

 

VL: Wann ist Ihr Sohn A. geboren?

 

BW1: Am 00.00.1978.

 

VL: Wissen Sie wie sein Stand im Asylverfahren in Österreich ist?

 

BW1: Er hat einen negativen Bescheid bekommen und ist meinem Wissen nach beim UBAS in Berufung.

 

Eine Einschau in das AIS durch den VL ergibt, dass der Sohn des BW, A., einen rechtskräftigen Bescheid des UBAS gemäß § 5, 10 AsylG 2005 in Bezug auf Polen erhalten und dieses Verfahren derzeit nach einer Beschwerde beim VfGH noch offen erscheint. Das Verfahren beim UBAS wurde durch das Senatsmitglied Mag. NEWALD geführt. In diesem Zusammenhang wird festgehalten, dass von der Existenz dieses Verfahrens der Verhandlungsleiter bis heute nicht in Kenntnis war.

 

VL: Wie ist Ihr Gesundheitszustand in Österreich?

 

BW1: Ich habe die üblichen altersbedingten Beschwerden, gehe aber nicht gerne zum Arzt. Ich habe oft starke Kopfschmerzen und muss dagegen Medikamente nehmen.

 

VL: Hat Ihre Frau Gedächtnisprobleme?

 

BW1: Das weiß ich jetzt nicht genau. In Traiskirchen musste sie 15 Tage das Lager verlassen wegen Verdachts auf TBC, darüber hinaus muss sie Medikamente wegen starker Rückenschmerzen nehmen, das hat Auswirkungen auf ihre Gedächtnisleistung. Sie ist etwas gedämpft, außerdem hört sie auch in letzter Zeit schlecht.

 

VL: Gibt es mit Ihrem Sohn Probleme, nach der Aktenlage war er in Polen in einer Körperverletzung verwickelt?

 

BW1: Eigentlich ist er ein guter Junge. Wegen der Ereignisse zu Hause war er in Polen gereizt und hat er in Situationen in denen er sich angegriffen fühlte vielleicht überreagiert. Er fühlte sich überhaupt schnell angegriffen. Seit wir in Österreich sind, hat sich das gebessert und ist er schon ausgeglichener.

 

VL: Haben Sie in Österreich noch andere Verwandte außer Ihrer Gattin und Ihren Söhnen?

 

BW1: Nein.

 

VL: Was machen Sie derzeit in Österreich, würden Sie schon als integriert bezeichnen?

 

BW1: Es gab nur zwei kurze Deutschunterrichtseinheiten im Heim, die ich besucht habe. Zu den Einheimischen habe ich leider wenig Kontakt, aber zu den uns besuchenden Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, so besteht Kontakt zur Heimleitung und zu Sozialarbeiter.

 

VL: Sie haben zu Beginn der Verhandlung erwähnt, dass Sie Ihrer Meinung nach, nur wenig zu Ihren Fluchtgründen befragt wurden, gibt es jetzt noch etwas, dass ich über Sie wissen sollte, über Ihre Bedrohungssituation und was noch nicht zur Sprache gekommen ist?!

 

BW1: Wie schon gesagt, jedes Mal wenn, als ich noch in Dagestan war, etwas in die Luft geflogen ist, wurden nur wir Tschetschenen kontrolliert, auch ich wurde ja bei solchen Kontrollen wiederholt festgenommen und dann gegen Geldzahlungen wieder freigelassen. Ausschlaggebend für meine Ausreise war dann ein Anschlag im Zuge der Maifeierlichkeiten 2002, der war zwar einige hundert Km entfernt, aber kam es dennoch zu Überprüfungen durch Antiterroreinheiten. Ich hatte Angst, dass ich diesmal nicht nur kurz, sondern länger verhaftet werden würde. Das wollte ich nicht mehr riskieren und bin daher ausgereist. Der Anschlag war in Kaspijsk.

 

VL: Haben Sie eigentlich jemals daran gedacht, sich in Dagestan das ja ein multiethnischer Gliedstaat ist, außerhalb der Region um H. niederzulassen, z.B. in der Hauptstadt Mahackala?

 

BW1: Man könnte theoretisch glauben, dass das möglich ist, aber in der Praxis funktioniert das nicht. In einem Dorf, in welchem keine Tschetschenen leben, würde man einen Tschetschenen nicht leben lassen. Auch in einer Stadt wäre es schwierig eine Unterkunft zu finden. Man ist ja auch bei den Behörden als Tschetschene registriert. Meine derzeitige Meldung ist in H..

 

VL: Gilt dass auch für Regionen Russlands außerhalb Dagestan und Tschetscheniens, in welchem z.B. Tschetschenen leben?

 

BW1: Das wäre genauso schwierig, darüber hinaus wurde in den Massenmedien ein Zusammenhang zwischen Tschetschenen und Terroranschlägen hergestellt und genauso war dann auch die Einstellung der Bevölkerung gegen Tschetschenen ausgerichtet.

 

BW1 verlässt den Saal auf verlangen des VL und betritt BW2 den Saal.

 

BW2 gibt nach Wahrheitserinnerung (unrichtige Angaben werden im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt) und Belehrung gem. § 49 iVm § 51 AVG sowie nach Belehrung über die Geltendmachung von Kosten als Beteiligter (§ 51a, d AVG) vernommen an:

 

VL: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage an der Verhandlung teilzunehmen?

 

BW2: Ja. Ich bin fit.

 

VL: Wie ist Ihr allgemeiner Gesundheitszustand?

 

BW2: Wegen der Schmerzen in der Wirbelsäule bekomme ich regelmäßig Tabletten und befinde mich in fachärztlicher Behandlung, wohin ich immer mit dem Bus fahre. Es gibt Verkrümmungen an drei Wirbelstellen. Vor einem Jahr wurde ich auch operiert und habe ich den Eindruck, dass ich im Zusammenhang mit der damaligen Narkose etwas konzentrationsschwach bin und die Gedächtnisleistung nachgelassen hat.

 

Die Sache mit der Lunge haben die Ärzte jetzt in Griff, vor zwei Wochen wurde festgestellt, dass sich mein Hörvermögen abrupt verschlechtert hat.

 

VL: Festgestellt wird, dass die Kommunikationsfähigkeit in der Verhandlung einwandfrei gegeben ist.

 

Die Dolmetscherin sitzt nur ca. 1 -2 Meter von der BW entfernt. Auf deutliche Aussprache wird geachtet.

 

VL: Ist Ihre dem bisherigen Verfahren zugrundegelegte Identität richtig? Auf § 119 Abs 2 FPG wird hingewiesen.

 

BW2: Meine Angaben zur Identität sind richtig. Auf Nachfrage gebe ich an, meinen Mann 1974 geheiratet zu haben. Die standesamtliche Hochzeit war später. Ich kann eine Kopie der Heiratsurkunde vorlegen, diese habe ich aus Dagestan mitgenommen. Diese habe ich auch in Traiskirchen vorgelegt. (entspricht AS 39 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)

 

D gibt nach Durchsicht an, das Dokument stammt vom 00.00.1975 und entspricht den bekannten Vorlagen. Das Dokument ist in Russisch und einer dagestanischen Sprache abgefasst.

 

D gibt weiters an, dass es bezüglich der Namensschreibung am sinnvollsten wäre hier die englische Transkription zu wählen, diese lautet V..

 

VL: Waren Ihre Aussagen im erstinstanzlichen Verfahren richtig und bleiben diese aufrecht?

 

BW2: Ja, meine Angaben waren wahr. Eigentlich war es jedoch nicht in Ordnung, es wurden zwar viele Fragen gestellt, es wurde nach den Söhnen gefragt. Wenn ich aber Fragen ausführlich beantworten wollte, wurde gesagt, dies sei nicht wichtig und würde es nur um den Fluchtweg gehen.

 

VL: Haben Sie alle Beweismittel in Vorlage gebracht? Möchten Sie noch irgendwelche verfahrensrelevante Dokumente bzw. Beweismittel vorlegen?

 

BW2: Ich kann vorlegen zwei Originale von ärztlicher Bestätigungen vom Krankenhaus H., neurologische Abteilung, darin ist vermerkt, dass ich Nervenzusammenbrüche in Folge der ganzen Zustände hatte.

 

Die Bestätigungen sind handschriftlich verfasst und sind diese Handschriften auch unter Berücksichtigung des medizinischen Inhalts unter Verwendungen von Abkürzung nicht ohne Schwierigkeiten übersetzbar. Datiert sind die Bestätigungen mit 2004 sowie 2005.

 

BW bestätigt, dass sie zu dieser Zeit im Spital war.

 

Kopien werden zum Akt genommen.

 

Weiters legt die BW2 ein Konvolut ärztlicher Unterlagen aus Österreich vor, welche mit ihren bisherigen Angaben in Übereinstimmung stehen und in relevanten Teilen in Kopie zum Akt genommen werden.

 

VL: Einer der Hauptgründe für die Ablehnung Ihrer Asylanträge war, dass Sie den fluchtauslösenden letzten Vorfall, der Ihren Sohn K. betraf, anders geschildert haben, als dieser. VL verliest die entsprechenden Passagen. (Seite 14 des Erstbescheides betreffend BW3). Bitte nehmen Sie dazu Stellung!

 

BW2: Es war so, dass wir einen Hof haben. Das Auto der Polizisten blieb auf der Straße vor dem Tor, sie kamen in den Hof und haben dort obszön geschimpft. K. ist hinaus zu ihnen und hat gefragt, was sie wollen. Er wollte sie daran hindern, in das Haus zu gelangen, so habe ich das erzählt. In Graz hat man gesagt, dass die Einzelheiten egal wären und würde mein Sohn ohnehin alles genau erzählen. Die Polizisten haben sich sehr außergewöhnlich benommen, sie haben versucht z.B. über die Fenster in das Haus einzudringen, oder zumindest hineinzuschauen. Vielleicht waren sie auch betrunken.

 

VL: Nehmen Sie bitte auch zu den Widerspruch hinsichtlich des Beginns der Bedrohung gegen K. Stellung.

 

BW2: Tatsächlich war es so, dass sie ab 2003 meinen älteren Sohn A. belästigt haben. 2005 waren dann die Bedrohung gegen K..

 

VL: Stimmt es, dass das fluchtauslösendes Ereignis welches Sie gerade geschildert haben, am 00.00.2005 war, wie Ihr Sohn vor der Erstbehörde ausgesagt hat?

 

BW2: Das kann stimmen, es war im Frühling. Von A. weiß ich, dass er zu Jahresbeginn mitgenommen wurde. Es war damals kalt, er ist 40 Tage festgenommen gewesen, bis er frei gelassen wurde. Wegen ihm waren immer wieder Leute gekommen, bis er dann nach Deutschland mit meinem Einverständnis fort ist.

 

VL: Was würde geschehen, wenn Sie jetzt in Ihr Heimatland zurückkehren müssten?

 

BW2: Es wäre genauso wie vorher, wer weiß, wie es enden würde!? Auch K. ist jetzt alt genug, dass mit ihm Geld erpresst werden könnte, auch A. kann nicht nach Hause, wegen dieser Probleme.

 

VL: Können Sie bitte näher ausführen, was Sie damit meinen, "es wäre genauso wie früher"?

 

BW2: Wir können wegen der Kinder nicht zurück, sie sind wirklich gefährdet. A. wurde ja wie gesagt, 40 Tage festgehalten. Man kann nicht sagen, was passieren würde, wie lange man ihn wieder festnehme, ob nur für wenige Stunden oder ob er verschwinden würde. K. hatte auch den Streit mit den Polizisten und hat ihnen Widerstand geleistet, das könnte ebenfalls das Problem verstärken. Solange Geld da ist, gibt es auch diese Erpressungen.

 

VL: Welche Verwandte von Ihnen leben in Dagestan, insbesondere ist im Protokoll von 2 Töchtern von Ihnen die Rede, die in Tschetschenien leben würden. Ihr Mann sprach aber heute nur davon, dass er nur entfernte Verwandte in Tschetschenien hätte?!

 

BW2: Meine Mutter lebt in H., meine Tochter A. ist vor kurzem wegen ihres Mannes nach E. gezogen. Dieser arbeitet bei der Miliz und wurde beruflich dorthin versetzt. Meine andere Tochter R. lebt im Dorf, aber auf der dagestanischen Seite. Ihr Mann ist Invalide und erhält eine kleine Pension. Sie haben eine Landwirtschaft. Die Töchter hat mein Mann nicht mit Tschetschenien in Verbindung gebracht, weil die eine erst vor kurzem dorthin verzogen ist. Beide tragen den Namen ihres Mannes und können dort ohne Probleme leben. Sonst habe ich keine Verwandte in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens und Dagestans.

 

VL: Gibt es besondere Gründe (z.B. Familienbezug in Österreich), die ihre Ausweisung aus Österreich als unzulässig erscheinen lassen?

 

BW2: Ich habe in Österreich keine Verwandte außer meinen beiden Söhnen und meinem Mann. Wir haben hauptsächlich Kontakt zu Sozialarbeitern, die regelmäßig in das Heim kommen, auch ich an den Deutschunterrichtseinheiten teilgenommen.

 

Auf Nachfrage. Meine Eltern wurden nach Kirgisistan deportiert, deswegen bin ich dort geboren, sie sind ethnische Tschetschenen, später durften wir nach Dagestan zurückkehren.

 

VL: Sie haben zu Beginn der Verhandlung erwähnt, dass Sie Ihrem Eindruck nach in Graz zu wenige Angaben zu Ihren Fluchtgründen machen konnten. Wollen Sie nun noch Angaben machen, die Ihnen wichtig sind und die ich noch nicht aus dem Akt kenne?

 

BW2: Außer den Problemen mit meinen Söhnen habe ich nichts hinzuzufügen.

 

VL: Fürchten Sie abgesehen von Ihren Söhne etwas im Bezug auf Ihre eigene Person? Wurden Sie z.B. im Zusammenhang mit den Belästigungen Ihrer Söhne einmal körperlich attackiert?

 

BW2: Ja, ich wurde auch geschlagen, ich weiß auch dass ich im Krankenhaus einige Zeit verbringen musste. Ich kann mich an den Vorfall auch nicht genau erinnern.

 

VL: Haben Sie den Vorgang deswegen vor dem BAA nie erwähnt?

 

BW2: Ich wurde nie danach gefragt, es hat immer nur geheißen, dass die Einzelheiten nicht so wichtig wären.

 

VL: Was ist damals geschehen?

 

BW2: Ich habe das Bewusstsein verloren und haben mich wahrscheinlich die Nachbarn in das Krankenhaus gebracht. Es waren Maskierte. Ich war damals alleine zu Hause, die Maskierten sind gekommen, davor war im Hof ein Lärm, dann waren sie schon im Haus und haben sich im Haus umgesehen. Sie haben nach meinen Söhnen gefragt. Sie haben mich beschimpft. Sie haben dann gesagt, sie würden die Leichen meiner Söhne im Hof aufstellen. Sie haben mich mit den Gewehrkolben geschlagen und verlor ich dann das Bewusstsein. Ich bin dann noch am selben Tag ins Krankenhaus gekommen, wie gesagt, haben glaublich die Nachbarn veranlasst, dass die Rettung gekommen ist. Das dürfte entsprechend der heute vorgelegten ersten Spitalsbestätigung am 00.00.2004 gewesen sein.

 

VL: War das der einzige Vorfall der Sie betroffen hat?

 

BW2: Der geschilderter Vorfall war der, bei dem sie außergewöhnlich aggressiv waren, ansonsten wurde ich vielleicht mehr oder minder unabsichtlich geschlagen, bzw. wollten sie mich einschüchtern.

 

VL: Dem Protokoll der erstinstanzlichen Einvernahme ist zu entnehmen, dass Ihnen mehrfach Gelegenheit gegeben wurde, Ihr Vorbringen zu ergänzen. Warum haben Sie nicht so vollständige Angaben gemacht wie eben?

 

BW2: Ich wusste einfach nicht, wie ich antworten sollte, die Dokumente, über die Krankenhausaufenthalte habe ich immer mit gehabt und wollte sie auch vorlegen, man meinte aber, ich solle sie wieder einstecken, es sei nicht notwendig. In Graz meinte man dann, es sei ohnehin schon alles in den Akten, daher wusste ich auch nicht, was ich antworten hätte sollen, als ich gefragt wurde, ob ich mein Vorbringen noch ergänzen wurde.

 

VL: In der Berufung ist auch nichts dergleichen erwähnt, wie ist das zu erklären?

 

BW2: Was die Umstände meiner Berufung betrifft, kann ich keine näheren Angaben machen. Ich weiß nur, dass gegen den negativen Bescheid in Graz dann eine Beschwerde eingebracht wurde.

 

VL unterbricht die Verhandlung von 12.55 bis 13.15 Uhr.

 

BW2 verlässt den Saal auf Verlangen des VL und betritt BW3 diesen.

 

In der Pause wird seitens der Dolmetscherin, soweit möglich, eine provisorische und auszugsweise Übersetzung der vorgelegten Krankenhausbestätigungen (Epikrisen) vorgenommen:

 

Aus der ersten Bestätigung ergibt sich ein "Schädelbasistrauma", ferner das Vorliegen einer Gefäßdysthonie sowie anderer Krankheitszustände. Die zweite Bestätigung (noch schlechter zu lesen; andere Handschrift) ist die Rede von einer "organischen Symptomatik" infolge Schädelbasistrauma. Es sind verschiedene Symptome (zB in den Gefäßen) angeführt.

 

BW3 gibt nach Wahrheitserinnerung (unrichtige Angaben werden im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt) und Belehrung gem. § 49 iVm § 51 AVG sowie nach Belehrung über die Geltendmachung von Kosten als Beteiligter (§ 51a, d AVG) vernommen an:

 

VL: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage an der Verhandlung teilzunehmen?

 

BW3: Ja.

 

VL: Sprechen Sie tschetschenisch?

 

BW3: Ja.

 

VL: Ist Ihre dem bisherigen Verfahren zugrundegelegte Identität richtig? Auf § 119 Abs 2 FPG wird hingewiesen.

 

BW3: Ja, meine Angaben zur Identität entsprechen der Wahrheit.

 

VL: Waren Ihre Aussagen im erstinstanzlichen Verfahren richtig und bleiben diese aufrecht?

 

BW3: Ja. Es gab auch keine Probleme bei den Einvernahmen. Ich habe zwar ausführliche Antworten gegeben, aber bei der Rückübersetzung fiel mir auf, dass nicht alles, was ich gesagt habe, dem Protokoll zu entnehmen war. Ich hatte aber diesbezüglich keine Gelegenheit mich dort zu beschweren, weil auch die Rückübersetzung sehr schnell abgelaufen ist und mir die eben erwähnte Kürze des Protokolls erst bei Studium der Niederschrift zu Hause aufgefallen ist.

 

VL: Haben Sie alle Beweismittel in Vorlage gebracht? Möchten Sie noch irgendwelche verfahrensrelevante Dokumente bzw. Beweismittel vorlegen?

 

BW3: Nein. Es gibt keine weiteren Beweismittel.

 

VL: Haben Sie Kontakt zu jemandem in Dagestan, z.B. zu Freunden?

 

BW3: Meine Freunde sind nicht mehr in Dagestan, die meisten in meinem Alter sind in anderen europäischen Ländern. Zu meinem Onkel T., der krank ist, hat meine Familie noch fallweise Kontakt.

 

VL: Stimmen Ihre bisherigen Angaben, dass die Sie betreffenden Probleme durch den Vorfall vom 00.00.2005 ausgelöst wurden?

 

BW3: Ja, das ist richtig. Nach der Verhaftung meines Bruders kamen sie noch einige Male wegen ihm und wollten wieder Geld. Am 00.00.2005 haben sie es dann besonders schlimm "getrieben", sie haben sich so im Hof "aufgeführt", dass ich das nicht mehr auf mich sitzen lassen konnte und bin ich dann eingeschritten.

 

VL: Gab es zuvor auch eine Attacke gegen Ihre Mutter?

 

BW3: Als ich zu Hause war, ist so etwas nicht vorgefallen, sie haben uns "nur" grob beschimpft. Ich hätte eine Attacke gegen meine Mutter auch nicht zugelassen. Derartiges kann höchstens passiert sein, wenn ich nicht zu Hause war.

 

VL: Ist Ihnen bekannt, dass Ihre Mutter mehrere Wochen 2004 und 2005 in Dagestan im Krankenhaus war, kennen Sie den Grund?

 

BW3: Dass sie 2004 im Krankenhaus gewesen wäre, ist mir jetzt nicht bewusst. Bei einem zweiten Krankenhausaufenthalt war ich schon in Polen, ich wollte damals zurückkehren, doch hat sie mich angefleht dies nicht zu tun.

 

Mir fällt aber ein, dass meine Mutter längere Zeit zu ihrer Schwester gefahren ist, vielleicht ist da irgendetwas vorgefallen, bzw. wollte sie mir es nicht sagen, dass ich nicht beunruhigt bin.

 

VL: Wie haben Sie vom zweiten Krankenhausaufenthalt Ihrer Mutter erfahren?

 

BW3: Die Frau meines damals aufhältig gewesenen Bruders hat telefoniert und habe so erfahren, dass meine Mutter im Krankenhaus war.

 

VL: Wann sind Sie nach Polen?

 

BW3: Kurz nach dem Vorfall am 00.00.2005; am 00.00.2005 war ich jedenfalls schon in Polen.

 

VL: wann ist Ihre Mutter nach Polen nachgekommen?

 

BW3: Das war als ich in Polen aus dem Gefängnis (Schubhaft) entlassen wurde. Es ist schwer zu sagen, wann das war.

 

VL: Ungefähr müssten Sie das noch wissen?

 

BW3: Es war wohl Spätsommer oder frühen Herbst 2005.

 

VL: Nach dem Krankenhausbeleg war Ihre Mutter zuletzt vom 00.00.2005 bis 00.00.2005 im Krankenhaus, wie kann das alles zusammenpassen?

 

BW3: Ich habe nur erfahren, dass sie im Krankenhaus war und nichts Näheres.

 

VL: Wenn Ihre Mutter aber 2005 im Krankenhaus war, müssten Sie das ja mitbekommen haben, weil Sie damals noch bei Ihr gewohnt haben.

 

BW3: Ich war mit einem Freund geschäftlich viel unterwegs, weil wir Handel betrieben haben. Ich war viel unterwegs, in der Umgebung. Die Ware haben wir aus verschiedenen Gegenden bezogen, wie z.B. Weißrussland. Ich war nicht der Eigentümer dieses Geschäftes. Ich habe Ladetätigkeit verrichtet und war am Markt unterwegs. Man konnte davon leben.

 

VL: Waren Sie vor der Ausreise nach Polen 2005 schon einmal außerhalb der Russischen Föderation?

 

BW3: Nein.

 

VL: Wo ist Ihr Inlandspass?

 

BW3: Ich weiß das eigentlich gar nicht.

 

VL wiederholt die Frage.

 

BW3: Der Auslandpass ist jetzt in Polen. Den Leuten die uns über die Grenze gebracht haben, habe ich den Inlandspass mitgegeben, damit sie ihn nach Dagestan zurückbringen. Ich war der Meinung, dass ich den Inlandspass außerhalb Russlands gar nicht brauche.

 

VL: Wo war eigentlich der Sitz des Geschäfts, für das Sie tätig waren?

 

BW3: So genau weiß ich das eigentlich gar nicht. Das Lager der Firma war in P. beim Markt. Der Geschäftsinhaber war ein Tschetschene. Ich habe dann mit einem Fahrzeug kleinere Ortschaften in Dagestan und anderswo in der Gegend beliefert.

 

VL: Schildern Sie bitte noch einmal den Vorfall am 00.00.2005, nachdem Sie in den Hof hinaus sind.

 

BW3: Ich war viel unterwegs. Ein paar Mal habe ich miterlebt, wie sie nach meinem Bruder gefragt haben. Doch ist die Lage damals nie so eskaliert. Einmal kam es auch zu einer Diskussion, ich habe ihnen gesagt, sie sollen aufhören uns zu belästigen. Mein Bruder sei gar nicht mehr in Dagestan und könnten sie die Akte schließen. Am 00.00.2005 war ich zu Hause. Ich erinnere mich, von der Arbeit gekommen zu sein, im Hof hörte ich Lärm. Sie haben uns beschimpft und richtig obszön gesprochen. Ich stellte sie zu Rede, sagte, sie sollten endlich gehen, sie hätten keinen Durchsuchungsbefehl und sei ihr handeln "ungesetzlich". Sie waren zwar nicht betrunken, verhielten sich aber sehr frech und waren richtiggehend anmaßend bzw. unangenehm. Es hat aber nichts geholfen. Einer hat noch mehr geschimpft. Ich habe sie dann geschlagen. Einer wollte die Waffen auf mich richten, und bin ich dann gleich geflohen.

 

VL: Wie hat sich das genau abgespielt, als Sie die beiden geschlagen haben?

 

BW3: Den einen schlug ich mit der Faust ins Gesicht, den anderen auf den Kopf. Damit haben sie nicht gerechnet. Beide gingen zu Boden. Den einen habe ich nicht so schwer getroffen und begann er sich schon wieder aufzurichten und wollte die Waffe ziehen, da rannte ich auf die Straße und begab mich zu meiner Tante.

 

VL: Waren die Männer am 00.00.2005 in Uniform oder ziviler Kleidung?

 

BW3: Sie waren in Zivil. Bei den früheren Vorfällen, als nach meinem Bruder gefragt wurde, waren sie manchmal in Uniform und manchmal in Zivil.

 

VL: Woraus haben Sie dann am 00.00.2005 geschlossen, dass es sich wieder um Staatsorgane handelte?

 

BW3: Es waren die 2 denen ich schon einmal gesagt hatte, sie sollen nicht mehr kommen. Damals waren sie in Uniform da. Für mich war es klar, dass sie von der Miliz sind.

 

VL: Gab es dann nach Ihrer Flucht zur Ihrer Tante bis zu Ihrer Ausreise eine zusätzliche Bedrohung?

 

BW3: Gleich am nächsten Tag, oder am Tag danach haben sie das Haus durchsucht.

 

VL: Woher wissen Sie das?

 

BW3: Von meiner Tante.

 

VL: Woher wusste diese das?

 

BW3: Woher sie es weiß, weiß ich nicht. Aber ich weiß es jedenfalls von ihr, ich nehme an, sie war bei uns zu Hause.

 

VL: Bei dem Vorfall am 00.00.2005, wer war noch aller zu Hause an diesem Tag?

 

BW3: Die jüngste Schwester von mir und meine Mutter.

 

VL: Stimmt es, dass Sie Ihrer Mutter alles telefonisch erzählt haben? Diese Aussage erscheint etwas erklärungsbedürftig, weil Ihre Mutter ja bei dem Vorfall auch zu Hause war.

 

BW3: Ich war in Panik, als ich bei der Tante ankam, auch weil mich der Polizist mit der Waffe bedrohte. Ich konnte meiner Tante wegen meiner Aufregung auch nicht alles richtig erklären. Ich wusste nur, dass ich mich jetzt verstecken müsse, ich habe von meiner Tante aus meine Mutter angerufen, damit sie weiß wo ich bin und das es mir gut geht. Ich war dann bei der Tante, bis die Ausreise organisiert wurde. Ich habe auch bei der Rückübersetzung in Graz mitbekommen, dass es dort hieß, dass meine Mutter nicht zu Hause gewesen wäre. Ich hatte den Eindruck, dass der Vorfall im Protokoll nicht so wiedergegeben war, wie ich es erzählt hatte, doch sagte man mir nur, dass sei alles nicht so wichtig.

 

VL: War das wirklich so, dass Korrekturen bei der Rückübersetzung nicht vorgenommen wurden, das wäre ein schweres Fehlverhalten der Staatsorgane des BAA?

 

BW3: Bei der Rückübersetzung, die sehr schnell ging, hatte ich praktisch keine Möglichkeit etwas richtigzustellen und sind mir die Ungenauigkeiten/Fehler erst zu Hause aufgefallen. Als wir wieder in Graz wegen der Beschwerde waren, bei der Caritas,und darauf hingewiesen haben, sagte man dort, dies sei nicht so wichtig.

 

VL: Was würde geschehen, wenn Sie jetzt in Ihr Heimatland zurückkehren müssten?

 

BW3: Es war da eben die Auseinandersetzung mit der Polizei. Von meinem Onkel weiß ich, dass unser Haus auch jetzt dahingehend beobachtet wird, ob jemand da ist. Im Fall einer Rückkehr kann man niemand trauen. Die Miliz wird bald erfahren, dass ich wieder da bin und könnte mich daher wegen dem Vorfall belangen. Darüber hinaus könnten sie den Vorfall nutzen, um mir etwas "anzuhängen". Sie haben uns ja auch schon wegen meines Bruders A. nicht in Ruhe gelassen und ist daher eine Gefahr für mich wahrscheinlich. Sie könnten mir vorwerfen in terroristische und sonstige kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein. Weiters ist es auch so, dass es jetzt immer wieder zu Vorfällen kommt, bei denen Milizangehörige getötet werden und könnten sie mir auch so eine Tat vorwerfen.

 

VL: Wissen Sie, ob einer der beiden, die Sie angegriffen haben, dauerhafte Verletzungen von Ihren Handlungen davongetragen haben?

 

BW3: Nicht das ich wüsste, der erster den ich im Gesicht getroffen habe, konnte sich ja bald wieder aufrappeln. Der zweite, den ich schwerer getroffen habe, blieb liegen, bin ich aber davon ausgegangen, dass er sich nach einiger Zeit doch wieder erholt hat; Gegenteiliges habe ich nicht gehört. Wenn er wirklich schwer verletzt wäre, oder sogar tot gewesen wäre, hätte ich gar nicht ausreisen können. Denn wenn ein Polizist getötet wird, kommt es zu großen Sicherheitsoperationen, da wäre das ganze Viertel abgeriegelt worden, so war es nur eine kleine Operation. Man hat offenbar beschlossen, daraus keine große Operation zu machen.

 

VL: Gibt es besondere Gründe (z.B. Familienbezug in Österreich), die ihre Ausweisung aus Österreich als unzulässig erscheinen lassen?

 

BW3: Nein, ich habe nur meine Eltern hier und meinen Bruder. Da Heim in H. ist relativ abgeschieden und wohnen dort eher ältere Leute, manchmal bin ich in O., dort gibt es auch ein Heim und besuche ich dort Bekannte. Dort sind die Leute etwas aufgeschlossener, ansonsten habe ich Kontakt zu Sozialarbeitern, die sich um uns kümmern. Ich versuche Deutsch zu lernen, es gibt aber keinen Unterricht, ich mache das alleine. Ich verstehe schon besser, als ich noch sprechen kann, weil mir auch die Praxis fehlt.

 

VL: Wollen Sie sonst noch etwas angeben, was Ihnen wichtig erscheint?

 

BW3: Nein, ich kann einfach aufgrund der Vorfälle nicht zurückgehen, das steht aber ohnehin im Akt. Hier in Österreich bin ich viel ausgeglichener. Zu Hause war ich aufgrund der Umstände immer sehr nervös und musste pausenlos auf der Hut sein, dementsprechend war ich aggressiv.

 

Zum Gesundheitszustand:

 

BW3: Jetzt habe ich keine Beschwerden mehr, früher spürte ich teilweise meine Arme nicht mehr. Der Arzt meinte, es wäre nervlich. Ich musste Tabletten nehmen, dann wurde es besser. Jetzt nehme ich deshalb keine Tabletten mehr.

 

Die Verhandlung wird von 14.45 Uhr bis 14.55 Uhr unterbrochen.

 

BW 1 - BW3 anwesend

 

VL an BW2: Wann sind Sie abgesehen von den zwei Krankenhausaufenthalten die Sie durch die heute vorgelegten Beweismittel belegt haben, noch einmal in Dagestan im Krankenhaus?

 

BW2: Ich war ein drittes Mal im Spital und zwar kurz vor meiner Ausreise, darüber habe ich keine Bestätigung bekommen, ich bin anschließend gleich ausgereist. Als ich mit der Frau von A. telefoniert habe, wollte ich nicht, dass K. von meinem Krankenhausaufenthalt erfährt, damit er sich nicht beunruhigt.

 

VL: Aufgrund der nachfolgenden im Akt zur Einsicht befindlichen Erkenntnisquellen, die der VL erörtert, werden bezüglich Ihres

Verfahrens folgende entscheidungsrelevante Feststellungen getroffen:

 

Quellen:

 

UK Home Office, Operational Guidance Note, Russian Federation, 14.11.2006, UKHO, dem Internet entnehmbar.

 

Dt. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien vom 17.03.2007, AA.

 

US State Department, Russia, Country Reports on Human Rights Practices 2006 vom 06.03.2007, USDOS, dem Internet entnehmbar.

 

Centre for Eastern Studies, Chechnya, between a Caucasian "Jihad" and "hidden" separatism (Macej Falkovski), Jänner 2007, CES 1, dem Internet entnehmbar

 

NZZ, "Beschwerliche Rückkehr zur Normalität in Grozny", 06.01.2007, NZZ 1.

 

NZZ: "Russland ist mittlerweile das zweitgrößte Immigrationsland der Welt", 03.02.2007, NZZ 2.

 

APA, " Kadyrov als neuer tschetschenischer Präsident vereidigt", 05.04.2007, APA.

 

Inter-Agency Transitional Workplan for the Northern Caucasus, 2007, IWP, dem Internet entnehmbar

 

Auskunft des Vertrauensanwaltes der ÖB Moskau vom 16.11.2006, Fragen 8-11. ÖB1

 

Auskunft der ÖB Moskau vom 20.07.2006, ÖB 2

 

Centre for Eastern Studies, Demographic Situation in Russia (Leszek Szerepka), Juli 2006, CES 2, dem Internet entnehmbar

 

ACCORD, Auskunft vom 13.09.2005 zur Situation von Tschetschenen außerhalb des Nordkaukasus, ACCORD

 

Schweizer Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus, Klaus Ammann, Jänner 2007,

SFH

 

Dagestan: BFM, Russland, Dagestan-Ein zweites Tschetschenien, Teil 1 und 2, April 2006, BFM

 

Inguschetien: BBC News, Regions and Territories, Ingushetia, 21.01.2007, BBC, dem Internet entnehmbar

 

Folgerungen:

 

Im Jahr 2006 kam es in Russland zu einer Reihe von, auch schwerwiegenden, Menschenrechtsproblemen, die auch staatliche (Sicherheits-)organe betrafen. Die demokratische Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Volk wurde weiter schwächer. Medien- und Meinungsfreiheit wurden in einigen Bereichen beschränkt. An positiven Entwicklungen waren Reformen der Strafgerichtsbarkeit und die verstärkte staatliche Verfolgung von rassischen und ethnischen Diskriminierungen zu verzeichnen (USDOS)

 

In Tschetschenien kam es weiterhin zu einigen straflosen Menschenrechtsverletzungen durch russische Organe und tschetschenische Regierungskräfte, wobei sich die allgemeine Sicherheitslage insbesondere in Städten und anderen Talregionen stabilisiert hat (USDOS, SFH, NZZ 1). Staatliche Sicherheitsaufgaben wurden zunehmend an die "pro-russischen" Kräfte um den nunmehrigen Präsidenten Ramzan Kadyrov übergeben, die mit zum Teil rechtswidrigen Methoden gegen (vermeintliche) Gegner vorgehen, es gibt daher weiterhin Entführungen und Morde durch diese Kräfte. Die Zahl der Morde und Verschleppungen ist nach Zählung der Menschenrechtsorganisation "Memorial" zwar wesentlich zurückgegangen, es besteht jedoch eine Dunkelziffer, da unter Kadyrov ein Klima der Angst herrscht und auch häufig ungeklärt bleibt, wie viele Verbrechen aus welchen Motiven auf das Konto von Kadyrov gehen. Die "Kadyrovzi" sind nun eine mehrere Tausend Mann starke Truppe, die zum großen Teil aus ehemaligen Widerstandskämpfern besteht. Rebellen wurden von Kadyrov mit Geld oder durch Entführung von Angehörigen zum Überlaufen gebracht. Offene Kämpfe gibt es derzeit weniger. "Tschetschenische Rebellen", obwohl stark geschwächt, begingen weiterhin einige (schwere) Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, die auch zivile Opfer forderten. Eine Zusammenarbeit zwischen russischen und den "pro-russischen Kadyrov-Kräften" kann jedenfalls zur Zeit nicht ausgeschlossen werden (CES1, SFH, USDOS, AA, APA, NZZ 1).

 

Seit einigen Jahren fließt viel Geld aus Russland nach Tschetschenien, für Waisen, für zerstörte Häuser, wobei jedoch 60 bis 70 Prozent des Geldes in korrupten Kanälen verschwinden. Es kann dennoch von einem nunmehr rasanten ökonomischen Aufschwung (Eröffnung von Geschäften und Lokalen), sowie insgesamt einer zaghaften Normalisierung und Stabilisierung gesprochen werden, wobei die wirtschaftliche und soziale Lage aber weiterhin, wie im gesamten Nordkaukasus, verglichen mit anderen Regionen Russlands, schlecht ist. Lokale Menschenrechtsorganisationen haben begonnen sich zu etablieren, erste Ansätze zur Entwicklung einer Zivilgesellschaft sind zu beobachten. Es gibt auch staatliche Institutionen zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen, diese sind aber vielfach noch zu schwach ausgeprägt. Der Wiederaufbau wird auch durch von Kadyrov verlangte "freiwilligen Spenden" aller Staatsbediensteten finanziert (CES 1, NZZ 1, IWP, SFH). Großflächige humanitäre Hilfsoperationen wurden in der 2. Jahreshälfte 2006 in der Region durchgeführt, es wurden auch konkrete Projekte zur Stärkung der Gesundheit junger Menschen und des lokalen Gesundheitswesens durchgeführt; ein umfassender koordinierter Arbeitsplan der (internationalen) Hilfsorganisationen für das Jahr 2007 im Nord-Kaukasus bei verbessertem Zugang insbesondere nach Tschetschenien ist erarbeitet worden, eine graduelle Verbesserung der Lage in 2007 wird erwartet (IWP).

 

Die meisten Binnenvertriebenen Tschetschenen sind nach Tschetschenien zurückgekehrt, einige leben aber weiterhin in Nachbarrepubliken und anderen Teilen Russlands (z.B. 200.000 in Moskau, 50.000 in der Wolgaregion, 40.000 in Inguschetien/Dagestan). Die tschetschenische Volksgruppe ist insgesamt in vielen Teilen der Russischen Föderation vertreten. Es existieren dort vielfach auch Netzwerke der Tschetschenen, beziehungsweise Hilfsorganisationen, die sich für ihre Rechte einsetzen (ACCORD, IWP, CES 2).

 

In Dagestan kommt es derzeit verstärkt zu Angriffen des islamistischen Untergrundes auf Sicherheitskräfte. Zivilpersonen werden fallweise in Mitleidenschaft gezogen, wenn auch in ungleich geringerem Ausmaß als in Tschetschenien. Sicherheitskräfte führen im Hinterland vermehrt Kontrollen durch. Insgesamt ist die Lage durch die Vielzahl interethnischer Auseinandersetzungen, soziale und ökonomische Probleme sowie Korruption (wogegen es häufig zu Demonstrationen kommt) erschwert. Es gibt fundamentale Unterschiede zur Auseinandersetzung in Tschetschenien. Die Bevölkerung steht nicht hinter den Islamisten und stellen diese keine Alternative zum politischen System der Republik unter Muchu Aliev dar (BFM, SFH, CES 1).

 

Ob eine Ansiedlung in anderen Teilen der Russischen Föderation möglich ist, ist bei Fehlen staatlicher Verfolgung im Einzelfall zu prüfen, dabei spielen angesichts von möglichen Schwierigkeiten bei der Registrierung ein Netzwerk von Verwandten und Bekannten und die Möglichkeit der Kontaktierung von NGO's eine Rolle. Nichtregistrierte Tschetschenen können allenfalls in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands überleben, wobei wiederum Faktoren wie Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse relevant sein können. Für arbeitsfähige Menschen hat sich die Möglichkeit der Teilnahme am Arbeitsmarkt in anderen Teilen Russlands jedoch erhöht. Grundsätzlich kann in 2006/2007 insgesamt nicht von einer Verbesserung der menschenrechtlichen Lage der Tschetschenen außerhalb Russlands gesprochen werden. Das Risiko zum Opfer von Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen zu werden, ist im Regelfall höher als bei anderen Ethnien. Die Schwere solcher Risken ist im Einzelfall zu prüfen. Die Registrierung ist in Südrussland leichter, die Sicherheitslage in den benachbarten Kaukasusrepubliken, insbesondere Dagestan und Inguschetien, ist aber kritisch und muss im Einzelfall geprüft werden. Direkte staatliche Repression nur in Folge einer Asylantragstellung konnte bei Tschetschenen bisher nicht nachgewiesen werden (AA, ACCORD, CES 2, USDOS, UKHO, ÖB 1, NZZ 2).

 

Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und eine medizinische Grundversorgung sind in Russland, einschließlich der Kaukasus-Region im allgemeinen gegeben, die Bevölkerung Tschetscheniens lebt trotz erster Erfolge von entsprechenden Förderungs- und Unterstützungsmaßnahmen und einer grundsätzlich positiven Tendenz schwierig und kann dies in einzelnen Fällen unzumutbar sein (AA, IWP).

 

Gefälschte Dokumente oder unwahre Zeitungsmeldungen, mit denen staatliche Repressionsmaßnahmen dokumentiert werden sollen, werden regelmäßig bei Asylsuchenden aus der Russischen Föderation im allgemeinen und der Kaukasusregion im besonderen festgestellt. Von staatlichen Behörden ausgestellte Dokumente sind nicht selten mit unrichtigem Inhalt ausgestellt oder gefälscht;

Personenstandsurkunden und andere Dokumente (z.B. Haftbefehle) können gekauft werden. Häufig werden falsche Namen und Adressen in Asylverfahren angegeben. Aussagekräftig sind insbesondere echte Inlandspässe (AA).

 

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es durch Bestechung möglich ist, echte Auslandspässe zu erhalten und russische Kontrollen, z.B. beim Verlassen der Kaukasus-Region zu passieren, obwohl eine Suche durch föderale russische Organe erfolgt. Bei der Ausreise nach Weißrussland gibt es in der Regel keine Kontrollen (ÖB 2).

 

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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